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Offene Theater, geschlossene Hochschulen?

"Klaglos" hätten die Studierenden seit vier Semestern den Ausnahmezustand in der Lehre ertragen, sagt der Studentenwerke-Generalsekretär. Vielleicht war ja das genau das Problem.

DIE INZIDENZEN STEIGEN AUF ÜBER 1000, doch mehrere Bundesländer lockern gegen die Rekord-Welle. Mecklenburg-Vorpommern will Theater, Museen oder Kinos künftig auch bei Ampelstufe Rot offenhalten. Bayern hebt die Auslastungsgrenze für den Kulturbereich mit sofortiger Wirkung auf 50 Prozent an. Jeweils nur für "2G+", versteht sich. Trotzdem mutig.

 

Die Debatte, ob es auch richtig ist, wird anderswo bereits zur Genüge geführt. Was jedenfalls auffällt: dass parallel beim wichtigsten Kulturbereich, der Bildung, die Zeichen auf Verschärfung stehen. Viele Hochschulen befinden sich längst wieder im Distanzmodus. Faktisch zumindest, wenn die letzte Entscheidung oft bei den Dozenten liegt, die dann im Zweifel (und, um sich abzusichern, verständlicherweise) die Präsenzlehre aussetzen. Ob da mehr gehen könnte und sollte, und unter welchen Bedingungen, und woran es liegt, dass manche Hochschulen so viel mehr Seminare vor Ort anbieten als andere, soll hier heute ebenfalls nichts diskutiert werden. 

 

Hoffentlich tun das die Wissenschaftsminister mit den Hochschulleitungen. Auf dem Tisch liegen sollte dann auch die Umfrage des Studierendenverbands fzs, demzufolge 50 Prozent der befragten Studierenden sich akuell schlecht fühlen, wenn sie an ihr Studium denken, und dass für sehr viele die digitale Lehre kein Ersatz ist. Weshalb der fzs zu Recht mehr Engagement fordert, um die sichere Rückkehr an den Campus zu ermöglichen. "Unter 2G+-Bedingungen mit Konzepten für hybride Lehre damit wirklich alle Studierenden an den Veranstaltungen teilnehmen können." 

 

Mit Theater, Museen & Co gäbe es da ja gerade aktuelle Vorbilder. Passend dazu verlangt der neue Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Matthias Anbuhl, einen Bund-Länder-Hochschulgipfel. Es sei höchste Zeit, dass die Pandemiepolitik stärker die soziale Lage der Studierenden in den Blick nehme und eine ehrliche Problemanalyse und Standortbestimmung vornehme, sagte er dem Spiegel. Seit Corona-Beginn hätten diese sich  "absolut solidarisch verhalten mit den vulnerablen Gruppen unserer Gesellschaft; sie haben eine weit über dem Durchschnitt liegende Impfquote und nun schon drei reine Online-Semester und das Hybrid-Wintersemester 2021/2022 klaglos hinter sich gebracht." 

 

Vielleicht war das "klaglos" ja genau das Problem. Derweil will Borussia Dortmund vielleicht vor Gericht gehen, um eine Rückkehr zu Spielen vor Zuschauern zu erzwingen. Da könnten dann auch die Studierenden mal wieder unter Leute kommen.

 

Dieser Kommentar erschien zuerst in meinem wöchentlichen Newsletter.



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Kommentare: 4
  • #1

    Muriel Helbig (Donnerstag, 27 Januar 2022 17:54)

    Sechs Anmerkungen zu diesem Text.

    1. Die Studierenden hätten den Ausnahmezustand "klaglos" hingenommen - das klingt so, als wären die Studierenden stumm und gesenkten Hauptes zur Schlachtbank der digitalen Lehre getrottet. Die Studierenden- zumindest an meiner Hochschule- waren in höchstem Maße engagiert. Nein, kein Rambazamba auf den Straßen. Stattdessen mühevolle, zähe, ausdauernde Kleinarbeit, konstruktives Engagement, sorgfältiges Abwägen. Ihnen das vorzuhalten, finde ich ungerecht. Ich kann es mir nur erklären, wenn es nicht um die besten (lokalen!) Kompromisse in einer Pandemie, sondern Prinzipienreiterei geht.

    2. Dabei scheint das Prinzip zu lauten: Digitale Lehre ist eine Zumutung. Witzig. Vor der Pandemie, ich erinnere mich, war es ganz schrecklich, dass Hochschulen angeblich den digitalen Wandel verschlafen.

    3. Stattdessen: Das Hochjubilieren der Präsenzlehre. Jahrelang bemängelt, nun Allheilmittel für den Gesundheitszustand der Studierenden. Wer weiß denn, dass es heute keine oder weniger Probleme gäbe, hätten Hochschulen jederzeit uneingeschränkt Präsenzlehre angeboten? Es gab auch unter den Studierenden nicht wenige, die Sorge hatten, sich an der Hochschule zu infizieren und zu einer Gefahr für andere zu werden. Diese Studierenden wären nicht gekommen. Das galt es nicht abzuwägen?

    4. Auch schön: Die Lösung bei zentralen Regelungen zu suchen. Eine Bund-Länder Vereinbarung. Hatten wir schon mal, da wurde sich Wechselunterricht an Hochschulen ausgedacht. War super!

    5. 2G+ und hybride Konzepte. Hochschulen können weder dauerhaft kontrollieren noch Lehre flächendeckend hybrid anbieten - schließlich sind nicht alle Veranstaltungsräume dafür eingerichtet und auch nicht alle Veranstaltungen (wie beispielsweise Labore) geeignet. Und wollen wir wirklich, dass eine Präsenzveranstaltung ausgerechnet dann auf digital umgestellt werden müsste, wenn es keine Möglichkeiten für hybrid gibt, sich in ihr aber eine Person befindet, die den 2G Status nicht nachweisen kann? Unsere Studierende finden den Gedanken im Übrigen stigmatisierend.

    6. Ach, und noch etwas, vielleicht nur eine Kleinigkeit: Es gab keine drei reinen online-Semester. An meiner Hochschule gab es nicht mal mehr ein reines online-Semester. Aber das passt nicht ins Narrativ. Schließlich geht’s ums Prinzip. Digital: Buh. Präsenz: Yeah. Hybrid: Doppelt yeah! Komplexität? Lieber nicht.

    Ich gehe jetzt ins Stadion. Auf dem Weg dahin demonstrieren. Für eine allgemeine Impfpflicht.

  • #2

    Oliver Locker-Grütjen (Donnerstag, 27 Januar 2022 20:39)

    Ich möchte meiner Kollegin zustimmen und um einige Aspekte Sicht ergänzen.

    1) Dass die Studierenden unter der aktuellen Situation leiden zeigen Studien und dies liegt auch auf der Hand. Hier muss angesetzt werden, um umfangreichere Unterstützungen in der Sozialbetreuung zu installieren (1 VZÄ / 5.000 Studierende ist wohl kaum ausreichend).
    Der AStA meiner Hochschule ist hierbei äußerst kreativ und das gemeinsam mit allen anderen Hochschulmitgliedern.

    2) Als Hochschule mit vielen internationalen Studierenden (die größtenteils nicht ins Land dürfen/können oder als nicht geimpft, weil mit dem falschen Impfstoff geimpft, gelten) haben viele dieser Studierenden auch "Gefallen" am digitalen Lernen gefunden, weil sie so überhaupt partizipieren konnten. Das darf natürlich nicht der Standard sein, aber ein guter Mix (flipped classroom).

    3) Kleinere Seminare, Laborpraktika etc. haben an meiner Hochschule nahezu durchgehend (wenn coronakonform) in Präsenz (wenngleich mit erheblichem Aufwand) stattgefunden. Das Problem sind doch "Massenveranstaltungen" in großen Seminar- und Hörsälen. Vielleicht sollten derartige Großvorlesungen nicht mehr in Präsenz stattfinden und der Vergangenheit angehören: flipped classroom.

    4) und zuletzt ein Punkt der schon genannt wurde: Hochschulen sind kein Museum, kein Fußballstadium et al. mit einem überwachten Ein- und Ausgang. Wir sind offene Lehr- und Lernräume bei denen die 3G-Überprüfung schon nahezu unmöglich zu organisieren ist. Also ein Zaun um die Hochschulen?

    Wir sollten in dieser Situation alles tun, um die Studierenden zu stützen, zum Studium zu ermutigen und Blended Learning als neue echte Qualität zu betrachten. So kann die Pandemie zu einer neuen Reform an den Hochschulen beitragen, die die sich mittlerweile auch veränderten Kompetenzanforderungen an unsere Absolventen unterstützt.

  • #3

    O. Falada (Donnerstag, 27 Januar 2022 21:44)

    Zunächst: Zustimmung zu meiner Vorrednerin.

    Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass eine weitere Studie erschienen ist, die ein anderes Bild zeichnet als die Umfrage des Studierendenverbands fzs: https://www.che.de/2022/studierende-wuenschen-sich-auch-nach-der-pandemie-mehr-digitales-lernen/. Dort heißt es: „Nach mehr als anderthalb Jahren im Zeichen der Corona-Pandemie sind die Studierenden an deutschen Hochschulen insgesamt zufrieden mit ihren Studienbedingungen.“

    Es gibt also mehrere Seiten, und dass die Studierendenwerke die Probleme der Studierenden hervorheben, ist natürlich gerechtfertigt und ein Teil des Gesamtbildes.

    Umso wichtiger ist es, miteinander auszuwerten und abzuwägen: was ist gelungen, was haben wir gelernt, wo haben wir nicht genügend getan und welche Schlüsse ziehen wir daraus für die Zukunft. Meine Hochschule hat damit bereits vor einem Jahr begonnen. Und da wir alle gerade nicht wirklich voraussehen können, wie sich die Pandemie entwickelt, können wir vielleicht jetzt zumindest feststellen, dass es keine one-fits-all-Lösung gibt und wir (nicht nur pandemiebedingt, sondern auch mit Blick auf die Bedürfnisse der Studierenden und auf die Zukunft der Hochschullehre) weiterhin abwägen müssen.

  • #4

    Jan-Martin Wiarda (Freitag, 28 Januar 2022 07:52)

    Vielen Dank für die spannende Diskussion! Nur eine Anmerkung: Die erwähnte CHE-Studie bezog sich lediglich auf MASTER-Studierende in den Fächern Mathematik, Informatik und Physik. Deshalb hatte ich auch darauf verzichtet, über diese Studie als Meinungsbild "der Studierenden" zu berichten. Es war ein sehr enger Ausschnitt. Viele Grüße!