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Roland Kochs geplatzter Traum

Die Privatisierung des Uniklinikums Gießen und Marburg sollte 2005 Vorbote einer neuen Ära werden. Eine neue Vereinbarung zwischen dem Land Hessen und dem Klinik-Eigentümer gut 16 Jahre später ist das Eingeständnis eines gescheiterten Geschäftsmodells.

Screenshot von der Website des UKGM.

ES WAR DER GROSSE COUP. Zumindest, wenn man Hessens damaligem Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) glauben mochte. "Wir stellen mit der heutigen Entscheidung die Weichen dafür, das das Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) mit seiner medizinischen Forschung eine erste Adresse in Deutschland und weltweit bleibt und in einigen Bereichen zusätzlich werden wird", sagte Koch im Oktober 2005.

 

Da hatte er gerade bekanntgegeben, dass das erst kurz vorher aus zwei sanierungsbedürftigen Standorten fusionierte Großklinikum verkauft werde. Gegen den Widerstand von großen Teilen der Beschäftigten, Ärzte und der Opposition. An einen privaten Klinikkonzern. 112 Millionen Euro zahlte die  börsennotierte "Rhön-Klinikum AG" an den hessischen Staat, und deren Vorstandsvorsitzender Wolfgang Pföhler verkündete vollmundig: "Wir werden Gießen-Marburg zum Flaggschiff unseres Konzerns machen". Der Konzern versprach mindestens 370 Millionen Euro für Investitionen (inklusive einem ganz neuen Klinikgebäude in Gießen) und einen Fonds für Personalentwicklung mit 30 Millionen Euro, weitere 107 Millionen sollten in neue medizinische Angebote fließen. Das Land behielt fünf Prozent der Anteile und legte 100 Millionen Euro des Kaufpreises in einer Stiftung zur Förderung von Forschung und Lehre an der Uniklinik an.

 

Manchem optimistischen Beobachter erschien der Verkauf damals als Vorbote einer neuen Ära und als Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere, in der zahlreiche Unikliniken in Deutschland bis heute stecken – gefangen zwischen dem Auftrag medizinischer Maximalversorgung, der Erwartung erstklassiger Forschung und der Realität einer oft unzureichenden Finanzierung durch Krankenkassen und die öffentliche Hand.

 

Was von den hochfliegenden
Plänen übrigblieb

 

16 Jahre später gab es wieder eine Presseinformation der hessischen Landesregierung in Sachen UKGM. Unter der Überschrift "Zukunftsinvestition in optimale Gesundheitsversorgung, in Forschung und Lehre und in die Sicherheit der Beschäftigten" war da nachzulesen, dass das Land Hessen in den kommenden zehn Jahren knapp eine halbe Milliarde Euro Investitionsmittel an den UKGM-Eigentümer "Rhön-Klinikum AG" zahlen wolle. 

 

Eigentlich aber an die "Asklepios Kliniken GmbH & Co KGaA", denn die hat 2020 die Kontrolle über den einstigen Konkurrenten übernommen. Und damit unter anderem auch über das UKGM, nachdem Rhön den Asklepios-Konzern beim Bieterwettbewerb 2005 noch ausgestochen hatte. 

 

Im Gegenzug für das Geld erklärten Rhön und Asklepios den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigung und die Ausgliederung von Betriebsteilen – mit einigen Ausnahmen im Kleingedruckten. "Auch wenn in den nächsten Jahren große Herausforderungen bestehen bleiben, ist die Absichtserklärung ein Beleg dafür, dass das Land Hessen und die Rhön-Klinikum AG gemeinsam das UKGM als Maximalversorger und Wissenschaftsstandort langfristig stärken wollen", wird der jetzige Rhön-Vorstandvorsitzende Christian Höftberger zitiert.

 

Womit er deutlich wenig vollmundig klingt als sein Vorgänger 2005. Es soll hier auch gar nicht weiter ausgeführt werden, welche Rolle das UKGM bei der Entwicklung des Rhön-Klinikums vom siegreichen Mitbieter zum Übernahmekandidaten gespielt hat. Es soll nicht im Einzelnen ergründet werden, wie es zum Beispiel kam, dass Rhön-Klinikum und Land sich so zerstritten, dass es 2013 keine Regelung mehr über die Landesbeteiligung an nötigen Investitionen gab. Oder wie es sein kann, dass der Konzern die Investitionszusagen von einst zwar übererfüllt hat, aber dem Klinikum dafür Kredite aufgedrückt hat, die es jährlich mit fast 40 Million ins Minus schieben. Was übrigens auf zehn Jahre ziemlich genau dem Betrag entspricht, den die Landesregierung jetzt zuschießen will. So berichtete es der Gießener Klinikdirektor Werner Seeger laut FAZ

 

Das Geschäftsmodell "Uniklinikum" 

an sich ist das Problem

 

Fest steht: Die Finanznot beim einst zum "Flaggschiff" erklärten UKGM ist gut 16 Jahre nach der Privatisierung nicht kleiner, sondern offenbar sogar größer geworden. Fest steht auch: Das UKGM, die drittgrößte Uniklinik Deutschlands, ist die einzige Einrichtung ihrer Art geblieben, die privatisiert wurde. Als Vorbote einer neuen Ära hat das von Roland Koch forcierte Konzept dann offenbar doch nicht getaugt. Die Hoffnung, die finanzielle Schieflage des Geschäftsmodells "Uniklinikum" werde sich durch einen Wechsel in private Hand quasi von selbst erledigen, hat sich nicht erfüllt. Was kaum wundert, wenn doch das Geschäftsmodell an sich das Problem ist.

 

Diese Woche diskutiert der Wiesbadener Landtag die Rettungs-Pläne der Landesregierung, denn ohne Landtag gibt es kein Geld. Die Debatte wird in vielen Wissenschafts- und Gesundheitsministerien überall in der Bundesrepublik sicherlich aufmerksam verfolgt werden, denn wann immer Unikliniken in wirtschaftliche Not geraten (und das tun sie irgendwo ständig), wird auch das Thema Privatisierung von irgendwem wieder aufs Tapet gebracht. Als ließe sich dadurch einen Euro öffentlicher Gelder sparen.

 

Spannend ist die Debatte auch vor dem Hintergrund der Frage, wer am Ende für die Zeche zahlen muss. Die Länder versuchen seit langem, den Bund bei der Finanzierung der Unikliniken stärker ins Boot zu holen, auch andere Experten fordern das, dieselben Diskussionen gibt es um die Finanzierung von Medizinstudium-Reformen und der Akademisierung der Gesundheitsberufe. Doch der Bund windet sich und lässt sich bislang höchstens auf zeitlich befristete Programme wie dem "Netzwerk Unimedizin" ein, das die Corona-Forschung mit dreistelligen Millionenbeträgen fördert, von manchen aber auch als Instrument zur Querfinanzierung gesehen wird. 

 

Warum sie in Heidelberg und Mannheim

besonders aufmerksam zuschauen

 

Innerhalb der Länder geht es dann oft noch hin und her zwischen Gesundheits-, Sozial- und Wissenschaftsministerium. Im letzteren herrscht die Sorge, die überbordenden Kosten für die Unimedizin könnten den Spielraum für die Finanzierung anderer Fächer und Wissenschaftszweige einschränken. 

 

Besonders genau werden sie dieser Tage aus Baden-Württemberg nach Hessen schauen. Dort steht in den nächsten Monaten eine tiefgreifende Entscheidung an. Werden die Universitätskliniken von Heidelberg und Mannheim, beide ebenfalls in schweren Fahrwassern, fusioniert? Die Pläne dazu liegen seit Oktober 2020 auf dem Tisch. Doch die Landesregierung zögert, denn damit würde sie das Klinikum Mannheim aus der Trägerschaft der Stadt übernehmen, die angesichts eines jährlichen Defizits von 40, 45 Millionen Euro das Haus dringend loswerden will. 

 

Interessanterweise ist das Universitätsklinikum Mannheim das andere Uniklinikum in Deutschland, bei dem das Land nicht Träger ist. Sondern die Stadt Mannheim, die einst so stolz war, als ihr Städtisches Krankenhaus den Namen "Universitätsklinikum" erhielt. Deren Oberbürgermeister Peter Kurz aber jetzt in der Rhein-Neckar-Zeitung sagt, sowohl in Mannheim als auch in Gießen-Marburg laute die Erkenntnis, "dass das finanziell für die Träger nicht funktioniert". Das heiße: "Wir haben auf den Tag genau 15 Jahre nach Beginn einer ähnlichen Entwicklung nahe identische Diskussionen."

 

Mit dem Unterschied, dass Kurz einen Teil dieser Entwicklung, die Fusion, sogar erst noch anstoßen will. Von der zwischenzeitlich auch in Heidelberg und Mannheim diskutierten Privatisierung redet dagegen kaum noch einer. Doch auch die Fusion wäre solange nur eine Verschiebung der Defizite, wie die Gesamtfinanzierung der Unikliniken in Deutschland nicht endlich und nachhaltig geklärt wird. Und zwar zwischen Bund und Ländern.

 

Der sonst so von Reformen und Versprechungen strotzende Ampel-Koalitionsvertrag ist in der Hinsicht allerdings recht schmallippig. Zwar ist von einem "Bund-Länder-Pakt" die Rede, mit dem die "nötigen Reformen für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenversorgung" auf den Weg gebracht werde. Das bisherige System solle um die Differenzierung nach Versorgungsstufen ergänzt werden, genannt werden "Primär-, Grund-, Regel-, Maximalversorgung, Uniklinika". Aber was genau das für die Krankenhausfinanzierung heißt, das soll jetzt erst einmal eine Regierungskommission ermitteln. Trotz aller Studien und Expertisen, die dazu längst vorliegen. Anderswo nennt man so etwas Zeitspiel.



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Kommentare: 5
  • #1

    Nordwesten und Ostwestfalen (Donnerstag, 03 Februar 2022 20:27)

    "Interessanterweise ist das Universitätsklinikum Mannheim das andere Uniklinikum in Deutschland, bei dem das Land nicht Träger ist."

    Stimmt nicht ganz: Es gibt noch zwei (jüngere) Standorte, die ähnlich wie Mannheim aufgebaut sind - Oldenburg und Bielefeld: Eine Medizinische Fakultät, und dazu Krankenhäuser in unterschiedlichen Trägerschaften, aber nicht im Landesbesitz. In Oldenburg sind einzelne Abteilungen dieser Krankenhäuser "Universitätsklinik" (aber nicht Universitätsklinikum!), in Bielefeld ähnlich, aber der Dachverband der beteiligten Krankenhäuser nennt sich "Universitätsklinikum" (ohne finanzielle Beteiligung der jeweiligen Länder an der Krankenversorgung).

    Hoffentlich schauen die zuständigen Ministerien in Hannover und Düsseldorf ebenso interessiert auf die Diskussion!

  • #2

    Leander K (Freitag, 04 Februar 2022 14:09)

    Ich verstehe das nicht genau. Wo wird denn in der Medizin geforscht? Ich nehme mal an unter dem Dach des Universitätsklinikums. Oder wird da genauer zwischen Universität und Klinikum unterschieden (sowas wie: Klinikum = Patientenbetreuung, Universität = Forschung)? Meiner Vorstellung nach sollte Forschung in einem Universitätsklinikum mit einem Mehraufwand verbunden sein, das sollte sich dann ja nicht allein aus unserem Gesundheitssystem tragen. Dieser ist ja nicht dafür da Forschung zu finanzieren und wird doch bestimmt keine Mehrkosten tragen.

    Ich verstehe dann nicht wieso eine Privatisierung Sinn macht? Ist dies nicht ein schlechter Deal für das Unternehmen? Ein Krankenhaus, was ineffizienter und teuer ist, weil es noch mehr Aufgaben erfüllen muss? Wer soll dann überhaupt auch Kosten für Forschung tragen (Geräte etc.), das lässt sich doch nicht erwirtschaften, da muss das Land doch eh fördern.

    Für mich klingt eine Privatisierung eher nach einer Entscheidung, die etwas einer Verabschiedung von einem Forschungsstandort in der Medizin klingt. Möglichst wenig Geld ausgeben und die Konsequenzen outsources.

  • #3

    Michael Kroeher (Mittwoch, 09 Februar 2022 14:36)

    Eine weitere Korrektur/Ergänzung: In Brandenburg sind alle vier Universitätsklinika NICHT von Land bzw. von dessen medizinischer Hochschule getragen: Die Häuser in Brandenburg an der Havel und in Neuruppin sind in städtischer Trägerschaft, das Herzzentrum Bernau und das Haus in Rüdersdorf gehören der Immanuel Albertinen Diakonie. Insofern gibt es doch verschiedene Modelle, an denen man sich beim Lösen der ernsten Probleme in Marburg und Gießen orientieren kann. Beste Grüße, MK

  • #4

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 09 Februar 2022 15:02)

    @ Nordwesten und Ostwestfalen und Michael Kroeher: Herzlichen Dank für die Ergänzungen! Ich habe die besagten Modelle tatsächlich hier außen vorgelassen, weil es sich doch um sehr andere (teilweise Verbund-)Strukturen handelt als die klassischen Groß-Uniklinika, um die es mir ging. Darum schrieb ich, dass Mannheim das andere Uniklinikum in Deutschland sei, bei dem das Land nicht der Träger ist. Genauer wäre wohl gewesen: das andere klassische Uniklinikum. Aber Sie haben Recht: Ich hätte sie zumindest mit erwähnen können. Nur: Sind die wirtschaftlichen Probleme dort, wo bereits länger Betrieb ist, geringer? Viele Grüße! Ihr J-M Wiarda

  • #5

    Nikolaus Bourdos (Mittwoch, 16 Februar 2022 12:28)

    Ebenso nicht zu vergessen das UK Bochum als Sondermodell.