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Nach dem Höchststand

Die Omikron-Welle ist in vielen Bundesländern gebrochen, auch bundesweit beginnen die gemeldeten Neuinfektionen zu sinken. Warum der Trend stabil scheint und es für eine Entwarnung trotzdem noch zu früh ist.

DIE PROGNOSE scheint eingetroffen zu sein. Vergangenen Dienstag schrieb ich in meiner wöchentlichen Bestandsaufnahme der Corona-Lage, dass der Scheitelpunkt der Omikron-Welle möglicherweise kurz bevorstand. Viele Experten hatten ihn für Mitte Februar vorhergesagt, und die Meldedaten aus verschiedenen Bundesländern deuteten in diese Richtung. Diesen Dienstag lässt sich festhalten: Es besteht tatsächlich Grund zu Optimismus.

 

Laut Robert-Koch-Institut (RKI) ist die 7-Tages-Inzidenz der gemeldeten Corona-Neuinfektionen heute den dritten Tag in Folge auf 1.441,0 gesunken. Auch im Wochenvergleich ergibt sich jetzt bundesweit ein leichtes Minus von 3,5 Inzidenzpunkten (-0,2 Prozent). Vernachlässigbar? Keineswegs. Denn die Wachstumskurve zeigt deutlich nach unten. Vor einer Woche lag das Plus bei den Neuinfektionen noch bei 19,5 Prozent. Vor zwei Wochen bei 34,9 Prozent. Vor drei Wochen bei 61,7 Prozent. 

 

Setzt sich dieser Trend fort, und dafür spricht einiges, könnte die bundesweite Corona-Inzidenz am kommenden Dienstag gut 20 Prozent niedriger liegen als heute. Also irgendwo zwischen 1.100 und 1.200, Tendenz weiter stark fallend. Warum es für eine Entwarnung trotzdem noch zu früh ist? Auch dazu gleich mehr.

 

Der Abwärtstrend

verfestigt sich

 

Der Abbau der Omikron-Welle folgt regional erstaunlich exakt in umgekehrter Reihenfolge zu ihrem Aufbau. Los ging es im Norden und in den Stadtstaaten, nun sind dies die Länder, wo schon seit zwei, teilweise drei Wochen die gemeldeten Neuinfektionen sinken. Inzwischen durchaus kräftig: Berlin: -30,8 Prozent; Hamburg: -22,8 Prozent, Bremen: -22,2 Prozent, Schleswig-Holstein: -13,1 Prozent. Es folgt eine zweite Gruppe Länder größtenteils im Westen, in welchen der Omikron-Höhepunkt auch entweder schon erreicht ist oder kurz bevorsteht. Hessen: -11,3 Prozent, Rheinland-Pfalz: -3,8 Prozent, Bayern: -2,0 Prozent, Nordrhein-Westfalen: -0,3 Prozent, Niedersachsen: +1,2 Prozent, Saarland: +3,3 Prozent. Auch Baden-Württemberg (+8,9 Prozent), Mecklenburg-Vorpommern (+3,8 Prozent) und Brandenburg (+9,2 Prozent) dürften bald über den Berg sein. Und dann ist da die Mehrheit der ostdeutschen Länder, die zuletzt von Omikron erreicht wurden und wo die Zuwächse noch kräftig sind: Sachsen-Anhalt: +36,4 Prozent, Thüringen: +28,8 Prozent, Sachsen: +27,6 Prozent. 

 

Setzt sich der Wachstumstrend der vergangenen Wochen in den einzelnen Ländern fort, so wird die erste Gruppe in den nächsten sieben Tagen einen noch schnelleren Rückgang der gemeldeten Neuinfektionen erleben; die zweite Gruppe wird ein Minus in der jetzigen Größenordnung von Gruppe eins erreichen. Und in etwa zwei Wochen könnte auch in den ostdeutschen Ländern zumindest eine Stagnation bei den Neuinfektionen erreicht sein. In der Zusammenschau bedeutet das, weil fast alle großen Bundesländer in Gruppe zwei sind: Die Zeichen stehen auf einem deutlichen bundesweiten Inzidenz-Minus in der nächsten Woche und einem sich weiter verfestigenden Abwärtstrend insgesamt. Wenn, siehe unten, nicht die neue Omikron-Untervariante B.A2 noch einen Strich durch die Rechnung macht.

 

Weshalb es für eine Entwarnung

noch zu früh ist

 

In den vergangenen Wochen ist wieder einmal viel und teilweise sehr aufgeregt über die Neuinfektionen bei Kindern und Jugendlichen geredet worden. Zumal auch die Zahl der Krankenhauseinweisungen von unter 15-Jährigen stark zugenommen hatte. Wenig – zu wenig – hat sich der Blick dabei wieder einmal auf die ältere Generation gerichtet. Obwohl eigentlich absehbar war, dass sich wie in jeder Welle ereignet, was jetzt gerade passiert. Doch der Reihe nach.

 

Die registrierten Neuinfektionen bei den Kindern und Jugendlichen, das ist die gute Nachricht der Woche, sinken absolut und relativ am deutlichsten. Das RKI meldet für die am Sonntag zu Ende gegangene Kalenderwoche (6) 245.114 frische Corona-Fälle bei 5- bis 14-Jährigen. Das sind 12,2 Prozent weniger als in der Woche davor. Ihr Anteil an allen Fällen sinkt von 22,0 auf 20,2 Prozent – und liegt damit so niedrig wie vor den Weihnachtsferien. Die Welle bei den Schülern ist also bei weitgehend im vollen Präsenzunterricht befindlichen Schulen gebrochen worden, und auch dieser Abwärtstrend wird sich höchstwahrscheinlich fortsetzen. 

 

Die Entwicklung bei den Kitakindern ist noch nicht so positiv, aber immerhin steigen ihre Neuinfektionen nicht mehr schneller als im Schnitt der Bevölkerung (ihr Anteil an allen neuen Fällen liegt weiter bei 4,0 Prozent). 

 

Ganz anders – leider – der Trend bei den Älteren. Ihre Infektionszahlen steigen absolut und relativ deutlich, und das nun schon seit mehreren Wochen. Bei den 60- bis 79-Jährigen zuletzt um 8,8 Prozent auf 91.811, womit ihr Anteil an allen Fällen einen Sprung um fast einen Prozentpunkt auf 7,6 Prozent machte. Bei den über 80-Jährigen betrug das Plus in Kalenderwoche 6 sogar 20,0 Prozent auf 27.872, ihr Anteil geht binnen Wochenfrist rauf von 1,8 auf 2,3 Prozent.

 

Und genau deshalb ist es für eine Entwarnung noch zu früh. Denn die Haupt-Krankheitslast liegt auch in dieser Phase der Pandemie bei den Ältesten. Und ein deutlicher Anstieg der Neuinfektionen bei den vulnerabelsten Altersgruppen setzt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in einen ähnlich starken Anstieg bei den schweren Fällen um. 

 

In den Krankenhäusern

verschärft sich die Lage

 

Es widerspricht ein wenig dem gängigen Narrativ, dass die Omikronwelle so glimpflich verlaufen sei: Die Hospitalisierungen befinden sich deutlich im Anstieg.

 

Nein, nicht bei den Jungen – hier scheint im Gegenteil der Peak überwunden zu sein. Und auch wenn über die Situation der Kinder und Jugendlichen so viel berichtet worden ist, unter allen Krankenhauseinweisungen haben sie zum Glück nie mehr als etwa zehn Prozent ausgemacht. Was selbst zur schlimmsten Zeit deutlich unter ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung lag.

 

Hinzu kommt, dass wegen der Rekord-Inzidenzen bei sehr vielen der hospitalisierten Kinder und Jugendlichen Covid-19 eine oft zufällig entdeckte Nebendiagnose war. In Kalenderwoche 5 jedenfalls, das sind die jüngsten RKI-Daten, sank ihr Anteil an allen Neueinweisungen von 10,1 auf 9,7 Prozent. Und da die Zahl der Nachmeldungen ans RKI fast immer bei den älteren Jahrgängen höher ausfällt, wird der tatsächliche Anteil der Jungen in Kalenderwoche 5 am Ende noch niedriger liegen (vermutlich bei gut 9 Prozent).

 

Was auch damit zusammenhängt, dass es bei den Älteren rapide aufwärts geht. Die über 60-Jährigen stellten seit Beginn der Pandemie den Großteil der Corona-Krankenhauspatienten, oft waren es zwei Drittel und mehr. Zuletzt war ihr Anteil   erfreulicherweise auf 45, 46 Prozent zurückgegangen. Damit ist es leider vorbei. Allein in Kalenderwoche 5 kletterte der Anteil der 60- bis 79-Jährigen von 24,2 auf 26,0 Prozent, bei den über 80-Jährigen sogar von 23,9 auf 27,0 Prozent. Das ist vom Status Quo her nicht gut und noch weniger, siehe die Entwicklung der Corona-Neuinfektionen bei den Älteren, in Bezug auf die Aussichten. 

 

Woraus sich auch ableiten lässt, dass die zuletzt geringe Dynamik auf den Intensivstationen zunehmen dürfte. Gestern wurden dort bundesweit 2.473 schwerkranke Corona-Patienten behandelt, 98 (4,1 Prozent) mehr als eine Woche zuvor. Ihre Zahl dürfte bald wieder stärker steigen. Wie stark, ist schwer zu sagen. Gut ist, dass unter den Älteren so viele bereits geboostert sind. Nicht gut, dass es Millionen ungeimpfte über 60-Jährige gibt. Zu hoffen ist, dass die gesamtgesellschaftliche Omikron-Welle so schnell und kräftig bricht, dass sie bald auch die absolute Zahl der gemeldeten Neuinfektionen bei den Älteren nach unten drückt. Schon jetzt ist daher glücklicherweise absehbar, dass die Rekordwerte bei den Intensivpatienten der vergangenen Wellen bei weitem nicht mehr erreicht werden. Doch für eine Entwarnung ist es zu früh, nicht nur wegen BA2., und von einem glimpflichen Verlauf lässt sich bei 2.500 Corona-Intensivpatienten, Tendenz steigend, auch nicht sprechen. 

 

Expertenrat empfiehlt
Abwarten

 

"Ein Zurückfahren staatlicher Infektionsschutzmaßnahmen erscheint sinnvoll, sobald ein stabiler Abfall der Hospitalisierung und Intensivneuaufnahmen und -belegung zu verzeichnen ist", schreibt der Corona-Expertenrat der Bundesregierung in seiner neuesten Stellungnahme. Er macht aber auch deutlich: So weit ist es noch nicht. Denn: "Ein zu frühes Öffnen birgt die Gefahr eines erneuten Anstieges der Krankheitslast." Durch die Omikron-Untervariante BA.2 müsse sogar mit einer gegenüber aktuellen Schätzungen verlängerten bzw. wiederansteigenden Omikron-Welle gerechnet werden.

 

Danach sieht es zwar zurzeit nicht aus. Beispiel Berlin: Dort konnten Wissenschaftler*innen des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), der Berliner Wasserbetriebe und des Laborunternehmens amedes bei Abwasser-Untersuchungen nachweisen, dass sich der Anteil von BA.2. an allen kursierenden Corona-Erregern zwischen dem 12. und 19. Januar von sechs auf zwölf Prozent verdoppelte. Angesichts des schnellen Wachstums könnte er inzwischen dominieren. Trotzdem sinken derzeit nirgendwo die gemeldeten Corona-Zahlen schneller als in der Hauptstadt. 

 

Bund und Länder denken über Lockerungen nach –
und könnten erneut Kinder über Gebühr belasten

 

Trotzdem ist die Empfehlung des Expertenrats, jetzt noch abzuwarten, nachvollziehbar und abgewogen – zumindest kurzfristig. Sobald aber auch die Hospitalisierungszahlen deutlich zurückgehen, muss über die Reihenfolge der Öffnungsschritte gesprochen werden. Die Regierungschefs von Bund und Plänen überlegen vor ihrer morgigen Corona-Konferenz offenbar, schon jetzt einen solchen Stufenplan vorzulegen. Vor allem um mit dem Ankündigen kommender Lockerungen vorerst noch auf Zeit spielen zu können. 

 

Was sorgt, ist die vorab bekannt gewordene mögliche Reihung der Lockerungen. Denn sie könnte der eigentlich einzigen logischen Strategie beim Rückbau der Corona-Maßnahmen widersprechen. Diese Strategie müsste sein: Für diejenigen, die am stärksten gefährdet sind, müssen auch am längsten einschneidende Schutzregeln gelten. Und diejenigen, die am seltensten schwer erkranken, müssen am schnellsten die maximal mögliche Freiheit erlangen. 

 

Wenn nun aber alle möglichen Lockerungsschritte diskutiert werden, von großzügigeren Regeln für Gastronomie und Tourismus über mehr Teilnehmer bei Groß- und Kulturveranstaltungen bis hin zu einem Ende der Homeoffice-Pflicht, so werden davon vor allem die Erwachsenen profitieren, teilweise auch gerade die älteren Erwachsenen. Die aber den Großteil der Krankenhauseinweisungen stellen. Und die, auch geimpft, ein statistisch höheres Risiko als Kinder und Jugendliche haben, schwer an Corona zu erkranken und schwerwiegende Folgeerscheinungen zu haben.

 

Das kann man als Gesellschaft, solange man sich des Risikos bewusst ist, so beschließen. Was aber nicht dazu passt: dass die Regierungschefs erwägen (übrigens mit Unterstützung des Corona-Expertenrats), die Maskenpflicht in Innenräumen auch nach dem 20. März bestehen zu lassen. Und zwar offenbar ohne Ausnahmen. Für welche Altersgruppe würde dies die größte Einschränkung bedeuten, und das auf unbestimmte Zeit? Für Schülerinnen und Schüler.

 

Das kann, das wird nicht zusammengehen, weil es in der Kombination mit den anderen diskutieren Lockerungen die Kinder über Gebühr belasten und zugleich die Corona-Maßnahmen nicht von der Krankheitslast der jeweiligen Altersgruppe abhängig machen würde.

 

Persönlich finde ich: Insgesamt ist es noch zu früh für die Lockerungsdebatte. Auch in Schulen. Wenn aber jetzt bereits die Weichen für die nächsten Wochen und Monate gestellt werden sollten, dann muss deutlich darauf hingewiesen werden: Bitte denkt an die Kinder und Jugendlichen. Österreichs Bildungsminister hat derweil mitgeteilt, dass in den Schulen die Maskenpflicht am Platz fallen wird. Schon am Montag.

 

Hinweis am 15. Februar, 13 Uhr : Ich habe den Artikel um aktuelle Hinweise zum morgigen Bund-Länder-Treffen ergänzt.



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