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Vertrauter Doppelstandard

Für Erwachsene könnten nach dem 20. März tatsächlich alle wichtigen Corona-Einschränkungen fallen. Für Kinder und Jugendliche dürfte sich die Situation jedoch anders anfühlen: eine Analyse der Bund-Länder-Beschlüsse vom Mittwochabend.

JEDE MENGE LOCKERUNGSMASSNAHMEN haben die Regierungschefs von Bund und Ländern nach ihrer Konferenz heute in Aussicht gestellt, unterteilt in drei Öffnungsschritte bis zum 20. März. Sie alle einzeln aufzuzählen, ist eigentlich überflüssig, denn schneller geht es, den entscheidenden Satz im Beschlusspapier zum letzten Schritt zu zitieren. Dann sollen nämlich "alle tiefgreifenderen Schutzmaßnahmen entfallen". Und zwar, das ist bemerkenswert, ohne dass dafür bestimmte Grenzwerte etwa bei der Auslastung der Krankenhäuser unterschritten werden müssen. Deren Situation soll lediglich "berücksichtigt" werden, heißt es sehr gummiartig. Was mehrere unionsregierte Länder als falsch kritisierten. 

 

Treu bleibt sich Deutschlands Corona-Politik jedoch nicht nur in ihrer Vagheit und mangelnden Datenbasierung, sondern vor allem auch dadurch, dass fast sämtliche der Lockerungsmaßnahmen aus der Perspektive und von den Bedürfnissen der Erwachsenen her gedacht sind. Nur so ist zu erklären, dass Bundeskanzler und Ministerpräsidenten die nach dem 20. März weiter befürwortete Maskenpflicht in geschlossenen Räumen als eine der verbleibenden "niedrigschwelligen Basisschutzmaßnahmen" bezeichnen. Und zwar ohne jede Differenzierung.

 

Dabei mag das für die gelegentlichen Besucher von "Publikumseinrichtungen" wie Theatern, Kinos oder Friseuren zwar der Fall sein, ganz sicher aber nicht für Kinder, die den ganzen Morgen über Maske tragen müssen. Genau diese Möglichkeit wollen die Regierungschefs Kitas und Schulen aber auch über den 20. März hinaus flächendeckend einräumen. Das Gleiche gilt für anlasslose Corona-Tests: in Kitas und Schulen als Zutrittsvoraussetzung weiter erlaubt. In Büros oder Fabriken anscheinend nicht oder nur in Ausnahmefällen (zumindest werden diese in dem Zusammenhang im Bund-Länder-Beschluss nicht explizit erwähnt, was etwas über die Gewichtung aussagt).

 

Tests werden weniger,
aber Masken bleiben?

 

Tatsächlich ist kein Bundesland verpflichtet, Tests und Masken bei weiter abflachendem Infektionsgeschehen an den Schulen beizubehalten, und der öffentliche Druck, hier die Schutzmaßnahmen zurückzufahren, dürfte schon in wenigen Wochen enorm groß werden. Der von den Finanzministern übrigens auch, zumindest was die Tests angeht, denn die kosten jede Woche viele Millionen. Was allerdings das schlechteste Argument für ihr Zurückfahren ist. Erst recht, falls zum Ausgleich die Masken noch länger bleiben sollten. Doch genau danach sieht es aus, wenn man in die Kultusministerien der Länder hineinhorcht. 

 

Die Hochschulen werden im Beschluss derweil wieder einmal mit keinem Wort erwähnt – was ich (trotz der sich ebenfalls durch die Pandemie ziehende Missachtung durch die Regierungschefs) in diesem Fall als positiv betrachten würde. Weil sie dann auch bei den Regeln nicht wie Kitas oder Schulen behandelt werden und auch nicht wie "Publikumseinrichtungen". Was ihnen für das kommende Sommersemester maximalen Freiraum bei der Gestaltung der Hygieneregeln gibt. 

 

An der erneuten Ungleichbehandlung von Kindern und Jugendlichen ändert auch eine auf Seite 8 des Beschlusses versteckte Bemerkung wenig, derzufolge Kinder und Jugendliche große Solidarität gezeigt und besonders unter der Pandemie und den Beschränkungen gelitten hätten. Zumal der Nachsatz, dass die Regierungschefs "auch weiterhin sämtliche Anstrengungen" unternehmen wollten, um die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche abzumildern, für viele Familien fast schon wie Satire klingen muss.

 

Unterdessen drängte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) darauf, die Vorgaben im Bund-Länder-Beschluss für die Zeit nach dem 20. März juristisch rechtzeitig im Infektionsschutz-Gesetz abzusichern. Was Scholz versprach (wenn der Koalitionspartner FDP mitspielt). Söder sprach von einem "Notfall-Paket, ganz besonders für die Schulen", das man brauche. In einer Protokollnotiz erklärte er für Bayern die Sorge "um den Schutz unserer Kinder und Jugendlichen in den Schulen und Kindertageseinrichtungen, wenn die infektionschutzrechtlichen Grundlagen für die bisherigen Schutzmaßnahmen wegfallen oder abgeschwächt werden".  Eine "Durchseuchung" der jungen Generation müsse verhindert werden. Der Bund stehe in der Verantwortung, "die rechtlichen Möglichkeiten für konsequente Konzepte inklusive Masken- und Testpflichten" weiter zu gewährleisten. 

 

Wie ein echter Stufenplan
hätte aussehen können

 

Wenn Söder das Narrativ von der "Durchseuchung" der Kinder und Jugendlichen bemüht, gleichzeitig aber im eigenen Land schon vor den heutigen Beschlüssen heftig am Öffnen vor allem für Erwachsene war, zeigt sich darin noch deutlicher der vertraute Doppelstandard der Debatte. Die Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen kann man nicht getrennt sehen von den Inzidenzen der Erwachsenen, beide befeuern sich gegenseitig.

 

Doch offenbar fällt es der Politik immer noch leichter, in der Öffentlichkeit Unterstützung für Corona-Maßnahmen in Schulen zu mobilisieren als in Büros, Restaurants oder Hotels – obwohl dort die Altersgruppen ein- und ausgehen, die das viel höhere Risiko einer schweren Covid-19-Erkrankung tragen. Auch an das Kommen einer allgemeinen Impfpflicht für Erwachsene scheinen Bund und Länder immer weniger zu glauben, im Papier steht dazu ein einziger Satz, dass die Regierungschefs das Ziel "bekräftigen".

 

Sinnvoll wäre jedenfalls gewesen, wenn die Regierungschefs bei den Lockerungen noch zwei Wochen auf der Bremse gestanden hätten. Bis die Folgen der Omikron-Welle sich auch in den Krankenhäusern aller Bundesländer endgültig als so glimpflich herausgestellt haben, wie manche sie bereits jetzt sehen. Sinnvoll wäre gewesen, dann einen echten gesamtgesellschaftlichen Stufenplan zu beschließen, ausgerichtet an der Belastung der Krankenhäuser.

 

Wobei dies schon daran scheitert, dass das Robert-Koch-Institut in seinen Auswertungen nicht richtig zwischen Haupt- und Nebendiagnose bei Corona unterscheiden kann. Was, je weniger gefährlich die Virusvarianten werden, jedoch einen signifikanten Unterschied macht. Ein "effizientes Monitoring der für die Krankheitslast maßgebenden Faktoren" mahnen die Regierungschefs gegenüber ihren Gesundheitsministern immerhin an. Dessen lange verpasster Aufbau wird aber dauern. 

 

Sei's drum: Ein solcher Stufenplan hätte die Schulen in einen Gesamtkontext einordnen können nach dem Wenn-dann-Prinzip: Wenn in Büros oder anderswo die Regeln zurückgefahren werden, dann mindestens genauso in den Schulen. Nein, eigentlich sogar umgekehrt. Erst NACHDEM die Maßnahmen für die Kinder zurückgefahren wurden, sind auch die Erwachsenen dran. Aber dann wäre sich die Corona-Politik von Bund und Ländern ja nicht treu geblieben. 

 

Nachtrag am 17. Februar: Es gibt eine Debatte, inwieweit die Masken- und Testpflicht doch auch in Büros und Fabriken weiter möglich sein könnte. Das Bund-Länder-Papier sagt hierzu im Gegensatz zu Kitas und Schulen nichts Eindeutiges – was für mich, siehe oben, auch eine klare Aussage ist. Bei Interesse können Sie einen Austausch dazu hier nachlesen. Meinen Artikel habe ich an der betreffenden Stelle präzisiert.



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Kommentare: 1
  • #1

    Working Mum (Donnerstag, 17 Februar 2022 10:34)

    NRW hat soeben verkündet, die regelmäßigen Testungen in Grundschulen ab dem 28.02. einzustellen. Nicht geimpfte Kinder sollen dreimal wöchentlich zu Hause getestet werden. Ich bedauere die Entscheidung sehr. Die regelmäßigen und für die Kinder kaum belastenden Testungen per Lolli-PCR-Testung haben sehr zur Sicherheit an den Schulen beigetragen.