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BMBF: Wir stoppen die Zusammenarbeit mit Russland in Forschung und Bildung

Das Ministerium von Bettina Stark-Watzinger bezieht Stellung zu den Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine. Unklarheit herrscht weiter in Bezug auf die Großforschungsprojekte.

GUT 30 STUNDEN nach dem von Russlands Präsident Putin angeordneten Angriff auf die Ukraine positioniert sich die Bundesregierung zu den Wissenschaftsbeziehungen mit Russland. Zumindest das Bundesforschungsministerium, das am frühen Freitagnachmittag mitteilte, dass die Zusammenarbeit mit Russland in Wissenschaft und Forschung sowie in der Berufsbildung "gegenwärtig gestoppt wird". Es würden alle laufenden und geplanten Maßnahmen mit Russland eingefroren und kritisch überprüft. Neue Kooperationen werde es bis auf Weiteres nicht geben. "Der russische Angriff auf die Ukraine ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechts und durch nichts zu rechtfertigen", sagte eine BMBF-Sprecherin. "Er muss ernsthafte Konsequenzen haben. Russland hat sich damit selbst aus der internationalen Gemeinschaft verabschiedet."

 

Zuvor hatten sich angekündigte Stellungnahmen aus dem BMBF wiederholt verzögert. Auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hatte sich gestern nicht mehr auf eine angestrebte gemeinsame Erklärung einigen können.

 

In seinem Statement betonte Bundesforschungsministerium nun denn auch, das Einfrieren der bisherigen, langjährigen Kooperation in Bildung und Forschung mit Russland passiere, "obwohl sie grundsätzlich im beiderseitigen Interesse ist und zur Lösung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel beiträgt". Das BMBF stimme, sagte die Sprecherin weiter, seine Haltung "im Lichte der Entwicklungen fortlaufend mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundeskanzleramt ab".

 

Der parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Thomas Sattelberger, twitterte am Nachmittag zur Position seines Ministeriums, diese bedeute im "Klartext: Bei einer brutalen, völkerrechtsbrechenden Aggression gibt es keine Science Diplomacy!"

 

In Bezug auf die internationalen Forschungs-Großprojekte mit Sitz in Deutschland und bedeutender Beteiligung Russlands verwies die BMBF-Sprecherin indes auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen des BMBF, denen man "selbstverständlich" nachkomme. "Das gilt auch für die internationalen Großgeräte Facility for Antiproton and Ion Research (FAIR) und European X-Ray Free-Electron Laser Facility (European XFEL)." Die weitere Umsetzung dieser Verträge werde man angesichts der russischen Aggression "mit unseren westlichen und europäischen Partnern abstimmen." Hier, so scheint es, wird wegen der Komplexität der nationalen und internationalen Governance noch einige Zeit ins Land gehen, bis Klarheit herrscht.

 

ESA will weitermachen wie bislang

 

Obwohl im Falle von Konsequenzen für solche wissenschaftlichen Großprojekte der politische Schaden für Russland am größten wäre. Der Schaden für den Westen aber auch. So erklärt sich, dass der Generaldirektorder Europäischen Raumfahrtagentur ESA, Josef Aschbacher, nach ebenfalls langem offiziellen Schweigen am Mittag twitterte, trotz des "aktuellen Konflikts" bleibe die zivile Raumfahrt-Kooperation "eine Brücke". Die ESA arbeite in all ihren Projekten unverändert weiter, inklusive der Internationalen Raumstation ISS und der ExoMars-Mission, wo Russland jeweils ein wichtiger Partner ist. 

 

Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hatte heute Morgen bereits offenbar in Eigeninitiative verkündet, dass alle Bewerbungsmöglichkeiten für Russland-Stipendien gestoppt und Auswahlverfahren für DAAD-Stipendien nach Russland abgesagt würden. Zugleich hatte DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee gesagt, der DAAD erwarte von den deutschen Hochschulen, "alle DAAD-geförderten Projektaktivitäten mit Partnerinstitutionen in Russland und Belarus auszusetzen". Peter-André-Alt, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), sagte am Morgen ebenfalls, er würde es für richtig halten, "dass die Hochschulen nach individueller Prüfung ihre Beziehungen zu Russland bis auf Weiteres auf Eis legen." Und Alt fügte hinzu: "Wir brauchen jetzt ein klares Signal."

 

Auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen wird Insidern zufolge heute vermutlich doch noch ein gemeinsames Statement veröffentlichen. Aber eben jetzt erst im Anschluss an die Politik.

 

Offener Protestbrief russischer Wissenschaftler

 

Bereits gestern hatten russische Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten in einem Offenen Brief gegen den Angriff von Streitkräften ihres Landes auf die Ukraine protestiert. "Dieser fatale Schritt führt zu enormen menschlichen Verlusten und untergräbt die Grundlagen des etablierten Systems der internationalen Sicherheit. Die Verantwortung für die Entfesselung eines neuen Krieges in Europa liegt allein bei Russland", schrieben die Unterzeichner, deren Zahl laut EU Reporter immer noch wachse. 

 

Es gebe keine rationale Rechtfertigung für diesen Krieg, betonten die Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten. "Versuche, die Situation im Donbass als Vorwand für eine Militäroperation zu nutzen, erwecken kein Vertrauen. Es ist klar, dass die Ukraine keine Bedrohung für die Sicherheit unseres Landes darstellt. Der Krieg gegen sie ist unfair und offen gesagt sinnlos." Der Brief endet mit den Sätzen: "Wir fordern Frieden für unsere Länder. Machen wir Wissenschaft, nicht Krieg!"



Nachtrag am 25. Februar, 16.30 Uhr

 

Deutsche Wissenschaftsorganisationen veröffentlichen gemeinsame Stellungnahme

 

Die deutsche Wissenschaft will ihre Zusammenarbeit mit Russland stoppen. Zwar müssten die konkreten Entscheidungen dazu durch die einzelnen Organisationen beziehungsweise deren Mitgliedsinstitutionen (wie Hochschulen) getroffen werden, teilten die in der "Allianz" zusammengeschlossenen Wissenschaftsorganisationen in einer gemeinsamen Erklärung am Nachmittag mit. Doch werde empfohlen, "dass wissenschaftliche Kooperationen mit staatlichen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen in Russland mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres eingefroren werden, dass deutsche Forschungsgelder Russland nicht mehr zu Gute kommen und dass keine gemeinsamen wissenschaftlichen und forschungspolitischen Veranstaltungen stattfinden." Neue Kooperationsprojekte sollten aktuell nicht initiiert werden.

 

Zur Allianz der Wissenschaftsorganisation gehören die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Alexander von Humboldt-Stiftung, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Hochschulrektorenkonferenz, die Leibniz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Wissenschaftsrat. Damit repräsentiert die Allianz einen Großteil der Wissenschaft in Deutschland.

 

Eigentlich hatte die Allianz bereits gestern eine Stellungnahme herausgeben wollen. Doch habe es unterschiedliche Vorstellungen über den Umfang und die Verbindlichkeit des Kooperationsstopps gegeben, berichten einzelne Beteiligte – während andere die Verzögerung lediglich auf den aufwändigen Abstimmungsprozess zurückführten.

 

In ihrer heute beschlossenen Stellungnahme bezeichnen die Wissenschaftsorganisationen die russische Invasion als "Angriff auf elementare Werte der Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung", auf denen auch Wissenschaftsfreiheit und wissenschaftliche Kooperationsmöglichkeiten basierten. Zugleich versichert die Allianz ihren Partnern in der Ukraine ihre "uneingeschränkte Solidarität" und die Entschlossenheit, die Kontakte und die Zusammenarbeit auf allen Ebenen fortzusetzen. Für Studierende und Wissenschaftler, die als Folge des Angriffs ihr Land verlassen müssten, kündigen die Wissenschaftsorganisationen Unterstützung im Rahmen umfassender Hilfsprogramme an.  

 

"In enger Abstimmung untereinander sowie mit der Bundesregierung und anderen politischen Entscheidungsträgern" werde man über die konkreten weiteren Schritte beraten. Über die Folgen eines Kooperationsstopps sei man sich bewusst und bedaure ihn für die Wissenschaft zugleich außerordentlich. "Wir leben in einer multidimensionalen Welt, "heißt es in der Erklärung weiter, "und nur mit Hilfe enger internationaler wissenschaftlicher Kooperationen können die Krisen, denen sich die Menschheit ausgesetzt sieht, wie Klimawandel, Artensterben oder Infektionskrankheiten, bewältigt werden." Daher gelte die Solidarität der Wissenschaftsorganisation auch ihren langjährigen russischen Kooperationspartnern, "Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die über die Invasion Russlands in die Ukraine selbst entsetzt sind".

 

Von denen viele, siehe oben, bereits in einem Offenen Brief gegen den von Präsident Putin angeordneten Angriff protestiert hatten. 

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