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"Viele Menschen haben Hanna ein Gesicht gegeben"

"#IchBinHanna" hat die Wissenschaftspolitik verändert. Doch damit hat die Initiative ihr Ziel noch nicht erreicht, sagen ihre Urheber. Jetzt veröffentlichen sie eine Streitschrift. Kristin Eichhorn über die Geschichte und Zukunft der Kampagne – und über die Mitverantwortung der Wissenschaft für die heutigen Beschäftigungslage.

Frau Eichhorn, zusammen mit Amrei Bahr und Sebastian Kubon haben Sie vergangenes Jahr die "#IchBinHanna"-Initiative gestartet. Haben Sie sich ganz am Anfang vorstellen können, dass die Sache derart Fahrt aufnehmen würde?

 

Nein! Angefangen hatte ja eigentlich alles mit der Vorgängeraktion "#95vsWissZeitVG" Ende Oktober 2020. Da hatten wir anlässlich des Reformationstages per Twitter aufgerufen, Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu posten – was auch schon eine ordentliche Reaktion brachte, aber nur innerhalb unserer üblichen Blase. Aus der sind wir erst mit "#IchBinHanna" herausgekommen, und das mit einer Dynamik, die keiner von uns erwartet hatte.

Kristin Eichhorn vertritt zur Zeit eine Professur für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Stuttgart und ist zusammen mit Amrei Bahr und Sebastian Kubon Initiatorin von #IchBinHanna. Foto: privat.

Wer ist eigentlich Hanna?

 

Hanna ist eine Figur aus einem Video des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), mit dem das Ministerium das Wissenschaftszeitvertrags-gesetz erklären wollte – tatsächlich aber hauptsächlich altbekannte Leitdogmen wissenschaftlicher Personalpolitik und deren angebliche Alternativlosigkeit verbreitet hat. Das hat uns dazu veranlasst, zu sagen: Hanna ist mehr als eine Trickfigur. Wir sind Hanna. Ich bin Hanna. Viele Menschen haben Hanna ein Gesicht gegeben, indem sie auf Twitter ihre individuelle Geschichte erzählt, ihre befristeten Arbeitsverträge und deren kurze Laufzeiten öffentlich gemacht haben – und die Unsicherheit, unter der sie leben und arbeiten müssen.


Jetzt haben Sie zu dritt auch ein Buch geschrieben – oder besser eine "Streitschrift", wie der Suhrkamp-Verlag sie nennt. Titel: "#IchBinHanna – Prekäre Wissenschaft in Deutschland". Warum eigentlich die Mühe? Die von Ihnen angezettelte Debatte läuft doch schon auf Hochtouren.

 

Das tut sie, aber trotzdem erreichen wir auf Twitter und über die digitalen Medien nur einen bestimmten Ausschnitt der Öffentlichkeit. Darum sind wir dem Suhrkamp-Verlag dankbar für die Möglichkeit, ein traditionelleres Publikum zu erschließen und mit unserer Botschaft zu erreichen. 

 

Und was werden jene, die "#IchBinHanna" schon länger verfolgen, noch Neues in dem Buch finden?  

 

Vor allem eine historische Rekonstruktion, wie Schieflage bei den Befristungen überhaupt entstanden ist. Und wir haben verschiedene Lösungsansätze und Reformvorschläge gesammelt. 

 

"Twitter ist ein Medium, das ein starkes Aufregungspotenzial hat. Wenn man dann immer wieder Material liefert,
worüber sich die Leute aufregen können, dann feuert das eine Kampagne immer weiter an."

 

Dient die Streitschrift Ihnen drei auch als Verarbeitung dessen, was Sie erlebt haben seit dem 31. Oktober 2020?

 

Ja, unserer persönlichen Erlebnisse und der Erfahrungen, vor allem aber der vielen Rückmeldungen und Diskussionen. Amrei Bahr, Sebastian Kubon und ich haben in den vergangenen anderthalb Jahren auf so vielen Podien gesessen und von so vielen Leuten Anregungen bekommen, das wollten wir systematisch auswerten und darstellen. 

 

An mehreren Stellen im Buch betonen Sie, wie ungeschickt BMBF und Hochschulrektorenkonferenz anfangs auf den aufkommenden Shitstorm reagiert hätten. Glauben Sie, hätte deren Öffentlichkeitsarbeit besser geklappt, hätte "#IchBinHanna" nie diese Karriere gemacht?

 

Nicht in dem Ausmaß. Die Problematik an sich war drängend genug, dass auch so auf kurz oder lang etwas passiert wäre. Aber Twitter ist ein Medium, das ein starkes Aufregungspotenzial hat. Und wenn man dann immer wieder Material liefert, worüber sich die Leute aufregen können, dann feuert das eine Kampagne immer weiter an. Das Ministerium hat genau das getan. Da war die Stellungnahme, die das BMBF auf seiner Website veröffentlicht hat, dann ein Videostatement des Staatssekretärs. Bei beiden hatte man das Gefühl, dass sie die Beschwerden kleinreden wollten. Das kam gar nicht gut an, dann wurde erst das Hanna-Video von der Website genommen und später auch die erste Stellungnahme, das hatte schon etwas Defensives. 

 

Sie schreiben in der Streitschrift von "Prekarisierung als gesellschaftlichem Trend". Was genau meinen Sie damit?

 

Wir wollten darauf hinweisen, dass es die Entwicklung hin zu befristeten oder schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen auch außerhalb der Wissenschaft gibt. Schauen Sie zum Beispiel auf die Pflegebranche. Oder in die Verwaltung, auch in die Verwaltung der Hochschulen – wo nach Tarifen bezahlt wird, die fürs Leben in Unistädten vorn und hinten nicht reichen. 

 

Und all das wollen Sie mit "#IchBinHanna" jetzt auch noch aufs Korn nehmen?

 

Das können und wollen wir nicht. Es ist wichtig, dass wir uns auf das Beschäftigungssegment fokussieren, von dem wir wirklich Ahnung haben. Nichtsdestoweniger hoffen wir auf mehr Solidarität über unterschiedliche Berufe und Karrierewege hinweg. 

 

"Es war nicht die neoliberale Politik, die
die Wissenschaft gegen ihren Willen in die Massenbefristungen hineingezwungen hat. Die Konzepte kamen aus der Wissenschaft selbst heraus."

 

Spannend ist, wie Sie im Buch die Gegenwart von Wissenschaftszeitvertragsgesetz und Konkurrenz in der Wissenschaft herleiten. Eine wesentliche Schuld geben Sie dabei dem Wissenschaftsrat (WR). Warum?

 

Der WR kommt in unserem Buch deshalb so stark in den Blick, weil er in den 70er und 80er Jahren viele Papiere und Empfehlungen veröffentlicht hat, an denen man die Entwicklung der Argumentation pro Befristung historisch nachvollziehen kann. Die Zahl der Studienabsolventen stieg in der Zeit sehr stark, und die Frage, die der WR sich stellte: Wo sollen da all die Stellen für die künftig viel höhere Zahl an Doktoranden und wissenschaftlichen Mitarbeiter herkommen? Seine Antwort: Indem wir die bestehenden Stellen teilen und befristen. Das war der Beginn einer Strategieentwicklung hin zu der Situation, in der wir uns heute befinden.

 

Ohne den Wissenschaftsrat wäre es nicht so weit gekommen?

 

Nicht alle Quellen aus der Zeit sind schon freigegeben, so dass wir uns auf die Dokumente konzentrieren mussten, die wir einsehen konnten. Womöglich hätten sonst andere Akteure auch eine prominentere Rolle in unserem Buch gespielt. Klar ist aber: Es war nicht die neoliberale Politik, die die Wissenschaft gegen ihren Willen in die Massenbefristungen hineingezwungen hat. Die Konzepte für die heutige Beschäftigungslage kamen aus der Wissenschaft selbst heraus und fielen bei der Politik der 80er und 90er Jahre auf fruchtbaren Boden. 

 

Sie haben vorhin von den "Leitdogmen der wissenschaftlichen Personalpolitik" gesprochen. Welche sind das?

 

Zum einen, dass Innovation immer Fluktuation voraussetzt. Dass man regelmäßig das Personal austauschen muss, damit die Wissenschaft noch innovative Ideen produzieren kann. Dabei zeigen Studien, dass unbefristet beschäftigte Wissenschaftler genauso viel und erfolgreich arbeiten, dabei aber zufriedener mit ihren Arbeitsbedingungen sind. Das zweite Dogma ist, dass Wettbewerb und Konkurrenz für mehr Qualität sorgen. Dass es innovations- und exzellenzförderlich sei, wenn Wissenschaftler*innen ständig um Fördermittel konkurrieren. In Wirklichkeit aber schreiben sie ständig Anträge, und die Zeit fehlt ihnen dann in Forschung und Lehre. Und noch schlimmer: Sie richten ihre Forschung nicht mehr an dem aus, was sie für notwendig halten, sondern an dem, was wahrscheinlich den Vorgesetzten und Gutachtern gefallen wird. Denn nur dann gibt’s ja Geld. 

 

"Wir werden genau schauen, was die Ampel macht.
Es gab auch schon Reformen, die noch schlechter waren
als das, was sie ersetzten." 

 

Vor allem "#IchBinHanna" ist es zu verdanken, dass die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag verspricht, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu reformieren. Mission Accomplished?

 

Das Versprechen ist schön, aber die Reform ist damit noch nicht da. Wir werden genau schauen, was die Ampel macht. Nicht dass es so kommen muss, aber es gab auch schon Reformen, die noch schlechter waren als das, was sie ersetzten. 

 

Die Berliner rot-rotgrüne Koalition hat sich in ihrem neuen Hochschulgesetz an einer Lösung versucht – und damit unter anderem den Rücktritt der Präsidentin der Humboldt-Universität verursacht.

 

Es kommt immer darauf an, wie man den Rücktritt bewertet. Auf jeden Fall hat er der Debatte nochmal Schwung gegeben. Für mich ist der Paragraf 110 im Berliner Hochschulgesetz ein Lösungsversuch, der in vielerlei Hinsicht unbefriedigend ist. Nicht nur, weil wichtige rechtliche Fragen ungeklärt sind, sondern auch, weil er Entfristungen nur für aus dem Haushalt finanzierte Stellen vorsieht, Drittmittelbeschäftigte also außen vor bleiben. Die Berliner Politik hatte das Problem erkannt und wollte die "#IchBinHanna"-Welle nutzen – aber nicht in der durchdachten Art und Weise, die nötig gewesen wäre. 

 

Welche Lösungsansätze und Reformvorschläge haben Sie denn in Ihrem Buch zu bieten?

 

Am wichtigsten ist, dass die Zielsetzung stimmt. Für uns ist das die Abschaffung der Qualifikationszeit nach der Promotion und damit die unbefristete Anstellung ab dem Postdoc-Level als Regelfall. Und Doktoranden müssen Stellen erhalten, die so lange laufen, wie ihre Promotionsprojekte dauern. Also nicht zwei oder drei, sondern vier, fünf Jahre. Was die Modelle für die Zeit nach der Promotion angeht: Da diskutieren wir in unserem Buch verschiedene Ansätze, angefangen mit Vorschlägen der Jungen Akademie der BBAW bis hin zu denen aus dem "Netzwerk Gute Arbeit in der Wissenschaft". Welche Lösung davon am Ende die Beste ist, kann und will ich Ihnen heute nicht sagen. Aber was ich sagen kann: Wir müssen drüber diskutieren. Und dann ins Handeln kommen. 



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Kommentare: 1
  • #1

    Michael Liebendörfer (Freitag, 25 März 2022 11:28)

    Ein schöner Beitrag. Ergänzend will ich zu den Leitdogmen aber festhalten, dass Flexibilität und Wettbewerb auch anders gemeint sein können und dann ihre Berechtigung haben. Um aktuelle Themen zu befördern, braucht man kurzfristig verfügbare Ressourcen. Wenn die Politik z.B. innovative Konzepte für den digitalen Schulunterricht haben will, dann hilft es sehr, wenn Geld in diese Richtung fließt (und nicht mehr dahin, wo es bislang hingeflossen ist). Und natürlich wird man solche Gelder wettbewerblich vergeben (und nicht verlosen oder nach Gutdünken der Ministerialbürokratie verteilen). Alle Interessierten beschreiben ihr Konzept, ihre Erfahrung etc. und dann wird sachlich ausgewählt. Nicht, um gegenüber den Forschenden fair zu sein, sondern gegenüber den Schülerinnen und Schülern.
    Zwar würden manche Forschende auch von allein solche Themen aufgreifen, aber die Covid-Krise hat eindrücklich gezeigt, dass die natürlichen Prozesse oft zu langsam sind. Warum sollte eine Professorin ihr Lieblingsthema wechseln, nur weil es der Gesellschaft dienlich wäre?

    Flexibilität und Wettbewerb sind daher zumindest in den Bereichen durchaus sinnvoll, in denen die Politik legitime Steuerungsinteressen verfolgen will. In Disziplinen, die in langen Linien denken oder sich überhaupt nicht an gesellschaftlichem Nutzen orientieren wollen, gibt es dagegen vielleicht Trends, aber keine drängenden Fragen, die so eine Vergabelogik brauchen.

    Mir scheint, beide Seiten reden da (beabsichtigt?) aneinander vorbei.