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Jetzt ist es draußen

Überraschend präsentiert Bayerns neuer Wissenschaftsminister Markus Blume das lange versprochene und immer wieder verschobene "Hochschulinnovationsgesetz". Der Plan: Mit Entschärfungen neue Aufregung vermeiden und doch den Aufbruch beschwören.

"WIR ZÜNDEN HEUTE den Forschungsturbo, damit Bayern auch noch in zehn Jahren in der Champions League mitspielen kann", verkündete Ministerpräsident Markus Söder (CSU), als er im Landtag seine "Hightech Agenda Bayern" präsentierte. Er sprach von Milliardeninvestitionen in Köpfe, Beton, Labore und neue Technologien – und von einer "wuchtigen Hochschulreform", einer "Entfesselung der Hochschulen" per Gesetz. Am Ende seiner Rede zitierte Söder unter anderem den bayerischen König Maximilian II., Franz-Josef Strauß und Edmund Stoiber. Letzterer habe es auf den Punkt gebracht:  "Immer ganz oben an die Spitze – da gehören wir Bayern hin."

 

Das mit dem Turbo war allerdings so eine Sache. Söders Kraftmeier-Auftritt fand am 10. Oktober 2019 statt. Doch die versprochene große Hochschulreform, die erste seit 2006, ließ bis heute auf sich warten. Immerhin: Jetzt hat Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU), erst gut zwei Monate im Amt, einen Entwurf zu einem komplett neu geschriebenen "Bayerischen Hochschulgesetz" vorgelegt. Es war von Anfang an seine Kernmission als neuer Ressortchef – so wie die Verzögerungen beim Gesetz als Hauptgrund gelten, warum sein Vorgänger Bernd Sibler gehen musste.

 

Noch vergangene Woche hatte sich das Wissenschaftsministerium in Geheimniskrämerei geübt, auch wenn sich zuletzt die Anzeichen verdichteten, dass die Kabinettsbefassung unmittelbar bevorstand. Und natürlich kam Blume auch bei der Vorstellung der 132 Artikel heute nicht ohne Superlative aus. "Deutschlands modernstes Hochschulrecht" sei das: "für mehr Agilität, Exzellenz und Innovation".

 

Zunächst einmal ist das neue Gesetz, dessen Entwurf von Söders Kabinett am Dienstagvormittag beschlossen wurde, allerdings gegenüber den von Sibler im Herbst 2020 vorgestellten Eckpunkten um ein ordentliches Stück Innovation erleichtert worden. Denn die hatten das von Söder beschworene Leitbild der "unternehmerischen Hochschule" auch in die Hochschul-Governance übertragen wollen. Alle gesetzlichen Vorgaben zur Binnenorganisation und zu den Gremienstrukturen sollten entfallen, die Hochschulen "im Regelfall" zu reinen Personal-Körperschaften des öffentlichen Rechts werden. Der Aufschrei an vielen Hochschulen war groß, zahlreiche Wissenschaftler und Studierende, Gewerkschaften und Initiativen fürchteten um ihre Mitbestimmungsrechte und die demokratische Verfasstheit der Wissenschaft.

 

"Die Hochschulen sind nun nicht gezwungen, sich mit internen Konflikten bei der Aushandlung einer neuen inneren Organisation aufzuhalten."

 

Woraufhin schon Sibler zurückgerudert war. Im heute vom Wissenschaftsministerium mitgelieferten "Factsheet" zum Gesetzentwurf ist jetzt schlicht vom "bewährten Organisationsrahmen" die Rede. Und der Minister selbst sagte, man habe "für Befriedung gesorgt, indem wir die Novelle von überflüssigen Debatten befreit haben. Wir halten die Governance in der Balance." Die Hochschulen bekämen trotzdem deutlich mehr Handlungsfreiheit, betonte Blume. "Gleichzeitig sind sie aber nun nicht gezwungen, sich mit internen Konflikten bei der Aushandlung einer neuen inneren Organisation aufzuhalten. Sie können ihren Fokus auf das richten, was zu ihrer jeweils ganz eigenen Profilschärfung nötig ist." 

 

Statt einer völlig neuen Governance-Struktur als "Regelfall" sollen die Hochschulen jetzt durch die im Entwurf des neuen Gesetzes enthaltene "Innovationsklausel" die Möglichkeit bekommen, ihre innere Organisation zu verändern. "Weitreichende individuelle Ausgestaltungsmöglichkeiten" seien das, sagt Blumes Ministerium – und hofft, mit dieser Lösung erneuten Ärger zu umschiffen.

 

Und was meint Blume ansonsten mit "deutlich mehr Handlungsfreiheit"? Unter anderem eine flexiblere Mittelverwendung und ein reformiertes Berufungsrecht mit der Einführung der Direktberufung als "weiterer Regelfall" neben der traditionellen Ausschreibung. Neu ist darüber hinaus die sogenannte "Exzellenzberufung": "Fachlich besonders hoch qualifizierte Professorinnen und Professoren" können künftig auf der Überholspur direkt "durch Präsidenten und Dekan unter Einbindung des zuständigen Fakultätsrat" berufen werden. Außerdem können die Hochschulen auf Antrag die Bauherreneigenschaft für einzelne Bauten oder für ihre gesamten Baumaßnahmen und Liegenschaften erhalten. 

 

Ob freilich der ebenfalls neue "Innovationsfonds" von den Hochschulgremien als Freiheitsgewinn gesehen werden wird, bleibt abzuwarten. In diesem Fonds sollen Hochschulen "freiwerdende Ressourcen" zurücklegen und "für die gezielte Beteiligung an neuen staatlichen Programmen einsetzen". Da auch in Bayern künftig nicht alle paar Jahre frische Milliarden per "Hightech Agenda" fließen dürften, läuft das wohl real auf das Einsparen im Regelbetrieb hinaus, um mit dem Geld dann staatliche Drittmittel kofinanzieren und damit überhaupt erst einwerben zu können. 

 

Wenn Hochschulen wollen, können sie künftig Studiengebühren vorsehen, allerdings nur für Nicht-EU-Ausländer. Eine ähnliche Regelung gibt es in Deutschland bislang nur in Baden-Württemberg. Mehr Freiraum sollen die Hochschulen (womit allerdings vor allem die Hochschulleitungen gemeint sind) auch bei der Ausgestaltung von Stellen erhalten: indem Professoren für einen festgelegten Zeitraum überwiegend oder sogar ausschließlich forschen dürfen (sogenannte Schwerpunkt- oder Forschungsprofessuren), oder durch die Gewährung von Forschungsfreisemestern auch im "Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Beruf". 

 

"Angesichts der langjährigen Diskussionen und Ungereimtheiten um das HIG finden sich nun
erstaunlich wenige Veränderungen darin wieder."

 

Viele Einzelpunkte, aber auch der große Wurf, der tatsächlich noch den Titel "Hochschulinnovationsgesetz", kurz: "HIG", verdient? Die "Initiative Geistes und Sozialwissenschaften" (Initiative GuS), die mit einer von 9000 Unterzeichnern unterstützten Petition gegen die Eckpunkte protestiert hatte, befand heute nach Vorstellung des Gesetzes: "Angesichts der langjährigen Diskussionen und Ungereimtheiten um das HIG finden sich nun im Vergleich zum geltenden Hochschulgesetz erstaunlich wenige Veränderungen darin wieder."

 

Wobei man das auch anders sehen kann: In Details gibt es durchaus weitgehende Veränderungen. Doch wenn man die CSU-typische Verpackung in Superlative beiseite lässt, hört sich der Wortlaut des HIG-Entwurfs doch mehr nach Evolution an denn nach Revolution. 

 

Derweil bekräftigt Blume: "Wir läuten mit dem Gesetz eine neue Gründerzeit an Bayerns Hochschulen ein." Man werde den "inkubatorischen Geist wehen" lassen. Was das praktisch bedeutet: Die Unternehmensgründung und der Technologietransfer sollen ausdrücklich zu Hochschulaufgaben erklärt werden. Das Prinzip der Gründerförderung durch hochschuleigene Inkubatoren wird im Gesetz verankert, denn an allen Hochschulen sollen Gründerzentren entstehen – parallel zu Gründungs- und Technologiezentren in allen bayerischen Regionen.

 

Wenn das so kommt, deutet sich hier übrigens ein spannendes Zusammenspiel mit der vom BMBF geplanten neuen Innovationsagentur DATI an, die Innovationsregionen fördern soll. Außerdem soll es "unbürokratische Beteiligungsmöglichkeiten" geben und Gründungsfreisemester für Professoren. Als deren zusätzliche neue Dienstaufgabe der "Transfer" definiert wird. 

 

Was diese Neuregelungen praktisch bedeuten, was sie tatsächlich an Dynamik einleiten, bleibt abzuwarten. Noch nie Gesehenes, wirklich Innovatives ist jedenfalls kaum dabei – was umgekehrt aber wohl auch die nach den Eckpunkten so lauten Warnungen vor der totalen Kommerzialisierung der Wissenschaft leiser werden lassen dürfte.

 

Wobei etwa die Initiative GuS trotzdem heute erneut vor der Gefahr warnte, "dass geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer – und unter diesen insbesondere die kleinen Fächer – unter noch größeren Druck geraten oder möglicherweise gar ganz verschwinden werden". In Zukunft werde viel davon abhängen, in welchem Umfang einzelne Fächer in der Lage dazu sind, Drittmittel einzuwerben", sagte Initiative-Sprecher Eduard Meusel. "Können sie das nicht, kann das schnell ihr Aus bedeuten" – erst recht, wenn die Hochschulen künftig größtenteils selbst entscheiden könnten, welche Lehrstühle sie neu besetzen und welche sie auslaufen lassen wollen.

 

HAW-Promotionsrecht, Landes-Studierendenrat
und Karrierezentren

 

Minister Blume hält dagegen. "Keine Sorge", sagt er. "Die Hochschulen werden in keiner Weise auf Kommerzialisierung getrimmt." Volluniversitäten bräuchten den vollen Fächerkanon, starke Volluniversitäten gingen nur mit starken Sozial- und Geisteswissenschaften. "Diese Vielfalt wird auch mit dem Gesetz gewahrt."

 

Einen Durchbruch werden die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften feiern: Sie erhalten auch in Bayern das Promotionsrecht, und zwar für Teilbereiche, die "in einem Begutachtungsverfahren eine angemessene Forschungsstärke sowie die Einbettung der wissenschaftlichen Qualifizierung in eine grundständige akademische Lehre nachweisen". Dazu gehören unter anderem eine ausreichen Zahl an Professorinnen und Professoren, die sehr gute Promotionen und "nicht länger als fünf Jahre zurückliegende herausragende Leistungen in der anwendungsbezogenen Forschung" aufweisen müssen. Wobei unklar bleibt, für wie viele der Hochschullehrer das gelten muss. Zudem erhalten die Kunsthochschulen unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, künstlerisch-wissenschaftliche Promotionen zu verleihen.

 

Ein Schmankerl für die Studierenden hielt Wissenschaftsminister Blume heute ebenfalls bereit. Der Freistaat werde erstmals einen Landesstudierendenrat gesetzlich verankern. Außerdem werde die Anforderung an die Hochschulen, innovative Lehre anzubieten, im HIG festgeschrieben – wobei es im entsprechenden Artikel 76 dann konkret heißt: "Die Hochschulen überprüfen Inhalte und Formen des Studiums im Hinblick auf die Entwicklungen in Wissenschaft und Kunst, die Anforderungen der beruflichen Praxis und in der Berufswelt, die Methoden des Lehrens, Lernens und des Prüfens sowie die Verwirklichung eines europäischen Hochschulraums und entwickeln diese ständig weiter" – insbesondere in Bezug auf die Digitalisierung und "der Bedeutung der Hochschulen als Ort des persönlichen kreativen Austauschs und des wissenschaftlichen und künstlerischen Diskurses". Ob solche Sätze im Studienalltag tatsächlich einen Unterschied machen werden?

 

Keinen direkten Bezug nimmt das neue Hochschulgesetz auf die bundesweite Debatte um den hohen Befristungsgrad an Hochschulen ("#IchBinHanna"). Während das neue Berliner Hochschulgesetz in seinem umstrittenen Paragrafen 110 vorgab, dass Postdocs auf Haushaltsstellen künftig grundsätzlich auf Dauer zu beschäftigen seien, sieht das bayerische HIG nichts dergleichen vor.

 

Klein- und Großreden

 

Zwar betont auch das Ministerium von Blume, man wolle "das volle Potenzial der Talente heben", man sorge für "eine inspirierende Studienumgebung und gezielte Nachwuchsförderung", doch die dann aufgeführten Instrumente sind komplett andere als in Berlin und größtenteils nicht neu. So sollen die Studiengänge "internationalisiert" werden – wobei im Gesetz dann etwas prosaischer steht, die Hochschulen "können... fremdsprachige Studiengänge" und "gemeinsam mit ausländischen, insbesondere europäischen Partnerhochschulen internationale Studiengänge entwickeln, in denen Studienabschnitte und Prüfungen an der ausländischen Hochschule erbracht werden". In einem Europa mehr als zwei Jahrzehnte nach der Bologna-Reform nicht wirklich bemerkenswert. Erwähnt werden im Zusammenhang der Talentförderung auch das HAW-Promotionsrecht und "Karrierezentren", die die Hochschulen einrichten sollen, um ihren Promovierenden und ihren Mitarbeitern Beratung für die berufliche und persönliche Weiterentwicklung anzubieten.

 

Das bayerische GEW-Landesvorstandsmitglied Christiane Fuchs kommentierte heute nach Vorstellung des Entwurfs: "Statt Dauerstellen für Daueraufgaben zu schaffen, erklärt das neue Hochschulinnovationsgesetz mangelnde Berufsperspektiven in der Wissenschaft zum individuellen Problem, das mittels Karrierezentren klein geredet werden soll."

 

Während Minister Blume genau wie sein Chef Söder dann doch lieber groß redet: Das neue HIG werde "der passende rechtliche Innovationsrahmen" zur "Hightech Agenda Bayern". Und sein Ministerium verkündet in dem Factsheet als zehnten und letzten Punkt: "Unsere bayerischen Hochschulen sind Schrittmacher des gesamtgesellschaftlichen Fortschritts!" Das neue Gesetz sei die spezifisch bayerische Antwort auf ein nationales wie internationales Umfeld, in dem die Hochschulen einem steigenden Wettbewerb ausgesetzt seien. Es befähige sie, ihren erweiterten Bildungsauftrag "in zeitgemäßer Weise" wahrzunehmen und die Bedürfnisse von Staat und Gesellschaft "in sozialer, kultureller, ökologischer und ökonomischer Hinsicht noch besser zu erfüllen". Zitate von Königen und Ex-Ministerpräsidenten ließ Blume dann allerdings doch weg. 


Weitere Reaktionen auf den Gesetzentwurf

Der hochschulpolitische Sprecher der Landtags-SPD, Christian Flisek, kommentierte: "Die mittlere Revolution, wie von Markus Söder vollmundig angekündigt, bleibt aus. Stattdessen bläst Minister Blume zum geordneten Rückzug." Der Druck aus der Hochschulfamilie habe offenbar gewirkt. Die Strukturreform werde still und leise beerdigt. "Die großen Baustellen dagegen bleiben weiter unbearbeitet: die Sicherstellung einer wirklich auskömmlichen Grundfinanzierung, die Verbesserung der Qualität von Studium und Lehre, bessere Arbeitsbedingungen und Karrierechancen sowie echte Innovationen im Bereich der Nachhaltigkeit, Demokratie, Gleichstellung und Diversität." Der Entwurf müsse nachgebessert  werden, weshalb die SPD eine erneute Expertenanhörung im Wissenschaftsausschuss beantragen werde.

 

Vom großen Wurf bleibe nur ein Reförmchen, spottete Verena Osgyan, die wissenschafts- und hochschulpolitische Sprecherin der Grünen. "Der Vorschlag ist peinlich uninnovativ und völlig ungeeignet, um die Probleme der Hochschulen wirklich anzugehen." So versuche die Staatsregierung, die Einheit von Forschung und

Lehre weiter aufzuweichen. "Das wird den Studienstandort Bayern nachhaltig schwächen."

 

Die bayerische Landesstudierendenvertretung freue sich, endlich im Gesetz verankert zu werden, sagte ihr Sprecher Torsten Utz und sprach von einem langen und kräftezehrenden Akt. "Jetzt bekommen die Studierenden ein gesichertes Mitspracherecht auf Landesebene." Allerdings fordere man einen anderen Namen als im Gesetz. "Wir sind nicht nur ein Rat, sondern erfüllen einen Vertretungsauftrag aller bayerischen Studierenden auf Landesebene, wie es die vielen örtlichen Studierendenvertretungen an den bayerischen Hochschulen und Universitäten auch seit vielen Jahren exzellent tun", sagte Lena Härtl, ebenfalls Sprecherin der bayerischen Landesstudierendenvertretung. In Hinblick auf das restliche Gesetz sprach die Landesstudierendenvertretung von wenig Bewegung. Erst habe man um die demokratische Struktur der Hochschulen gefürchtet. Jetzt gebe es einfach "gar keine Änderungen". So werde die Hochschullandschaft allerdings auch nicht besser oder innovativer.





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Kommentare: 1
  • #1

    LeanderK (Dienstag, 03 Mai 2022 19:37)

    > Studiengänge "internationalisiert"

    Als Student kenne ich mich in den Details noch so aus, aber mindestens genauso wichtig, wenn nicht wichtiger, fände ich eine deutlich internationalere Professorenschaft. Dann kommen bestimmt auch die internationalen Studiengänge. Viele Bereiche, wie Naturwissenschaft, Informatik, Mathematik etc., sollten im allgemeinen jedem geeigneten Bewerber offen stehen. Ich weiß nicht ob das Ministerium und Hochschulgesetz da so viele Hürden setzt aber ein Lehrstuhl ist eine große Investition und sollte mit den besten zur Verfügung stehenden Leuten besetzt werden. Vielleicht mit einem extra Programm um da etwas Bewegung in die Sache zu bringen. Ich kenne kaum einen Professor der nicht mindestens eine Zwischenstation in Deutschland hatte. Ich hoffe das wird im Blick gehalten.