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Vision und Wirklichkeit

Der Wissenschaftsrat hat ein faszinierendes Papier zur Zukunft der Hochschulbildung im 21. Jahrhundert beschlossen. Währenddessen zeigt der Blick nach Thüringen die gegenwärtigen Probleme.

Thüringens Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee; das Hauptgebäude der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Fotos: Sandro Halank, CC BY-SA 4.0./Jens Meyer/Universität Jena.

SIE KLÄNGEN WIE die Utopie der idealen Universität, schrieb Amory Burchard im Tagesspiegel über die Anfang Mai veröffentlichten Wissenschaftsrats-Empfehlungen "für eine zukunftsfähige Ausgestaltung von Studium und Lehre". Ihre Umsetzung würde "nichts weniger als eine Revolution der aktuellen Betreuungsverhältnisse" bedeuten.

 

Für den Wissenschaftsrat (WR) selbst, das einflussreichste wissenschaftspolitische Beratungsgremium von Bund und Ländern, ist es der Weg zur "Hochschulbildung im 21. Jahrhundert". Doch wäre die wohl wichtigste Reform, die er vorschlägt, zugleich ein Zurück zu den Wurzeln: das "akademische Mentorat", das der WR als "regelmäßige Studiengespräche zwischen Lehrenden und Studierenden" beschreibt, "die einzeln oder in Kleingruppen stattfinden können". Als Begleitung studentischen Lernens "gemäß den individuellen Voraussetzungen und Interessen", als Ermöglichung von "Feedback" und "Reflexion von Lernfortschritt und Kompetenzerwerb" und als Unterstützung der Studierenden dabei, "den individuell besten Weg durch das Studium zu finden".

 

Eine Studienwirklichkeit, die es, wenn überhaupt jemals, so nur in der Zeit vor der Massenuniversität gegeben haben dürfte. Bevor in den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts zunächst Hunderttausende und dann seit den Siebziger Jahren Millionen Studienanfänger in die Hochschulen strömten. Und genau diese Studienwirklichkeit will der Wissenschaftsrat (wieder) etablieren. Aber diesmal, und das ist der große Unterschied, eben nicht nur für eine kleine, sozial hochselektive Elite, sondern als hochschulorganisatorischer Normalfall. Ergänzt um Partizipation, offenen Diskurs auf Augenhöhe und mit Studierenden als "reflektierten und aktiven Mitgestaltenden von Studium und Lehre und damit auch von Wissenschaft". Der WR räumt selbst ein, einige seiner Zielsetzungen könnten "heute noch utopisch wirken", doch müssten sie "jetzt angegangen" werden, um sie "langfristig einzulösen". 

 

Welch ein Satz, 

welch ein Anspruch

 

Ist das der große Aufbruch? So hört es sich zumindest an: "Der Wissenschaftsrat verfolgt mit diesen Empfehlungen das Ziel, das Studium stärker zu einer Erfahrung der individuellen akademischen Sozialisation, die Lehre zu einer gemeinsamen, anspruchsvollen Wissenschaftspraxis und die Interaktionen aller Beteiligten, auch aus Hochschul- und Mediendidaktik, Support und Verwaltung, zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit in geteilter Verantwortung werden zu lassen."

 

Was für ein Satz, welch Ansammlung programmatischer Didaktik-Buzzwords – und was für ein faszinierender Anspruch, der unterlegt wird mit Forderungen nach "weniger Regeln, mehr Handlungsspielräumen" für Hochschulen, Lehrende und Lernende. Nach weniger und dafür kompetenzorientierteren Prüfungen, nach mehr Wahlfreiheit im Studium. Nach "Differenzierung" der Studienangebote und Studienwege und Möglichkeiten zum Ausprobieren von Neuem, um auf die zunehmende "Diversität" der Studierenden zu reagieren. Und nach "mehr Aufwand für Lehre und Studiengestaltung", den man dann aber auch angemessen "anerkennen, anrechnen und bezahlen" müsse.

 

Mit einem solchen Verständnis und Studium, begleitet mit einer solchen Betreuungsintensität, könnte es tatsächlich möglich werden: jenes eigenständige und damit forschendes Lernen, das auch in den Jahrzehnten der Massenuniversität immer wieder als Ausdruck akademischer Freiheit und Reifung beschworen wurde – das sich für viele Studierende in ihrem Alltag jedoch allzuoft wie ein Alleingelassensein anfühlte.

 

Kein Wunder, dass jetzt auch die Studierendenvertreter voll des Lobes sind. "Hochschulen wollen Studierende zu kritischen, mündigen Personen ausbilden", sagt Jonathan Dreusch, Referent für Lehre des Studierendenverbands fzs. "Dafür müssen sie ihnen mehr zutrauen, ohne sie alleine zu lassen. Größere Wahlmöglichkeiten, mehr Flexibilität und direkte Partizipationsmöglichkeiten an der Gestaltung von Lehrveranstaltungen können dabei viel erreichen."

 

Allerdings wäre er auch teuer, dieser Aufbruch. Denn der Zusammenhang zwischen Mentorat, mehr Flexibilität im Studium, der Anerkennung von Lehrengagement und deren Finanzierung besteht im "Vorschlag  eines neuen Modells zur Bemessung der Lehrdeputate". Künftig, sagt der Wissenschaftsrat, sollte statt der Semesterwochenstunden der tatsächliche Aufwand berücksichtigt werden: für Vor- und Nachbereitung und die Lehrveranstaltung selbst. Auch die Studiengespräche, also das akademische Mentorat, solle mitgerechnet werden. Und drittens besondere Leistungen in der Qualitätsentwicklung, also wenn Lehrende sich besonders für neue Lehr- und Lernformate einsetzen.

 

Ein Umsetzungs- und

ein Glaubwürdigkeitsproblem

 

Das alles würde zwangsläufig heißen: viel mehr Lehrdeputat für dieselbe Anzahl an Studierenden. Und da Lehrende ja wertgeschätzt werden sollen, bedeutet das: nicht Mehrarbeit für den Einzelnen, sondern Mehrarbeit fürs System. Jede Menge neue Stellen also. Eine komplette Neudefinition der an den Hochschulen berühmt-berüchtigten sogenannten Curricular-Normwerte, die festlegen, wie viele Lehrende für welche Studiengänge nötig sind. 

 

Dass sich hier angesichts der finanzpolitischen Rahmenbedingungen der real existierenden Hochschulpolitik nicht nur ein Umsetzungs-, sondern auch ein Glaubwürdigkeitsproblem stellte, war den Wissenschaftsministern der Länder während der Genese der Empfehlungen früh klar geworden. Weil sie selbst zusammen mit dem Finanzsenator von Hamburg, mit BMBF-Vertretern, Wissenschaftlern und weiteren ausgewählten Persönlichkeiten den Wissenschaftsrat bilden und über jede seiner Empfehlungen mitentscheiden – womit diese nicht nur Rat an, sondern ein Bekenntnis der Wissenschaftspolitik selbst sind. 

 

Schon einmal war ihnen eine ähnliche Empfehlung jahrelang vorgehalten worden (siehe Kasten unten), die bei ihrer Veröffentlichung 2008 ähnlich utopisch daherkam und im Wortlaut sogar frappierende Ähnlichkeiten zur aktuellen aufwies. Deren Aufbruchsrhetorik damals jedoch verhallte.

 

So bremsten die Wissenschaftsminister diesmal zunächst, indem sie die Beschlussfassung des Papiers verschoben und zugleich für eine Reihe von Änderungen plädierten. Die wichtigste: ein sehr stark formulierter Finanzvorbehalt. "Insgesamt erkennt der Wissenschaftsrat an", ist jetzt schon auf Seite 15 von 136 nachzulesen, "dass eine Umsetzung von Empfehlungen immer unter dem Vorbehalt ihrer Finanzierbarkeit steht." Auch Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung in der Hochschullehre bedürften der Finanzierung und stellen alle beteiligten Akteure vor große Herausforderungen. "Sie können deshalb nur schrittweise, unter Beachtung und Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie bei Verfügbarkeit und Bereitstellung entsprechender Ressourcen erfolgen."

 

Weitere, teils erst auf Wunsch der Politik hinzugefügte Relativierungen: dass es statt direkter Forderungen nach mehr Geld meist nur heißt, die Möglichkeit von Erhöhungen solle "geprüft" werden. Dazu der Verweis auf unterschiedliche Startpunkte, Stärken und Geschwindigkeiten bei der Umsetzung je nach Hochschule, Lehreinheit und Land. Die lobende Erwähnung bereits bestehender Ansätze, die man nur aufgreifen müsse. Und die Betonung neu zu entwickelnder Modellprojekte als Wege zum Ziel, das dadurch erst recht in eine kaum noch greifbare Entfernung rückt. 

 

"Ein dicker Brocken",
sagt der Minister

 

Das ist die Widersprüchlichkeit, oder positiver formuliert: das Spannungsfeld, das das Papier durchzieht. Zwischen der Ungeduld vieler Mitglieder der Wissenschaftsrats-Arbeitsgruppe, die den Kern der Empfehlung entworfen hat und wortreich die "weitreichenden Veränderungen in verschiedenen Bereichen" beschwört, um Studium und Lehre zukunftsfähig machen. Und auf der anderen Seite der Wissenschaftspolitik, die ja will, die aber zugleich Sorge hat, mit zu viel unmittelbar wirksamen Reformversprechen Schiffbruch bei der Finanzpolitik und folglich auch in der Öffentlichkeit zu erleiden. 

 

Zu Recht, will man mit Blick auf ein aktuelles Beispiel aus Thüringen sagen. Dessen Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) musste fast zeitgleich zu den Wissenschaftsrats-Empfehlungen, die auch er unterstützt hat, hinnehmen, dass der Thüringer Landtag zur Coronakosten-Bewältigung globale Minderausgaben im Landeshaushalt beschloss. Für alle Ressorts, auch für seines. 64 Millionen Euro weniger für das Wissenschaftsministerium. "Ein dicker Brocken", sagt Tiefensee, " der es leider erstmalig erforderlich machte, die Hochschulen anteilig zu beteiligen". Und zwar mit insgesamt gut 41 Millionen Euro für 2022 und 2023. "Danach aber", verspricht Tiefensee, "werde es keine Fortsetzung" der Kürzungen geben. Die übrigens, betont er, "im Ergebnis Forderungen der CDU-Fraktion" seien. Was als Ausrede etwas wohlfeil ist – denn die SPD hat sie ja auch nicht verhindert.

 

In den vergangenen Jahren war man sehr stolz im Freistaat, im Vergleich zu anderen Bundesländern am stärksten pro Studienplatz in die Hochschulbildung zu investieren. Und jedes noch vier Prozent an Landesmitteln für die Hochschulen draufzulegen, per Vertrag zugesichert bis 2025. Jetzt wird aus +4 Prozent 2022 allerdings -1,7 Prozent. Bei einer Inflation von geschätzten 6 Prozent. Immerhin soll es danach auf dem versprochenen Ausgabenpfad weitergehen.

 

Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum man an den Hochschulen in Thüringen bislang mit allzu großer Kritik spart. "Im laufenden Jahr werden wir keine Einsparungen vornehmen müssen, weil wir unsere Rücklagen 'verzehren'", sagt Walter Rosenthal, Präsident der Universität Jena. Dafür würden Investitionen und Sanierungen, die bereits geplant, aber noch nicht begonnen seien, verschoben. "Bereits das ist angesichts der Situation im Hochschulbau, der eher weiterer Förderung bedarf, eine unerfreuliche Entwicklung."  Im kommenden Jahr bereite die Uni sich dann auf Kürzungen vor. "Ich setze darauf, dass die Einsparung einmalig ist und in den kommenden Jahren ausgeglichen wird", betont Rosenthal. "Sollten weitere Kürzungen auf uns zukommen, würde das unter anderem unsere Positionierung im Exzellenzwettbewerb erheblich beeinträchtigt."

 

Schadensbegrenzung
statt Aufbruch?

 

Nach dem im Wissenschaftsrats-Papier angekündigten Aufbruch für die Lehre klingt das nicht, eher nach Schadensbegrenzung.

 

Genauso an der Bauhaus-Universität Weimar. "Das Ministerium hat zugesichert, dass die weiteren laut Rahmenvereinbarung bis 2025 zugesagten Mittel nicht zur Disposition stehen", sagt deren vorläufige Leiterin, Jutta Emes. "Darauf vertrauen wir." Man habe die Budget-Rückzahlungen als "Solidarbeitrag zur Deckung der Globalen Minderausgabe" des Landes "zur Kenntnis" genommen. Ems verweist auf die "massiven Preissteigerungen bei den Versorgungsmedien, bei Löhnen, bei der Beschaffung sowie vor allem auch beim Bau, die ebenfalls aus dem Haushalt der Universität zu tragen sein werden". Dies werde "zweifelsohne zu Einschränkungen bei geplanten Investitionen in Lehre, Forschung und künstlerischer Tätigkeit führen". 

 

Der Hochschulforscher Peer Pasternack, der vor 20 Jahren als kurzzeitiger Wissenschaftsstaatssekretär in Berlin selbst einmal einen Ausflug in die Politik unternommen hat, warnt indes, die Thüringer Kürzungen überzubewerten. Auch andere Länder müssten wegen Corona sparen. Das Besondere an der Thüringer Situation sei, dass "indem alle irgendwie verantwortlich sind, da niemand im Landtag eine Mehrheit hat, keiner so recht verantwortlich ist", sagt Pasternack, der als Direktor das Institut für Hochschulforschung (HoF) an der Universität Halle-Wittenberg leitet. So bedauerlich die Kürzungen seien, sie seien doch nicht "intentionale Kürzungen, wie man sie sonst kennt". Außerdem erinnert Pasternack daran, dass Hochschulen wie praktisch alle öffentlich finanzierten Einrichtungen während der Pandemie die ihnen zugesagten Mittel "ungeschmälert" erhalten hätten, was sie gegenüber nicht öffentlich finanzierten Einrichtungen doch "ziemlich privilegiert" habe dastehen lassen. "So ganz abwegig erscheint mir der Gedanke, dass nun im Nachhinein ein Beitrag geleistet wird, die Sonderausgaben und -hilfen wenigstens teilweise auszugleichen, nicht."

 

Tatsächlich gab es etwa in Bremen und Niedersachsen erbitterte Auseinandersetzungen um Kürzungen, die allerdings teilweise schon vor Corona begonnen hatten. Sachsen-Anhalts Landesregierung wiederum, die ursprünglich 2022 bis 2024 ebenfalls mit Verweis auf Corona pro Jahr zwei Millionen von 383 Millionen Euro an Hochschulzuschüssen kürzen wollte, nahm die Ankündigung für dieses Jahr bereits zurück. Wissenschaftsminister Armin Willingmann (SPD) sagt, er sei sich sicher, dass auch über die für 2023 und 2024 mit den Hochschulen vereinbarten Streichungen in den nächsten Haushaltsverhandlungen erneut gerungen und diese dann auch "letztlich nicht erhoben werden". 

 

"Die Zäsur der
Pandemie nutzen"

 

Was in diesen Zeiten ein Erfolg wäre: So warnte erst vergangene Woche die Mitgliederversammlung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) davor, dass die im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbarte jährliche Erhöhung des Zukunftsvertrags "womöglich nicht umgesetzt" werde. Und während der Wissenschaftsrat in seinen aktuellen Empfehlungen eine deutliche Aufstockung der Mittel für die neue Stiftung "Innovation in der Hochschullehre" für sinnvoll hält, warnt die HRK sogar vor deren drohender Kürzung. Genau das ist der gegenwärtige Sound der Hochschulpolitik. Und nicht der inspirierend-optimistische des Wissenschaftsrats-Papiers. Entwertet das dessen Utopie?

 

Nein, sagt WR-Generalsekretär Thomas May. "Wir sind uns bewusst, dass manche der vorgeschlagenen Maßnahmen die Länder in der aktuellen politischen Situation vor große, auch finanzielle Herausforderungen stellen." Auch wenn deshalb "vielleicht nicht alle Maßnahmen" kurzfristig umgesetzt werden könnten, sei man sich im Wissenschaftsrat einig gewesen. "Wir sind überzeugt davon, dass wir die Zäsur der Pandemie nutzen müssen, um in die Zukunft zu denken und aufzuzeigen, welchen Weg wir an den Hochschulen mittelfristig einschlagen wollen."



Alle schon gehabt?

Zur Umsetzung der Ziele seien "große Anstrengungen notwendig", schrieb der Wissenschaftsrat 2008 in seinen "Empfehlungen zur Qualitätsverbesserung von Studium und Lehre".  Es gehe um eine neue "Lehr- und Lernkultur", die Lehrende und Studierende gemeinsam entwickeln müssten. Geprägt durch einen "erhöhten Stellenwert von Studium und Lehre, durch die Wertschätzung für ein Engagement in diesem Bereich". Durch eine intensivere Beratung und Betreuung der Studierenden, die mehr Arbeit in Kleingruppen und im Selbststudium erst möglich machten. Inklusive der regelmäßigen "Reflexion mit einem Mentor".  

 

Nur habe dies alles seinen Preis: eine Verbesserung der Betreuungsrelationen in den Geistes-, Sozial- Wirtschafts- und  

Rechtswissenschaften um 33 Prozent, in den MINT-Fächern und der Medizin um zehn Prozent vor allem und eine "Berücksichtigung des höheren Betreuungsbedarfs bei der künftigen Berechnung der Curricularnormwerte".

 

Die reale Entwicklung seitdem: 2020 kamen bundesweit 65 Studierende auf einen Prof, 2010 waren es 60. Weil die Zahl der Studierenden viel stärker stieg als die der Lehrenden.

 

Nein, das Papier von 2022 ist kein schlichtes Recycling von damals. Es enthält neben Bekannten neue Aspekte und Pointierungen. Doch der Blick auf 2008 enthält eine deutliche Warnung: Wer den Aufschwung beschwört, muss ihn irgendwann auch liefern. Denn auch "mittelfristig" und "langfristig" kommen irgendwann. 



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Kommentare: 7
  • #1

    D. Hoenemann (Dienstag, 17 Mai 2022 11:44)

    Das Argument, es solle jetzt im Nachhinein dafür gebüßt werden, dass Hochschulen während der Pandemie die ihnen zugesagten Budgets "ungeschmälert" erhalten haben, ist ein Schlag ins Gesicht aller, die ab März 2020 quasi ohne zusätzliche Mittel außer dem ZOOM-Abo die Hochschulen am Laufen gehalten, die Lehre volldigitalisiert, Prüfungen abgenommen und v.a. im Sinne der Studierenden so gut wie keine Ausfälle unter widrigsten Umständen zugelassen haben. Soll uns jetzt dafür Geld abgezogen werden, dass wir während der Pandemie, anders als einschlägige "Kurzarbeitende" (s zB Lufthansa etc), viel mehr geleistet als im Normalbetrieb? Kann das bitte einmal politisch angeprangert werden? Es ist nach dieser Phase des gefühlten 24/7-Einsatzes Burnout, wohin man an den Unis nur hinschaut. Vor allem weil sich nun nach diesem Horror alle in der Präsenz mit Covid infizieren. Diese "Abrechnung" kommt zur Unzeit.

  • #2

    peer pasternack (Mittwoch, 18 Mai 2022 00:10)

    alles nicht ganz falsch. warum "nicht ganz"? hat irgendjemand an den hochschulen (oder im öffentlichen dienst) während der pandemie existenzsorgen haben oder beruflichen existenzverlust erleiden müssen?

  • #3

    Steffen Prowe (Mittwoch, 18 Mai 2022 08:19)

    Stimme D Hoenemann zu!!
    „Das System“ Hochschule hat funktioniert, vor allem das Engagement sehr vieler soll nun durch Sparen gedeckelt werden? Im Gegenteil, wir müssen den positiven Schwung des Wechsels nach Corona mitnehmen und echte Paradigmenwechsel vollziehen. Und nicht erst wieder in 30 Jahren ein paar wenige Mrd € für marode Bauten empfangen, damit uns nicht das Dach auf den Kopf fällt.
    Nochmal, ohne mehr (!!) € wird das alte System „Unterricht“ von einer zunehmend agileren und massiv vernetzten Arbeitswelt entkoppelt! Daher muss dieser Ansatz des WR mehr als eine Utopie werden!

  • #4

    Peter Burger (Mittwoch, 18 Mai 2022 09:59)

    Die Hochschulen wurden in der Pandemie regelmäßig von der Politik vergessen. Vermutlich weil der Hoch-schulbetrieb so klaglos weiterlief, da die Lehrenden mit extremen Engagement (eigentlich Überstunden!) den Laden ganz "normal" durch Onlinelehre am laufen hielten. Dafür muss man in Krisenzeiten nicht unbedingt mehr Geld erwarten, aber sicher auch keine Streichungen!

  • #5

    Marco Winzker (Mittwoch, 18 Mai 2022 12:04)

    Ich finde den Vorschlag des WR gut und ambitioniert. Und bei ambitionierten Projekten ist es oft sinnvoll, Prototypen zu verwenden. Also zwei, drei Studiengänge mit zusätzlichen Mitteln ausstatten und die Lehrform „akademisches Mentorat“ dort umsetzen. Da als Zeitraum für die gesamte Umsetzung zwei Dekaden genannt wurde, wäre Zeit für Bewertung und Anpassung der Prototypen vorhanden. Das gibt Argumente für die Lehrform und vermeidet Fehler bei der breiten Einführung. Aber ein bisschen langen Atem bräuchte es schon, also eine Projektlaufzeit in der Größenordnung neun Jahre, wie beim Qualitätspakt Lehre.

    Wie auch schon angemerkt, gab es eher verhaltene Reaktion auf die WR-Empfehlung. Das lag vielleicht auch an der Ankündigung einer Empfehlung zur Digitalisierung der Lehre für Juli. Dieses Thema ist momentan so präsent, dass zumindest ich vordringlich darauf blicke.

  • #6

    Edith Riedel (Mittwoch, 18 Mai 2022 13:12)

    Ich bin normalerweise kein Freund von Utopien, die so weit vom Status Quo entfernt sind, dass ihre Umsetzung schlicht nicht möglich ist. In der aktuellen Situation braucht es aber in der Tat solche Utopien, um auf den desolaten Zustand der Grundfinanzierung der Universitäten und Hochschulen hinzuweisen. Wenn Deutschland weiterhin ein ernst zu nehmender Wissenschafts- und Bildungsstandort bleiben, und in vielen Bereich wieder werden möchte, muss die Politik aufwachen. Der Einschätzung des flächendeckenden Burnouts von D. Hoenemann kann ich hier nur zustimmen. Alles soll mit der sowieso schon prekären Personaldecke geleistet werden. Kein Wunder, dass dem öffentlichen Dienst allgemein, und den Universitäten im Besonderen das gut qualifizierte Personal in Scharen davonläuft.

  • #7

    LSB (Donnerstag, 19 Mai 2022 12:55)

    Wer in eine Krise hineinspart, vergrößert den Einbruch. Das scheinen viele Staaten zu verstehen, nur in Deutschland gibt es einen religiöse Züge tragenden Schuldenkult, der Einsparungen mit Vernunft gleichsetzt. Einsparungen in Forschung und Wissenschaft werden sich weiter katastrophal auf den Innovationsstandort Deutschland auswirken. Junge Hochqualifizierte werden in einem solchen Land keine dauerhafte Chance sehen, die globalen Probleme anzugehen. Allein, dass diese Diskussionen geführt werden ist schon ein Armutszeugnis. Wir diskutieren nicht, wo wir fälschlicherweise zu wenig investiert haben, warum deutsche Hochschulen teilweise wie Ruinen anmuten oder warum unsere Gesellschaft bei der Digitalisierung immer weiter zurückfällt sowie energie- und geopolitisch ihre Unabhängigkeit eingebüßt hat, nein, wir diskutieren über Einsparungen, die willkürlich gesetzte Schuldengrenzen ermöglichen sollen. Ich erinnere an den CDU-Finanzminister, der sich angesichts der von ihm erwarteten Kosten der Corona-Krise suizidiert hat. Das war symbolträchtig.