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Der Plan der Hochschulrektoren

Nächste Woche will die HRK ihren Vorschlag für die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes beschließen. Was wird drinstehen? Anja Steinbeck und Peter-André Alt über eine neue Zehn-Jahres-Regel, Mindestlaufzeiten für Verträge und die Frage, ob der Tenure Track zum Regelfall werden sollte. 

Peter-André Alt ist Literaturwissenschaftler, war Präsident der Freien Universität Berlin und ist seit 2018 Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Anja Steinbeck ist Juristin, seit 2014 Rektorin der Universität Düsseldorf und seit 2020 zusätzlich HRK-Vizepräsidentin und Sprecherin der HRK-Mitgliedergruppe der Universitäten. Fotos: HRK/David Ausserhofer, Kay Herschelmann. 

Frau Steinbeck, im Herbst, als die "#IchbinHanna"-Debatte so richtig Fahrt aufnahm, haben Sie gesagt: Die Universitäten in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ducken sich nicht weg. Und einen eigenen Reformvorschlag für das umstrittene Wissenschaftszeitvertragsgesetz versprochen, sobald dessen Evaluation vorliegt. Das ist jetzt der Fall. 

 

Anja Steinbeck: Und der versprochene Vorschlag der HRK-Mitgliedergruppe der Universitäten kommt. Wenn wir uns nächste Woche in Berlin treffen, werden wir ihn beschließen. Und das an sich ist schon ein Erfolg. Denn Sie können sich vorstellen, dass die Meinungen unter den Rektorinnen und Rektoren genauso divers sind wie die öffentliche Debatte selbst. 

 

Also gibt es nur den kleinsten gemeinsamen Nenner?

 

Steinbeck: Nein, genau den wollten wir nicht, darum war die Arbeit in den vergangenen Monaten ja so intensiv. Wer glaubt, man müsse nur das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ändern, mit ein paar Federstrichen, und schon seien alle Probleme vom Tisch, der irrt gewaltig. Im Gegenteil, je länger wir uns mit dem Gesetz auseinandergesetzt haben, desto mehr kamen wir zu der nüchternen Erkenntnis: Die Intransparenz der Karrierewege junger Wissenschaftler ist ein Fakt, die Ursachen sind aber sehr vielfältig. Mit Blick auf das Gesetz sehen wir im Moment vorrangig zwei Stellschrauben.

 

Nur zwei Stellschrauben? Im Herbst haben Sie gesagt: "Es muss uns gelingen, richtig etwas zu verändern."

 

Steinbeck: Ich habe aber auch gesagt: ohne zugleich bestehende und gut funktionierende Strukturen kaputtzumachen.  

 

"Wenn jemand mit etwa 25 seinen Master hat,
lautet also die Idee: Mit 35 hat er oder sie Klarheit,
wie es in ihrem Leben weitergeht."

 

Und was heißt das?

 

Steinbeck: Noch haben wir nichts beschlossen, aber wir werden voraussichtlich anregen, den zeitlichen Rahmen im Gesetz zu verändern. So dass die Entscheidung, ob die Wissenschaft der richtige Berufsweg ist für einen Menschen, früher fällt als bislang. Deshalb werden wir uns aussprechen für einen einheitlichen Qualifizierungsrahmen von zehn Jahren, bei dem wir nicht mehr zwischen Promotions- und Postdoc-Phase unterscheiden. 

 

Also eine 10- statt einer 12-Jahres-Regelung?

 

Steinbeck: Die 12-Jahres-Regelung war eigentlich eine 6+6-Regelung, maximal sechs Jahre bis zur Promotion und weitere sechs für die Postdoc-Phase. Davon wollen wir weg. Es gibt Fächerkulturen, etwa in den Naturwissenschaften, in denen geht die Promotion bisweilen deutlich schneller als sechs Jahre, weil man sie im Rahmen eines großen Forschungsprojekts macht. Dafür benötigen die Menschen vielleicht als Postdoc länger, um ihr eigenes wissenschaftliches Feld zu finden. All das sollte unseres Erachtens möglich sein – solange ein Jahrzehnt insgesamt nicht überschritten wird. Wenn jemand mit etwa 25 seinen Master hat, lautet also die Idee: Mit 35 hat er oder sie Klarheit, wie es in ihrem Leben weitergeht.

 

Wie sieht diese Klarheit im Detail aus?

 

Steinbeck: Genau das können sie eben nicht im Wissenschaftszeitvertragsgesetz regeln. Das liegt in der Zuständigkeit der Länder. Mit den Ländern müssen wir reden, um die Karrierewege am Ende der Postdoc-Zeit zu sortieren und auszudifferenzieren. Mit Tenure-Track-Modellen auf der einen und Dauerstellen neben der Professur auf der anderen Seite. So steht es übrigens auch im gerade verhandelten Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen. Die dritte Option müssen wir aber auch sehr deutlich benennen: Wer den Einstieg in den Tenure Track nicht erreicht oder diesen nicht erfolgreich durchläuft oder keine andere Dauerstelle – eventuell auch an einer außeruniversitären Forschungseinrichtung oder eine HAW –  erhält, der wird die Wissenschaft verlassen müssen. Außerdem bedarf es einer guten Karrierebegleitung durch die Universität, aber auch diese kann man nicht im Wissenschaftszeitvertragsgesetz festschreiben.

 

"Ich halte drei Jahre als Mindestlaufzeit für den Erstvertrag von Promovierenden für angemessen." 

 

Sie sprachen von zwei Stellschrauben.

 

Steinbeck: Die zweite betrifft die Dissertationsphase. Unter uns Rektorinnen und Rektoren ist Konsens, dass wir eine Mindestlaufzeit für den Erstvertrag von Promovierenden für sinnvoll halten. Viele Universitäten haben eine solche für sich selbst längst definiert. 

 

Wie lang soll die sein?

 

Steinbeck: Über die Laufzeit sind wir uns, Stand heute, noch nicht einig. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir es bis nächste Woche sein werden. Ich persönlich halte drei Jahre für angemessen. Man könnte es auch abhängig machen von der Disziplin. Ich bin jedenfalls der Meinung, dass die Promotionszeiten in Deutschland insgesamt zu lang sind und man keine Anreize setzen sollte, sie weiter zu verlängern. 

 

Was gibt es noch für Positionen unter den Rektoren?

 

Steinbeck: Es gibt Kollegen, die eine Verkürzung der Höchstbefristungsdauer kritisch sehen. Es sei paternalistisch, der künftigen akademischen Elite unseres Landes vorschreiben zu wollen, wie lange sie auf welcher Stelle bleiben dürften, und sie dann irgendwann rauszuschmeißen. Also warum überhaupt regeln? In Deutschland gilt allerdings der Grundsatz, dass Arbeitsverhältnisse unbefristet sind. Ja, das kann man paternalistisch nennen, aber das ist ein sozialer Gedanke. 

 

Ich fasse zusammen: Zehn statt zwölf Jahre als maximale Befristungszeit und für Doktoranden mindestens drei, möglicherweise auch vier Jahre lange Erstverträge. Reicht das als Paket, um den Druck aus dem "#IchbinHanna"-Kessel zu nehmen?

 

Peter-André Alt: Ich gebe zu, das klingt erstmal nach einem kleinen Schritt für einen Menschen…

 

…aber ist ein großer Schritt für die Wissenschaft? Echt jetzt?

 

Alt: Es handelt sich um einen wirklichen Fortschritt, wenn sich alle Beteiligten zunächst darauf einigen, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz nur eine formale Rahmung leisten kann. Nicht mehr. Und dass es dann darauf ankommt, dass die Länder und Hochschulen eine geeignete modulare Binnenstruktur schaffen, wie Anja Steinbeck sie gerade beschrieben hat. Das ermöglicht ja gerade die Flexibilität des 10-Jahres-Modells, dass hier abhängig von den Fächerkulturen gehandelt werden kann, aber trotzdem eine klar absehbare Perspektive für alle entsteht.

 

"Für jeden neuen Dauerstellen-Typ,
der vorgesehen wird, muss es auch die entsprechenden finanziellen Ressourcen geben." 

 

Man könnte das Wissenschaftszeitvertragsgesetz schon für mehr nutzen als nur für eine formale Rahmung.

 

Alt: Das hielten wir für den falschen Weg. Wir sind grundsätzlich der Überzeugung, dass das Gesetz keine operativen Elemente enthalten sollte – also Vorschriften, wie innerhalb der zehn Jahre zu verfahren ist oder wie genau der Anschluss danach laufen sollte. Das sind Dinge, die die Hochschulen mit ihren jeweiligen Landesministerien, die ja auch das Geld geben, verhandeln müssen. 

 

Sie fürchten, sonst bestellt der Bund per Gesetz Dauerstellen, die Länder liefern nicht das Geld, und die Hochschulen müssen sehen, wo sie bleiben?

 

Alt: Klar ist: Für jeden neuen Dauerstellen-Typ, der vorgesehen wird, muss es auch die entsprechenden finanziellen Ressourcen geben. 

 

Die Junge Akademie von BBAW und Leopoldina ist Ihnen zuvorgekommen und hat vergangene Woche ebenfalls einen Reformvorschlag fürs Wissenschaftszeitvertragsgesetz präsentiert. Und der HRK damit die Schau gestohlen?

 

Alt: Ich sehe durchaus Übereinstimmungen zwischen unseren Vorschlägen. 

 

Tatsächlich? Die Junge Akademie will vier klar definierte Karrierestufen in Form der von der Europäischen Kommission definierten Profile R1 bis R4. Wobei R1 Promovierende sind, R2 frühe Postdocs, R3 "etablierte Wissenschaftler", also Habilitanden, Forschungsgruppenleiter zum Beispiel. Und R4 sind die Professoren. Für R 1 lautet die Forderung: Die Vertragslaufzeiten müssen die gesamte voraussichtliche Dauer der Promotion umfassen. Das sind meist mehr als drei Jahre.

 

Alt: Das Entscheidende ist aber, dass wir da am Ende gar nicht weit auseinanderliegen werden. Dasselbe gilt für die Feststellung, dass es eine frühe Postdoc-Phase gibt. Und wenn die abgeschlossen ist, beginnt R3. Also ein Tenure Track. Oder das Springen auf eine Dauerstelle neben der Professur. Genauso gut kann nach R2 aber auch der Ausstieg aus der Wissenschaft folgen. Denn wenn R3 den Weg zur Professur öffnet, kann dieser Weg auch nicht von allen erreicht werden.  

 

R3 müsste dann, der Logik der HRK folgend, nach maximal zehn Jahren beginnen?

 

Alt: Die Logik der HRK wäre, an der Stelle abhängig von den Fächerkulturen Flexibilität zu lassen. Das heißt: Ja, R3 beginnt nach maximal zehn Jahren, aber mitunter auch deutlich früher. Da, wo eine längere Postdoc-Phase üblich ist, könnte R2 nicht nur zwei Jahre dauern, sondern vielleicht vier. Danach müsste dann aber der Einstieg in den Tenure Track kommen. 



An welchen Stellen widersprechen Sie der Jungen Akademie? 

 

Alt: Im Papier wird behauptet, die wissenschaftliche Qualifikationsphase ende mit der Promotion, danach gehe es nur noch um Fort- und Weiterbildung. Das soll auch für die Habilitation gelten, die in einigen Fachkulturen weiterhin die wichtigste Voraussetzung für eine Berufung ist.  Hier von Fort- und Weiterbildung zu sprechen,  halte ich für falsch. Ob Habilitation oder nicht, alles, was in der Postdoc-Phase passiert, dient auch der Qualifikation und führt bei erfolgreichem Durchlaufen entsprechender Anforderungsstufen zur Professur. 

 

Ein zentrales Element im Vorschlag der Jungen Akademie sind zudem zusätzliche Dauerstellen, auch gegen die wehren Sie sich grundsätzlich nicht mehr, scheint mir.

 

Steinbeck: An dem Punkt müssen wir aber mal für Klarheit sorgen.

 

Tun Sie das bitte.

 

Steinbeck: Die Forderung nach mehr Dauerstellen wird gern unterlegt mit der sehr plakativen Statistik, über 90 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterhalb der Professur seien befristet. Hierbei werden alle Doktoranden mitgezählt, obwohl für diese niemand ernsthaft eine Entfristung fordert. Genauso wie außer Acht gelassen wird, dass die Befristungsquote schon deshalb steigen musste in den vergangenen Jahren, weil früher die Doktoranden Stipendien erhalten haben und bei den Arbeitsverträgen gar nicht mitgerechnet wurden. Um es anschaulich zu machen: Bei uns an der Heinrich-Heine-Universität befinden sich zurzeit rund 40 Prozent der aus Haushaltsmitteln finanzierten Postdocs auf Dauerstellen. Befristungsquote 60 Prozent, nicht über 90 Prozent.

 

"Wenn wir mehr als 40 Prozent entfristen, müssen wir uns die Frage stellen: An welchen Stellen genau benötigen wird diese Dauerstellen?"

 

Womit Sie wiederum all die Postdocs unterschlagen, die auf befristeten Drittmittelstellen sitzen.

 

Steinbeck: Die alle zu entfristen, wäre ja nun die Quadratur des Kreises. Über Pooling-Lösungen muss man nachdenken.

 

Die Postdocs auf Drittmittelstellen zählen aber bei den über 90 Prozent rein. 

 

Steinbeck: Schon richtig. Dafür gibt es wieder andere Promovierte, die unbefristete Arbeitsverträge an der Universität haben, aber trotzdem nicht in die Statistik eingehen. Wir haben in den vergangenen Jahren attraktive  unbefristete Stellen im Wissenschaftsmanagement geschaffen, beispielsweise für die Wissenschaftskommunikation im Rahmen unseres Profils als Bürgeruniversität oder für die Organisation eines Sonderforschungsbereichs. Das sind promovierte Menschen, die im Wissenschaftssystem Karriere machen, aber als Mitarbeiter in Technik und Verwaltung gezählt werden.

 

Und bei den über 90 Prozent unberücksichtigt bleiben. 

 

Steinbeck: Exakt. Und je mehr solche Dauerstellen wir einrichten, desto mehr schaden wir uns statistisch. Was den wissenschaftlichen Postdoc-Bereich angeht, so befinden wir uns ebenfalls mitten in einem Entscheidungsprozess: Wenn wir mehr als 40 Prozent entfristen, müssen wir uns die Frage stellen: An welchen Stellen genau benötigen wird diese Dauerstellen?

 

Die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes zeigt einen starken Anstieg der Befristungen über Drittmittelstellen. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat das bereits als mögliches Handlungsfeld für die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes genannt. Handelt es sich da um eine Umgehung der Befristungsregeln für Haushaltsbeschäftigte? Und was bedeutet das für die Novelle?

 

Steinbeck: Eine unberechtigte Flucht in die Drittmittelbefristung darf es nicht geben. Da die Qualifizierungsbefristung die familienpolitische Komponente zwingend vorsieht, spricht viel für einen Vorrang dieser Befristungsoption. Ob man daneben die Drittmittelbefristung zeitlich "deckeln" sollte und wenn ja auf welchen Zeitraum, das kann ich aus dem Stegreif nicht beantworten. In jedem Fall müssen die Drittmittelgeber in diese Diskussion einbezogen werden.

 

Frau Steinbeck, Herr Alt, wenn Sie sagen, Sie hätten nichts gegen mehr Dauerstellen, doch müssten die Länder dafür jeweils auch die entsprechenden finanziellen Ressourcen geben, dann bereiten Sie schon mal vor, dass sich am Ende wenig bis nichts tut an den Hochschulen, oder?

 

Alt: Keineswegs. Ich habe neulich in einem Artikel für die FAZ deutlich gemacht, dass wir angesichts der aktuellen politischen Lage sicher nicht damit rechnen können, mehr Haushaltsmittel für zusätzliche Postdoc-Stellen zu bekommen. Sondern dass wir uns mit dem begnügen müssen, was wir haben, und das Geld vernünftig nutzen müssen. Das heißt, wir müssen alle Kräfte darauf richten, die Besetzung von Professuren per Tenure Track innerhalb der nächsten zehn Jahre zum Regelfall zu machen. 

 

"Dann müsste sich keiner mehr
jenseits der 40 im Hochrisikomodus auf eine
nicht vorhandene W3-Stelle bewerben."  

 

Weil dann auf jede befristete W1-Stelle später eine unbefristete W3-Professur warten würde? 

 

Alt: Im Falle einer positiven Evaluation, ja. Und das würde  nicht mehr kosten als das jetzige System, weil diejenigen, die keine dauerhafte Perspektive haben, im Schnitt früher gehen. 

 

Steinbeck: Der Flaschenhals bleibt, aber man würde ihn nach vorn verlegen.

 

Alt: Was ja durch die frühere Klarheit gut für die Betroffenen selbst wäre. Wenn wir das also schaffen, ergäbe die Einteilung wissenschaftlicher Karrieren nach dem transparenten R-Modell erst so richtig Sinn. Denn dann müsste sich keiner mehr jenseits der 40 im Hochrisikomodus auf eine nicht vorhandene W3-Stelle bewerben.  

 

Dann müssen Sie aber auch ehrlich sagen: Das wäre das Ende der Habilitation.

 

Steinbeck: Tenure Track und Habilitation müssen sich aber auch nicht zwangsläufig beißen. Ich würde mal behaupten, in den Rechtswissenschaften sind Promotion und Habilitation in zehn Jahren durchaus möglich und wenn man das nicht schafft, bleibt ja noch die W1. 

 

Wenn Sie es in den zehn Jahren aber nicht schaffen, fliegen Sie mit einer fast fertigen Habilitation und ohne Tenure Track aus dem Wissenschaftssystem. 

 

Steinbeck: Wir haben in Düsseldorf juristische Juniorprofessuren mit Tenure Track, auf denen können Sie sich parallel habilitieren. Das geht schon.

 

Alt: Wenn man das nötige Stellengerüst dafür hat.

 

Und mogelt sich um das ursprüngliche Ziel der Juniorprofessur, die Habilitation zu ersetzen, herum.

 

Alt: Im Kern haben Sie ja Recht. Je nach Fachkultur gilt es noch reichlich Überzeugungsarbeit zu leisten.

 

"Wenn ich Rektorin in Berlin wäre, wäre das in jedem Fall eine schwer erträgliche Situation: Ich müsste ein Gesetz anwenden, das sich eventuell als verfassungswidrig herausstellt. Zum Glück bin ich Rektorin in NRW."

 

Sie haben doch sicher schon informell im Bundesforschungsministerium nachgehorcht, wie man dort auf Ihre Vorschläge reagieren wird, oder?

 

Alt: Genau das haben wir nicht getan. Weil wir den Debatten in der HRK nicht vorgreifen wollten. Ich glaube aber schon, dass wir mit unseren Ideen überzeugen können. Und ich vermute, dass man im Ministerium sehr wohl auch in Richtung einer Verkürzung der Höchstbeschäftigungsdauer denkt. 

 

Während Sie am HRK-Vorschlag für Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetz gebastelt haben, hat das Berliner Abgeordnetenhaus trotz aller Kritik die Reform des umstrittenen Paragrafen 110 des Hochschulgesetzes durchgezogen. Er sieht die grundsätzliche Entfristung von Postdocs auf Haushaltsstellen vor, was Hochschulrektoren in Berlin und bundesweit heftig kritisiert haben. Begrüßen Sie trotzdem, dass Gesetz jetzt durch ist – weil jetzt das Bundesverfassungsgericht prüfen kann? 

 

Steinbeck: Ich bin zwar keine Expertin für öffentliches Recht, aber meine Einschätzung ist, dass das Land Berlin für diese Regelung keine Gesetzgebungskompetenz hat und dass das Bundesverfassungsgericht genau das feststellen wird. Dann wissen wir aber immer noch nicht, ob der Paragraf 110 inhaltlich verfassungskonform ist. Denn ich bezweifele, dass die Verfassungsrichter sich nach ihrer Feststellung der nicht vorhandenen Gesetzgebungskompetenz noch die Mühe machen werden, den Gesetzestext materiell zu bewerten. 

 

Also schwelt der Streit danach weiter?

 

Steinbeck: Das befürchte ich. Es spricht viel dafür, dass der Paragraf 110 inhaltlich einen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit bedeutet. Ob darin auch eine Verletzung liegt, vermag ich nicht zu beurteilen. 

 

Alt: Eben hätte ich als Nicht-Jurist auf die Frage noch geantwortet, dass ich mir die Klärung erhoffe. Aber das, was Frau Steinbeck sagt, hört sich leider plausibel an. 

 

Steinbeck: Manchmal geben Richter aber dennoch inhaltliche Hinweise. Warten wir es ab. Wenn ich Rektorin in Berlin wäre, wäre das in jedem Fall eine schwer erträgliche Situation. Ich müsste ein Gesetz anwenden, das sich eventuell als verfassungswidrig herausstellt. Zum Glück bin ich Rektorin in NRW.


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Kommentare: 9
  • #1

    Gregor Frisch (Dienstag, 28 Juni 2022 13:15)

    Man will ein bereits verschärftes Ressourcen-Problem dadurch lösen, indem man es weiter verschärft? Das klingt wenig durchdacht.

    Ich wünschte, die beiden Interviewten hätten den Mumm ehrlich zu sagen, dass das deutsche Wissenschaftssystem auf prekär finanzierten Dissertationen gebaut ist, die man zum Aussieben braucht, und dass die Jahre danach knallharter Wettbewerb sind, so dass vielleicht 10% eine Chance (!) auf eine unbefristete Professur haben.

    Durch diese ehrliche Abschreckung würden sich weniger für eine Diss entscheiden. Allerdings würde man indirekt zugeben, wie kaputt das System ist und dass es zu Machtmissbrauch von oben einlädt. Genau das dürfte aber politisch nicht opportun sein.

    So klingen die Vorschläge nach: Hallo liebes BMBF, wir haben hier eine Reform, die Euch keine zusätzlichen Kosten beschert, sondern das Problem der knappen Ressourcen (und damit der Aussiebung) nach unten verlegt.

    Eine solche Reform käme einer Umverteilung von unten nach oben gleich. Für die Studierenden und WiMis dürften daher letztendlich nur lange, umfassende Streiks eine Verbesserung der Situation bewirken.

  • #2

    Einer der vielen, die die deutsche Wissenschaft verlassen (Mittwoch, 29 Juni 2022)

    Wenn die Vorschläge der HRK durchkommen, ist mit einem nochmals verstärkten Exodus aus dem (deutschen) Wissenschaftssystem heraus zu rechnen - höchstwahrscheinlich wieder überproportional von den Höchstqualifizierten, Innovativeren, weniger Angepassten, die in Deutschland in Wirtschaft und Gesellschaft bessere Berufs- und Lebensperspektiven haben (vgl. die empirischen Studien dazu aus den letzten sieben Jahren); sowie in der Wissenschaft in anderen Ländern. Aber möglicherweise ist genau dies einigen Arrivierten in Deutschland ganz recht...

    Was sie allerdings möglicherweise unterschätzen, könnte die immer stärkere Inattraktivität von Promotionsstellen und von Drittmittelstellen sein, für die sie immer häufiger nur noch eher mediokres Personal finden. In einigen Fächern und insbesondere an Standorten, wo die Personalabteilungen besonders ehrgeizig die Befristungsanteile maximier(t)en, ist dies jetzt schon deutlich spürbar, aber dies nehmen sie in der HRK entweder nicht zur Kenntnis oder es ist ihnen egal.

    Daher stellt sich die Frage, ob ein Ministerium gut beraten wäre, die HRK-Vorschläge auch nur ernsthaft in ihre Überlegungen einzuziehen; zumal es ja den Anspruch hat, nicht der verlängerte Arm der der Professorenschaftsvertreter*innen zu sein, sondern (hoffentlich) als eine Exekutive im Dienst der gesamten Gesellschaft.

  • #3

    G. Samsa (Mittwoch, 29 Juni 2022 21:03)

    Die HRK hat nicht die Rolle die Interessen der Gesellschaft zu vertreten. Das ist die Aufgabe der Bundesregierung (oder auch der Länder). in der HRK engagieren sich Hochschulleitungen, die eigene Interessen haben, wenn es um die Struktur des wissenschaftlichen Personals geht. Und das ist auch ok. Denn auch diese sind wichtige Stakeholder und habe in der Gesamtschau einer Hochschule und vor allem als Mitglieder der Gruppe der Hochschullehrer:innen einen anderen Blick. Das mag man schlecht finden, ist aber für eine Demokratie unerlässlich

  • #4

    Theo B. Martin (Mittwoch, 29 Juni 2022 21:15)

    Wissenschaft ist kompetitiv unabhängig davon, wie man beschäftigt ist. Das gilt für alle Ebenen vom Mittelbau bis zum Präsidium. Schwierig ist es natürlich dort besonders, wo der Wechsel in die Wirtschaft schwierig ist. Aber ist es im Sinne der Gesellschaft, wenn in diesem Bereich, wo es nach der Evaluierung ohnehin vergleichbar viele Dauer-Stellen gibt als zum Beispiel bei den Juristen , noch mehr Leute „anzubinden“. Wie realistisch ist die Annahme, dass Personen die Hochschule wechseln oder mobil sind, wenn sie eine Feststellung haben. Das sollte mal untersucht werden, wie oft und mobil Dauerstelleninhaber an deutschen Hochschulen oder im Ausland wirklich sind? Im restlichen öffentlichen Dienst ist das nicht der Fall aus Gründen, die vermutlich verglichen werden können mit den Personen in der wissenschaftlichen Laufbahn.

  • #5

    MeDa22 (Mittwoch, 29 Juni 2022 21:48)

    Was für eine Frechheit. Erst wird durch #IchBinHannah v.a. die Problematik des kontinuierlichen unnötigen Durchschleusens aufgezeigt und nun soll das Ganze noch schneller vonstatten gehen?

  • #6

    CHA (Donnerstag, 30 Juni 2022 13:20)

    Es ist schwer erträglich, wenn die Frage nach den Karriereoptionen von Postdocs, die auf Drittmittelstellen arbeiten, mit dem Verweis auf Stellen im Wissenschaftsmangement in der Verwaltung weggebügelt und so getan wird, als würde man 40% der Postdocs entfristen, da sich diese Zahl nur auf die Haushaltstellen bezieht. Wieviele Postdocs arbeiten in Deutschland auf Haushaltstellen, wieviele auf Drittmittelstellen? Das wäre als Bezugsgröße für den Anteil der entfristeten Stellen entscheidend. Wichtig wäre auch die Zahl der W1 Stellen mit tenure track zu benennen, auf die sich Postdocs bewerben könnten, um die Chance beurteilen zu können, eine Professur zu erreichen, wenn dies, wie Herr Alt fordert, langfristig der Regelweg zur Professur wäre.

  • #7

    Zauberlehrling (Donnerstag, 30 Juni 2022 14:52)

    "Wissenschaft ist kompetitiv unabhängig davon, wie man beschäftigt ist."
    Die Aussage ist falsch. Wissenschaft im aktuellen System baut auf Vetternwirtschaft auf. Wer behauptet, es handelt sich um eine Meritokratie, der lügt sich selbst in die Tasche.

    Der Autor und die Intervieweten unterschlagen, dass sie es in 10 Jahren nicht geschafft haben. Sie erfüllen ihren eigenen Anspruch unter wahrscheinlich damaligen besseren Bedingungen selbst dann nicht.

    @Samsa: Mag sein, dass HRH Stakeholder sind, die sich zu wichtig nehmen. Aber wenn es am Ende darauf ankommt, die Arbeit im Labor zu machen, sind es nicht die Mitglieder der HRH. #ichbinhanna hat schon viel Aufmerksamkeit erlangt, das wird die HRH nicht mehr einfangen werden. Wenn HRH-Stakeholder sich nicht anpassen können, zeigen sie nur, wie alt und unflexibel sie sind. Diversität gibt es in der HRH offenbar auf wenig. Wie sagt man so schön? Der Fisch stinkt vom Kopf her.

  • #8

    Angela Ittel (Dienstag, 05 Juli 2022 12:30)

    Bei all der geäußerten und teils berechtigten Kritik am Wissenschaftssystem ist zu bedenken, dass das von vielen #ichbinHanna Vertreterinnen so hochgelobte Berliner Modell weniger Flexibilität und Möglichkeiten zur Entwicklung schafft, als der Vorschlag der HRK. Der gefürchtete Exodus geschieht viel früher. Und auch der (sehr gute) Vorschlag der Jungen Akademie plädiert vor jeder Verstetigungsstufe (auch im Mittelbau) für das Einhalten glasklarer und wettbewerblicher Qualitätskriterien. Erreicht man diese nicht, ist man draußen. Das wettbewerbliche Verfahren um Verstetigung oder Tenure beginnt im HRK Vorschlag erst NACH den vorgeschlagenen 10 Jahren, die Zeit für flexible Qualifikationsentwicklung geben.

  • #9

    UniJuristin (Dienstag, 09 August 2022 13:38)

    Das ist der erste halbwegs qualifizierte Beitrag zu diesem Thema, den ich in der Sache lese. Das Berliner HG schreibt am Thema vorbei, ist zwar "publikumswirksam", aber weder in der Praxis umsetztbar noch sinnvoll, vor allem in gesetzbeberischerm Sinne :Murks! Das wird das BVerfG bestätigen.Wir haben an unserer Uni Dauerstellen, die mit Wissenschaftler*innen besetzt sind, aber zurVerwaltung zählen: Fakultätsreferent*innen/-managerinnen, Studiendekanatsreferent*innen, Laborleitungen etc. Es gibt diese Stellen und das ist gut so. Und dann gibt es eben die Qualifikationsstellen und die müssen zeitlich begrenzt sein, sonst wären sie keine Qualifikationsstellen. Der ewige Habilitand ist ja kein Modell- nicht wirklich. Und ja: Weil die Drittmittelbefristung "ausgenutzt" wird und man damit versucht, Wissenschaftler*innnen via Befristungen lange an der Uni zu halten, tut man ihnen damit keinen Gefallen,- jedenfalls nicht denen, die mit Fug und Recht eine Dauerstelle möchten,- wer kann es ihnen verdenken. Da müssen sich die Unis bzw. die Länder mal was Gutes einfallen lassen, das kann aber nicht das WissZeitVG.