Die Zahl von Frauen in den Chefetagen der deutschen Wissenschaft steigt. Doch machten in den vergangenen Jahren auch die vorzeitigen Rücktritte, Entlassungen und Vorwürfe schlechten Führungsverhaltens Schlagzeilen. Was läuft da schief? Was muss sich ändern? Die frühere Uni-Präsidentin Ulrike Beisiegel und der Personalberater Norbert Sack im Gespräch mit Patrick Honecker und Jan-Martin Wiarda.
Fotos: privat.
IM HERBST entließ die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) die Archäologin Nicole Boivin als Direktorin am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, der Vorwurf: Sie habe Mitarbeiter und Studierende gemobbt und sich das Forschungsprojekt einer Kollegin angeeignet. Erst verteidigte Boivin sich gerichtlich, vor wenigen Wochen ging sie zum Gegenangriff über und forderte von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger eine schärfere Kontrolle der MPG – weil sie am eigenen Leib schwere Verfahrensfehler beim Umgang mit den Vorwürfen gegen sich erfahren habe.
Unabhängig von der Frage, zu welchem Grad Boivin tatsächlich auch Opfer ist und zu welchem Grad Täterin: Die öffentliche Debatte dürfte noch heißer laufen. Gibt es in der Wissenschaft einen Gender Bias gegen Frauen in Führungspositionen? Warum nimmt zwar einerseits die Zahl von Rektorinnen und Institutsdirektorinnen zuletzt stärker zu, scheinen sich aber andererseits die Berichte über ihre Rücktritte und Entlassungen zu häufen?
Ulrike Beisiegel war bis zu ihrem vorzeitigen Rücktritt Präsidentin der Universität Göttingen. Norbert Sack ist Headhunter und hat zuletzt immer mehr Berufungsverfahren mit Frauen begleitet. Zusammen haben Sie ein Papier mit zwölf Thesen verfasst, das sich an Erklärungen und Schlussfolgerungen versucht: für Frauen und Männer in der Wissenschaft, aber auch für die Wissenschaftspolitik.
Im "Gipfel der Bildung" mit Patrick Honecker und Jan-Martin Wiarda sagt Sack, warum er einen gewaltigen Backlash und Rückschlag für Frauen in Führungspositionen fürchtet, falls sich nichts Grundlegendes ändert. Beisiegel meint, dass sicher auch Frauen gebe, die nicht gut führen könnten. "Das primäre Problem aber ist, dass ihr Führungsstil so deutlich anders ist."
Ein Gespräch über unterschiedliche Auffassungen vom Chef:innensein, über die Bedeutung von Netzwerken und Governance-Strukturen in der Wissenschaft, die von Männern geprägt und auf Männer zugeschnitten sind. Um erfolgreich zu sein, sagt Beisiegel, sollten Frauen "ja nicht werden wie die Männer, sondern ihre eigenen Perspektiven einbringen". Männer, sagt Sack, seien "vermutlich etwas machtorientierter, Frauen leistungsorientierter".
Kommentar schreiben
Schutzwall bauen (Montag, 27 Juni 2022 09:34)
Man kann natürlich auch einen "Schutzwall" bauen, wenn man die im Umfeld agierenden Personen nicht gut genug kennt oder gar nicht identifizieren kann. Das konnte die am Beitrag agierende Person an der GAUG leider nicht. Das war sehr schade.
Petersberg (Donnerstag, 30 Juni 2022 12:40)
In der Diskussion wurde wieder mal eine höchst ärgerliche und unhaltbare These gebracht: Dass alle Frauen grundsätzlich anders und damit auch besser führen, nämlich kommunikativer, emphatischer, kooperativer . . . Das ist eine unhaltbare Pauschalisierung und Verallgemeinerung - genau so, wie zu sagen, dass alle Männer grundsätzlich durchsetzungsfähiger und härter sind. In Wirklichkeit gibt es viele Männer, die sich überhaupt nicht durchsetzen können, und viele Frauen, die nicht kommunizieren können und nicht kooperieren können. Es kommt immer auf die einzelne Person und ihr Verhalten an, und auf die Gegebenheiten in der jeweiligen Institution, Branche. Der Führungsstil vieler Frauen lässt sich von dem von Männern in ähnlichen Positionen kaum unterscheiden. Man sollte auch das Führungsversagen von Frauen nicht beschönigen und verschweigen, nur weil sie Frauen sind; geschieht aber leider häufig, gutes Beispiel ist die eigentlich verheerende Bilanz von Dorothea Rüland als DAAD-Generalsekretärin, über die hinweggegangen wird.
Muriel Helbig (Sonntag, 03 Juli 2022 19:36)
Lieber Herr Wiarda, lieber Herr Honecker, gab es eigentlich einen Fakten-Check zu diesem Podcast? Es werden generalisierende Behauptungen über Frauen und Männer aufgestellt, die, wenn ich es richtig verstanden habe, nicht auf Forschungsergebnissen, sondern einigen Interviews ("methodisch nicht wissenschaftlich") und anekdotischer Evidenz basieren. Bei einem so wichtigen
Thema, noch dazu in einem wissenschaftsnahen Podcast, wäre mir das zu wenig. Mehr noch: mit einer ungeprüften Wiedergabe von Cliches hätte man der Gleichstellung einen Bärendienst erwiesen. Oder andersrum: Toll und wirklich interessant wären eine wissenschaftliche Einordnung zu den geschlechtsbezogenen Aussagen und Thesen (vielleicht in einem nächsten Podcast?) und Quellenangaben.
Ex-Goe (Montag, 18 Juli 2022)
Es scheint dass Frau Beisiegel selbst noch dabei ist, ihren vorzeitigen Ruecktritt zu verarbeiten. Dabei ist unter ihrer Fuehrung die Universitaet Goettingen zweimal in der Exzellenzinitiative gescheitert. Andere haetten frueher Konsequenzen gezogen und vielleicht auch Selbstkritik geuebt, waehrend Frau Beisiegel jetzt anderen Ratschlaege erteilen will.
Gruende fuer Scheitern (Mittwoch, 27 Juli 2022 11:07)
Ist es nicht moeglich, dass gerade die stereotypisierten Darstellungen und Vorurteile, wie sie z.B. in den Einlassungen von Frau Dr. Beisiegel sichtbar werden, ganz wesentlich zum Scheitern von Frauen in Fuehrungspositionen beitragen?
Wer selbst davon ausgeht, dass er / sie "qua Geschlecht" schon die bessere Fuehrungspersoenlichkeit ist, bzw. anderen aufgrund ihres Geschlechts unterstellt, dass sie per se schon allein deshalb schlechtere Arbeit machen werden, wir wohl nicht nur sehr wichtige Moeglichkeiten verpassen, sondern natuerlich auch viele Menschen verprellen, mit denen man sonst sehr erfolgreich zusammenarbeiten koennte. Auch als Gesellschaft muessen wir weg von Stereotypen und hin zu mehr Sachlichkeit!