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Die Angst vorm großen Sparen

Besonders in den Sozial- und Geisteswissenschaften fürchten Forschende kommende Kürzungsrunden – und für manche scheinen sie schon loszugehen. Das BMBF versucht zu beruhigen.

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Artikelbild: Die Angst vorm großen Sparen

Bild: Steve Buissinne /Pixabay.

DIE NERVOSITÄT ist groß. In den sozialen Medien berichten Wissenschaftler von massiven Einsparungen in der BMBF-Forschungsförderung. "Ganze Förderlinien" würden gestrichen und Bewilligungen zurückgezogen, twitterte die Münchner Soziologieprofessorin Paula-Irene Villa Braslavsky. Forschende aus den MINT-Fächern, aus den Sozial- und den Geisteswissenschaften seien betroffen. Rund 40 von ihnen wollen sich diesen Donnerstag zu einem Vernetzungstreffen zusammenschalten.

Zum Beispiel berichtet die Düsseldorfer Kunsthistorikerin Julia Trinkert, ebenfalls auf Twitter, dass die im Februar zugesagte Finanzierung einer Ausstellung vom BMBF zurückgezogen worden sei. Es handelte sich um die Präsentation von Ergebnissen des seit 2018 geförderten Forschungs-Verbundprojekts "Parvenue". "Zuwendungsbescheid sollte bis 1.7. kommen, am Montag dann überraschend Absage", schreibt Trinkert und fügt hinzu: "Wir sind sprachlos".

Ein Beispiel unter vielen und ein Vorzeichen dessen, was erst noch bevorsteht angesichts drohender Haushaltskürzungen wegen der seit dem Ukraine-Krieg veränderten Weltlage – bei gleichzeitiger Rückkehr zur Schuldenbremse schon im kommenden Jahr?

Nicht, wenn es nach dem Bundesbildungsministerium geht. Trotz der "komplexen haushalterischen Lage" könne das BMBF insgesamt in den kommenden Jahren einen Aufwuchs der Mittel "im Vergleich zur ursprünglichen Planung" verzeichnen, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Auch mit dem Haushalt 2023 müssten insofern keine aktuell laufenden Forschungsvorhaben aus Kostengründen abgebrochen werden. "Im Einzelfall kann es jedoch vorkommen, dass Anschlussprojekte nicht oder nicht im bisherigen Umfang gefördert werden können."

Wo der BMBF-Haushalt 2023 gekürzt wird

Konkret in Bezug auf Parvenue bedeute das: Die Förderung der Verbundforschung erfolge "weiterhin ohne Anpassungen bis zum vorgesehenen Projektlaufzeitende. Lediglich ein zusätzlich geplantes Projekt, mit dem Ergebnisse der vorangegangen Arbeiten im Rahmen einer Ausstellung vermittelt werden sollten, wird angesichts der oben genannten herausfordernden Rahmenbedingungen nun nicht wie geplant finanziert."

Also alles halb so wild? Der Blick in den vom Bundeskabinett beschlossenen Haushaltsentwurf für 2023 lässt zumindest für die Geistes- und Sozialwissenschaften Unbill erwarten. Der entsprechende Forschungsfördertitel im BMBF-Haushalt soll demzufolge nächstes Jahr um zehn Prozent auf knapp 95 Millionen Euro sinken. Der Titelansatz für "Gesellschaftswissenschaften für Nachhaltigkeit" fällt sogar um knapp 24 Prozent (12,6 Millionen) auf nur noch gut 43 Millionen Euro ab.

Wobei der Ministeriumssprecher betont, das Rahmenprogramm "Gesellschaft verstehen – Zukunft gestalten" für die Geistes- und Sozialwissenschaften, das noch bis 2025 laufe, werde auch "unter den neuen finanziellen Rahmenbedingungen in seinen Grundlinien umgesetzt". Entscheidungen über Anpassungen von Förderschwerpunkten, "wie sie regelmäßig üblich sind", seien aktuell nicht erfolgt.

Wie berichtet stehen derweil auch die Mittlerorganisationen DAAD, Alexander-von-Humboldt-Stiftung und Goethe-Institut unter Druck, weil das Auswärtige Amt ihre Grundfinanzierung empfindlich kürzen will. Und das DAAD-Stipendienprogramm "Zukunft Ukraine" hat wegen der Beschränkung der Fördermittel auf dieses Jahr ebenfalls Schieflage.

Zuwächse, Fragezeichen und Leerstellen

Es gibt allerdings auch positive Nachrichten im Haushaltsentwurf von Finanzminister Christian Lindner (FDP). Dass im BMBF-Einzelplan zum Beispiel die im Ampel-Koalitionsvertrag versprochene Dynamisierung des Zukunftsvertrags um drei Prozent pro Jahr von 2023 hinterlegt ist, sollte eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber nicht, nachdem sie bereits für 2022 ausgefallen war. Die Stiftung für Innovation in der Hochschullehre soll nach der zwischenzeitlichen Kürzung um neun Millionen Euro dieses Jahr 2023 wieder ihre vollen 150 Millionen erhalten. Das Budget der Agentur für Sprunginnovationen legt gar um mehr als die Hälfte auf 156 Millionen zu.

Hinzu kommen Fragezeichen. Was genau versteckt sich zum Beispiel hinter dem deutlichen Zuwachs bei der Titelgruppe "DATI, Weiterentwicklung der Innovationsförderung und -kooperation" um 190 auf 337 Millionen? Wieviel davon ist echtes neues Geld für die geplante Deutsche Agentur für Transfer und Innovation? Und bedeutet das Zusammenschrumpfen von "Innovation durch Lebenswissenschaften“ (um gut 360 auf dann noch 639 Millionen 2023), dass bei den Lebenswissenschaften tatsächlich so empfindlich gekürzt wird, was überraschend wäre – oder handelt es sich mehr um eine budgetäre Verschiebung? Fragen, die sich auch die Haushaltspolitiker im Bundestag stellen und die sich teilweise erst klären dürften, wenn die Erläuterungen des BMBF zum Haushalt da sind.

Besorgniserregend sind in jedem Fall die offensichtlichen Leerstellen im aktuellen BMBF-Haushalt 2023. Der Ausbau des Tenure-Track-Programms, ein neues Digitalisierungsprogramm für die Hochschulen, die Erhöhung der DFG-Programmpauschalen: alles Versprechungen der Ampel-Koalition, alles nicht im Haushalt 2023 verankert.

Hinweis: Ich habe einen Fehler im Text korrigiert. Julia Trinkert forscht und lehrt an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Ich bitte um Entschuldigung.


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Kommentare

#1 -

Literaturwisse… | Di., 05.07.2022 - 17:09
Für die Geistes- und Sozialwissenschaften ist das Desaster vielfach schon da, man muss sich nur die Lage einzelner Universitäten wie Halle oder Erfurt anschauen. Dass es diese Fächer überproportional, wenn nicht ausschließlich trifft, wird man, so meine Vermutung, in den kommenden Monaten noch öfter beobachten, auch in den westlichen Bundesländern. Wer mit Kolleg:innen spricht, hört es schon. Und wenn dann Vertreter:innen des Hochschulmanagements (wie vor einiger Zeit Sabine Kunst im DLF) mit der Behauptung auftreten, #IchbinHanna betreffe doch ohnehin nur die Geisteswissenschaften, dann weiß man auch warum: Plausibles Kriterium für Finanzierungsbedarf ist in diesen Kreisen offenbar schon jetzt nur noch (Arbeits-)Marktkompatibilität, und logische Konsequenz innerhalb dieses Mindsets dann der Abbau dieser Fächer. Wer rettet die Wissenchaft vor solchen Verwaltern?

#2 -

Prof. Dr. Klau… | Mi., 06.07.2022 - 11:55
Das Südafrika-Kooperationsprogramm SAG-CORE, Ausschreibung 2020, wurde einseitig gänzlich gestoppt, obwohl die National Science Foundation Süafrika schon Finanzierungszusagen an die südafrikanischen Partner von exzellent begutachteten sozialwissenschaftlichen Kooperationsprojekten herausgeschickt hat. Es wäre zu prüfen, ob da nicht in einem justiziablen Sinne die Grundsätze von Treu und Glauben verletzt wurden. Interessant, wenn Bundeskanzler Scholz vor etwa zwei Monaten Südafrika besucht und kund tut, dass die Zusammenarbeit gestärkt werden soll und gleichzeitig Kooperationsmittel für eine verstärkte wissenschaftliche Zusammenarbeit gestrichen werden.

#3 -

naja | Mi., 06.07.2022 - 13:35
@Literaturwissenschaftlerin
Sie schreiben
''Wer rettet die Wissenchaft vor solchen Verwaltern?''

Für weite Teile der Geistes- und Sozialwissenschaften gilt aber leider seit einigen Jahren: Wer rettet die Wissenschaft vor sich selbst?

Kurzum: ein gewisser Kahlschlag schadet hier nichts. Der führt hoffentlich dazu, dass man in diesen Disziplinen sich wieder auf wissenschaftliches Argumentieren besinnt.

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