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Bitte besser machen

Ein Forscherkonsortium übt nach der Ablehnung seines Förderantrags massive Kritik am DFG-Begutachtungsverfahren – und formuliert Vorschläge, was die Förderorganisation ändern sollte.

Website des Graduiertenkollegs (Screenshot).

SELTEN GELINGT ES, dass Ärger über einen abgelehnten Fortsetzungsantrag so viel konstruktive Energie freisetzt. Doch genau das, behaupten die 16 Wissenschaftler*innen von drei Universitäten und drei Forschungsinstituten, sei die Motivation für ihren Brief gewesen, den sie im Juni an Katja Becker geschickt haben, die Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

 

"Wir fechten das Ergebnis der Begutachtung nicht an, möchten aber an unserem konkreten Beispiel auf Mängel im Verfahren und grundlegende, strukturelle Fehler hinweisen", schreiben die Unterzeichner*innen darin, allesamt beteiligt am Internationalen Graduiertenkollegs (GRK) "Geoökosysteme im Wandel auf dem Tibet Plateau (TransTiP)", dessen Fortsetzung sie bei der DFG beantragt hatten. Womit sie bei den Gutachtern durchfielen.

 

Doch sie wollen deshalb nicht beleidigt sein. Sondern, schreiben sie Becker, ihre Erfahrungen schildern, damit die DFG daraus lernen kann. Und zu diesem Zweck machen sie auf fünf eng beschriebenen Seiten konkrete Verbesserungsvorschläge. 

 

Die DFG schickte acht Männer und eine Frau –
die dann befanden, "TransTiP" sei zu wenig divers

 

Antje Schwalb ist Geologin und Klimaforscherin mit exzellentem Ruf, vielfach engagiert und vernetzt, unter anderem saß sie bis 2015 sechs Jahre lang im DFG-Senat. An der TU Braunschweig leitet sie das Institut für Geosysteme und Bioindikation an der TU Braunschweig. Und sie ist Sprecherin von "TransTiP", das neuerdings nur noch eine Auslauffinanzierung erhält.

 

Schwalb sagt, für sie sei besonders befremdlich gewesen, dass "eine deutsche, zu fast 90 Prozent männliche, unzureichend informierte Begutachtungsgruppe uns den Vorwurf machte, unser Professorinnenanteil sei zu gering, und dann – selbst fachfremd – meinen Kolleginnen ihrer Passfähigkeit absprach". Außerdem hätten die Gutachter Fakten ignoriert oder in ihrer Ablehnungsbegründung falsch dargestellt.

 

Doch der Reihe nach. "TransTiP" bietet Promovierenden ein wissenschaftliches Dach, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Geoökosysteme auf dem Tibet-Plateau befassen. Im Graduiertenkolleg können sie interdisziplinär mit chinesischen Kollegi*nnen zusammenarbeiten und gemeinsam, so stellen das zumindest die "TransTiP"-Verantwortlichen dar, "komplexe Probleme lösen“.

 

Den 16 Wissenschaftler *innen zufolge haben 90 Prozent der Promovierenden ihre Dissertationen in gemittelt 45 Monaten zu Ende geführt – beides überdurchschnittliche Werte –, alle hätten Jobs als Postdocs oder in fachnahen Behörden und Unternehmen gefunden und erfolgreich wissenschaftlich publiziert. 

 

Angestoßen durch den direkten Austausch der Promovierenden mit der lokalen Bevölkerung in Tibet und passend zur Arbeit des chinesischen Partnerinstituts sei zuletzt ein neuer Forschungsbereich entstanden: "Environmental Humanities", der erstmals die Geistes- und Sozialwissenschaften in das GRK integriert.

 

Alles in allem eine durchaus beeindruckende Bilanz, sollte man denken – und genug Anlass, eine zweite Förderphase zu beantragen.

 

Verlorene Informationen,
widersprüchliche Ansagen

 

Umso ärgerlicher sei gewesen, was während der Begutachtung passiert sei, berichten Schwalb und ihre Mistreiter*innen:  Man "habe uns doch letztes Mal schon gesagt, der Anteil an Professorinnen wäre zu gering, wir blieben diesmal sogar noch unter dem deutschen Durchschnitt“, zitieren sie in ihrem Bericht an DFG-Präsidentin Becker einen Gutachter. "Dazu gab er falsche Zahlen wieder."

Tatsächlich habe der Professorinnen-Anteil bei "TransTiP" mit gut 27 Prozent leicht über dem Schnitt aller DFG-Graduiertenkollegs gelegen. Demgegenüber mute es dann fast zynisch an, dass es in dem neunköpfigen Begutachtungsgremium nur eine Frau gegeben habe. "Wie kann es sein, dass die Geschäftsstelle der DFG zwar in ihren Entscheidungsgremien seit vielen Jahren Geschlechterparität propagiert, für die entscheidende Begutachtung aber eine Begutachtungsgruppe einsetzt, die zu fast 90 Prozent aus Männern besteht?", fragen die "TransTiP" Wissenschaftler*innen. 

 

"Ausgesprochen ungünstig" sei darüber hinaus gewesen, dass es im Vorfeld der Begutachtung ein Hin und Her bei den betreuenden DFG-Mitarbeitern gegeben habe. Dadurch seien Informationen, die während der Vorbereitung des Fortsetzungsantrages besprochen worden waren, teilweise verloren gegangen – zum besprochenen Ablauf der Begutachtungsgespräche etwa und den dabei zugelassenen Beteiligten. "Die zuerst zuständige Person sagte dies, die zweite jenes und am Ende war wieder die erste verantwortlich“, sagt Antje Schwalb. "Und beide äußerten sich in einem Ton, als sei es doch selbstverständlich so und könne gar nicht anders sein." Hier gebe es offenbar von Begutachtung zu Begutachtung "unterschiedliche Handhabungen" seitens der DFG-Geschäftsstelle, finden die 16 Briefeschreiber. 

 

Die angewandten Begutachtungskriterien kritisieren Schwalb und ihre Mitstreiter ebenfalls – und die dabei immer wieder auftauchende Inkohärenzen. So hätten die Gutachter auf dem vermeintlich so großen CO2-Fußabdruck von "TransTiP" herumgeritten. "Warum, wurde uns nicht klar", sagt Schwalb. Denn dann müsse man ja konsequenterweise alle internationalen Präsenzveranstaltungen streichen. "Die DFG hat aber letztes Jahr mit ihrem chinesischen Counterpart ein neues Kooperationsprogramm ausgeschrieben, um die Anbahnung längerfristiger Kooperationen zu fördern. Und gleichzeitig schießt man eine gut laufende Kooperation ab?"

 

Wollen die Wissenschaftler*innen doch
nur den Frust über die Ablehnung loswerden?

 

So detailliert die Vorwürfe klingen, so stellt sich doch die Frage, ob die "TransTiP"-Wissenschaftler*innen trotz aller Beteuerungen vor allem den Frust über die Ablehnung loswerden wollten. Wie repräsentativ ist das, was sie erlebt haben? Und was lässt sich wirklich daraus lernen?

 

GRK-Sprecherin Schwalb sagt: eine Menge. "Wir wissen von vielen Kolleginnen und Kollegen, die in DFG-Begutachtungsverfahren ähnliches erlebt haben. Die meisten schweigen danach jedoch, weil sie ja wieder Anträge stellen wollen. Wir finden aber: Schweigen macht nichts besser."

 

Insgesamt 26 Vorschläge zu Vorbereitung und Ablauf der Begutachtung, zur Auswahl der Gutachter, zu den Begutachtungskriterien und zur grundsätzlichen Qualitätssicherung haben sie ihrem Bericht beigefügt. Darunter mehr Diversität und mehr fachliche Expertise im Gutachtergremium, mehr Kontinuität bei den von der DFG-Geschäftsstelle verantworteten persönlichen Zuständigkeiten und Kohärenz bei Verfahrensabläufen – und ein "Briefing der Begutachtenden bezüglich wertschätzender Grundeinstellung, Würdigung des

Projekts und vor allem Wichtigkeit der Rolle der moderierenden Person für diese Punkte". >>>



 >>> Und was sagt die DFG dazu? Auf Anfrage schickt sie ein paar sehr allgemeine Sätze. Sie nehme "Kritik und Anmerkungen von Geförderten grundsätzlich sehr ernst; daher haben wir mittlerweile auf den Brief von Frau Schwalb, der Ihnen ja vorliegt, geantwortet." Womit die DFG den wohlgemerkt den Brief meint, den auch die 15 weiteren "TransTiP"-Wissenschaftlern unterschrieben haben, darunter Forschende der Universitäten Braunschweig, Hannover und Jena, je eines Max-Planck- und Leibniz-Instituts und des zu Helmholtz gehörenden Geoforschungszentrums in Potsdam.

 

Am konkretesten ist die DFG-Geschäftsstelle bei ihrer "Verwunderung" darüber, dass die "TransTiP"-Macher überhaupt einem Journalisten "interne und damit vertrauliche Informationen aus der Begutachtung" weitergegeben hätten. 

 

Dazu sagt Schwalb: "Worüber genau erregt sich die DFG? Wo fängt denn Vertraulichkeit an? Mitarbeitende der Geschäftsstelle und Begutachtende sollten Stillschweigen über eine Begutachtung wahren. Aber warum sollte ich nicht über meine Erfahrungen berichten dürfen?" Das würde sie nur einsehen, wenn es eine Schlichtungsstelle gäbe. "Warum existiert die nicht?" Es gebe Vertrauensdozierende, Ombudspersonen, die DFG veröffentliche Leitfäden  für die gute wissenschaftliche Praxis, "an die wir uns halten sollen, aber woran orientiert sich die DFG-Geschäftsstelle? Wer greift hier, wenn nötig, korrigierend ein?"

 

Schwalb und ihre Mitstreiter*innen sind überzeugt: In den von der DFG organisierten Begutachtungsverfahren geht so einiges drunter und drüber. Dass die Online-Begutachtung wie auch die anschließende Posterdiskussion der Nachwuchswissenschaftler*innen jeweils mit einer halben Stunde Verspätung begonnen hätten, sei da noch das geringste Problem gewesen, sagt Schwalb. Doch sei dann auch noch unklar gewesen, wer die Gesprächsleitung habe. Und in nur in einer von drei Posterdiskussionen hätten die Gutachter tatsächlich die Poster diskutiert. "Sehr irritierend", heißt es im Bericht an die DFG, sei dann später unter anderem die Kritik der Begutachtenden gewesen, die integrative Funktion der Postdocs innerhalb des GRK sei nur bedingt zum Ausdruck gekommen – obwohl diese auf allen Postern dargestellt gewesen sei. Doch hätten die Gutachter die anwesenden Promovierenden und Postdocs danach eben nie gefragt – und als sich die Antragsteller in der großen Gruppe zu eben diesem Punkt hatten äußern wollen, sei die Diskussion abgebrochen worden.

 

"Gleichermaßen irritierend finden wir es", schreiben die "TransTiP-"Wissenschaftlerinnen weiter, "dass kritisiert wurde, der chinesische Beitrag sei weniger sichtbar, zumal die Geschäftsstelle zuvor nur die GRK-finanzierten Promovierenden zur Posterdiskussion zugelassen, die chinesische Seite aber ausgeschlossen hatte. Und warum richteten die Begutachtenden keine einzige Frage an die chinesischen Partner*innen, obwohl die chinesische Seite mit neun Kolleg*innen und zehn Promovierenden anwesend war?"

"Unsere Fragen wurden von der DFG keineswegs beantwortet", sagt die Sprecherin des Kollegs

 

Nur ein paar Beispiele unter vielen, die in dem Brief der Wissenschaftler*innen an die DFG aufgelistet werden. Ihren Bericht über die Begutachtung beenden die 16 mit dem Fazit: Gar nicht berücksichtigt worden sei die "hochpolitische Kompetente", die eine akademische Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlich mittlerweile hochentwickelten China schon in sich selbst habe, "erst recht und insbesondere im Spannungsfeld Tibet". Diese zusätzlichen Herausforderungen, schreiben Schwalb und ihre Kolleg*innen, hätten sie "mit viel Fingerspitzengefühl und Vertrauensbildung zusätzlich zu allen Forschungsaktivitäten und -leistungen gemeistert, was in keiner Weise in der Begutachtung Würdigung fand". Und sie fragen: "Wird dieses Begutachtungsverfahren dem Aufwand, den wir mit Blick auf Forschung, Training, Kooperation und politischer Überzeugungsarbeit geleistet haben, überhaupt gerecht?"

 

Den Brief samt Bericht hat übrigens nicht DFG-Präsidentin Becker selbst beantwortet, sondern die zuständige Abteilungsleiterin. Was genau in dem Antwortschreiben steht, sagt Antje Schwalb nicht, weil der Brief ja an sie persönlich gegangen sei. Außer dass die DFG offenbar denke, dass alles fair gelaufen sei. Sie habe jetzt für Anfang August einen Gesprächstermin in der DFG-Geschäftsstelle vereinbart, sagt Schwalb, "weil unsere Fragen keineswegs beantwortet wurden."

 

Einen Lichtblick immerhin gibt es: Den neuen Forschungsschwerpunkt "Environmental Humanities" können die "TransTiP"-Leute vor allem dank einer Förderung durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) erstmal weiterbetreiben – mit erstmal zwei neuen Doktoranden. 



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Kommentare: 14
  • #1

    Marauder (Mittwoch, 27 Juli 2022 09:33)

    Als Hinweis: Die Teilnehmenden von Seiten der Geschäftsstelle sind nicht für die Begutachtung zuständig und daher für die Einschätzung des Frauenanteils irrelevant. Ich finde diese Kritik von den Antragsteller*innen daher unredlich. Es ist sogar weitaus wahrscheinlicher, dass von der DFG-Geschäftsstelle ein reines Frauenteam die Begutachtung leitet, denn diese sind dort mit an die 70% absolut in der Überzahl.

  • #2

    Hans (Mittwoch, 27 Juli 2022 10:19)

    Vielen herzlichen Dank für den Mut der Kolleg*innen, mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen - und damit eine längst überfällige Diskussion anzustoßen.

    Ich selbst habe in einem anderen Fach und einem anderen Typ von Verbundantrag ähnliche Erfahrungen gemacht und kenne ähnliche Berichte auch von anderen Antragsstellenden für SFBs oder GRKs bei der DFG. Ich gehe daher davon aus, dass das keine Einzelfälle sind.

    Wechselnde Zuständigkeiten, Zuständigkeit von selbst interdisziplinär sehr unerfahrenen Personen bei interdisziplinären Projekten, unklare Prozesse und Vorgehensweisen, Verwendung von Diversitäts- und Proporzargumenten als K.O.-Kriterium ohne angemessenen Blick auf Fakten und bei unklarem Verhältnis von Exzellenz-Anforderungen und Diversitätsanforderungen, massive Übergewichtung von einzelnen Gutachterargumenten, die gerne andere Themen oder ihre eigenen fachlichen Perspektiven bearbeitet sehen wollen (und die wie wir alle nur das sehen können, was sie kennen!), die wissenschaftsfremde Kurzinformation über die Ablehnungsgründe durch selektives Exzerpt der Geschäftsstelle aus den Begutachtungsprotokollen ohne Korrekturmöglichkeit bei Fehlern - all das führt dazu, dass der massive und jahrelange Aufwand bei Verbundanträgen ad absurdum geführt wird.

    Jedoch - einiges davon entsteht in Interaktion zwischen der DFG und den begutachtenden Wissenschaftler*innen - so dass letztere viel Einfluss darauf nehmen können (und sollten), wie solche Verfahren laufen. Wir brauchen in vielen Fächern eine deutlich kooperativere und konstruktivere Sozialisation von Gutachtenden, die mehr auf die (Weiter-)Entwicklung von guten Forschungsideen und -projekten zielt als auf deren Abschuss in wettbewerblichen Verfahren.

  • #3

    Forschungskoordination (Mittwoch, 27 Juli 2022 10:43)

    Die Kritik an den DFG-Begutachtungsverfahren mag berechtigt sein und Optimierungspotential vorhanden sein. Was mich jedoch überrascht ist, dass hier in diesem Blog und auch in anderen Plattformen das Begutachtungsverfahren bei den Bundesprogrammen (BMBF/BMWK Ausschreibungen etc.) (bisher) nicht thematisiert wird. Da gäbe es aus meiner Sicht deutlich größeren Verbesserungsbedarf.

  • #4

    Marauder (Mittwoch, 27 Juli 2022 11:20)

    Hinweis an Hans: Die Förderentscheidungen der DFG basieren auf Peer Reviews. Die DFG-Geschäftsstelle nimmt keinen Einfluss auf die Bewertung von Kriterien, es sei denn, bestimmte Aspekte werden unrechtmäßig zu schwer gewichtet. Alle Entscheidungen werden aber durch gewählte Gremien getroffen, in denen Vertreter*innen aus der Wissenschaft stets zahlenmäßig die Mehrheit haben. Die Kritik am Vorgehen der DFG sollte demnach (in großen Teilen zumindest) eine Kritik am Selbstverständnis der Gutachtenden sein.

  • #5

    René Krempkow (Mittwoch, 27 Juli 2022 12:46)

    Es gibt zum Thema der Begutachtungsprozesse in der DFG eine Präsentation zu einer Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung - GfHf (s. www.hof.uni-halle.de/dateien/gfhf2011/Klein.pdf), sowie eine Dissertation mit dem Titel "Entscheidungsfindungsprozesse von Gutachtergruppen
    Panel-Peer-Review am Beispiel des DFG-Begutachtungsverfahrens von Sonderforschungsbereichen" (s.
    https://edoc.hu-berlin.de/handle/18452/17598).

  • #6

    Klaus Diepold (Mittwoch, 27 Juli 2022 17:17)

    cetero censio ...
    Vergabe von Forschungsgeldern sollte mittels eines intelligenten Losverfahrensgeregelt werden. Viele der hier angesprochenen Reibungspunkte lösen sich dann auf.

  • #7

    Conrad (Mittwoch, 27 Juli 2022 18:25)

    Wenn gelost wird, muss dennoch vorher eine Qualitätsprüfung stattfinden...

  • #8

    Ruth Himmelreich (Donnerstag, 28 Juli 2022 09:36)

    Bei der DFG gibt es eine Reihe von Problemen. Eines davon ist, ganz richtig bemerkt, die "Beißhemmung" der Mitgliederversammlung, die Organisation zu einer größeren Serviceorientierung, vor allem bei der Geschäftsstelle, zu bewegen. Was in gewisser Weise schwierig ist, denn der Verein verteilt ja nicht die Mitgliedsbeiträge, sondern die sehr erheblichen Mittel von Bund und Ländern, so dass viele mindestens implizit fürchten, bei lautem Protest bei künftigen Anträgen schlechter abzuschneiden.

    Und wenn man sich anschaut, dass die Entscheidungsfindung von Gutachtenden im wesentlichen von der Geschäftsstelle vorbereitet wird, ist das keine allzu weltfremde Befürchtung.

    Die Geschäftsstelle sieht sich zu sehr als wissenschaftspolitischen Akteur und Wissenschaftsaufsichtsbehörde mit ihren ganzen Vorgaben, von der Diversität bis zu den Quadratzentimern der Begutachtungs-Schnittchen. Das ist natürlich spannender als sich auf guten Service als Kernaufgabe zu konzentrieren...

  • #9

    Düsentrieb (Donnerstag, 28 Juli 2022 11:35)

    @Himmelreich. So ist es. Aber wie könnte es besser werden? 0. Das BMBF nimmt sich der Sache an, denn die können sich das leisten, machtpolitisch. Notfalls wird der jährliche Aufwuchs von 3% ausgesetzt bis die DFG die Kritik ernst nimmt. 1. Alle Antragsteller, egal ob erfolgreich oder nicht, bewerten die Geschäftsstelle anonym nach Dienstleistungsorientierung. 2. Diese Evaluationen werden ausgewertet durch eine unabhängige Organisation, für das BMBF. 3. Die Angestellten der DFG-Geschäftsstelle bekommen ihre eigene Medizin zu schmecken: LOM! D.h. Bonuszahlungen oder Malus-Abschläge je nach Evaluationsergebnis.

  • #10

    Wissenschaftler (Freitag, 29 Juli 2022 13:54)

    Ideen für faire DFG-Begutachtungen? Hier wird impliziert, die DFG-Auswahlverfahren seien nicht fair! Dem möchte ich als selbst betroffene Person, mit Projekt-Befürwortungen und -Ablehnungen, vehement widersprechen. Ganz im Gegenteil. Ich halte die DFG Verfahren im internationalen Vergleich für herausragend. Bei der DFG-eingereichte Projekte durchlaufen einen zwei- bis vierstufigen Begutachtungsprozess durch Peers. In einem übergreifenden Ausschuss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (gewählt durch Peers auf Zeit), sei es das Fachgremium oder ein Senatsausschuss bei Graduiertenprogrammen, erfolgt die Diskussion und (Nach)-Justierung der durch die Gutachtenden aufgezeigten Stärken und Schwächen des Projektes. Zudem erfolgt eine vergleichende Abwägung mit parallel eingereichten Anträgen aufgrund dessen eine Reihung vorgenommen wird. Die Finanzen und die Anzahl an Projektanträgen bestimmen die Förderquote, die dazu führt, dass auch zur Förderung empfohlene Projekte abgelehnt werden. Die qualitative Trennlinie zwischen Finanzierung und Ablehnung der Projekte ist nicht immer scharf. Deshalb ein Losverfahren der zur Förderung empfohlenen Projekte vorzuschlagen, wäre für klar bessere Projekte als die an der Trennlinie ein wirklich unfairer Schritt.
    Zu den 26 Ideen:
    Die Vorschläge für die Auswahl von Gutachtenden (Ideen 1-5) ist das was die DFG praktiziert. Nicht immer steht die Idealbesetzung des Gutachtergremiums zur Verfügung, das liegt nicht an der DFG sondern an Befangenheiten (Kooperationen, gleiche Forschungseinrichtung, etc.) und Zeitnöten möglicher Gutachtenden.
    Die Vorschläge zur Vorbereitung der Begutachtung sind ebenfalls DFG Standard (siehe entsprechende DFG Broschüre). Die kulturellen Besonderheiten im Umgang mit den Forschenden des internationalen Partnerlandes könnten erarbeitet werden. Was die Wertschätzung der beteiligten Personen und des Projektes betrifft, halte ich dies für einen selbstverständlichen und zentralen Punkt. Jeder Forschende weiß, wieviel Zeit und Herzblut in einem Projektantrag investiert werden, das gilt im besonderen Masse für Projektverbünde wie ein Graduiertenprogramm mit internationaler Zusammenarbeit. Eine Geringschätzung ist hier absolut fehl am Platze!
    Einige Vorschläge zum Ablauf der Begutachtung sind konstruktiv. Aus eigener Erfahrung kenne ich die engen Zeitfenster der einzelnen Phasen der Vor-Ort Begutachtung, die manchmal an eine Zumutung für Begutachtende und Begutachtete grenzen. Das ließe sich nur mit der Bereitschaft mehr Zeit zu investieren und z.B. mit längeren Pausen (die mehr Flexibilität erlauben) lösen. Video-basierte Begutachtungen sind eine noch größere Herausforderung, an Mensch und Technik. Punkt 13. und 14. sind eigentlich selbstverständlich, mag aber in einer Corona-bedingten Videoevaluation kompromittiert (gewesen) sein. Eine Teilnahme der Partnerseite sollte unbedingt erfolgen und ggf. im Merkblatt der DFG spezifiziert werden (Idee 15).
    Vorschläge zu den Begutachtungskriterien. Die Begutachtungskriterien sind im entsprechenden DFG-Merkblatt klar geregelt. Idee 17 spricht einen interessanten Punkt an, Gutachtende sehen ihre eigene Fachexpertise unzureichend vertreten. Das sollte bei der Begutachtung eines Graduiertenkollegs in dem Gremium der Gutachtenden, dem auch eine beobachtende Person als Vertretung des Senatsausschusses beiwohnt, ausdiskutiert werden. Bei uneinheitlicher Meinungslage bzw. bei einem Monitum würde dieser Punkt im Plenum des Ausschusses nochmal zur Sprache kommen. Eigentlich gibt es diese Kontrollen. Hier könnte unter Umständen nochmal nachgeschärft werden. Punkt 18. Ist Standard und Punkt 19. halte ich für nicht stichhaltig!
    Allgemeine Vorschläge zur Qualitätssicherung: Punkt 23. Aufzeichnung der Begutachtung (ohne interne Beratungen) halte ich bei Zustimmung aller Beteiligten für sinnvoll. Das gilt auch für die Vorab-Einsichtnahme des Protokolls.
    Vielleicht lässt sich das insgesamt faire und transparente DFG-Auswahlverfahren mit einigen dieser Vorschläge nochmal nachjustieren. Mit dem Ziel es noch besser zu machen oder machen zu wollen, kann der Aufwand für jedes Begutachtungsverfahren erhöht werden. Klar ist aber auch, für die DFG Begutachtungen sind wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verantwortlich und müssen bereit sein einen Mehraufwand mitzutragen.

  • #11

    Nikolaus Bourdos (Freitag, 29 Juli 2022 15:44)

    Ich möchte mich den Ausführungen von #10 anschließen: Fairer als bei der DFG kann es im Großen und Ganzen kaum laufen. Mir erscheint es nicht sachgerecht und ich finde es bedenklich, aus einer einzelnen Begutachtung eine allgemeine Kritik zu formulieren. An dieser Kritik kann man selbst einiges kritisieren, z. B. orientiert sich ein angemessener Frauenanteil nicht an anderen Verbünden, sondern an den Möglichkeiten der beteiligten Partner oder an potenziellen Partnern im näheren geografischen Umfeld. Dass man einer überwiegend männlichen Gutachtergruppe die Fähigkeit abspricht, die Diversität eines Konsortiums zu beurteilen, finde ich sportlich. Letztlich ist aus der Ferne nicht zu beurteilen, wie stichhaltig die Argumente insgesamt sind. Nur so viel: Ja, es ist nicht immer nachvollziehbar und verständlich, weshalb ein Vorhaben abgelehnt wird. Und kein System ist perfekt. Aber diese Art der Generalabrechnung finde ich leicht überzogen.

  • #12

    Frederik (Montag, 01 August 2022 13:29)

    Die DFG gehört als e.V. den Mitgliedern, nämlich den Universitäten. Sie sind es - und nicht das BMBF- die sich letztlich als Aufsichtsorgan mit den Anliegen beschäftigen sollten. Das gilt übrigens auch in Richtung Politik, wo sie ggfs. die DFG vor weiteren außerwissenschaftlichen Anforderungen im Sinne der Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit schützen sollten.

  • #13

    Christian Klaus (Dienstag, 02 August 2022 17:42)

    Ist nicht interessant, dass die Verbesserungsvorschläge 1-22 gar nichts Neues fordern, sondern nur Umsetzung dessen, was die DFG-Begutachtung für sich in Anspruch nimmt? Auch der Rest ist ganz bodenständig: Rebuttal - viel diskutiert, manchmal praktiziert. Bedauerlich, dass die wissenschaftliche Leitung der DFG angeschrieben wird, aber nicht antwortet, sondern die Geschäftsstelle, die gerade kritisiert wird. Ist leider inzwischen öfter so.

    Die Verwunderung der DFG über die Ansprache von Journalisten verwundert mich. Wo hätte man das Thema so diskutieren können wie hier im Blog?

    @Marauder: Arbeitest Du in der DFG oder kennst Du sie nicht? Niemand sonst würde die Webseiten-Inhalte der DFG als Kommentar zitieren (aber ohne Angabe des Weblinks).

  • #14

    Thomas (Sonntag, 07 August 2022 12:28)

    Als Antragsteller, Leiter von Forschungsverbünden inkl. einer Graduiertenschule, Gutachter und Mitglied eines der 49 DFG Fachkollegien kann ich den Frust der Antragsteller:innen über den abgelehnten Fortsetzungsantrag sehr gut nachvollziehen. Auch Frust und Probleme bei der Begutachtung einzelner weniger Anträge haben viele erfahrene Kolleginnen und Kollegen erlebt. Insgesamt werden wir in Deutschland aber um die von Wissenschaftler:innen geleitete DFG und die Durchführung des Begutachtungsverfahrens sehr beneidet, da primär nach wissenschaftlicher Innovation und Exzellenz entschieden wird, und Begutachtungsverfahren viel transparenter sind als beispielsweise beim BMBF oder der EU. Als Antragsteller erhält man z.B. die Kommentare der Gutachter:innen und Stellungnahmen des jeweiligen Fachkollegiums, und hat i.d.R. die Möglichkeit einen verbesserten Antrag wieder einzureichen.

    Leider sind die Fördermittel begrenzt und es müssen deutlich über 70% aller Anträge abgelehnt werden. Bei den Ablehnungsgründen spielen wissenschaftliche Kriterien die Hauptrolle und auch im vorliegenden Fall wurde sicher zunächst das Gesamtkonzept beurteilt, dann jeder Einzelantrag und am Schluss wurden Aspekte wie Erfolg des Vorantrags, Koordination, Datenhandhabung, Gender etc. beurteilt. Hier mag der Professorinnen-Anteil von 27% kritisiert worden sein – das hätte ich als Gutachter auch gemacht bei 35% Anteil von Frauen bei Habilitationen. Aber die Geschäftsstelle des zuständigen Fachkollegs zu kritisieren zu wenig Frauen als Gutachter:innen bestellt zu haben ist dann doch etwas schwach. Wir wissen doch alle, dass Frauen in der Wissenschaft deutlich überproportional u.a. in Gremien sitzen und für Gutachten angefragt werden, wodurch auch die DFG-Geschäftsstellen der Fachkollegien anschließend überproportional hohe Absagen von Wissenschaftler:innen erhalten. Dann vorzuschlagen man solle insbesondere Expert:innen mit viel internationaler Erfahrung und möglichst mit Leitungserfahrung von Verbünden hinzuziehen, ist kontraproduktiv, da diese unterproportional zur Verfügung stehen.

    Insgesamt stört mich an der Kritik, dass diese primär auf „weiche“ Faktoren basiert wie die hohe Anzahl der männlichen Gutachter (89% im Vergleich zu 73% bei den Antragsteller:innen), Promotionserfolg und Jobaussichten, CO2-Fußabdruck, Unruhe in der DFG-Geschäftsstelle durch Personalwechsel und wenig auf die wissenschaftlichen Kriterien eingeht, die sicherlich der Hauptgrund für die Ablehnung waren.

    Das Schreiben mit 26 konstruktiven Vorschlägen zur Verbesserung des Begutachtungsverfahrens ist hilfreich, aber viele Punkte sind bereits seit Jahren gängige Praxis bei der DFG (siehe detaillierte Stellungnahme von “Wissenschaftler“ vom 29.7.2022), ebenso die Kontinuität und größtenteils hohe Qualität und professionelle Arbeit in den Geschäftsstellen (ich kenne drei). Personalwechsel finden immer mal statt und Übergänge sind dann häufig holprig – das kennen wir alle. Die DFG in ihrer Gesamtheit dafür zu kritisieren ist aber nach meinem Empfinden nicht angemessen. Angemessen und verdient wäre aber dennoch gewesen eine Antwort von der DFG-Leitung zu erhalten und nicht der kritisierten DFG-Geschäftsstelle des zuständigen Fachkollegs. Das ist in der Tat kein guter Stil.