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"Keine Innovation ohne Daten"

Bislang war vor allem von BMBF-Einsparungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften die Rede. Doch jetzt warnt auch der Direktor der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur: Mitten in der Begutachtung droht der Förderstopp für die gesamte dritte NFDI-Auswahlrunde.

NFDI-Direktor York Sure-Vetter. Foto: Amadeus Bramsiepe, KIT.

Herr Sure-Vetter, das BMBF kürzt Millionen an Forschungsförderung für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI), deren Direktor Sie sind, soll dagegen nächstes Jahr genauso viel Geld bekommen wie dieses Jahr, gut 56 Millionen Euro. Glück gehabt? 

 

Schön wär’s. NFDI ist ein langfristig geplantes Vorhaben, finanziert über eine Bund-Länder- Vereinbarung, die bis 2028 läuft und einen Aufbau von NFDI in drei Wellen vorsieht. Wenn es für nächstes Jahr bei den 56 Millionen bleibt, heißt das: Der komplette Aufwuchs für 2023 ist weg, bis zu 25 Millionen Euro, die wir für die Finanzierung der bereits laufenden dritten Auswahlrunde brauchen.

 

Was ist eigentlich die NFDI, und wem kommt sie zugute?

 

Die Nationale Forschungsdateninfrastruktur soll die Datensouveränität für die Forschung in Deutschland sicherstellen und langfristig ausbauen. Dazu bündeln wir über alle Wissenschaftsbereiche hinweg Expertise, wie mit Forschungsdaten umgegangen werden kann, wie sie langfristig archiviert werden können, wie die Arbeit mit sehr großen Datenmengen organisiert werden kann, und wie all das unter Einhaltung der Datenschutzgrundverordnung passiert. Diese Expertise entsteht in bundesweiten Konsortien, die alle Bundesländer und hunderte Wissenschaftsorganisationen umfassen. Diese Konsortien sind das Herzstück der NFDI, 19 von ihnen haben wir bereits ausgewählt und finanzieren sie, bis zu 30 sollen es laut Bund-Länder-Vereinbarung werden.

 

Sie sagen es selbst: "bis zu 30". Keiner hat Ihnen also die 25 Millionen extra garantiert.

 

Das stimmt nicht ganz. "Bis zu 90 Millionen Euro" im Endausbau ist eine ziemlich konkrete Zahl in der Bund-Länder-Vereinbarung. Wie viele Konsortien genau in der dritten Runde für die Förderung ausgewählt werden, entscheidet allerdings die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern, da haben Sie Recht. Bei den ersten beiden Runden ist die GWK indes eins zu eins der Empfehlung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefolgt, die die Anträge begutachtet hat. Ich möchte den Gutachtern im gerade stattfindenden Auswahlprozess nicht vorgreifen, aber ohne eine substanzielle Anzahl neuer Konsortien wäre die NFDI nicht vollständig. Wir brauchen den kontinuierlichen Mittelzufluss, denn sonst verlieren wir die Datensouveränität in der Forschung: gegenüber kommerziellen Playern, aber auch gegenüber anderen Staaten. Keine Innovationen ohne Daten, so einfach ist das.  

 

Sie benutzen, wie es mir scheint, ganz bewusst ein Schlagwort aus dem Ampel-Koalitionsvertrag: die Souveränität Deutschlands und Europas. In den vergangenen Wochen war viel von einer strategischen Neuausrichtung der Forschungspolitik die Rede. Wenn es die tatsächlich gibt, müsste die NFDI davon sogar noch profitieren, ist das Ihre Botschaft?

 

Das könnte man meinen. Unsere Zukunft als Technologienation hängt davon ab, dass Daten in hoher Qualität dauerhaft und in immer größerem Umfang zur Verfügung stehen. Aber wir sehen natürlich auch die Realität, was um uns herum passiert, und wie sich die politischen Ereignisse auf die öffentlichen Haushalte auswirken. Trotzdem: Die NFDI hat bereits maßgebliche Beiträge geleistet, zum Beispiel durch eine schnelle einberufene Task Force in der Pandemieforschung, um die Daten aus klinischen Studien besser und schneller zusammenzuführen. Und unsere Konsortien adressieren weitere große Herausforderungen unserer Gesellschaft.

 

"Gemeinsame Standards zum Datenaustausch
fallen nicht vom Himmel."

 

Zum Beispiel?

 

Nehmen Sie die Klimaforschung, wo wir die Daten unter Einbeziehung unterschiedlicher Wissenschaftszweige zusammenführen und gemeinsame Lösungen und Standards finden. Was übrigens ein extrem wichtiger Aspekt ist: auch in der Klimaforschung gibt es eine Zersplitterung in viele Communities, national wie international. Gemeinsame Standards zum Datenaustausch fallen da nicht vom Himmel, sie müssen miteinander geschaffen und etabliert werden. Gerade sind wir in der NFDI so richtig am Brummen, aber auch die Datenmengen wachsen mit exponentieller Geschwindigkeit, und sie werden immer schneller benötigt. Darum brauchen wir dringend die Einbeziehung der weiteren Wissenschaftsbereiche. 

 

Wie viele Wissenschaftseinrichtungen gehören zu einem NFDI-Konsortium?

 

Das können je nach Bereich sehr viele sein. Das Konsortium "NFDI4Earth", welches die Klimaforschung adressiert, hat um die 60 Partner an Bord. Bei "NFDI4Culture" sind es um die 80 Partner. Insgesamt wirken bei NFDI große technische Universitäten, kleinere Hochschulen, Fraunhofer-, Leibniz- und Max-Planck-Institute, Helmholtz-Zentren und weitere Forschungsorganisationen mit. Jedes Konsortium bündelt die für eine Wissenschaftsgemeinschaft wichtigen Forschungs- und Forschungsinfrastruktur-Einrichtungen.

 

Wie weit ist die dritte Antragsrunde fortgeschritten?

 

16 Bewerberkonsortien aus ganz Deutschland haben ihre Anträge eingereicht mit über 100 beteiligten Institutionen. Das bedeutet, dass hunderte von Forschenden in Vorleistung getreten sind, sie haben Anträge geschrieben und die Begutachtungen mitgemacht. Die wiederum von Dutzenden Experten durchgeführt wurden. Die DFG-Begutachtung ist bereits vorbei, jetzt gehen die Voten der Gutachter an die GWK, die im Herbst das finale Wort spricht. Das Problem ist, wenn die GWK entscheidet, ist es womöglich schon zu spät, um beim BMBF-Haushalt für 2023 noch nachzubessern. Darum müssen wir jetzt darauf hinweisen: Wenn es bei der derzeitigen Planung bleibt, ist der gesamte Auswahlprozess auf Eis gelegt. Darunter auch der einzigartige Projektantrag aller bestehenden 19 Konsortien, in einem gemeinsamen Konsortium "Base4NFDI" Basisdienste zu entwickeln. Basisdienste, die allen Wissenschaftlern in Deutschland, die mit Forschungsdaten arbeiten wollen, zugutekommen.

 

Was für Dienste sind das?

 

Der Wichtigste ist, dass Sie sich mit ein und demselben Account bei jedem beliebigen Portal und Speicherort mit Forschungsdaten einloggen können, möglichst niedrigschwellig. Ein Dienst, den hunderttausende Forschende am Tag nutzen könnten. Ein anderes Beispiel ist die Formulierung gemeinsamer Schnittstellen über unterschiedliche Datendienste hinweg, eine Art gemeinsamer Datendienste-Marktplatz.

 

Haben Sie Signale aus dem BMBF, dass man dort Ihre Sorgen ernstnimmt?

 

Neulich habe ich mit dem zuständigen parlamentarischen Staatssekretär Mario Brandenburg gesprochen. Seitdem kann ich sagen: Das Problembewusstsein ist da. Die Frage ist, ob dieses Problembewusstsein zu Aktivitäten führt, die für uns wiederum Planungssicherheit schaffen. Im Moment hängen die Antragsteller der beantragten Konsortien komplett in der Luft.



Nachtrag am 28. Juli, 19 Uhr:
BMBF: Bund kommt seinen Verpflichtungen zur NFDI "vollumfänglich" nach

 

Am frühen Donnerstagabend reagierte das Bundesforschungsministerium auf die Warnungen des NFDI-Direktors vor einem Förderstopp. Die Äußerungen Sure-Vetters zur Finanzierung der Konsortien seien für das BMBF "nicht nachvollziehbar", sagte ein Sprecher. Die Entscheidungen über neue Konsortien würden im November 2022 von Bund und Ländern in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) gefällt. "Das BMBF kommt der Bund-Länder-Vereinbarung hinsichtlich der Verpflichtungen des Bundes vollumfänglich nach." Voraussetzung sei jedoch, dass die bisher bewilligten Mittel auch vollständig abgerufen würden.


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