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Auf die Kanzlerin kommt es an!

Warum es gut ist, dass die kurze Phase monokratischer Hochschulleitungen überwunden wurde. Ein Gastbeitrag
von Hans-Gerhard Husung.

Hans-Gerhard Husung (SPD) war Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung in  Berlin und von 2011 bis 2016 Generalsekretär der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK). Foto: privat.

WENN DER ALTPRÄSIDENT von zwei Exzellenzuniversitäten zur Feder greift, ist ihm Aufmerksamkeit sicher. In der FAZ vom 11. Mai 2022 stellte Dieter Lenzen "Paradoxien im Kanzleramt" fest und leitete daraus Reformvorschläge für die Position des Hochschulkanzlers ab. Bereits beim Versuch einer Ursachenanalyse der misslichen finanziellen Lage der Universität Halle wird die Methode deutlich: konsequente Komplexitätsreduktion um der klaren Botschaft willen. "Wer die Verantwortung hat, entscheidet", womit Lenzen "im klarsten Fall" den Präsidenten oder die Präsidentin meint als Dienstvorgesetzte der Kanzler oder Kanzlerinnen. 

 

Um die Frage nach der Fachkompetenz von monokratischem Präsidenten und Präsidentin in Haushalts-, Personal- und Rechtsangelegenheiten gar nicht erst aufkommen zu lassen, gliedert Lenzen die Finanzverantwortung zusammen mit dem Kanzler als Beauftragter für den Haushalt aus dem Präsidium aus und schiebt sie dem Hochschulrat zu. Der allein soll die Kanzlerin oder den Kanzler kontrollieren und folglich auch über die Besetzung der Kanzlerposition als klassische Verwaltungsleitung entscheiden; die Bestellung erfolgt dann, wenn es nach Lenzen geht, durch das Land als Eigentümer. 

 

Erinnert dieser Vorschlag nicht stark an die Kuratorialverfassung der 1950er Jahre? Würde die Umsetzung eines solchen formal organisationssoziologisch motivierten Vorschlags die Hochschulen tatsächlich voranbringen und ihre Selbststeuerungsfähigkeit stärken? Oder wäre das Gegenteil der Fall?

 

Aushandlungsprozesse
statt Basta-Entscheidungen

 

Aus guten Gründen haben wir die kurze heroische Phase der monokratischen Hochschulleitung überwunden. Ein Blick in die Hochschulgesetze zeigt, dass 15 von 16 Bundesländern eine kollegiale Hochschulleitung vorsehen mit einer gleichberechtigten, in Finanzangelegenheit privilegierten Mitgliedschaft des Kanzlers bzw. der Kanzlerin. Allerdings verraten Gesetze, Grundordnungen und Organigramme nur wenig über die realen Aushandlungsprozesse in einer Hochschule, die realitätsnäher mit dem Governance-Ansatz als umfassendes Steuerungs- und Regelungssystem einer Hochschule erfasst werden können – und das dürfte auch für das 16. Land – Brandenburg – mit seinem monokratischen Leitungsansatz gelten. 

 

Denn in Anlehnung an die Wissenschaftsratsempfehlung zur Hochschulgovernance von 2018 geht es in Hochschulen nicht primär um hierarchische Basta-Entscheidungen, sondern um die Berücksichtigung verschiedener Interessen der Hochschulangehörigen in vielfältigen Entscheidungsstufen. Die Governance einer Hochschule muss nach Auffassung des Wissenschaftsrates "Handlungsspielräume so verteilen, dass die Autonomie einzelner Akteure gewahrt bleibt und diese sich zugunsten der Hochschule insgesamt abstimmen können. Da die Hochschulen sich stets in Auseinandersetzung mit internen und externen Veränderungen entwickeln, ist auch die Gestaltung der entsprechenden Strukturen und Prozesse ein kontinuierlicher Vorgang, der niemals als abgeschlossen zu betrachten ist", so hat es der Wissenschaftsrat formuliert.

 

Es war weniger die Einführung der Einheitsverwaltung der Hochschule am Ende der 1960er Jahre als vielmehr der seit Ende der 1980er Jahre verstärkte Wettbewerb, der neue professionelle Anforderungen an Hochschulleitungen stellte. Dieser wird begleitet von Größenwachstum, einer Diversifizierung der Finanzquellen mit Bedeutungszunahme der Drittmittel, einer Stärkung der Autonomie und entsprechender Verantwortungszunahme sowie einer internen Differenzierung – etwa in Form teilautonomer Zentren, durch kooperative Forschungsformate und eine leistungsorientierte Mittelverteilung. 

 

Die Prinzipien des New Public Managements waren und sind einerseits Instrumente zur Bewältigung der skizzierten Entwicklungen und treiben sie andererseits voran, nicht zuletzt mit dem Kaskaden-System der Ziel- und Leistungsvereinbarungen. Strategische Entwicklungsplanung ist für die Hochschulen unabdingbar geworden. Dabei ist nur allzu oft zu beobachten, dass schöne Pläne zur Erfüllung externer Erwartungen geschmiedet werden; weniger ausgeprägt ist bisweilen die systematische Verknüpfung mit der strategischen Ressourcenplanung und Budgetierung, um die gesteckten Ziele nach innen wirksam zu verfolgen. An dieser entscheidenden Stelle wird die zentrale Schwäche von Lenzens Vorschlag offenkundig, weil er diese notwendige strategische Verknüpfung zwischen Zielen und Mitteln im Rahmen eines ganzheitlichen Steuerungskonzepts und verantwortet von einer kollegialen Hochschulleitung nicht nur nicht vorsieht, sondern systematisch ausschließt.

 

Der Glamour der Profilierung entbindet
nicht vom Schutz der Wissenschaftsfreiheit

 

Zudem entbindet der Glamour der Profilierung und strategischen Schwerpunktsetzung nicht von der alltäglichen Pflicht, die im Grundgesetz-Artikel 5 garantierte Wissenschaftsfreiheit auch materiell für alle Grundrechtsträger sicherzustellen. Hierin liegt nur ein Bespiel für die Bedeutung der Kanzlerposition als "Transformationsamt", wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem lesenswerten Urteil von 2018 (2 BvL 10/16) zur Befristungsproblematik der Kanzlerposition in Brandenburg herausgearbeitet hat: Es geht darum, "politische Vorgaben in gesetzeskonformes und rechtsstaatliches Verwaltungshandeln umzuwandeln."  

 

Auch wenn die Länder differenzierte Wege bei der Legitimation, den Abwahlmöglichkeiten, den Amtszeiten und den statusbezogenen Amtsbezeichnungen gegangen sind, ist der Funktionskern gleich: Der oder die Kanzlerin ist ein hauptamtliches Rektoratsmitglied für den Bereich der Wirtschafts- und Personalverwaltung. Professioneller Sachverstand und Unabhängigkeit sind für diese Position prägend; durch die in einigen Ländern im Vergleich mit dem Präsidenten oder der Präsidentin längeren Amtszeit der Kanzler und Kanzlerinnen wird das Erfordernis von Kontinuität für diesen Aufgabenbereich unterstrichen.

 

In dieser legitimatorischen Differenzierung kommt natürlich auch eine gewisse formale Differenzierung des hochschulpolitischen Mandats zum Ausdruck: Die Rückkopplung des Amtes an eine Wahl, verbunden mit der Möglichkeit einer Abwahl durch die akademischen Gremien, korrespondiert mit dem Grad der hochschulpolitischen Verantwortlichkeit. Für die notwendige Zusammenarbeit zwischen Präsident oder Präsidentin mit dem Kanzler oder der Kanzlerin hat es sich beispielsweise als förderlich erwiesen, wenn beide Leitungspositionen nicht in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, sondern beide denselben "Vorgesetzten" haben, den Hochschulratsvorsitz oder das Ministerium, die im Konfliktfall als externe Dritte auf den Plan treten könnten. Im Schatten dieser Drohung gedeiht Zusammenarbeit in der Hochschulleitung.

 

Lenzens Vorschlag, die Beauftragung für den Haushalt nicht dem Kanzler, sondern einem anderen Mitglied der Hochschulleitung zu übertragen, ist möglich, seine Motivation jedoch fragwürdig, nämlich seine unterstellte Befürchtung: Die Kanzlerin oder der Kanzler könnte wissenschaftliche Strategieentscheidungen dadurch unterlaufen, dass sie "ihre" Verwaltung "nicht konsequent und kompetent" zur Umsetzung anhalten. Dass Lenzen hier eher durch Hörensagen als aus eigener Erfahrung getrieben sein dürfte, zeigen die Kanzlerpersönlichkeiten, mit denen er es in seinen Amtszeiten an der FU Berlin und der Universität Hamburg zu tun hatte. 

 

Hochschulverwaltung sollte  

gelebte Ermöglichungskultur sein

 

Lenzens vermeintlich Lösung schafft ein nicht zu unterschätzendes Problem, nämlich eine klassische Kollegialitätsfalle: Die Übertragung dieser wichtigen haushalterischen Funktionen mit Vetomacht auf ein Hochschulleitungsmitglied aus der Wissenschaft ist geeignet, notwendige finanzielle "Sperrigkeit" hinter die kollegiale Erwartungen des Präsidenten und der Präsidentin sowie der übrigen akademischen Hochschulleitungsmitglieder zurückzustellen. Auch dieser Vorschlag eröffnet keinen neuen Königsweg. 

 

Hochschulverwaltung sollte professionelle, gelebte Ermöglichungskultur sein. Sie leistet mit ihren Kompetenzen und ihrem mitgestaltenden Verwaltungshandeln wichtige Beiträge zum Gesamterfolg einer Hochschule in Forschung, Lehre und Transfer. Das fängt bei der Reisekostenabrechnung an und geht bis dahin, Gestaltungsaufgaben wie komplexe Kooperations- und Finanzierungsformen in kooperativen Verbünden zu entwickeln und zu managen. Dass dieses Profil noch nicht überall in gleichem Maße realisiert sein mag, unterstreicht die Bedeutung des Kanzlers und der Kanzlerin als Führungspersönlichkeit für die Kultur einer Hochschuladministration. Das Image eines klassischen Verwaltungsjuristen, der hinter einem großen Stapel Akten brütet, gehört der Vergangenheit an. 

 

Diversität nicht nur beim Geschlecht, sondern auch bei der Ausgangsqualifizierung ist bei den Amtsinhaberinnen und -inhabern unverkennbar. Nachgewiesene Erfahrungen und Kompetenzen in früheren Positionen markieren einen Karriereweg, der noch weniger planbar ist als in der Wissenschaft und dessen Anforderungen sich dynamisch entwickeln. Mit der Befristung des Wahlamts ist zugleich ein erhebliches Berufsrisiko verbunden, denn nicht in allen Ländern sind hinreichende Auffangperspektiven für den Ernstfall vorgesehen. Es ist nur konsequent, dass diese Führungsposition in die leistungsorientierte W-Besoldung überführt wird; denn auf den Kanzler oder die Kanzlerin kommt es an. Insofern besteht mancherorts tatsächlich Beratungsbedarf, wo noch der alte, versteckte Grundsatz aus Kuratorialverwaltungszeiten gilt: Der Kanzler und die Kanzlerin sollen gefälligst mindestens eine Gehaltsstufe unterhalb des Hochschulabteilungsleiters im Ministerium eingruppiert sein. Das ist in der Tat Denken von gestern.



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