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Wie wird der Herbst?

KMK-Präsidentin Prien will dringend Gesundheitsminister Lauterbach treffen und über die Maskenpflicht sprechen. Das Luftfilter-Programm für Schulen ist gescheitert, und ein führender Kindermediziner spricht von einer erfreulichen Corona-Lage: der Überblick zum Start des neuen Schuljahres.

DAS NEUE SCHULJAHR startet in fast allen Bundesländern ohne Corona-Auflagen in den Schulen. Zu den Ausnahmen gehört Brandenburg, das die erste Schulwoche zur "Schutzwoche" erklärt hat – mit drei Pflichttests für alle nicht geimpften Schüler und Lehrer. Ansonsten gilt auch hier: Klassenfahrten werden geplant, es gibt normalen Sportunterricht und Nachmittagsaktivitäten – und vor allem keine getrennten Kohorten. 

 

Die betonte Normalität steht in deutlichem Gegensatz zu den Warnungen, die etwa der Deutsche Lehrerverband (DL) den Sommer über abgesendet hat. DL-Präsident Heinz-Peter Meidinger sagte im ZDF, ohne ausreichende Schutzmaßnahmen drohten im Herbst 20 Prozent oder mehr der Lehrkräfte auszufallen, das fange man dann nicht mehr auf. "Dann kommt es zu Unterrichtsausfall, Klassen müssen tageweise zuhause bleiben."

 

Auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger gab in den vergangenen Wochen ein Interview nach dem anderen, in denen sie gezielte Vorbereitungen in den Ländern für den Winter forderte. Flächendeckende Schulschließungen dürfe es nicht mehr geben, sagte die FDP-Politikerin etwa der Neuen Osnabrücker Zeitung und betonte die Bedeutung von CO2-Ampeln, guten Kommunikationswegen zu den Eltern und digitalen Stresstests, "die zeigen sollen, ob es möglich ist, etwa Kindern in Quarantäne digitalen Unterricht zumindest anzubieten". 

 

Etlichen Kultusminister gehen die öffentlichen Ratschläge der nicht für Schulen zuständigen Stark-Watzinger inzwischen gehörig auf die Nerven. Es wäre schön, einmal ähnlich engagierte Äußerungen von ihr über Themen zu lesen, bei denen die Bundesministerin selbst in der Verantwortung stehe, sagen sie – etwa zu finanziellem Umfang und Zeitplan des von der Ampel groß angekündigten Startchancen-Programms. 

 

Lauterbach habe aus seinen Ankündigungen bislang keine Handlungen folgen lassen, sagt die KMK-Präsidentin

 

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Karin Prien, hat derweil einen Brief an Karl Lauterbach geschrieben. Sie wolle den Bundesgesundheitsminister möglichst bald treffen, sagt die CDU-Politikerin, die im Hauptberuf Bildungsministerin von Schleswig-Holstein ist, auf Anfrage. 

 

Der SPD-Gesundheitsminister hatte zusammen mit FDP-Justizminister Marco Buschmann einen 7-Punkte-Coronaplan für den Herbst vorgelegt und dabei auch Schulschutzkonzepte angekündigt, die in Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, Gesundheits- und Schulseite ausgearbeitet werden sollten. Daraus, sagt Prien, habe Lauterbach aber "bislang keine praktische Handlungen folgen lassen." Zu dem Gespräch habe sie neben Lauterbach auch die Landesgesundheitsminister und Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger eingeladen. Prien fügt hinzu: "Ich freue mich, dass auch Herr Lauterbach inzwischen seine Gesprächsbereitschaft signalisiert hat, erwartete nun aber auch, dass der Termin zeitnah zustandekommt."

 

Flächendeckende Schließungen von Kitas und Schulen will die Ampel-Koalition bei der anstehenden Novelle des Bundesinfektionsschutzgesetzes weiter ausschließen, eine Maskenpflicht ist den Plänen zufolge nur vorgesehen, "wenn dies zur Aufrechterhaltung eines geregelten Präsenz-Unterrichtsbetriebs erforderlich ist", und auch dann nur ab Klasse fünf.

 

Aber was genau soll das heißen? Hier sieht auch die KMK-Präsidentin "Unklarheiten". Bei der Formulierung, sagt Prien, komme eine Anordnung eigentlich nur abhängig vom Infektionsgeschehen "in jeder einzelnen Schule" in Frage. "In Schleswig-Holstein gibt es über 400 Schulen mit Schülerinnen und Schülern ab Klasse 5, wie soll das praktikabel sein? Diese Frage wird sich in einem Bundesland wie Nordrhein-Westfalen mit vielen tausend Schulen erst recht stellen." Die Bundesregierung müsse im Gesetzgebungsprozess Klärung schaffen.

 

Experten sehen keine Evidenz für
den Infektionsschutz durch Luftfilter 

 

Während etwa DL-Präsident Meidinger forderte, die Sommerferien für den Einbau von Lüftungsanlagen zu nutzen, hat sich das 2021 gestartete Bundesprogramm zur Förderung mobiler Luftfilter als Misserfolg erwiesen. Bis 11. August hätten die Länder lediglich 43,2 Millionen Euro in Anspruch genommen – nur ein gutes Fünftel der verfügbaren Mittel in Höhe von 200 Millionen Euro, teilte das Bundeswirtschaftsministerium der Nachrichtenagentur dpa mit. Da das Programm am 31. Juli ausgelaufen sei, handle es sich bereits um die endgültige Bilanz der Auszahlungen. Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) sprach  in der Rheinischen Post von einem "Flop". Einer, der nicht wirklich überraschend kommt.

 

Und einer, der dem Corona-Expertenrat der Bundesregierung zufolge immerhin keine dramatischen Folgen haben dürfte. Jörg Dötsch ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). Der Rat, in dem er Mitglied ist, habe in seiner 11. Stellungnahme im Juni 2022 dargestellt, welche Evidenz es für die Wirksamkeit von Luftfiltern gebe, sagt Dötsch. Nachweisbar sei, dass die Geräte Viren oberhalb einer bestimmten Partikelgröße aus der Atemluft filterten. "Aber bislang zeigen wissenschaftliche Studien nicht, dass dieser Effekt schnell und stark genug ist, um die Ansteckungswahrscheinlichkeit in Räumen mit Luftfiltern zu senken."

 

Sind die Luftfilter also teure Stromfresser, die nichts bringen außer Lärm? Nichts zwangsläufig, sagt Dötsch, der die Kinderklinik der Uniklinik Köln leitet – aber bislang fehle eben der Nachweis ihrer Wirksamkeit. Bis der erbracht sei, sollte das Geld statt für Luftfilter lieber für andere Maßnahmen ausgegeben werden. "Für CO2-Ampeln zum Beispiel." Über diese lasse sich verlässlich bestimmen, wann gelüftet werden muss und wann das Fenster wieder geschlossen werden kann. "Richtiges Lüften wird umso wichtiger sein, wenn diesen Winter weniger geheizt werden sollte in den Schulen."

 

Worauf können sich Schulen als
"geschützte" Gaskunden im Herbst verlassen?

 

Apropos drohender Energiemangel: Auch über dieses Thema will KMK-Präsidentin Prien Gespräche führen. Anberaumt ist bereits ein Treffen mit dem Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Zwar seien Schulen sogenannte geschützte Kunden, aber auch für diese sehe die Gas-Notfallstufe nur die Deckung ihres "lebensnotwendigen Bedarfs" vor, sagt Prien. "Was genau dieser beinhaltet, wollen wir in Absprache mit Herrn Müller klären."

 

So gehen die Krisen an den Schulen ineinander über. Immerhin: Bei allen Debatten über mögliche Corona-Schutzmaßnahmen im Herbst stelle sich die Covid-19-Lage unter Kindern "erfreulicherweise" gut dar, sagt Kindermediziner Dötsch. "Wir haben nur sehr wenige Kinder mit Erkrankungen, die stationär behandelt werden müssen, noch weniger als bei vorigen Varianten. Hinzu kommt: Seit Omikron vorherrscht, beobachten wir zum Glück kaum noch Fälle von PIMS."

 

Am Montag registrierten deutsche Intensivstationen 15 Kinder und Jugendliche mit aktueller Corona-Infektion, acht weniger als Ende Juni aber neun mehr als vor genau einem Jahr. Trotzdem stellten die Minderjährigen damit laut DIVI-Intensivregister nur 1,9 Prozent aller Intensivpatienten. 

 

Und was ist mit den langfristigen Folgen? Die Forschungslage zu Long Covid unter Kindern und Jugendlichen sei immer noch nicht ganz klar, sagt Dötsch, aber es zeige sich, dass dieses Krankheitsbild im Vergleich zu Erwachsenen selten und meist eine Mischung aus verschiedenen Problemen sei. "Die Müdigkeit, die wir auch von anderen überstandenen Viruserkrankungen kennen, trifft beispielsweise auf die allgemeine persönliche Belastung durch die Pandemie und die Folgen der Lockdown-Maßnahmen. Schwere und dauerhafte Long-Covid-Fälle sind zum Glück noch seltener." Die Kölner Kinder- und Jugendklinik etwa habe seit Beginn der Pandemie insgesamt nur zwei Jugendliche mit solch schweren Verläufen auf die Station aufnehmen müssen, "insbesondere um andere schwere Erkrankungen auszuschließen. Kollegen in anderen Kliniken berichten ähnliches."

 

Vergleichsweise niedrige Corona-Inzidenzen
bei Kindern und Jugendlichen

 

Die vom Robert-Koch-Institut (RKI) registrierten Corona-Zahlen zeichnen ebenfalls eine vergleichsweise entspannte Lage unter Kindern und Jugendlichen. Nachdem die Schul-Pflichttests in allen Bundesländern im Frühjahr ausgelaufen waren, hatten sich die zuvor überdurchschnittlichen offiziellen Corona-Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen in ihr Gegenteil verkehrt. Vor den Ferien entfielen auf die unter 15-Jährigen noch 8,4 Prozent aller gemeldeten Neuinfektionen. In der vergangenen Kalenderwoche waren es 7,6 Prozent – bei einem Bevölkerungsanteil von rund 13 Prozent. Ohne Frage bleiben jetzt viele Corona-Infektionen bei Minderjährigen unentdeckt – bei Erwachsenen aber ebenfalls. Weshalb die gemessenen 7-Tages-Inzidenzen über alle Altersgruppen hinweg viel zu niedrig, aber dennoch besser vergleichbar sein dürften als während der Pflichttest-Zeit.

 

Fest steht: In den vergangenen Monaten waren stets auch nur rund fünf Prozent der Corona-Krankenhauspatienten 14 oder jünger, aber durchgängig zwei Drittel und mehr 60 und älter. Über den Sommer stieg der Anteil der Senioren an allen Hospitalisierungen teilweise auf 72 Prozent und mehr. Auch voll geimpft sind ältere Erwachsene deutlich häufiger von einem schweren Krankheitsverlauf betroffen als Kinder. Alles nicht neu. Aber alles Anlässe, bei der Debatte über mögliche Corona-Maßnahmen im Herbst die Jüngsten zur Abwechslung mal als letzte in den Fokus zu nehmen.

 

Hinweis: Ich habe die Formulierung, die Covid-19-Lage unter Kindern stelle sich "erfreulicherweise positiv" dar, in "erfreulicherweise gut" geändert. Außerdem habe ich einige Tippfehler im Text korrigiert. Ich bitte um Entschuldigung.



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