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"Mitnahmeeffekte und Doppelstrukturen"

Der Rechnungshof lässt nicht locker in seiner Kritik am Digitalpakt für die Schulen. Nicht alle Punkte sind berechtigt, doch Bildungsministerin Stark-Watzinger sollte aus den Fehlern ihrer Vorgängerin lernen.

SCHLUSS MIT DEM DIGITALPAKT SCHULE, fordert der Bundesrechnungshof in einer Fundamentalkritik des Programms, über das der Bund 6,5 Milliarden Euro für die IT-Ausstattung der Schulen in die Länder pumpt. Obwohl dessen Verlängerung, ein Digitalpakt 2.0, zu den wichtigsten bildungspolitischen Zielen der Ampel gehört.

 

Doch wie zuerst der Spiegel berichtete, halten die Prüfer die Konstruktion des Pakts für verfehlt. Das Bundesbildungsministerium habe zu wenig Steuerungs- und Kontrollrechte, um sicherzustellen, dass die Länder das Geld vernünftig ausgeben. Es seien zu viele Entscheidungsinstanzen beteiligt, außerdem würden die Mittel per Gießkanne auf die Länder verteilt, nicht nach Bedarf. Und das alles angesichts einer Bildungshoheit, die eindeutig bei den Ländern liege. "Auch angesichts der Finanzlage sollte sich der Bund auf seine verfassungsmäßigen Aufgaben konzentrieren. Schulangelegenheiten gehören nicht dazu." 

 

"Eklatante Verletzung des
Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit"

 

Es ist schon der zweite Rechnungshofbericht in diesem Jahr, der dem Bundesbildungsministerium drastische Mängel in seiner Digitalpolitik vorhält. Im Januar schrieben die Prüfer an den Haushaltsausschuss des Bundestages, die Umsetzung der "Nationalen Bildungsplattform" durch das Bundesbildungsministerium sei eine "eklatante Verletzung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und der Vorgaben des Haushaltsrechts". Es drohe eine "Förderruine".

 

2020 von der GroKo beschlossen und 2021 mit großem Bahnhof von Ex-Kanzlerin Angela Merkel und Ex-Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) als Kern einer neuen "Initiative digitale Bildung" gefeiert, haben bis heute die wenigsten verstanden, worin der Mehrwert des mit 630 Millionen Euro ausgestatteten Großvorhabens besteht. So, wie von der "Initiative digitale Bildung" seit dem Regierungswechsel nichts mehr zu hören war. 

 

Die Bundesrechnungshof-Prüfer fanden sogar, eine tragfähige übergreifende Idee habe es nie gegeben – auch weil das BMBF vor Verkündung der Plattform keine Markterkundung oder Wirtschaftlichkeitsuntersuchung veranlasst habe. "Nach dem Haushaltsrecht ist es ungenügend, sich erst während der Durchführung einer Maßnahme zu fragen, ob sie notwendig, wirtschaftlich und tragfähig ist", schrieb der Rechnungshof und sah "mit zunehmender Sorge die Gefahr", dass das BMBF hunderte Millionen für "kleinteilige und unverbundene Projekte verausgabt, an deren Ergebnissen kein Bedarf besteht und die am Ende keine Anschlussperspektive haben". Wegen der zu erwartenden jährlichen Betriebs- und Folgekosten für Bund und Länder, sofern diese teilnähmen, in einem zwei- bis dreistelligen Millionenbereich".

 

Kaum weniger heftig fiel die Kritik der Prüfer an den sogenannten "länderübergreifenden Maßnahmen" im Digitalpakt aus, für die 250 Millionen der 6,5 Bundesmilliarden reserviert sind. Um sie zu bekommen, müssen sich jeweils mehrere Bundesländer für die Schaffung gemeinsamer Infrastrukturen zusammenschließen. Doch mangels geeigneter Strukturen war es ihnen bis zur Pakt-Halbzeit Anfang 2022 gerade mal gelungen, mit Ach und Krach 53 der 250 Millionen zu verplanen. 

 

Mitnahmeeeffekte und
Doppelstrukturen?

 

Und selbst die sieben finanzierte Projekten seien überwiegend solche, die die Länder schon vor dem Digitalpakt vorgehabt hätten und nun halt mit dessen Geldern finanzierten. Von "Mitnahmeeffekten" und Doppelstrukturen sprach der Rechnungshof – während das eigentliche Ziel, die Länder zu neuen Formen der Kooperation zu bewegen, verfehlt werde, denn daran zeigten diese "nicht das nötige Interesse". 

 

Ein paar Beispiele. Seit 2018 wollten die Länder, dass das Medieninstitut FWU, in dem sie selbst die Gesellschafter sind, ein deutschlandweites ID-Managementsystem etabliert, so dass Schüler und Lehrer sich bei der Nutzung digitaler Bildungsinhalte verschiedener Anbieter nur einmal und datensicher registrieren müssen. Als der Digitalpakt kam, beschlossen sie, ihn für die Finanzierung von "VIDIS" zu nutzen – per Auftrag ans FWU, der laut Rechnungshof "entgegen den Fördervoraussetzungen" des Digitalpakts war. Zudem hatte das BMBF pikanterweise schon selbst zuvor beim Hasso-Plattner-Institut (HPI) den Ansatz eines solchen Dienstes gefördert.

 

Und zwar im Rahmen der Schulcloud, die das Ministerium seit 2016 beim HPI entwickeln ließ, obwohl die meisten Länder eigene Clouds am Start hatten und, so sah es der Rechnungshof, "kein Interesse am Aufbau einer deutschlandweiten Schulcloud" zeigten. Heute betreiben lediglich Brandenburg, Niedersachsen und Thüringen HPI-Schulclould-Portale. Selbst als das BMBF während des Corona-Lockdowns 2020 allen Schulen bundesweit den kostenlosen Zugang anbot, griffen laut Rechnungshof-Bericht nur zwei Prozent der Schulen zu – die übrigen hätten schon andere Lösungen für sich gefunden gehabt.

 

Fest steht: Von den bis Januar 2022 für länderübergreifende Maßnahmen verplanten 53 Digitalpakt-Millionen gehen allein 34 in die Weiterentwicklung der HPI-Schulcloud in diesen drei Ländern – obwohl es laut Kritikern geeignete Angebote seit Jahren am Markt gab. "Aber nicht so eine", hielt dem HPI-Chef Christoph Meinel schon vor zwei Jahren entgegen.

 

Und dann ist da "SODIX", das ebenfalls von der FWU umgesetzte Suchportal für Bildungsmedien, bezahlt mit Digitalpakt-Geld, bei dem der Rechnungshof sagt: Moment! Das BMBF fördert doch mit www.wirlernenonline.de noch ein Portal für Bildungsmedien. 

 

Eine Gelegenheit für
Bettina Stark-Watzinger?

 

Die Liste der Rechnungshof-Vorwürfe aus dem Januar ist weitaus länger. Sie alle laufen auf die Forderung heraus, die Förderlinie der länderübergreifenden Digitalpakt-Maßnahmen möglichst schnell zu beenden. Das BMBF sei in seinen Bemühungen, bundesweit übergreifende Maßnahmen und einheitliche Standards für die Digitalsierung zu befördern, gescheitert – und sollte daher von weiteren Strategien und Begleitprojekten außerhalb des Digitalpakts absehen. "Es fehlt ihm hierfür nicht nur die Zuständigkeit. Seine Initiativen führen vielmehr zu Angeboten, die redundant zu denen der Länder und damit unwirtschaftlich sind."

 

Das BMBF hatte wie bei Rechnungshof-Berichten üblich in beiden Fällen die Gelegenheit zur Entgegnung. Und hat sie, unter alter wie unter neuer Leitung, ausführlich wahrgenommen. Die meisten Kritikpunkte wies das Ministerium dabei zurück: Natürlich sei es zuständig, und der Bedarf zur Digitalisierung an den Schulen sei "so offensichtlich" gewesen, dass eine Bedarfserhebung nur zu jahrelangen Verzögerungen geführt hätte. Und die Konstruktion des Digitalpakts sei nun einmal so, dass das Ministerium seine Vorstellungen gegenüber den Ländern nicht einseitig durchsetzen könne. Einen Zusammenhang zwischen Digitalpakt und Nationaler Bildungsplattform könne man im Übrigen nicht sehen. 

 

Kein Zweifel: Nur weil die Prüfer etwas mit deutlichen Worten kritisieren, müssen sie nicht automatisch in allen Punkten Recht haben. Zumal sich etwa bei der Bildungsplattform in den vergangenen sieben Monaten einiges getan haben soll und ein länderübergreifendes System wie "VIDIS" mehr als sinnvoll ist. Auch "SODIX" (auch für lizensierte Inhalte) und "www.wirlernenonline.de" (nur OER) sind beim besten Willen nicht das gleiche. 

 

In jedem Fall verfolgt der Rechnungshof, so betont objektiv er seine Berichte formuliert, eine sehr eigene – seinem Selbstverständnis folgende – Perspektive. Zu der gehört, dass er sich weniger für langfristige politische Ziele interessiert, die sich im Föderalismus manchmal nur über Umwege erreichen lassen. Dafür umso mehr für eine bis ins Detail reichende Korrektheit der Verfahren. Dabei ist die Wirtschaftlichkeit der Einzelteile nicht immer gleichbedeutend mit Wirtschaftlichkeit und gesellschaftlichem Nutzen des Großen und Ganzen. Doch den Prüfern geht es oft eben auch ums – ordnungspolitische – Prinzip. 

 

Dennoch eröffnet gerade der Januar-Bericht des Bundesrechnungshofs der BMBF-Leitung unter Bettina Stark-Watzinger (FDP) eine große Chance. Kürzlich hat die CDU-/CSU-Bundestagsfraktion eine parlamentarische Anfrage gestellt, was genau die Nachfolgerin von Anja Karliczek in Sachen digitaler Bildung vorhat. Stark-Watzinger kann, sie muss die Rechnungshof-Kritik nutzen und an den Stellen, wo sie berechtigt ist, beherzigen. Nicht um den versprochenen Digitalpakt 2.0 zu lassen, sondern um ihn besser zu machen.

 

Zum Beispiel indem sie die Länder stärker in die Verantwortung nimmt, neue Doppelstrukturen vermeidet und ihren Teil dafür tut, dass die Verfahren zur Projektauswahl und -bewilligung weniger verschachtelt und zugleich transparenter werden. Auch sollte sie sich dafür einsetzen, dass die Kommunen als eigentliche Schulträger im nächsten Pakt ein größeres Mitbestimmungsrecht erhalten. Dann funktionieren auch die Paktinvestitionen besser. Die bisherigen Fehler sind die ihrer Vorgängerin. Alle künftigen Fehler sind dann ihre eigenen. 

 

Dieser Artikel erschien heute in gekürzter Fassung zuerst in meiner Kolumne "Wiarda Will's Wissen" im Tagesspiegel.



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Kommentare: 1
  • #1

    Digital Non-Native (Dienstag, 30 August 2022 17:01)

    Wer mit Ministerien - sei es Land oder Bund (oder EU) - zu tun hat, wird das bestätigen können: Es ist erschreckend, wie ahnungslos man dort durch die moderne, digitale Welt stolpert.
    Man hat jahrelang die Digitalisierung verschlafen, und jetzt muss alles hoppla-hopp gehen: Es werden blind nicht miteinander arbeitende Softwaren gekauft oder programmiert, mit dem lapidaren Satz "dann müssen wir nur noch schnell eine Schnittstelle schaffen". Niemand hat hier irgendwo einen übergeordneten Masterplan, jeder macht was er/sie will. Die EU arbeitet von Haus aus dezentral, was digitalen Lösungen spinnefeind ist, das Ressortprinzip der Regierungen ist nicht viel besser. Die Koordinationsstellen (wohl in den Staatskanzleien oder dem Kanzleramt) - wenn es sie gibt - versagen völlig. Dabei gibt es doch die Vorbilder - man schaue nach Estland!
    Ich prophezeie in spätestens 5 Jahren die große Schnittstellendiskussion in Bund und Ländern, weil nichts nirgends kompatibel ist und dann "mal schnell" die Schnittstelle generiert werden soll.
    Es macht manchmal echt keinen Spaß mehr in dem Metier...