Die linke Oppositionspolitikerin Petra Sitte über die Kommunikationsstrategie von Forschungsministerin Stark-Watzinger, Sparzwänge im BMBF-Haushalt und forschungspolitische Antworten auf die Zeitenwende: ein Interview.
Petra Sitte ist seit 2005 Bundestagsabgeordnete und in dieser Legislaturperiode Sprecherin der linken Bundestagsfraktion für Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik. Foto: Harald Krichel/Wikimedia, CC BY-SA 4.0.
Diese Woche ist Haushaltsdebatte im Bundestag, und der Vorsitzende des Bundestagsforschungsausschusses, Kai Gehring, hat sich zu Wort gemeldet. Er forderte Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger auf, das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel, bis 2025 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung in Forschung Entwicklung zu investieren, mit einem konkreten Aufwuchsplan zu hinterlegen. Was sagt es aus, wenn sich ein Ampel-Abgeordneter bemüßigt fühlt, eine Ampel-Ministerin öffentlich an die gemeinsame Vereinbarung zu erinnern?
Ich kann mich nicht erinnern, Ähnliches schon mal erlebt zu haben. Die Realität ist, dass der BMBF-Haushalt 2022 effektiv eine halbe Milliarde unter dem Vorjahr liegt. Und nächstes Jahr werden es nur 186 Millionen Euro mehr. Und die Ankündigung, dass wenigstens 2024 ordentlich etwas draufgelegt wird, ist erstmal nur eine Ankündigung. Trotzdem, fürchte ich, wird die Ampel das 3,5-Prozent-Ziel sogar schneller erreichen als 2025.
Das fürchten Sie?
Ja. Weil das Bruttoinlandsprodukt so stark einzubrechen droht, dass schon die gegenwärtigen Investitionen ausreichen könnten, um auf die 3,5 Prozent zu kommen. Aber das bedeutet dann natürlich gar nichts. Deshalb halte ich eine Zielzahl, die sich an der Wirtschaftsleistung misst, auch für den falschen Maßstab. Die Ampel hätte absolute Summen, was sie wofür in Bildung und Wissenschaft ausgeben will, in den Koalitionsvertrag schreiben können. Das wäre transparent gewesen. Hat sie aber nicht.
Indirekt zum Teil schon. Zum Beispiel steht drin, dass der Zukunftsvertrag Studium und Lehre künftig analog zum Pakt für Forschung und Innovation (PFI) wachsen soll, das heißt: ebenfalls um drei Prozent pro Jahr.
Womit man Hochschulen und Forschungsinstituten für längere Zeiträume verlässliche Garantien gibt. Das hätte die Ampel auch anderswo im Forschungshaushalt so handhaben können.
Neulich haben Sie eine parlamentarische Anfrage zu den umstrittenen Kürzungen einzelner Forschungsförderlinien gestellt. In ihrer Antwort hat die Bundesregierung unter anderem darauf verwiesen, dass "der garantierte Aufwuchs in manchen Bereichen" Mittel "in erheblichem Umfang" binde. Schnüren nicht genau diese Pakte dem BMBF-Haushalt die Luft ab?
"Als Oppositionspolitikerin bin ich sehr froh,
dass es die Pakte gibt, weil ich mir sage: Zumindest da können sie jetzt beim Sparen nicht ran."
Eine solche Argumentation kann man in der BMBF- Antwort zwischen den Zeilen lesen – als Versuch der Rechtfertigung für die Kürzungen. Als Oppositionspolitikerin bin ich allerdings sehr froh, dass es die Pakte gibt, weil ich mir sage: Zumindest da können sie jetzt beim Sparen nicht ran. Das eigentliche Problem ist doch, dass das BMBF sich keine Mühe gibt, die vorgenommenen Kürzungen inhaltlich zu begründen.
Das BMBF sagt: Es sei gar nicht gekürzt worden. Ich zitiere: "Zentrale Richtschnur bei Aufstellung des Haushalts war, dass bereits bewilligte Projekte weder gestrichen noch gekürzt werden."
So kann man antworten, wenn man keine Lust hat, die tatsächlichen Zusammenhänge offenzulegen. An anderer Stelle wird die geforderte Aufklärung über verzögerte Förderbescheide oder die möglichen Aussetzungen oder Streichungen von Programmlinien sogar abgelehnt mit der Begründung: "Die Frage fällt… in den Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung, da diese Vorgänge bzw. Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen sind." Auch das habe ich noch nicht erlebt. Eine weitere Formulierung in der Antwort des BMBF hat mich allerdings stutzig gemacht: Es seien keine aktuell laufenden Forschungsvorhaben "aus Kostengründen" abgebrochen worden. Ja, aber aus welchen Gründen denn dann bitte schön? An anderer Stelle verweist die Bundesregierung auf ihre noch ausstehende neue Zukunftsstrategie Forschung und Innovation. Wenn deren Ausrichtung der tatsächliche Grund für die Kürzungen sein sollte, wäre es schon schön, diese Strategie allmählich mal zu Gesicht zu bekommen.
Das BMBF sagt, die Zukunftsstrategie werde derzeit erarbeitet.
Aber schon jetzt deuten sich die Verschiebungen an. Ich habe mir den Haushaltentwurf für 2023 genau angeschaut, und da sieht man eine Verschiebung der BMBF-Forschungsförderlinien Richtung Technologie – während gesellschaftliche, gesundheitliche oder medizinische Fragestellungen nachrangiger zu werden scheinen.
Das ist nun aberKaffeesatzleserei. Muss man der Ampel und Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger nicht Zeit lassen, ihre Strategie zu erarbeiten und sich dann zu erklären?
Absolut! Ich bin die letzte, die hier zu ungebührlicher Eile drängt. Es hat keiner etwas davon, wenn so eine grundlegende Strategie mit heißer Nadel gestrickt wird, sonst entstehen Inkonsistenzen. Übrigens dürfen und müssen Strategien und Konzepte, auch nachdem sie fertig sind, jederzeit geschärft und nachgesteuert werden, um sie an neue politische und gesellschaftliche Anforderungen anzupassen oder auf Krisen reagieren zu können. Ich habe mich in der Coronakrise eher gewundert, wie unbeirrt in vielen Ministerien weitergewerkelt wurde wie zuvor. Die nötigen Veränderungen sind an vielen Stellen einfach ausgesessen wurden, auch im BMBF. Aber wenn ich mich wie die Ampel vor den Bundestag stelle und als Chancen- und Fortschrittskoalition brüste, dann muss ich doch zumindest ein paar strategische Eckpunkte zum Haushaltsentwurf mitliefern. Sonst wirkt das beliebig.
"Es ist legitim, dass die Regierung Entscheidungen trifft.
Die aber nicht von der Pflicht befreien, sie öffentlich zu erläutern und sich der Kritik daran zu stellen."
Sie kritisieren also gar nicht, dass das BMBF an bestimmten Stellen kürzt, sondern dass es die Gründe nicht mitliefert?
Die Demokratie ist immer ein Aushandlungsprozess. Ist doch klar: Wenn ich als Regierung an der einen Stelle mehr Geld gebe, beschwert sich keiner. Wenn ich dafür aber an anderer Stelle etwas wegnehme, kommt sofort der Vorwurf der falschen Schwerpunktsetzung. Unter Umständen auch von mir als Oppositionspolitikerin. Trotzdem ist es legitim, dass die Regierung Entscheidungen trifft. Die aber nicht von der Pflicht befreien, sie öffentlich zu erläutern und sich der Kritik daran zu stellen.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat seit Ende Februar die politischen Handlungsgrundlagen komplett verändert – auch die Prioritäten im Bundeshaushalt. Fühlen Sie an der Stelle mit der Bundesforschungsministerin?
Wir stehen als Politikerinnen und Politiker gerade alle vor denselben Fragen. Wie gehen wir mit den Folgen von Krieg, Energiekrise, Inflation und Corona-Pandemie um? Wie schaffen wir es, dass die Gesellschaft bei sich bleibt, dass wir diesen riesigen Herausforderungen solidarisch begegnen? Keiner im Bundestag kann sich hinstellen und sagen: Ich habe den Masterplan, und was die anderen wollen, ist alles falsch. Aber genau deshalb fordern wir doch von der Regierung, dass sie ihre Entscheidungen vernünftig kommuniziert.
Wie meinen Sie das?
Wenn einerseits ein Sondervermögen für die Bundeswehr aufgelegt wird, dann kann man das kritisieren. Was wir als Opposition getan haben. Oder man verteidigt es, wie die Regierung es tut. Aber die Regierung muss sich dann auch fragen lassen, warum sie gleichzeitig in anderen Politikbereichen die Zuwächse streicht – was effektiv auf Kürzungen hinausläuft. Diese Gleichzeitigkeit irritiert.
Muss in so einer Situation eine BMBF-Chefin denn nicht Härte zeigen und Prioritäten setzen?
Die Ampelparteien haben Bildung und Forschung als zentrale Zukunftsfelder über Jahre wie eine Monstranz vor sich hergetragen, wogegen ich nichts sage. Das waren zugleich die Felder mit den größten Schnittmengen zwischen SPD, Grünen und FDP. Wenn der BMBF-Haushalt dann derart schwach ausfällt, muss man schon fragen, was da eigentlich schiefgelaufen ist. Und da hätten wir gern Antworten. Ich fürchte halt nur, es gibt die Strategie einfach noch nicht. Oder wenn, so besteht sie derzeit vor allem darin, sich erstmal durch Zumutungen einen finanziellen Spielraum zu schaffen. Also jetzt Zeter und Mordio auslösen, um dann später die Schwerpunkte, die noch definiert werden müssen, damit bedienen zu können. Das ist aber ein finanzpolitischer und noch längst kein wissenschaftspolitischer Ansatz. Ich würde als Oppositionspolitikerin langsam mal einen wissenschaftspolitischen Grundsatzstreit mit der Regierung austragen können, aber selbst dafür reicht es derzeit noch nicht.
"Bettina Stark-Watzinger springt rein in ein Ministerium,
das 17 Jahre lang in CDU-Hand war. Sie weiß nicht, wem kann sie vertrauen. Verständlich, dass sie sich erstmal freischwimmen muss."
Kritisieren ist halt einfacher als machen, oder?
Ich sage ja nicht, dass das für Bettina Stark-Watzinger einfach ist. Sie springt rein in ein Ministerium, das 17 Jahre lang in CDU-Hand war. Sie weiß nicht, wem kann sie vertrauen. Verständlich, dass sie sich erstmal freischwimmen muss. Das ist ein harter Durchsetzungsprozess.
Was würden Sie denn gerade tun, wenn Sie den Job von Bettina Stark-Watzinger hätten?
Ich würde schauen: Antworten wir mit unserer Forschungsförderung auf die Existenzfragen der Gesellschaft? Ich denke neben der Energie- und Klimaforschung, die zu Recht bereits im Fokus sind, an die Gesundheitsforschung, an die Corona-Forschung. An Forschungsfragen, die immens wichtig, sich aber für die Pharmaindustrie nicht rechnen. Wie der Umgang mit den zunehmenden Antibiotikaresistenzen, mit Demenz oder den vielfältigen neurologischen Erkrankungen. Genauso drängend sind die Fragen zur Zukunft unseres Gesellschafts- und Sozialsystems, nach sozialen Innovationen in unserer Verwaltung. Wie muss unsere Gesellschaft aufgestellt sein, damit sie sich morgen und übermorgen noch selbst aushalten kann? Das sind Kriterien, anhand derer ich die BMBF-Forschungsförderung durchleuchten würde.
Die Frage, wo Sie umgekehrt sparen würden, werden Sie vermutlich nicht beantworten.
Doch, die beantworte ich Ihnen! Man macht sich doch lächerlich, wenn man nur kritisiert und nicht selbst Vorschläge macht, die wiederum andere kritisieren können. Als erstes würde ich sagen: Wir müssen den Mut haben, die Forschungsförderung all der unterschiedlichen Bundesministerien, und da gibt es viel, nebeneinander zu legen und Schluss zu machen mit den zahlreichen Doppelstrukturen, die wir dann entdecken. In dem Zusammenhang könnten wir uns ganz aktuell fragen, ob die geplante Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) tatsächlich einen Mehrwert bringt.
Meinen Sie das ernst? Alle Experten sagen, Deutschland habe ein Problem mit der Umsetzung von Forschungsergebnissen in Innovationen und marktreife Produkte.
Es gibt doch seit vielen Jahren das Zentrale Innovationsprogramm (ZIM) beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), das teilweise identische Ziele verfolgt – aber viel zu gering dotiert ist. Und ZIM ist nur ein Beispiel. Parallel herrscht helle Aufregung bei der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsgemeinschaften (AiF), weil das BMWK die Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF) ausschreiben will und viele deshalb um die Existenzgrundlage der AiF fürchten. Mein Gefühl ist: Wir bauen mit der DATI Neues auf, weil es gerade angesagt ist, und machen parallel Dinge kaputt, die wir längst haben.
Sie haben vorhin gesagt: Sie sind froh, dass zumindest Zukunftsvertrag und Pakt für Forschung und Innovation (PFI) feststehen. Aber reichen drei Prozent Zuwachs überhaupt noch, wenn die Inflation bei sechs, acht und mehr Prozent liegt?
Trotz allem geht es den außeruniversitären Forschungseinrichtungen dank der vielen Jahre Aufwuchs nüchtern betrachtet noch um Klassen besser als den meisten Universitäten und Hochschulen. Und ich sehe bei den Außeruniversitären auch eher Reserven, um etwa auf die gravierenden Preissteigerungen für Energie reagieren zu können. Die haben die meisten Hochschulen nicht. Wenn plötzlich zweistellige Millionenbeträge zusätzlich für Gas und Strom fällig werden, fällt unsere Hochschullandschaft noch weiter auseinander. Darum würde ich, wenn, zunächst beim Zukunftsvertrag Studium und Lehre zulegen. Und ich würde als Bund in den nächsten Jahren sehr, sehr genau hinschauen, ob die Bundesländer wirklich ihre Kofinanzierung leisten – oder ob sie versuchen, dabei zu tricksen. Damit hat sie das BMBF in der Vergangenheit zu oft durchkommen lassen. Ich hoffe wirklich, Bettina Stark-Watzinger macht es an der Stelle besser.
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