Gerade in der Energiekrise müssen Hochschulen offen bleiben. Ein Gastbeitrag von Matthias Anbuhl.
Matthias Anbuhl ist Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW). Vorher leitete er die Abteilung für Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Foto: Kay Herschelmann.
ANJA STEINBECK, die Rektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU), twitterte es vergangene Woche: Um die mit dem Land Nordrhein-Westfalen vereinbarten 20 Prozent Energie einzusparen, würden an der HHU das Warmwassernetzwerk abgeschaltet, die Temperaturen in den Hochschulgebäuden abends früher abgesenkt und in den Bibliotheken die Öffnungszeiten um "weniger genutzten Randzeiten" gekürzt.
So weit, so nachvollziehbar. Als Hochschule 20 Prozent Energie einsparen zu müssen, verlangt nach kreativen Ideen und Maßnahmen, und diese Universitätsleitung kommuniziert früh und klar, was sie vorhat.
An einem Punkt störe ich mich aber: Die Öffnungszeiten von Hochschulräumen wie Bibliotheken, Hörsälen, Seminarräumen sollten in diesem Winter nicht eingeschränkt werden. Das ist das falsche Signal angesichts der sozialen und finanziellen Notlage, vor der Studierende wegen der Inflation und der drastisch steigenden Energiepreise stehen. Sie kommen finanziell auf dem Zahnfleisch aus der Corona-Pandemie – und wissen angesichts explodierender Preise oft nicht, wie sie in diesem Winter Strom, Gas und Lebensmittel bezahlen sollen. Gerade die mehr als 60 Prozent von ihnen, die in den Hochschulstädten auf dem freien Wohnungsmarkt untergekommen sind, werden – wie alle Mieterinnen und Mieter – spätestens im Frühjahr 2023 mit voraussichtlich teilweise horrenden Mietnebenkosten-Nachzahlungen konfrontiert werden.
Und das ist "nur" die materielle, die finanzielle Dimension der Notlage. Die psychische kommt noch hinzu: Nach vier Pandemie-Semestern, drei davon als reine Online-Semester, ist die emotionale Belastungslage vieler Studierender existenziell: Es geht um soziale Isolation und Vereinsamung, die grundsätzliche Infragestellung des Studiums, und in hohem Maße auch um depressive Verstimmungen, Hoffnungslosigkeit, bis hin zu suizidalen Gedanken.
Was nützt es, wenn Studierende wegen der Energiesparmaßnahmen ihrer Hochschulen mehr Zeit zu Hause verbringen – und dort heizen müssen?
Worauf ich hinaus will: Die Studierenden brauchen gerade in diesem Wintersemester 2022/2023 offene Hochschulen, offene Hochschulräume. Wir brauchen, um eine Metapher der ZEIT-Redakteurin Anna-Lena Scholz aufzugreifen, die Hochschulen als akademische "Wärmestuben" (selbstredend mit allen notwendigen Pandemie-Schutzmaßnahmen).
Wir brauchen länger geöffnete Hochschulräume, damit die Studierenden zu Hause ihren individuellen Energie- und Stromverbrauch zumindest begrenzen können. Denn was nützt es, wenn sie wegen der Energiesparmaßnahmen ihrer Hochschulen mehr Zeit zu Hause verbringen – und dort heizen müssen? Damit würde das Problem lediglich auf sie verlagert, und volkswirtschaftlich gesehen könnte der Schaden so um ein Vielfaches höher sein, als wenn Hochschulen – und auch die Studierendenwerke – ihre Einrichtungen länger offenhalten. Denn auch das stört mich: Wenn Studierendenwerke – so wie Hochschulrektorinnen – kürzere Öffnungszeiten verkünden müssen, zum Beispiel für ihre Mensen oder Cafeterien.
Ohne das Bild der "akademischen Wärmestuben" überstrapazieren zu wollen: Auch eine möglichst preisgünstige, nahrhafte Mensa-Verpflegung wird diesen Winter wichtig sein, damit die Studierenden, deren Budget in aller Regel extrem auf Kante genäht ist, ihre Kosten einigermaßen begrenzen und auch tatsächlich studieren können. Die Mensen und Cafeterien der Studierendenwerke können mit ihrer Essensversorgung durchaus existenzsichernd wirken.
Voraussetzung für offene, wärmende Hochschulen und preisgünstiges Mensaessen ist eine ausreichende Finanzierung durch die Bundesländer. Sie müssen durch zusätzliche Mittel für ihre Hochschulen und Studierendenwerke sicherstellen, dass bei allen nachvollziehbaren Energiesparmaßnahmen nicht letztlich die Studierenden die Leidtragenden sind.
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Steffen Prowe (Dienstag, 20 September 2022 09:31)
Danke!!
Das spricht mir aus dem Herzen. Wir als Lehrende, Mitarbeiter:innen und Verwaltung von Hochschulen sind -ebenso wie das Personal in Schulen- VERANTWORTLICH, dass BILDUNG Kern einer Gesellschaft bleibt. Gemeinsames Lernen & Lehren, Erleben und Diskutieren. Ohne dieses wird die Gesellschaft weiter verarmen und mehr Menschen schmeisssen sich in die Arme von Propheten mit vermeintlich einfachen Lösungen. Ich versteige mich sogar soweit, dass an Bildungseinrichtungen das Herz einer Demokratie schlägt, das schwer atmend durch die Pandemie kam und jetzt aufatmen möchte.
Anja Steinbeck (Dienstag, 20 September 2022 12:44)
Richtig, der Lehrbetrieb muss in Präsenz ermöglicht werden und die Bibliotheken müssen so lange wie möglich offen bleiben. Das hat bei uns oberste Priorität. Er sind aber auch die Interessen der Wissenschaftler*innen zu berücksichtigen und wenn die Verwaltung wegen Komplettschließung nicht mehr arbeiten kann, ist auch niemandem gedient. Jeder Schritt auf dem Weg zur 20 % Einsparung wird abgewogen. Schließung der Bibliothek zwischen 22 und 24 Uhr oder Verkürzung der bereits eingeschränkten Betriebszeiten der Bürogebäude oder Einschränkungen der Lüftung der Labore? ALLE müssen hier mit Einschränkungen leben.