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"Die entscheidende Botschaft ist: Die Universitäten bleiben offen"

Was bedeuten Energiekrise und Inflation für Deutschlands große Universitäten? Wo kann gespart werden und wo nicht? Welche ehrliche Antwort verdient "#IchBinHanna"? Und was ist eigentlich noch von dieser Bundesregierung zu erwarten? Ein Gespräch mit Georg Krausch und Michael Hoch zum Start in ein weiteres außergewöhnliches Hochschulsemester.

Georg Krausch (links) ist Präsident der Universität Mainz, Michael Hoch Rektor der Universität Bonn. Gemeinsam bilden sie den Vorstand der German U15. Fotos: Thomas Hartmann, JGU/Jürgen Hofmann.

Herr Krausch, Herr Hoch, vier Pandemie-Semester haben ihre Universitäten hinter sich: Online-Lehre, Kontaktbeschränkungen und der schmerzhafte Verzicht auf persönliche Begegnungen, die in der Wissenschaft so wichtig sind. Gerade, als es so aussah, als könnten die Hochschulen zu einer Normalität nach und mit Corona zurückkehren, greift Russland die Ukraine an. Und zu den Folgen des Krieges zählt eine Energiekrise, die sich keiner hat vorstellen können. Gibt es eigentlich so etwas wie Routine in der Bewältigung von Krisen?

 

Krausch: Diese neue Krise ist anders. Die Pandemie hat uns gezwungen, die Universitäten aus Gründen des Gesundheitsschutzes teilweise zu schließen. Diesmal haben wir es an den Universitäten in erster Linie mit einer budgetären Krise zu tun. Das kam auch früher schon mal vor und es wirkt sich nicht sofort auf die Arbeitsfähigkeit der Universitäten aus. Wenn die Belastungen aber eine gewisse Schmerzgrenze überschreiten, kann es kritisch werden. Zugleich ist die Krise ein Ansporn für uns, weiter Energie zu sparen, was angesichts des Klimawandels auch dringend notwendig ist. Aber ja: Universitäten sind krisenerprobt. Und das macht es uns gegenwärtig ein bisschen leichter.

 

Sie hören sich erstaunlich entspannt an, Herr Krausch. 

 

Hoch: Klar ist: Diese Krise ist sehr ernst. Aber wie Georg Krausch sagt: Wir haben in der Pandemie erfolgreiche Mechanismen und Kommunikationswege bis tief in die Universität hinein etabliert, Task Forces eingerichtet, schnelle Abläufe in die Dekanate, Institute und Personalvertretungen aufgebaut. Darauf können wir uns auch in dieser Krise verlassen. 

 

Kann man den Studierenden und Mitarbeitern nach der Coronakrise noch einmal Online-Lehre und Homeoffice zumuten, den Verzicht auf soziale Kontakte, um Energiekosten zu sparen? 

 

Hoch: Die entscheidende Botschaft ist: Wir werden nicht noch einmal schließen. Die Universitäten bleiben offen. Das hat oberste Priorität für uns. Gleichzeitig sind wir natürlich solidarisch mit der übrigen Gesellschaft und leisten als Hochschulen unseren Beitrag zum nationalen Sparziel. Das heißt zum Beispiel in Bonn, den Energieverbrauch um etwa 20 Prozent zu verringern. Alles aber unter der Prämisse, Forschung und Lehre im Wintersemester bestmöglich fortzuführen. 

 

Was heißt denn das konkret? Alles in Präsenz, aber alles ein bisschen weniger in Präsenz, als wir uns das wünschen würden?

 

Hoch: Das heißt, dass wir die Lehrveranstaltungen so durchführen werden, wie wir es ohne die Energiekrise getan hätten. Und dass wir digitale Formate dort, wo sie sich als sinnvoll erwiesen haben, erhalten.


Georg Krausch, 61, ist Professor für Physikalische Chemie und seit 2007 Präsident der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Derzeit läuft seine dritte Amtszeit. Krausch ist unter anderem Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech)und der naturwissenschaftlichen Klasse der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Im Verbund German U15, dessen Vorstandsvorsitzender Krausch seit 2020 ist, haben sich 15 große deutsche Forschungsuniversitäten zusammengeschlossen.

Michael Hoch, 60, ist Professor für Entwicklungsbiologie und seit 2015 Rektor der Universität Bonn. Zweimal wurde er von den Mitgliedern des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) zum "Rektor des Jahres" gewählt, 2019 kürte ihn das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) zum "Hochschulmanager des Jahres". Das war kurz nachdem die Universität Bonn zum ersten Mal den Status einer Exzellenzuniversität errungen hatte. Bei German U15 fungiert Hoch seit diesem Jahr als stellvertretender Vorstand.



Wenn Sie sagen, die Hochschulen müssten solidarisch sein mit dem Rest der Gesellschaft, ist denn die Gesellschaft auch solidarisch mit den Hochschulen?

 

Krausch: Jetzt mal im Ernst: Die Energiekrise geht als nationale Herausforderung die gesamte Gesellschaft an, selbstverständlich auch die Universitäten. Alle müssen Energie sparen, auch die Universitäten. Wir werden hier tun, was wir können und was die Verordnungen von Bund und Ländern uns vorgeben. Wir werden beispielsweise die Raumtemperaturen senken, und jede Hochschule wird dort, wo sie es kann, zusätzliche Anstrengungen unternehmen. Die Gegebenheiten sind je nach Wissenschaftsstandort ja sehr unterschiedlich. Es gibt an einigen U15-Universitäten Großverbraucher wie Hochleistungsrechner und Teilchenbeschleuniger. Natürlich sind wir mit deren Nutzern im Gespräch, um den Betrieb dieser Geräte so zu reduzieren, dass wir möglichst viel Strom sparen, aber die meisten Experimente dennoch laufen können. Überall gibt es Bibliotheken, die zum Teil sehr wenig genutzt werden. Wenn wir diese bei ausleihbarem Buchbestand abends früher oder am Wochenende ganz schließen, können wir andere Bibliotheken mit genügend Arbeitsplätzen geöffnet lassen, dann ist das vernünftig und verantwortbar. Zur Solidarität aller Mitglieder der Hochschule gehört übrigens auch, dass sich die Leute in ihren Büros keine Elektro-Heizlüfter hinstellen, um die niedrige Heiztemperatur zu kompensieren. Kurzum: Wir halten die Hochschulen offen. Alles ist nur für alle etwas aufwändiger als sonst. 

 

"Wenn ich für zwei, drei Wochen die Heizung
abdrehe, ist der Effekt vielleicht symbolisch,
aber praktisch vergleichsweise gering."

 

Aber keiner muss zu Hause hocken?

 

Krausch: Das ist ein Punkt, der uns extrem wichtig ist. Wir haben die klare Überzeugung, dass wir die höheren Energiekosten nicht auf unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder die Studierenden abwälzen, indem wir ins Homeoffice schicken. Das mit dem kompletten Herunterfahren würde im Übrigen ohnehin nicht funktionieren. In den Naturwissenschaften würden die Apparaturen kaputtgehen, und die Studierenden könnten ihre Hausarbeiten und Klausuren nicht schreiben, wenn die Bibliotheken geschlossen wären. Viele Gebäude müssten also ohnehin weiter geheizt werden. Wenn ich dem Rest dann für zwei, drei Woche die Heizung abdrehe, ist der Effekt vielleicht symbolisch, aber praktisch vergleichsweise gering.

 

An der Universität Freiburg, die ebenfalls zur U15 gehört, sah man das zwischenzeitlich offenbar anders. Erst beschloss man, die Türen in den ersten drei Januarwochen geschlossen zu halten – und widerrief die Pläne erst nach reichlich Kritik.

 

Krausch: Wie bereits gesagt: Die Gegebenheiten sind an jedem Hochschulstandort anders. Ich kann und möchte deshalb die Situation in Freiburg nicht kommentieren. Für Mainz kann ich sagen, dass der Einspareffekt die Maßnahme einer Totalschließung nicht rechtfertigen würde.

 

Der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), Matthias Anbuhl fordert sogar, man müsste um des maximalen Einspareffekts willen die Hochschulen, Bibliotheken und Mensen länger als in normalen Zeiten offenhalten. 

 

Hoch: Ein Gedanke, dem ich einiges abgewinnen kann. Aber natürlich müssen wir die Kosten und Einsparziele im Blick behalten. Wichtig ist an die besonders vulnerablen Gruppen zu denken. An Studierende in Geldnot, die sich das Heizen nicht mehr leisten können. An internationale Studierende, die über Weihnachten nicht nach Hause reisen können. Für sie werden wir Räume an der Universität schaffen, an denen sie warm und geschützt sein können. Und ich weiß, dass diese Sensibilität an den anderen Hochschulstandorten ebenfalls vorhanden ist.

 

Krausch: Als Physiker bin ich zum Vereinfachen erzogen und es sollte in jedem Fall nachhaltiger sein, ein Haus für 1000 Leute zu heizen anstatt 1000 Räume in 1000 verschiedenen Häusern. Die Realität ist möglicherweise etwas komplexer. Können die Leute zu Hause ihre Heizung überhaupt ausmachen? Oder leben sie in Wohnheimen, in denen die Temperatur zentral auf 19 Grad eingestellt ist? Ich halte die eingangs genannte "einfache Überlegung" dennoch für die dominante, weshalb die Hochschulen auch aus ökologischen Gründen offenbleiben sollten. Hinzufügen möchte ich, dass viele unserer wichtigsten Infrastrukturen sowieso bis 22:00 Uhr geöffnet sind. Da sehe ich nur wenig Notwendigkeit für eine Verlängerung der Öffnungszeiten.

 

 

"Die allermeisten Studierenden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind geimpft, alle haben sich in
der Pandemie unglaublich diszipliniert verhalten.
Das trägt uns in der nächsten Welle." 

 

Kann Corona den Plänen, möglichst viel offen zu halten, nochmal einen ganz anderen Strich durch die Rechnung machen?

 

Hoch: Ich rechne damit, dass es eine Welle geben wird, die natürlich auch die Hochschulen trifft. Aber in der Konsequenz hoffentlich nicht mehr so stark, dass wir als Institution schließen müssen. Es wird wieder krankheitsbedingte Ausfälle beim Lehr- und Forschungspersonal geben, auch viele Studierende werden sich infizieren. Das muss logistisch bewältigt werden. Trotzdem plädiere ich für Zuversicht. Die allermeisten Studierenden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind geimpft, alle haben sich in der Pandemie unglaublich diszipliniert verhalten. Das trägt uns in der nächsten Welle. 

 

Krausch: Auch bei dieser Frage sehen Sie mich durchaus zuversichtlich. Warum? Weil wir Universitäten alle unsere Hygiene-Konzepte in der Schublade haben. Wir haben Apps programmiert für die Nachverfolgung. Wir wissen, wie man Masken ausgibt, wie man Tests machen kann. Ich muss nur eine E-Mail schreiben, und morgen um 12 Uhr sind alle bereit für eine Krisensitzung. Das ist eingespielt. Für gänzlich undenkbar halte ich bei allem Optimismus die Möglichkeit einer erneuten Schließung aber nicht. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Viele Krankenhäuser leiden bis heute unter einem starken Mangel an Personal, so dass weitere Ausfälle kaum kompensiert werden können. Wenn gleichzeitig die Zahl der Corona-Patienten stark zunimmt, kann die medizinische Grundversorgung erneut in Gefahr geraten. Und dann müssten die anderen Teile der Gesellschaft reagieren. Auch wir Hochschulen.

 

Sehen Sie ein solches Schließungsszenario auch, falls Deutschland am Ende doch in eine akute Gasnotlage gerät? Alle Hochschulen arbeiten an Stufenplänen für Notabschaltungen, aber kaum eine Hochschule redet gern über das, was drinsteht.

 

Krausch: Darüber können wir gern reden. Wir hängen in Mainz nämlich an der Fernwärme, die kommt im Wesentlichen aus der Verbrennung von Müll und Klärschlamm. Was heißt, dass uns die Wärme nicht ausgehen wird. Müll ist leider immer genug da. Aber auch über Mainz hinaus gilt: Hochschulen gelten bei der Bundesnetzagentur als kritische Infrastrukturen, die bei Gasknappheit nicht einfach „vom Netz genommen“ werden können.  

 

Hoch: Bei uns ist die Situation ähnlich wie in Mainz. Und wir bereiten uns natürlich auch auf Gasmangellagen vor und spielen Szenarien durch, genau wie unsere Kolleginnen und Kollegen an anderen Hochschulen. Bei uns sparen wir 20 Prozent aus Solidarität ein. Ich habe auch dazu aufgerufen zu schauen, ob und wo noch mehr gehen könnte. Aber unsere Beobachtungen zeigen klar, dass dann sehr schnell die Schmerzgrenze erreicht wird, ab der wir Forschung und Lehre substanziell in Gefahr bringen würden.


In eigener Sache

Wie viele Besucher mein Blog im September hatte – und wie viel sie zu seiner Finanzierung beigetragen haben.


Rechnen Sie eigentlich nur mit einem Krisenwinter, oder ist das der Anfang einer neuen Energie-Normalität für die Hochschulen?

 

Hoch: Ich hoffe nicht. Aber ich fürchte, ihre Frage lässt sich aufgrund der Volatilität der Lage auch gar nicht seriös beantworten. Klar ist, dass wir Universitäten wie alle anderen Institutionen auch dauerhaft mit deutlich höheren Energiekosten rechnen müssen. Unklar ist derzeit, wieviel höher, und wieviel davon durch Länder und Bund ausgeglichen wird. 

 

Krausch: Unabhängig von der Frage der Gasknappheit hoffe ich sehr, dass wir gerade den Anfang von etwas Neuem erleben. In der Coronakrise hat die Aufmerksamkeit für den Klimawandel abgenommen, aber er ist deshalb ja nicht weg. Wenn wir als Hochschulen jetzt mit Nachdruck unseren Energieverbrauch weiter senken, ist das gut und sollte von Dauer sein. In Mainz haben wir viel erreicht. Wir benötigen heute 22 Prozent weniger Heizwärme als vor zehn Jahren. Die Freie Universität Berlin hat ihren Verbrauch sogar um 26 Prozent verringert. Die Krise beschleunigt nur unsere Anstrengungen. Ein bisschen bitter ist, dass denjenigen Hochschulen, die sich in der Vergangenheit freiwillig um Einsparungen bemüht haben, die zusätzlichen 15 bis 20 Prozent jetzt umso stärker wehtun. Weil sie alles Naheliegende längst gemacht haben. 

 

"3,5 Prozent von einer Gewinnabschöpfungssteuer für Forschung und Lehre, das wäre ein wichtiges Signal für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes."

 

Die Politik in Nordrhein-Westfalen verlangt 20 Prozent Einsparung, in Rheinland-Pfalz sind es 15 Prozent. Was bietet die Politik im Gegenzug dafür? Eine Garantie, dass sie die Kostensteigerungen für den Rest übernimmt?

 

Hoch: Eine solche Garantie gibt es bislang nicht. Wir hoffen da auf unsere Landesregierung und insbesondere auf unsere neue Wissenschaftsministerin, die den Universitäten und Hochschulen sehr zugewandt ist. Die Kultusministerkonferenz hat Anfang September versprochen, alle Möglichkeiten einer Kompensation für die Hochschulen zu eruieren, darauf verlasse ich mich.

 

Krausch: Ein "Whatever it takes" gibt es auch in Rheinland-Pfalz nicht, aber ein Stück weiter sind wir immerhin schon. Der Entwurf zum Doppelhaushalt, den das Kabinett kürzlich verabschiedet hat, enthält 32,2 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich für die Hochschulen, um die gestiegenen Energiekosten tragen zu können. 

 

Was nicht einmal für die Universität Mainz reicht, wenn sich die Energiekosten mehr als verdoppeln sollten. Geschweige denn für alle Hochschulen des Landes. Setzen Sie auf zusätzliche Entlastungen durch die Energiepreisbremse?

 

Krausch: Klar wird das nicht auskömmlich sein, wenn die Preise so steigen, wie es im Augenblick für 2023 und 2024 projiziert wird, wobei auch darin natürlich viel Unsicherheit steckt. Aber unabhängig davon: Die Mittel sind ein Anfang. Ein signifikanter Betrag. Ich gehe davon aus, dass die Landesregierung uns weiter helfen wird, wenn es nötig wird. Und natürlich wäre es sehr hilfreich, wenn die Hochschulen unter die Energiepreisbremse fallen, um den Kostenanstieg zu begrenzen. Gleichzeitig sehen wir natürlich, dass es auch viele andere Bereiche gibt, in denen Entlastung dringend gebraucht wird: Menschen mit geringem Einkommen, Krankenhäuser, Schulen. Und ein Einbruch der Industrie wäre auch verheerend. Die Krise trifft ja die Gesellschaft als Ganzes.

 

Hoch: In Bonn rechnen wir nächstes Jahr, wie viele andere Hochschulen, mit rund 30 Millionen Euro mehr an Energiekosten. Das ist etwa der Rahmen, den wir auch von anderen U15-Universitäten hören. Das wird kein Bundesland allein stemmen können. Da braucht es die Hilfe des Bundes. Die Ampel-Koalition hat die Bedeutung von Bildung und Forschung immer wieder betont. Wir hoffen sehr, dass sie diese Überzeugung angesichts der aktuellen Krisensituation auch mit Taten unterlegt. Die Energiepreisbremse wäre ein Weg. Es ist schon mal ein vielversprechendes Signal, dass im letzten Bund-Länder-Beschluss Bildungseinrichtungen und Universitätsklinika explizit aufgeführt werden, als Empfänger möglicher zusätzlicher Hilfsmaßnahmen.

 

Krausch: Sollte es darüber hinaus tatsächlich zu einer Gewinnabschöpfungssteuer kommen, wäre meine Vorstellung, dass auch ein Teil davon an den Hochschulen landet.  

 

Hoch: 3,5 Prozent davon für Forschung und Lehre, das wäre ein wichtiges Signal für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Eine andere Version des 3,5-Prozent-Ziels.

 

Dann können Sie vielleicht auch die absehbaren Rekord-Tarifabschlüsse auch in der Wissenschaft tragen, noch so ein Effekt der Inflation.

 

Krausch: Wir kommen aus einer Zeit, in der die Gehaltssteigerungen über Jahre im niedrigen einstelligen Prozentbereich lagen. Das war aber auch schon mal anders, wir sollten das insofern nicht überdramatisieren. Üblicherweise hat uns die Politik die Tarifsteigerungen nachlaufend durch höhere Zuweisungen ausgeglichen. 

 

Hoch: Das ist bei uns in Nordrhein-Westfalen genauso. Die Tarifabschlüsse werden vom Land übernommen. 

 

"In einer Krisensituation wie der jetzigen sollte keine Landesregierung sagen: Pech gehabt, dann müsst ihr jetzt halt 20 Prozent der Leute entlassen."

 

Da haben Sie ja doppelt Glück in Mainz und Bonn. Sie sind zum Heizen weniger stark auf Gas angewiesen, und die Gehaltssteigerungen übernimmt die Landesregierung. Es gibt Bundesländer, da wurde den Hochschulen der Etat gekürzt, wieder anderswo erhalten sie zwar ein festes Plus für ihre Haushalte, müssen davon aber alles selbst bezahlen. Was übrigens eben noch, siehe Berlin, als das Nonplusultra moderner und großzügiger Hochschulpolitik galt. 

 

Krausch: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die betreffenden Landesregierungen ihre Hochschulen wirklich im Regen stehen lassen werden. Für normale Zeiten sind Globalbudgets mit auf Jahre hinaus vereinbarten festen Steigerungsraten völlig in Ordnung. In einer Krisensituation wie der jetzigen sollte aber keine Landesregierung sagen: Pech gehabt, dann müsst ihr jetzt halt 20 Prozent der Leute entlassen. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Mit Berlin hat ja kürzlich bereits ein Land, das mit fest vereinbarten Aufwüchsen für seine Hochschulen arbeitet, zusätzliche Hilfeleistungen bei der Bewältigung der Mehrkosten angekündigt.    

 

Auch die Ampel hat sich festgelegt, die Bundesgelder des Zukunftsvertrages künftig jedes Jahr um drei Prozent steigen zu lassen. Was Ende vergangenes Jahr noch gut klang. Und jetzt?

 

Hoch: Wir sind über jeden Euro froh, der uns sicher ist. Und drei Prozent sind besser als ein Prozent oder keine Steigerung. Aber natürlich reicht der Aufwuchs nicht. Gleichzeitig bezweifle ich, dass derzeit mehr geht. Dafür müsste die Bundesregierung schon, und sei es nur für eine bestimmte Zeit, die Schuldenbremse aufgeben. 

 

Die Länder fordern vom Bund, den für 2024 vereinbarten Zukunftsvertrags-Sprung um insgesamt 340 Millionen Euro nicht zugunsten der Drei-Prozent-Dynamisierung aufzugeben. Der Bund muss parallel aber auch noch ein kräftiges Plus bei der Exzellenzstrategie finanzieren. Worauf würden Sie eher verzichten?  

 

Hoch: Im Sinne der Zukunft des Wissenschaftsstandorts Deutschland können wir weder auf das eine noch das andere verzichten. Wir brauchen beides!  

 

Krausch: Da gebe ich Herrn Hoch völlig Recht! Spare ich das eine ein, hat das weitreichende Konsequenzen. Spare ich das andere, ebenfalls. Wenn wir in der Exzellenzstrategie nicht die bis zu 70 geplanten Cluster ausfinanziert bekommen, erlahmt der Wettbewerb, Neuanträge hätten viel zu geringe Aussichten auf Erfolg. Und was die Dynamisierung des Zukunftsvertrags angeht: Auch hier ist es dringend geboten, dass Bund und Länder Wege finden, das gemeinsam zu stemmen. Denn wenn es keine langfristige Dynamisierung gibt, werden wir als Hochschulen unsererseits die über den Zukunftsvertrag vereinbarten Ziele und Studienplatz-Kapazitäten nicht erbringen können. Ohne Dynamisierung sinkt die reale Kaufkraft der Zukunftsvertrags-Mittel rapide. Und zaubern können wir nicht.

 

Das Bundesforschungsministerium mit Bettina Stark-Watzinger an der Spitze hat in den vergangenen Monaten für Irritationen in der Hochschulszene gesorgt. Forschungsförderlinien wurden gekürzt oder vorzeitig beendet, das Konzept der geplanten Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) erntete teilweise heftige Kritik, und die angekündigte Zukunftsstrategie lässt auf sich warten. Hat sich der von der Ampel versprochene große Wurf in Bildung und Forschung bereits erledigt?

 

Hoch: Die Zukunftsstrategie wird im BMBF ja gerade erst formuliert. Lassen Sie uns doch abwarten, wie und in welcher Form sie die großen Themen wie Klimawandel, Nachhaltigkeitsforschung, Künstliche Intelligenz oder Digitalisierung abbilden wird. Unsere Bedenken bezüglich der DATI haben wir hinlänglich zum Ausdruck gebracht. Soll das ein Förderprogramm für Hochschulen für Angewandte Wissenschaften werden oder ein Förderprogramm für Transfer und Innovation? Gilt letzteres, müssten die großen Volluniversitäten wie wir, aber auch die großen Technischen Universitäten gleichberechtigt mit in den Blick genommen werden, da wir mit unserer Forschung einen wesentlichen Beitrag zu den Innovationen in Deutschland leisten. 

 

"Die DATI kann nur als Teil einer umfassenderen Innovationsstrategie ihre Berechtigung haben. Es wäre absurd, wenn Ausgründungen wie BioNTech in Zukunft nicht mehr förderfähig wären." 

 

Krausch: Die DATI kann nur als Teil einer umfassenderen Innovationsstrategie der Bundesregierung ihre Berechtigung haben, und die ist mir nicht wirklich deutlich bislang. Es wäre absurd, wenn Ausgründungen wie BioNTech in Zukunft nicht mehr förderfähig wären. Deshalb bin ich mir sicher, dass das so nicht kommt. Ich erwarte, dass die DATI Teil eines größeren Portfolios werden wird, in dem auch die Innovationstreiber an den forschungsstarken Universitäten ihren Platz haben. Und was die Ministerin angeht: Ich habe Frau Stark-Watzinger als Gesprächspartnerin kennengelernt, die das offene Wort schätzt und die vertraut ist mit den Spezifika der Wissenschaft. Die Art, wie sie sich bei ihrem Besuch der Hochschulrektorenkonferenz im Frühjahr unseren Fragen gestellt hat, hat ihr hohen Respekt eingebracht im Kreis der Hochschulrektor:innen und Präsident:innen.

 

Hoch: Was die von Ihnen angesprochenen Kürzungen angeht, hätte man von BMBF-Seite die damit verbundenen Entscheidungen sicherlich besser erklären können.

 

Krausch: Da fehlte es an Transparenz, in der Tat. 

 

Die U15 werden diesen Oktober zehn Jahre alt, ohne Pomp und Festakt. Welchen Mehrwert bieten derartige Verbünde dem Wissenschaftssystem als Ganzes, abgesehen vom Selbstmarketing ihrer Mitglieder? 

 

Hoch: Wir stehen für 15 der stärksten Universitäten in Deutschland und Europa, die in einer Zeit sich überlagernder Krisen nicht nur mit international wettbewerbsfähiger Forschung, Lehre und Transfer einen wesentlichen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Wir sind eine Stimme, die in der Politik gehört wird, ein Motor für zukunftsweisende Hochschul- und Wissenschaftspolitik.

 

Krausch: Von dem Fest, das wir ursprünglich geplant hatten, haben wir in der Tat Abstand genommen, weil wir das angesichts der aktuellen Lage nicht angemessen finden. Aber Gedanken machen wir uns trotzdem: Wo stehen wir als Forschungsuniversitäten in zehn Jahren? Was muss passieren, damit wir national und international weiter die Rolle spielen wie heute oder sogar eine noch zentralere? Wie sehen Spitzenforschung und exzellente Lehre in Zukunft aus? Umgekehrt finde ich aber anders, als Ihre Frage impliziert, nicht, dass wir eine Rechtfertigung brauchen für unsere Zusammenarbeit in der U15. Wir sind 15 Universitäten mit ähnlichem Zuschnitt. Wir haben ähnliche Herausforderungen und Bedarfe. In der Pandemie haben wir uns gegenseitig als Sparringspartner gedient und uns ergänzt mit unseren Ideen. Wenn es darauf ankommt, können wir gemeinsam schnell agieren. Wie neulich, als wir in der U15 sehr kurzfristig eine Austauschplattform hergestellt haben, um über den konstruktiven Umgang mit den Konsequenzen der Frankfurter Überbuchung in Sachen Medizinstudienplätze zu sprechen. 

 

Wir sind fast am Ende unseres Gesprächs und haben noch gar nicht über das Thema gesprochen, das bis zum Sommer die Hochschulpolitik beherrschte: "#IchbinHanna". Sind Sie als Unipräsidenten froh, dass die Gaskrise den Verfechtern besserer Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft die öffentliche Aufmerksamkeit gestohlen hat?

 

Krausch: Ganz und gar nicht! Das Thema treibt mich immer noch um. Nur glaube ich, dass eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes wenig von dem einlösen kann, was die "#IchbinHanna"-Bewegung zu Recht fordert. Dafür müssen wir an ganz anderen Stellschrauben drehen, und zwar besonders auch an den Hochschulen selbst. Frühe wissenschaftliche Selbstständigkeit beispielsweise geht in den experimentellen Fächern nur, wenn ich Core Facilities habe, was den Abschied von den großen Lehrstühlen erfordert. Wir brauchen flachere Hierarchien und weniger persönliche Abhängigkeiten. Das ist nichts, was durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz geregelt wird. Ebenso wenig wie die Problematik der Kettenverträge, die noch Leute mit Mitte 40 haben. Die sind nach aktueller Lage nämlich meist längst über den Geltungsbereich des Gesetzes hinaus. Ob eine Novelle des WissZeitVG hier tatsächlich etwas bewirken kann, wage ich zu bezweifeln. Und auch der nachvollziehbare Wunsch nach mehr Stellen kann nicht durch dieses Gesetz bedient werden.

 

"Ich verstehe die Ungeduld von "#IchBinHanna",
aber es tut sich auch was!" 

 

Jetzt tun Sie so, als ob die Schieflage gar nichts mit dem Gesetz zu tun hätte!

 

Krausch: Ich sage lediglich, dass die Verkürzung der Qualifikationszeiten, wie sie diskutiert wird, viele der Probleme nicht lösen würde. Andererseits fürchte ich mögliche Nebenwirkungen einer solchen Reform. Wenn man sich sehr früh für eine Tenure-Track-Stelle bewerben und dabei einer Potenzialanalyse stellen muss, werden doch gegebenenfalls diejenigen bestraft, die Mut zu riskanten Forschungsvorhaben hatten und aus diesem Grund noch ohne Ergebnisse dastehen. Nun ist ausgerechnet die spannendste Forschung besonders riskant und in ihrem Ergebnis nicht vorhersehbar. Auch Menschen mit Erziehungs- und Pflegeaufgaben würden potenziell benachteiligt. Wie lösen wir diesen Zielkonflikt auf? Darauf müssen wir Antworten finden. Genau wie bei der Forderung nach mehr Dauerstellen. Die U15 fordert schon seit langem eine bessere Grundausstattung der Universitäten. Wir dürfen uns aber nichts vormachen. Selbst wenn die Universitäten signifikant mehr Dauerstellen bekämen, würde das den Flaschenhals zwischen der Promotion und einer Dauerbeschäftigung in der Wissenschaft nur unwesentlich erweitern. Da hilft ehrliches Nachrechnen.  

 

Apropos Ehrlichkeit. Welche ehrliche Antwort würden Sie den "#IchbinHanna" geben? 

 

Hoch: Dass ich das Anliegen frühzeitig planbarer Wissenschaftskarrieren absolut unterstütze. Dass wir über die Art und Weise, wie wir es erreichen, aber weiter intensiv und komplexitätsangemessen diskutieren müssen. Als Hochschulrektor:innen müssen wir uns der Debatte stellen, was wir auch tun. Dazu gehört zum Beispiel die Forderung, dass das sehr erfolgreiche Tenure-Track-Programm des Bundes verlängert, ausgeweitet und möglichst verstetigt wird. Die Evaluation des Programmes hat gezeigt: Es ist ein guter Weg, um mehr Gleichstellung und Internationalität in der Wissenschaft sowie planbare Karriereperspektiven zu schaffen. 

 

Viele Betroffene werden solche Sätze hören und sagen: Da will uns einer nur weiter vertrösten, so wie wir schon seit vielen Jahren hingehalten werden.

 

Krausch: Das kann ich so nicht stehen lassen. Ich verstehe die Ungeduld, aber es tut sich auch was! Universitäten sind seit Jahren an diesen Themen dran. Wir schaffen Core Facilities, etablieren Department-Strukturen und umfassendere Beratungs- und Weiterqualifizierungsangebote und schaffen flachere Hierarchien. Natürlich ist das ein Veränderungsprozess, der in den Gremien-gesteuerten Körperschaften, die die Universitäten nach geltendem Recht nun einmal sind, lange dauert. Aber er fängt nicht jetzt erst an, sondern ist in vollem Gange.



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Kommentare: 1
  • #1

    naja (Dienstag, 11 Oktober 2022 22:36)

    Bei 18 bis 19 Grad sitzt keiner stundenlang am Schreibtisch und denkt nach. Da hilft auch kein Pullover. Es sitzt dann auch kein Student 90 Minuten am Stück im zugigen Hörsaal. Das funktioniert nicht mehr. Der Ausweg ist dann eben doch der oben als unsolidarisch geschmähte Heizlüfter im Büro bzw nachhause gehen und Vorlesung via zoom. Insofern ist das Gerede der geöffneten Universität im wesentlichen Geschwätz. Sobald die Temperaturen unten sind, sind die Unis im wesentlichen leer.