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Frankfurter Glücksgefühle

Der schwere Medizin-Zulassungsfehler der Frankfurter Goethe-Universität wurde für alle Betroffenen behoben. Es war ein einzigartiges Zusammenspiel von Hochschulen, Stiftung für Hochschulzulassung und Politik. Daraus lässt sich Wichtiges für die Zukunft lernen.

ES WAR HAPPY END TEIL 3: Vergangene Woche meldeten Goethe-Universität und Stiftung für Hochschulzulassung (SfH), dass jetzt auch fast alle Mitglieder der sogenannten "Chancengruppe" einen Medizin-Studienplatz erhalten. 

 

Vorausgegangen war ein sechswöchiges Drama, nachdem die Goethe-Universität Ende August massenweise freie Studienplätze an die SfH gemeldet hatte, die sie gar nicht hatte. Worauf rund 280 Studienanfänger für Medizin oder Zahnmedizin zugelassen wurden, um ihnen ein paar Tage später sagen zu müssen: Pustekuchen. Und nicht nur Pustekuchen, was Frankfurt anging, sondern insgesamt. Weil sie mit der Schein-Zulassung in Frankfurt im Wettbewerb um Studienplätze anderswo aus dem Rennen genommen wurden. 

 

Das Pikante war: Den Stiftungsmitarbeitern war der Fehler schnell aufgefallen, aber man verschickte die fehlerhaften Zulassungsbescheide trotzdem. Weil, so argumentierte man auf Nachfrage, man es nicht anders habe machen können. Weil in dem Verfahren alles mit allem zusammenhänge und sonst andere Bewerber auch noch in Mitleidenschaft gezogen worden wären.

 

Ein paar Tage lang schien man zudem an der Goethe-Universität, in der Stiftung und vor allem im hessischen Wissenschaftsministerium zu meinen, Worte des Bedauerns würden genügen und die Entgeisterung der betroffenen Studierenden werde sich legen. Obwohl der Fehler mindestens sechs, möglicherweise 12 Monate Verzögerung für sie bedeutete. Doch dann warfen die gekniffenen Bewerber und ihre Familien die Protestmaschine an: offene Briefe, Petitionen, Anrufe bei der Presse. 

 

Ungeahnte Aktivitäten

 

Und auch bei Goethe-Universität, Stiftung und Kultusministerkonferenz entstand mit einem Male ungeahnte Aktivität, ein Problem zu lösen, was eben noch als unlösbar dargestellt worden war. Vor allem ein Mann wirkte im Hintergrund: der Stiftungsratsvorsitzende Holger Burckhart, im Hauptamt Rektor der Universität Siegen, der seit Jahren in der Stiftung Richtung Reformen und Agilität pusht. 

 

Die Lösung kam in drei Etappen. Erst bekamen die 31 Zahnmedizin-Bewerber einen Studienplatz, indem die Goethe-Universität ihre Kapazitäten einmalig erweiterte. Vor drei Wochen verkündeten dann Uni und Stiftung, dass in einer konzertierten Aktion aller Länder und Hochschulen mit Medizin-Studiengängen auch alle 158 Mitglieder der sogenannten "Angebotsgruppe" einen Platz erhalten hätten. In dieser Gruppe hatte man alle Bewerber eingeordnet, die bereits das Zulassungsangebot einer anderen Hochschule gehabt hatten, es dann aber zugunsten eines in Wirklichkeit nicht vorhandenen Frankfurter Medizin-Studienplatzes nicht angenommen hatten. 53 von ihnen können jetzt doch in Frankfurt anfangen, 105 an einer Hochschule anderswo in Deutschland.

 

Vergangene Woche dann die Happy End Nummer Teil 3, diesmal für die 90 verbliebenen Bewerber der "Chancengruppe". Das waren all jene, die zu dem Zeitpunkt, als sie den Studienplatz in Frankfurt annahmen, noch kein weiteres Studienplatz-Angebot von der Stiftung vorliegen hatten. Für sie wurde etwas inszeniert, von dem man vorher in der Stiftung gesagt hätte, es sei unmöglich: ein "nachgestelltes koordiniertes Nachrückverfahren". Dabei prüfte die Stiftung, welche der Bewerber, wenn der Frankfurter Fehler nicht passiert wäre, im normalen Nachrückverfahren einen Studienplatz erhalten hätten und wofür – und machte ihnen bei positiver Bewertung ein entsprechendes Zulassungsangebot.

 

Wohlwollende Prüfung

 

Offenbar prüfte man sehr wohlwollend. Denn von den 90 erhielten 39 doch einen Studienplatz in Frankfurt und weitere 41 anderswo in Deutschland. Weitere sieben, die sich in der Zwischenzeit anderweitig verpflichtet hatten, bekamen schon jetzt einen Medizin-Studienplatz fürs Wintersemester 2023/24 zugesichert. Nur für drei Bewerber errechnete die Stiftung, dass sie auch im normalen Nachrückverfahren keinen Platz erhalten hätten. Ihnen bot die Goethe-Uni an, sich in einem anderen Studienfach ihrer Wahl, nur nicht in Medizin, Zahnmedizin und Psychologie, zu "erleichterten Bedingungen" einschreiben zu können. 

 

Erleichterung allenthalben. Und bei den Verantwortlichen von Goethe-Universität, Stiftung und Politik kommt ein eben noch unwahrscheinliches Gefühl der Selbstwirksamkeit hinzu, nach dem Motto: Wir haben es wirklich hinbekommen. 

 

"Wir haben in den letzten Wochen zusammen mit unseren Partnern in Land und Bund nahezu Tag und Nacht daran gearbeitet, dass Sie doch noch einen Studienplatz erhalten, und mussten dabei einige Hürden überwinden", sagte etwa Goethe-Präsident Enrico Schleiff. "Was anfangs nahezu unmöglich erschien, hat sich in einem intensiven Prozess der Prüfung und Verständigung dann doch noch realisieren lassen. Dafür bin ich auch allen Partnern unendlich dankbar. Wir haben gemeinsam einen Weg gefunden, um fast allen von Ihnen in diesem Semester doch noch den Weg ins Studium zu ebnen – vielen davon sogar in Frankfurt. Und ich hoffe, dass bei Ihnen, liebe NUN Studentinnen und Studenten, die Anspannung bald weichen und die Freude über den Studienplatz einsetzen wird."

 

Ende gut, alles gut? Für die Bewerber nach dem aufreibenden Hin und Her: ja. Für den Hochschulföderalismus: ebenso. Hat er doch gezeigt, dass er handlungsfähig ist, wenn es darauf ankommt. Sogar handlungsfähiger, als seine Akteure es anfangs selbst für möglich gehalten haben.

 

Inspiration für mehr?

 

Lässt sich daraus für Hochschulen und Wissenschaftspolitik sogar die Inspiration und die Courage ziehen, sich auch anderer Stelle an die Reform von Entscheidungsprozessen zu wagen? Prozesse, die oft zu viele Beteiligte und Gremien, ermüdend lange Zeiträume und dafür umso weniger Raum lassen für das Reagieren auf unerwartete Probleme? Zu hoffen wäre es.

 

Richtig ist auch: Dass überhaupt das große Rad zum Finden einer Lösung gedreht wurde, hat viel mit der sozialen Zusammensetzung der betroffenen Bewerber zu tun. Medizinstudierende und solche, die es werden wollen, stammen zu einem großen Teil aus sozial privilegierten Familien. Sie hatten die Kontakte und die Ressourcen, die Hochschul- und Kultusbürokratie unter Druck zu setzen. Und die Öffentlichkeit zu aktivieren: Denn wenn 280 Medizin-Studierende von einem schweren Verwaltungsfehler betroffen sind, der sie vielleicht ein Jahr Lebenszeit kosten könnte, führt das zu deutlich mehr Presse-Schlagzeilen, als wenn hunderttausende Schulabgänger keinen Ausbildungsplatz bekommen, weil das Bildungssystem es nicht geschafft hat, sie "ausbildungsreif" zu machen. Bewerber, die oft ihr Leben lang beruflich und sozial nicht richtig Fuß fassen. Ein schräger Vergleich? Vielleicht. Aber einer, der die bildungspolitischen Wertigkeiten in unserer Gesellschaft hinterfragen lässt.

 

Den Frankfurter Bewerbern ist es dennoch allen zu gönnen. Währenddessen werden Universitäten überall im Land, nicht nur in Frankfurt, daran arbeiten, dass sich ein vergleichbarer Fehler nicht wiederholt. Und die Stiftung wird weitere Schleifen einbauen müssen, um den Vergabeprozess regelhaft anhalten und korrigieren zu können, wenn doch wieder etwas schiefgeht. Und das nicht erst, wenn die ohnehin geplante neue Software an den Start geht. Die Erfahrung in Frankfurt zeigt: Es ist möglich. 


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Kommentare: 3
  • #1

    Edith Riedel (Donnerstag, 20 Oktober 2022 08:59)

    Aus meiner Sicht sollte man im Nachgang dringend thematisieren, warum die Stiftung trotz Auffallen des Fehlers die fehlerhaften Bescheide versendet hat. Da scheint es ganz klar in der Kommunikation zwischen der Stiftung und den Hochschulen extrem zu knirschen. Ein klares Prozessmanagement fehlt auf jeden Fall, wenn diese Art von Fehler zwar auffällt, jedoch de facto seitens der Stiftung ignoriert wird.

  • #2

    Ruth Himmelreich (Donnerstag, 20 Oktober 2022 10:38)

    "Handlungsfähiger Hochschulföderalismus"? Der Hochschulföderalismus hat sich einen Apparat geschaffen, bei dem ein solcher Fehler überhaupt möglich war (man greift sich an den Kopf), man hat ihn nicht einmal korrigiert, als er intern auffiel (man ist noch fassungsloser) und man hat die Landesministerien und alle Medizinfakultäten dieser Republik mit unendlich viel Aufwand zugeschüttet, um 280 (!) Bewerber*innen zu verarzten. Der Personalaufwand dafür betrug zusammengerechnet sicher mehrere Arbeitsjahre, was den/die Steuerzahler*in einige Millionen Euro gekostet haben wird. Hier dem Ganzen noch den Spin zu verpassen, das sei ein "Erfolg" gewesen, ist schon großes Kino....

  • #3

    HuBu? (Sonntag, 23 Oktober 2022 10:27)

    Warum wird eigentlich die Rolle des Stiftungsratsvorsitzenden hier so wohlwollend dargestellt? Seine Schreiben an die Betroffenen Hochschulen waren eher erratisch und fehlerhaft und seine Kommunikation in die SfH eher panisch. Hilfreich jedoch war er eher nicht…