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Unter Strom

Energie-Rekordpreise und geplante Rettungspakete: Die Opposition schlägt Alarm, die Wissenschaftsorganisationen warnen, die Forschungsministerin appelliert. Wem wird von wem und bis wann geholfen? Der Versuch eines Überblicks.

DIE NERVOSITÄT STEIGT mit jedem Tag, den Deutschland dem Winter näherkommt. Profitieren Schulen, Hochschulen, Forschungsinstitute und Co von der geplanten Gaspreisbremse? Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) sagte neulich noch: Keine Ahnung, die Empfehlungen der Expertenkommission seien da unklar. Doch, doch, beruhigte jetzt die SPD-Haushaltspolitikerin Wiebke Esdar: Sie könne versichern, Bildungs- und Forschungseinrichtungen seien "mitgemeint".

 

Aber reicht das? Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen appellierte vergangene Woche erneut an die Politik, die Versorgungs- und Planungssicherheit für die Wissenschaft zu gewährleisten. Und die Unionsfraktion im Bundestag warnte, gerade Forschungsinstitute mit erhöhtem Energiebedarf seien besonders gefährdet, wenn die Preise steigen und steigen. Weshalb, so forderten CDU/CSU in einem am Donnerstag ins Parlament eingebrachten Antrag, es schnell einen Energiegipfel mit allen relevanten Akteuren des Wissenschaftssystems geben müsse, um den Energiebedarf und die Kosten zu ermitteln. Anschließend müssten Bund und Länder ein Entlastungspaket für die Wissenschaft schnüren und einen Notfallfonds einrichten. 

 

Das mit dem Extra-Entlastungspaket könnte man, wenn Esdar Recht hat, in Bezug aufs Gas für ein bisschen viel des Aktionismus halten. Aber es geht ja eben auch um Strom, und da sind die Einzelheiten der geplanten Preisbremse sogar noch unklarer. Und was den Notfallfonds betrifft: Einen Topf für "Härtefälle" hat zwar auch die Gaspreiskommission vorgeschlagen. Aber hier, so scheint es, sind Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen wohl tatsächlich bislang nicht als potenzielle Nutznießer vorgesehen. Und wie wird das beim Strom? Da sind die Fragezeichen wiederum noch größer. 

 

Je höher der Strombedarf,
desto höher das Risiko

 

Je höher der Strombedarf, desto größer also das Risiko einer finanziellen Notlage. Etwa für Wissenschaftseinrichtungen mit Hochleistungsrechnern, Teilchenbeschleunigern, Biodatenbanken oder vielen Versuchstieren. 

 

Von 324 auf bis zu 780 Millionen Euro könnten ihre Energieausgaben nächstes Jahr steigen, haben allein die großen vier außeruniversitären Forschungsorganisationen Max Planck, Helmholtz, Leibniz und Fraunhofer dem BMBF vorgerechnet. Wobei solche Modellrechnungen natürlich mit extremer Vorsicht zu genießen sind und zusätzlich unter Lobbyverdacht stehen, solange wesentliche Rahmenbedingungen – vor allem die weitere Marktentwicklung – komplett unklar sind. 

 

Doch bei Forschungsinstituten kommt noch etwas erschwerend hinzu: Im Gegensatz zu den Hochschulen hat die Bundesnetzagentur sie trotz vieler Nachfragen und Appelle etwa von KMK und Wissenschaftsministern bislang nicht eindeutig als sogenannte "geschützte Kunden" einordnet, die auch im Falle einer Gas-Notlage beliefert werden. Wird ihnen, wenn es eng wird, der Saft abgedreht – mit allen damit verbundenen potenziell fatalen Folgen für Forschung und Sicherheit? Der Unionsfraktion reicht es jetzt: Die Bundesnetzagentur müsse von der Bundesregierung entsprechend angewiesen werden.

 

Druck machte auch Max-Planck-Präsident Martin Stratmann im Bundestags-Wissenschaftsausschuss. "Wir haben in diesem Jahr 100 Millionen Euro mehr allein an Strom und rechnen in den nächsten drei bis vier Jahren mit 300 bis 400 Millionen Euro mehr", sagte er. Dafür müsse die MPG ihre gesamten Rücklagen aufbrauchen, "dann sind wir blank". Deshalb sei zu befürchten, dass die MPG ihre Aktivitäten reduzieren müsse, etwa die Praxis beenden, jährlich tausend Doktoranden einzustellen, gegebenenfalls auch Institute schließen. "Ich hoffe sehr auf Beschlüsse der Bundesregierung um für die Wissenschaft etwas zu tun." Doktoranden als Druckmittel in der Energiekrise?

 

Nur die großen Forschungsinstitute
unter den Rettungsschirm?

 

Opposition und Landesminister kritisierten derweil in den vergangenen Wochen wiederholt Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP): Sie habe sich zu passiv verhalten in der Energiekrise. Ihre "Tatenlosigkeit" sei "eine schwere Bürde für die aktuelle Krisenbekämpfung", finden die Unionsfraktionen.

 

Das wollte die Ministerin, die in letzter Zeit mehrfach auf die Erstzuständigkeit der Länder in Bezug auf die Hochschulen gepocht hatte, offenbar nicht auf sich sitzen lassen und meldete sich im Handelsblatt  mit ihren eigenen Forderungen zu Wort. Im schlimmsten Falle könne es zu "unwiederbringlichen Verlust von Forschungsergebnissen sowie erheblichen, langfristigen Betriebsschäden" kommen, warnte Stark-Watzinger – weshalb die Bundesregierung die außeruniversitären Forschungseinrichtungen unter den geplanten wirtschaftlichen Abwehrschirm nehmen müsse. Nur diese? 

 

Stark-Watzingers Parteifreund Stefan Seiter sprang der Ministerin bei und nahm sie im Bundestag ausdrücklich in Schutz. Sie habe sich dafür eingesetzt, dass die Wissenschaft unter den Rettungsschirm komme und auch auf der Liste der zu priorisierenden Bereiche bei der Energieversorgung komme. Allerdings machte auch Seiter in seiner Rede auch deutlich, dass er bei den Hochschulen die Länder in der Pflicht sieht. 

 

Wem also wird in der Wissenschaft von wem bis wann genau geholfen? Nach der Debatte im Bundestag ist jetzt erst einmal der Wissenschaftsausschuss an der Reihe. Die Sache zieht sich also noch eine Weile hin. Immerhin: Es kommt endlich etwas in Bewegung. Am 2. November, hieß es vor dem Wochenende, werde sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Regierungschefs der Länder treffen, um die Energiekrisen-Strategie der nächsten Monate festzulegen. Auch für Bildung und Forschung wäre es höchste Zeit. 

 

Dieser Kommentar erschien zuerst im ZEIT-Newsletter Wissen3.


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Kommentare: 1
  • #1

    O. Falada (Montag, 24 Oktober 2022 21:29)

    Die Zeiten sind so unsicher, dass zumindest meine Hochschule bereits in Aussicht stellte, befristete Verträge "gegebenenfalls" nicht zu verlängern. Wenn tatsächlich noch mehr Hochschulen zu solchen Mitteln greifen (müssen), sollten wir uns fragen, von welchem Rohstoff wir denn künftig leben wollen: Wissenschaft und Bildung scheinen es jedenfalls nicht in erster Linie zu sein.