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"Ja, es geht auch um Aufrichtigkeit"

Wieso braucht der Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft eigene Verhaltensregeln? Anna-Zoe Herr über alternativlose Transparenz in der Wissenschaftskommunikation und den neuen "Public Engagement Kodex".

Anna-Zoe Herr ist Public Engagement Coordinator an der Berlin School of Public Engagement and Open Science. Der "Public Engagement Codex" wurde im Rahmen der Berlin Science Week vorgestellt. Foto: privat.

Frau Herr, was ist eigentlich "Public Engagement"?

 

Zunächst einmal ist es eine Haltung. Eine Haltung, dass und wie sich Forschende mit der Gesellschaft in einen Austausch begeben wollen.

 

Ich dachte, das nennt man Wissenschaftskommunikation.

 

Tatsächlich ist Wissenschaftskommunikation in Deutschland noch der Standard, wenn die Forschung die Menschen da draußen über ihre Arbeit informieren wollen. Das kann auf unheimlich tolle und engagierte Weise passieren. Aber es bleibt meistens eine Einbahnstraße. Public Engagement, so wie es sich in anderen Ländern bereits etabliert hat, ist mehr. Es zielt auf Dialog ab und beruht auf Gegenseitigkeit Auf der Annahme, dass nicht nur die Forschung die Gesellschaft mit ihren Erkenntnissen bereichert. Sondern dass umgekehrt das Wissen, das in der Gesellschaft existiert, hilfreich und von gleichem Nutzen für die Forschenden sein kann. Von dem Austausch, von der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Öffentlichkeit, profitieren also beide Seiten. 

 

Bitte geben Sie ein konkretes Beispiel.

 

Public Engagement-Formate können groß und klein sein. Ein Beispiel, dass mich letztens begeistert hat, kommt aus von Kathryn Hayhoe, einer Klimawissenschaftlerin aus den USA. Ihre Karriere transformierte sich, als sie entschied, vom Labor eine Pause zu nehmen, eine Reise durch die USA zu machen und mit Menschen über die Natur, ihre Ängste und Perspektiven auf den Klimawandel zu sprechen. Was sie von der Tour lernte, veränderte ihre Karriere so sehr, dass sie heute Wissenschaftler*innen und Klimaaktivist*innen beibringt, wie man bessere Dialoge über die Klimakrise hat. Die Dialoge die sie hatte, veränderten sie, und auch die Menschen mit denen sie in Kontakt trat. Das Wichtige ist, dass Public Engagement immer den gegenseitigen Nutzen sucht. 

 

Und eine deutsche Bezeichnung für "Public Engagement" gibt es nicht?

 

Keine, die es wirklich trifft. Weshalb wir uns entscheiden haben, "Public Engagement" als Anglizismus so lange zu schreiben und zu nutzen, bis es sich im deutschen Sprachgebrauch etabliert hat. So, wie es zum Beispiel die Europäische Kommission schon seit Jahren tut. 

 

Austausch mit der Gesellschaft, Public Engagement, Partizipation oder auch Citizen Science: Schicke Schlagwörter, mit der die Wissenschaft um sich wirft. Kulissen, hinter denen die meisten Forscher weiter ihr Ding machen?

 

Ich finde es schwierig, die emotionale Ehrlichkeit und Transparenz anderer Menschen zu beurteilen. Was ich aber glaube: Genau, weil es solche Fragen und Zweifel gibt, braucht es einen Kodex, der sagt, was Public Engagement ist und leisten kann. Welchen Prinzipien Public Engagement folgt. Also ja, es geht auch um Aufrichtigkeit.

 

"Genau das kann Public Engagement auch für die Wissenschaft leisten: Wenn sie die Gesellschaft ehrlich einbezieht, ist diese auch bereiter, für die Belange der Wissenschaft einzustehen." 

 

Vergangene Woche haben Sie diesen Kodex im Rahmen der Berlin Science Week vorgestellt. Federführend bei seiner Entstehung waren neben der Berlin School of Public Engagement, an der Sie arbeiten, das KI-Forschungskonsortium Cyber Valley in der Region Stuttgart-Tübingen.

 

Ja, und anhand des Kodex können die Leute dann überprüfen, ob es eine Forschungseinrichtung ernst meint, wenn sie von Public Engagement spricht. Will sie wirklich wissen, was die Gesellschaft oder bestimmte Zielgruppen der Wissenschaft zu sagen haben? Die gleichen Maßstäbe haben wir auch an uns selbst angelegt, als wir den Kodex erarbeitet haben: Cyber Valley hat mit dem Schreiben gestartet.  In unserem Kernteam waren wir von der ersten Version total begeistert. Aber dann haben wir mehrere Konsultationen gestartet, auf verschiedenen Konferenzen Workshops veranstaltet und die Leute um ein ehrliches Feedback gebeten. Der Text war offen zugänglich und kommentierbar. Wir haben jeden Kommentar ernst genommen. Das Ergebnis ist ein wirklich gemeinschaftliches Projekt mit vielen Elementen, auf die wir selbst nicht gekommen wären. Nicht wir allein haben den Kodex geformt, sondern viele Menschen, wodurch der Text jetzt eine viel breitere Unterstützung besitzt. Genau das kann Public Engagement auch für die Wissenschaft leisten: Wenn sie die Gesellschaft ehrlich einbezieht, ist diese auch bereiter, für die Belange der Wissenschaft einzustehen. 

 

Was sind denn die wichtigsten Prinzipien im Kodex?

 

Insgesamt gibt es neun, untergliedert in drei Kategorien: erstens die ganz grundsätzlichen Prinzipien, zweitens die Prinzipien zum Umgang mit der Wissenschaft und drittens die Prinzipien zum Umgang mit der Gesellschaft. Da steht dann zum Beispiel, dass Public im Engagement immer am Gemeinwohl orientiert und transparent sein muss. Dass jene, die Public Engagement betreiben, stets sagen sollen, für wen sie arbeiten und wer an den Forschungsergebnissen und Projekten, um die es geht, beteiligt ist. Es geht darum, Forschungsergebnisse einzuordnen, nicht ihre Bedeutung zu übertreiben. Und Kontroversen, die in der Wissenschaft bestehen, auch im Austausch mit der Gesellschaft darzustellen. Im Kern ist das Ziel also, von einem Bild von Forschung wegzukommen, wie es wir in der Vergangenheit vielleicht kannten: als etwas Unantastbares, das frei von Fehlern und Irrtümern ist. 

 

Als ob das so einfach wäre! Viele, die an Ihrem Kodex mitgearbeitet haben, stehen selbst in den Diensten von Forschungseinrichtungen. Die von ihnen als "Öffentlichkeitsarbeitern" erwarten, sie in der Öffentlichkeit gut da stehen zu lassen. Erwarten Sie da Konflikte?

 

Wer einen Paradigmenwechsel oder Kulturwandel will, muss mit solchen Konflikten rechnen, das ist klar. Klar ist aber auch, dass wir nicht so weitermachen können wie bislang. Forschung passiert nicht in Isolation, Forschung geschieht für die Gesellschaft und in der Gesellschaft. Das mag jetzt idealistisch klingen, aber ich bin überzeugt: Wir brauchen diese Konflikte, von denen Sie reden, sogar, um Public Engagement zu etablieren. Wissenschaft funktioniert doch auch so. Sie erschließt sich neues Wissen, und wenn dieses neue Wissen mit dem bereits Bekannten in Konflikt gerät, dann führt es zu neuen Fragestellungen und besseren Methoden. 

 

Denkt man die Forderungen in Ihrem Kodex zu Ende, wäre es das Ende allen Wissenschaftsmarketings. Denn das beruht darauf, die eigene Institution gut aussehen zu lassen, – im Zweifel besser als andere. 

 

Da bin ich mir nicht sicher. Erstens ist viele Forschung ja tatsächlich gut. Zweitens glaube ich, dass eine Institution an Vertrauen gewinnt, wenn sie sich und ihre Arbeit realistisch, soll heißen: mit allen Brüchen, darstellt. Eine perfekte Selbstdarstellung glaubt doch sowieso keiner. Und was die Darstellung exzellenter Forschung betrifft: Das Excellence Framework der Europäischen Kommission legt fest, dass künftig nur Forschungsprojekte gefördert werden, die den Austausch mit der Gesellschaft in irgendeiner Weise vorsehen. Das bedeutet einen Riesenschub für Public Engagement, denn die Kommission sagt: Richtig exzellent kann Forschung nur sein, wenn sie auch das Wissen von bestimmten Teilen der Gesellschaft miteinbezieht. 

 

"So, wie es den Elfenbeinturm der Wissenschaft
nicht gibt, gibt es da draußen mehr als eine
gesichtslose Masse von Leuten, die alle bei allen Forschungsfragen mitentscheiden soll."

 

Und in der Realität gibt es trotzdem viele herausragende – sprich: exzellente – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die genau davor Angst haben oder sogar die Wissenschaftsfreiheit gefährdet sehen. Sie fürchten, dass Bürger, die gar nicht genau verstehen, worum sich ihre Forschung dreht, dabei mitreden wollen. Als lasse sich der Forschungsprozess basisdemokratisch steuern. 

 

Ich kann die Ängste verstehen. Ich glaube aber, dass sie auf einem absoluten Missverständnis dessen beruhen, was Public Engagement ist. Und such dessen, was "die Gesellschaft" oder "die Bürger*innen" sind. So, wie es den Elfenbeinturm der Wissenschaft nicht gibt, gibt es da draußen mehr als eine gesichtslose Masse von Leuten, die alle bei allen Forschungsfragen mitentscheiden soll. Schon die klassische Wissenschaftskommunikation ist ein intentionaler Prozess, in dem die Botschaften nicht einfach so rausgeschossen werden in die Welt, sondern an bestimmte Zielgruppen gerichtet werden. Und das gilt bei Public Engagement umso mehr. Wenn ich zu Atomphysik forsche, werde ich dazu nicht den Graphik Designer aus der Nachbarschaft konsultieren, aber vielleicht einen anderen Teil der Gesellschaft. Die richtige Zielgruppe zu finden, braucht aber auch Zeit und Offenheit. Forschenden sollten dafür auch genug Zeit eingeräumt werden.

 

Der Graphik Designer hat aber doch auch eine Menge zu sagen!

 

Ja, und das wird er oder sie auch können. Aber genau dazu braucht es die Professionalisierung von Public Engagement: um an den richtigen Stellen die richtigen Formate für die geeigneten Zielgruppen anzubieten und sie einzubinden. Aber ist ist wichtig, dass zum Beispiel Förderung für Forschung immer noch von Expert*innen entschieden wird.

 

Welche Zielgruppen haben Sie selbst für den Kodex angesprochen?

 

Bei den unterschiedlichen Konsultationen waren insgesamt ungefähr 100 Menschen dabei, die wir über eine Social-Media-Kampagne erreicht haben oder über Werbung auf verschiedenen Wissenschaftskonferenzen. Und die wir dann gebeten haben, unseren ersten Textentwurf weiter zu verbreiten und zum Mitreden anzuregen. Da haben sich dann Leute aus aller Welt gemeldet, fast von jedem Kontinent war wer dabei.

 

100 Leute klingt trotzdem noch nicht so, als hätten Sie die breite Öffentlichkeit erreicht. Bleibt sogar die Debatte über Public Engagement als eine elitäre Angelegenheit? Müssten Sie nicht doch an den Graphik Designer ran, anstatt von der Berlin School of Public Engagement jemandem an der Universität München zum Mitmachen zu bewegen?

 

Wie ich vorhin sagte: Es kommt immer auf das Thema an. Werden die Leute einbezogen, die ein Thema betrifft? Erreiche ich die Zielgruppe, um die es geht? Wir haben an einem Kodex für Menschen gearbeitet, die Wissenschaftskommunikation und Public Engagement betreiben. Das waren in diesem Fall die Menschen, die wir einbinden wollten. Da ist ganz klar wo der Nutzen für diese Menschen liegt und auch für uns. Der Kodex selbst wird aber hoffentlich dabei helfen, dass Public Engagement für alle Zielgruppen die richtigen Formate entwickelt und Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Dass keiner mehr außen vor bleibt. Ich hoffe, dass wir in der Zukunft mehr als eine Wissensform ernst nehmen werden. Man kann echten Dialog nur mit einem Respekt-Vorschuss betreiben.


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Kommentare: 6
  • #1

    Michael Liebendörfer (Dienstag, 08 November 2022 10:19)

    Das klingt für manche Belange durchaus sinnvoll, aber nicht für alle Fächer machbar. Ich denke etwa an Grundlagenforschung in der Mathematik.

    Und es ist schade, wenn so selbstverständlich und normativ über "die" Wissenschaft gesprochen wird.

  • #2

    Dr. Annette Kreutziger (Dienstag, 08 November 2022 21:58)

    Was für ein Fortschritt, Wissenschaftskommunikation 2.0. Der Codex sollte auf breiter Ebene zum Gespräch anregen und zur Kommunikation ermuntern.

  • #3

    Dr. Thomas Schimmel (Donnerstag, 10 November 2022 00:05)

    Sehr gute Idee mit wirklich gutem Ansatz: Wissenschaftskommunikation scheint mir zu oft eine Einbahnstraße. Der Austausch mit der Gesellschaft wäre hilfreich, auch um Skepsis zu überwinden. Wie kann der Ansatz von Public Engagement in die Breite getragen werden?

  • #4

    naja (Donnerstag, 10 November 2022 19:55)

    Der nächste Kodex, die nächste 'Sau' (Verzeihung), die durch's akademische Dorf gejagt werden soll. Und wie immer bei Varianten der Wissenschaftskommunikation basiert auch diese auf der irrigen Annahme, ernsthafte Wissenschaft und 'der Normalbürger' könnten sich auf Augenhöhe begegnen, zum gegenseitigen Nutzen. Das mag in ganz seltenen Einzelfällen einmal vorkommen, die Regel ist das aber nicht, und sollte es natürlich auch nicht werden, sonst wird Wissenschaft infantilisiert oder verkommt zum politischen Aktivismus. Geldverschwendung also, solche Stellen einzurichten.

  • #5

    Adelheid Herrmann-Pfandt (Freitag, 11 November 2022 16:29)

    Ich werde nie verstehen, warum immer alles Neue mit englischen Namen benannt werden muß! Werden wir so die wissenschaftsfernen Kreise erreichen? Wir leben doch in Deutschland, warum können wir unsere Angelegenheiten nicht deutsch ausdrücken?
    Wenn wir so weitermachen, ist die Sprache Goethes, Thomas Manns und Ingeborg Bachmanns bald ein unschönes Konglomerat aus allem Möglichen, nur die Schönheit der Sprache wird nicht mehr dabei sein.

  • #6

    Roy Schwichtenberg (Donnerstag, 17 November 2022 13:15)

    "[...] Annahme, dass nicht nur die Forschung die Gesellschaft mit ihren Erkenntnissen bereichert. Sondern dass umgekehrt das Wissen, das in der Gesellschaft existiert, hilfreich und von gleichem Nutzen für die Forschenden sein kann."

    Das und weitere Beschreibungen, was Public Engagement ausmacht, klingen für mich stark nach dem, was seit zwei Jahrzehnten in der Nachhaltigkeits- und seit einigen Jahren auch in der Gesundheitsforschung bereits als Transdisziplinarität bezeichnet wird. Was also ist das Neue an Public Engagement?