In der Reaktion der Bundesregierung auf die Krise fehlt bislang die technologische Antwort. Wie sie aussehen sollte. Ein Gastbeitrag von Thomas Jarzombek.
Thomas Jarzombek ist Sprecher der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion für Bildung und Forschung und Vorsitzender der gleichnamigen Fraktions-Arbeitsgruppe. Foto: privat.
1962, RICE UNIVERSITY. "We choose to go the moon", ruft John F. Kennedy seiner Nation mitten im kalten Krieg zu. Was folgt, ist ein nationaler, technologischer Kraftakt, mit dem Geschichte geschrieben wird.
2022, Berlin. Wir befinden uns mitten in einer der größten Krisen seit Bestehen der Bundesrepublik. Der völkerrechtswidrige, brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat unsere Welt schlagartig verändert. Der Bundeskanzler spricht zu Recht von einer Zeitenwende.
Wir müssen durch diesen Winter und viele weitere Winter kommen – ohne russisches Gas. Wir müssen gleichzeitig weitergehen auf unserem Weg zur Klimaneutralität, wie sie von der letzten Bundesregierung im Klimaschutzgesetz festgelegt wurde. Energie muss für die größte Industrienation dabei weiter zuverlässig und zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar bleiben. Eine wirklich große Herausforderung.
Wie begegnet die Bundesregierung nun dieser historischen Herausforderung? Ich sehe im Handeln der Regierung vor allem drei Herangehensweisen: 1. Hilfen für betroffene Haushalte, Unternehmen und Einrichtungen; 2. Initiativen und Appelle zur Einsparung sowie 3. Substitution russischen Gases durch LNG-Importe und Kohlekraftwerke.
Die Krise sollte eine Sternstunde für
die Forschungs- und Technologiepolitik sein
Was dabei komplett fehlt: Eine technologische Antwort. Die aktuelle Krise sollte eine Sternstunde für unsere Forschungs- und Technologiepolitik sein. Ich erwarte vom Bundeskanzler, dass er die Stärken Deutschlands in Wissenschaft und Forschung bei der Bekämpfung der Krise voll und ganz in die Waagschale legt. Doch hiervon ist bisher leider überhaupt nichts zu sehen. Wo ist eigentlich die Stimme der Bundesforschungsministerin in dieser Krise? Ich habe sie nicht vernommen.
Das schmerzt mich. Den Durchbruch bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie verdanken wir schließlich den vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die über Jahre an der mRNA-Technologie geforscht und dann innerhalb kürzester Zeit den ersehnten Impfstoff gegen das COVID19-Virus entwickelt haben – eine große Errungenschaft der Menschheit – dank Wissenschaft und Forschung.
Eine Koalition, die sich selbst als Fortschrittskoalition bezeichnet, sollte eines der leistungsstärksten Wissenschaftssysteme der Welt als Booster gegen die aktuelle Energiekrise zu nutzen wissen. Die Wissenschafts- und Forschungslandschaft ist nicht nur der bestmögliche Ratgeber einer jeden Bundesregierung, sie ist auch gerade in Krisenzeiten die treibende Kraft zur dringend benötigten Erweiterung unseres Handlungsspielraumes. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Bis zum letzten Jahr war es auch so. Heute fehlt eine starke Stimme für Forschung und Wissenschaft in der Regierung.
Wir brauchen jetzt eine Technologie-Agenda, um dieser Energiekrise zu trotzen! Und wir brauchen einen strategischen Blick auf diese Krise. Der Großteil der Diskussion und Maßnahmen greift mir viel zu kurz und zielt nur auf diesen Winter. Aber wie lösen wir das Problem mittel- und langfristig, vereinfacht gesprochen: Womit wollen wir in fünf Jahren heizen?
Eine wissenschaftsgeleitete Agenda,
eingeleitet mit einer schonungslosen Analyse
Diese Technologie-Agenda muss wissenschaftsgeleitet sein und mit einer schonungslosen Analyse beginnen. Darauf aufbauend gilt es reife Technologien in unserer Forschungslandschaft zu identifizieren. Durch eine gemeinsame Transferinitiative von Wirtschafts- und Forschungsministerium, zusammen mit unserem starken Mittelstand, gilt es diese Technologien zügig auf den Markt zu bringen - vom Labor in die Fabriken und auf die Dächer dieses Landes.
Mittel- und langfristige Lösungen müssen dringend zum Ziel einer neuen, prioritären Mission der Zukunftsstrategie "Forschung und Innovation" werden.
Diese Zukunftsmission muss vor allen anderen stehen und mit einem "Wumms" an Mitteln unterlegt werden. Einen dreistelligen Milliardenbetrag stellt die Regierung zur Bekämpfung der Krise bereit. Ein Teil der im Raum stehenden Summen muss endlich in Zukunft investiert werden. Ich erwarte von den Ampelfraktionen, dass sie zügig ein Paket für Investitionen in Zukunftstechnologien auflegen.
Insbesondere müssen auch Technologien mitgedacht werden, die erst ein langfristiges Potenzial aufzeigen – etwa bei der Kernfusion –, wo aber heute die zentralen Weichenstellungen vorgenommen werden müssen, um künftig erfolgreich sein zu können. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir gesehen, dass frühzeitige Investitionen in neue Technologien entscheidend für den späteren Erfolg sind. Sind die Märkte erst verteilt, ist ein Aufholen schwierig bis unmöglich.
Insbesondere die notwendigen Talente wandern schneller ab, als sich das viele vorstellen wollen.
Deshalb muss der Staat neben den erfolgreich etablierten Forschungsprogrammen auch darauf setzen, als starker Ankerkunde für neue Technologien aufzutreten. Bei Launchern und Quantencomputern wurde dieser Ansatz in der vergangenen Wahlperiode verifiziert. Staatlichen Aufträgen folgten dabei private Wagniskapitalinvestitionen in mindestens gleicher Höhe.
Alle Maßnahmen müssen darauf abzielen,
unser Land klimaneutral zu machen
Startups spielen eine zentrale Rolle, wenn es um disruptive Technologien geht. Notwendig ist deshalb neben SPRIND und – irgendwann – der DATI ein drittes Instrument, um disruptive Technologien in der Wissenschaftslandschaft zu identifizieren und besser als bisher zu globalen Unternehmen aufzubauen.
Die aktuelle Krise ist eine Chance für eine klimaneutrale Kompensation von fossilem Gas. Deshalb müssen alle Maßnahmen darauf abzielen, unser Land klimaneutral zu machen.
In diesem Kontext ist eine zentrale Erkenntnis aus der Wissenschaft, dass wir globale Energiepartnerschaften brauchen. Konkret: der Aufbau von Solar- und Windparks für grünen Strom, der
umgewandelt in Ammoniak, Wasserstoff oder eFuels auch per Schiff zu uns transportiert wird. Diversifiziert über viele Länder auch des globalen Südens, als europäischer Ansatz idealerweise im
Rahmen der 300-Milliarden-Initiative "Global Gateway".
Die Grundlagen dafür haben wir mit unserer Nationalen Wasserstoffstrategie in der vergangenen Wahlperiode gelegt. Jetzt muss die Skalierung im industriellen Maßstab erfolgen. Auf diese Weise können wir, wie auf vielen weiteren vielversprechenden Technologiefeldern, in den nächsten fünf Jahren unsere Energieversorgung der Zukunft bauen.
Der "Moonshot" ist auch 60 Jahre nach der Mond-Rede von John F. Kennedy DAS Synonym für Forscherinnen und Forscher, um zu zeigen: Wir sind maximal ambitioniert. Es ist die Stunde für uns als Nation, jetzt unseren Energy Moonshot zu starten.
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Nathalie Dehne (Freitag, 18 November 2022 17:29)
Hallo Herr Jarzombek,
ich wundere mich etwas über Ihren Aufruf. Deutsche Forscher und Unternehmen liefern seit Jahren Ideen und Produkte, um den Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu vollbringen. Woran es bisher gefehlt hat, ist die flächendeckende Umsetzung. Wie das gelingen kann, auch dazu gibt es aktive Stimmen aus der Wissenschaft, die aber nicht nur Im Bund, sondern auch in den Ländern gehört werden müssten. Vielleicht sprechen Sie mal mit Ihren Kolleg*innen vor Ort, damit wir alle den Umbau gemeinsam angehen können.
Viele Grüße
Nathalie Dehne