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Iran: Die Revolution beginnt auf dem Campus

Universitäten und Schulen stehen im Zentrum der seit Wochen andauernden Proteste im Iran – und sind im Gegenzug besonders von der brutalen Unterdrückung durch das Regime betroffen. Ein Plädoyer für die Wissenschaftsfreiheit und für klare Signale der internationalen Gemeinschaft. Von Kai Gehring.

Kai Gehring (Grüne) ist Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages. Foto: Mirko Raatz.

SIE LASSEN SICH nicht einschüchtern. Nicht von der brutalen Repression der Proteste, nicht von den Drohungen der iranischen Regierung, noch härter gegen Kundgebungen vorzugehen, nicht von der jüngsten Forderung einiger Parlamentarier*innen, die Todesstrafe gegen die verhafteten Demonstrierenden zu vollstrecken. Dieser mutige Einsatz für Menschen- und Freiheitsrechte verdient unsere volle Solidarität und Unterstützung. 

 

Vor zwei Monaten löste der Tod der 22-jährigen Mahsa Jina Amini in Polizeigewahrsam im Iran eine landesweite Protestwelle von mutigen Frauen gegen die Gewaltherrschaft des Regimes in Teheran aus. Ihr Tod steht symptomatisch für ein System von Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen, unter dem vor allem Frauen, Minderheiten und LGBTQI-Community leiden. 

 

Seither reißen die Proteste nicht ab. Immer mehr Menschen aus einer nie dagewesenen Breite der iranischen Gesellschaft schließen sich an und fordern grundlegende politische Veränderungen. Die iranische Studierendenschaft gehörte zu den ersten Gruppen, die sich an den Protesten beteiligten. Mittlerweile geht es ihnen auch um Solidarität mit ihren festgenommenen Kommiliton*innen. Laut Medienberichten organisieren Studierende an ihren Universitäten Sitzstreiks oder reißen Barrieren zur Geschlechtertrennung in den Uni-Cafeterien nieder. Wissenschaftler*innen zahlreicher Universitäten unterstützen sie mit offenen Briefen gegen das Regime. 

 

Es ist kein Zufall, dass die Schulen und Universitäten die zentralen Orte der Demonstrationen sind. Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen sind seit jeher Orte der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit und des kritischen Denkens. So auch im Iran, wo liberale Werte und oppositionelle Gruppierungen stets Einzug an Universitäten halten. Die jüngste Geschichte des Landes ist durchzogen von Konfrontationen zwischen Studierenden und der Regierung. 

 

Die Proteste stehen für die aufklärerische
Kraft von Bildung und Wissenschaft

 

Die iranische Hochschullandschaft ist führend in der Region und wurde in den vergangenen Jahrzehnten weiter ausgebaut, auch durch größtenteils im Ausland ausgebildete iranische Wissenschaftler*innen. Über vier Millionen Menschen studieren im Iran. Zum Vergleich: In Deutschland sind weniger als drei Millionen Studierende eingeschrieben, bei einer vergleichbaren Bevölkerungsgröße. Über 56.000 iranische Studierende leben im Ausland, Deutschland ist das drittbeliebteste Zielland. Insgesamt ist die iranische Wissenschaft trotz schwieriger Bedingungen eng mit der westlichen Wissenschaftscommunity verbunden. 

 

Die aktuellen Proteste im Iran stehen für die aufklärerische Kraft von Bildung und Wissenschaft. Doch anstatt die akademische Freiheit und die Grundrechte von Studierenden und Wissenschaftler*innen zu gewährleisten, schlägt der iranische Staat mit Willkür und Repressionen zu. Bezeichnend dafür ist die massive Gewalt der Sicherheitskräfte gegen Studierende und Professor*innen an der Scharif-Universität in Teheran Anfang Oktober. 

 

Ein Regime, das auf seine Jugend einknüppeln lässt, mittlerweile hunderte Todesopfer zu verantworten hat und über 15.000 Menschen inhaftiert, diskreditiert sich für alle sichtbar und nachhaltig als skrupellos und inhuman. Geschlossene Diktaturen wie der Iran zeigen ihre Illegitimität und mangelnde Zukunftsfähigkeit daran, dass sie gezielt kritische Geister und Vordenker*innen aus Wissenschaft und Kultur überwachen, einschüchtern, drangsalieren oder mit konstruierten Vorwürfen in Foltergefängnissen wegsperren und hinrichten. 

 

Doch Denken lässt sich nicht verbieten. Der Drang nach Freiheit und kreativer Entfaltung lässt sich nicht wegsperren. Gesellschaftliche Innovationen lassen sich nicht auf Dauer niederschlagen. Die Weltöffentlichkeit sieht und erahnt, welche – auch anti-intellektuelle – Willkürherrschaft vom Mullah-Regime ausgeht.

 

Unsere Antwort muss eine menschenrechtsbasierte
und feministische Außenpolitik sein

 

Das brutale Vorgehen der iranischen Behörden gegen Protestierende an Universitäten und Schulen stellt einen inakzeptablen Angriff auf Versammlungsfreiheit, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sowie das Recht auf Bildung dar. Unsere Antwort darauf muss eine menschenrechtsbasierte und feministische Außenpolitik sein. Die internationale Gemeinschaft muss auf die Freilassung der festgenommenen Protestierenden hinwirken, unter ihnen viele Studierende, Lehrkräfte, Wissenschaftler*innen und Schüler*innen. 

 

Mit den Sanktionspaketen der Europäischen Union senden wir eine klare Botschaft der Missbilligung an das Regime. Am Montag haben die EU-Außenminister weitere Sanktionen beschlossen, die sich gezielt gegen den inneren Zirkel der Revolutionsgarden richten. Ein richtiger Schritt, dem weitere entschiedene Maßnahmen folgen müssen. So muss etwa eine Verschärfung der Handels- und Finanzsanktionen dringend geprüft werden. 

 

Die Situation im Iran steht auf Initiative von Deutschland und weiteren Staaten auf der Tagesordnung des UN-Menschenrechtsrats nächste Woche in Genf. Es wäre ein wichtiges Signal, wenn die Mitgliedstaaten dort einen Aufklärungsmechanismus zur Untersuchung und Dokumentation der Menschenrechtsverletzungen der iranischen Behörden einsetzen 

 

In Deutschland lebende Exil-Iraner*innen sind ein wichtiges Sprachrohr der Protestbewegung. Deshalb müssen wir demokratische Oppositionelle und Wissenschaftler*innen in Deutschland durch die Sicherheitsbehörden verstärkt schützen und konsequent gegen iranische Agent*innen vorgehen. 

 

Unsere Außenministerin Annalena Baerbock kündigte Ende Oktober an, Projekte im Menschenrechtsbereich und zur Stärkung der Zivilgesellschaft auszubauen. Es ist unerlässlich, dass die Schutzprogramme für verfolgte iranische Wissenschaftler*innen aufgestockt, dass Unterstützung und Bleibeperspektiven für Exil-Wissenschaftler*innen und Studierende hierzulande gestärkt werden. Wichtige Voraussetzungen dafür haben wir vergangene Woche im Haushaltsausschuss des deutschen Bundestages mit der Aufstockung der Mittel für die Mittlerorganisationen der deutschen Außenwissenschaftspolitik geschaffen. 

 

Als freiheitlicher Staat müssen wir für die Rechte der Protestierenden im Iran und für die Wissenschaftsfreiheit eintreten.


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Kommentare: 3
  • #1

    Dankbarkeit (Donnerstag, 17 November 2022 22:45)

    Vielen Dank für diesen wichtigen Appell! Wir vergessen leider allzu oft, wie schwer Menschenrechte und Demokratien erkämpft werden mussten und weiterhin werden müssen.

  • #2

    Naja (Freitag, 18 November 2022 17:58)

    Kommt ein wenig spät, die Anteilnahme von Herrn Gehring
    als Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung, Technikfolgenabschätzung.
    Die Aufstände im Iran unter Beteiligung der Studenten laufen seit 2 Monaten. Da waren die meisten deutschen Universitäten schon schneller mit Solidaritätsadressn auf ihren Webseiten, und das will was heissen.
    Warum so eine späte Reaktion? Und dann in einer so wohlfeilen Formulierung), wie man sie inzwischen auf fast jeder Uniseite lesen kann, und mit Forderungen, die längst von anderen erhoben worden sind. Wenig glaubwürdig, diese Einlassung. Herr Gehring ist leider bislang kein Gewinn für die deutsche Wissenschaft.

  • #3

    Baran (Dienstag, 29 November 2022 22:56)

    Wir benötigen die Deutsche Solidarität dass die Deutschland sofort alle Mullah regim Botschaften schließen und auch Deutsche Botschaft im Tehran abschließen! So wie eine Ausrede von Grünen oder anderer , sind für Iraner eine Bleidigung!!!!!