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Große Enttäuschung und ernste Fragen

Eine Leitfigur der Open-Science-Szene erhält ausgerechnet eine vom Großverlag Elsevier finanzierte Professur. Ein Aprilscherz mitten in der Adventszeit? Ein Gastbeitrag von Björn Brembs.

WAS WÜRDE WOHL über Greta Thunberg hereinbrechen, wenn sie eine von Shell finanzierte Professur an einer renommierten Universität in London anträte? Oder, mehrere Nummern kleiner, was würde einem respektierten Lungenfacharzt blühen, wenn er, sagen wir, die von Philip Morris unterstützte "Marlboro Professur für Lungenheilkunde" an der Charité übernähme? In jedem Fall leuchtet unmittelbar ein, dass der Vertrauensverlust für die beiden gewaltig wäre. Und für die beteiligten Hochschulen nicht weniger. Weshalb solche – hypothetischen – Szenarien von vornherein so unrealistisch anmuten. 

 

Und doch ist Vergleichbares neulich in Deutschland eingetreten. Heinz Pampel hat bekannt gegeben, dass er die vom Verlag Elsevier finanzierte Professur für Information Management des Einstein Center for Digital Future (ECDF) an der Berliner Humboldt-Universität antritt. Bislang war Pampel nicht nur stellvertretender Leiter des "Helmholtz Open Science Office", als langjähriger Open-Access-Aktivist war er zudem engagiert in diversen Initiativen, die sich der Modernisierung der Informationsinfrastruktur in der öffentlichen Wissenschaft verschrieben haben.

 

Pampels neue Professur gibt es seit 2017, sie beruht auf der Zusammenarbeit der HU mit Elsevier im Rahmen des "Humboldt-Elsevier Advanced Data and Text Centre", erste Stelleninhaberin war Rebecca Frank. Ein Aprilscherz mitten in der Adventszeit?


Björn Brembs ist Professor für Neurogenetik an der Universität Regensburg und setzt sich seit 2007 für die Modernisierung der digitalen Infrastruktur in der Wissenschaft ein.

Foto: privat.



Noch pikanter wird Pampels berufliche Umorientierung dadurch, dass nur eine Woche vor deren Ankündigung eine Handreichung der Allianzinitiative "Digitale Information" zum Umgang wissenschaftlicher Einrichtungen mit Konzernen wie Elsevier erschienen war. Gegenstand: Vertragsabschlüsse für Publikationsdienstleistungen.

 

Mit besonderer Spannung hatte die Community auf die Vorschläge gewartet, die sich auf die Überwachung der Wissenschaft beziehen würden. Denn vor etwa 10 Jahren begannen die internationalen Großverlage Überwachungstechnologie en masse einzukaufen und zu implementieren, um die Arbeit von Forschenden und ihrer Institutionen global und flächendeckend feinkörnig analysieren und lenken zu können. Im Mai vergangenen Jahres hatte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein sehr vielbeachtetes Papier veröffentlicht, in dem diese Praxis aufgeschlüsselt, angeprangert und als potentiell grundrechtsverletzend beschrieben wurde. Gerade erst war dieses "Wissenschaftstracking" auch Thema in der FAZ.

 

Eine der Hauptbestrebungen der Open-Science-Bewegung ist es, die Privatisierung des öffentlichen Gutes Wissenschaft zurückzudrängen. Da erschien die Echtzeiterfassung der persönlichen Daten, der Verhaltensweisen und akuten Forschungsfragen der zumeist öffentlich angestellten Forschenden durch die gleichen Konzerne, die den Publikationsmarkt beherrschen, nachgerade als erhobener Mittelfinger. Entsprechend groß war die Empörung, die DFG hat gar eine eigene Data-Tracking-AG eingerichtet und dazu ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Umso gespannter erwartete die Szene die Allianz-Handreichung und hoffte, diese würde das Überwachungs-Treiben der Konzerne klar in die Schranken weisen.

 

Doch das Papier enttäuschte auf ganzer Linie. Renke Siems, einer der wenigen, die das Wissenschaftstracking der Konzerne seit Anfang an kritisch verfolgt haben, nannte direkt nach Erscheinung die gelisteten Maßnahmen auf seinem Mastodon-Kanal "hilflos" und "unzulänglich". Andere Mitglieder der Open-Science-Community äußerten sich ähnlich. 

 

Gemeinsame Sache
mit dem Großkonzern

 

Wenn sich dann nur eine Woche später herausstellt, dass einer der federführenden Autoren während der Erstellungsphase der Handreichung die Bewerbung auf eine Professur laufen hatte, die von einem der in der Handreichung behandelten Großkonzerne finanziert wird, wirft das ernste Fragen auf.

 

Herr Pampel hat sicher nicht die globale Aufmerksamkeit einer Greta Thunberg, aber er ist in der Deutschen Open-Science-Community mindestens so bekannt und angesehen, wie es eine Koryphäe für die Lungenheilkunde wäre. Nicht umsonst war er leitender Autor der Allianz-Handreichung, die immerhin Verträge in der Höhe von zusammen rund 200 Millionen Euro jährlich zum Gegenstand hatte. Bei all diesem Engagement für Open Science sollte man eigentlich vermuten, dass er sich, wie die gesamte Community, auch dafür einsetzen würde, dass die Belange der Gesellschaft und der Wissenschaft über denen von Konzernen zu stehen haben.

 

Und nun macht Heinz Pampel gemeinsame Sache ausgerechnet mit demjenigen Konzern, der sich am energischsten und effektivsten gegen jegliche Veränderung im Sinne der Wissenschaft zur Wehr setzt? Leider, so scheint es, handelt es sich nicht um einen Aprilscherz.

 

Auf Mastodon erläuterte Pampel, er habe eine ECDF-Gastprofessur an der HU übernommen, das Funding komme "auch" von Elsevier. Doch seien die Förderung und Ausgestaltung der Professur getrennt, fügte er mit Hinweis auf die Freiheit von Forschung und Lehre hinzu – und verwies für weitere Hintergründe auf die ECDF-Website.

 

Elsevier weiß seine neueste Errungenschaft sicher zu schätzen. Ob und in welchem Umfang der Konzern auch das Einstein Center for Digital Future finanziert, ist momentan Gegenstand einer Informationsfreiheitsanfrage.


Kommentare: 6 (Diskussion geschlossen)
  • #1

    Aus einer Berliner Uni (Freitag, 16 Dezember 2022 17:58)


    In der Tat befremdlich.

    Da das ECDF keine festen Professuren einrichten kann, kann es sich nur eine befristet Professur sein. W1 ohne TT sind in Berlin seit dem neuen BerlHG verboten: Also wird es eine befristete W2 sein? Oder das Verfahren läuft schon seit mehr als einem Jahr, startete also vor der Novelle? Erstaunlicherweise konnte ich dazu nirgends etwas finden.

    Vielleicht erkundigen Sie sich auch gleich, wie die Berufung in der Rekordzeit gelingen konnte. Eigentlich rechnen wir mit mindestens 1,5 Jahren. Selbst wenn die vorherige Amtsinhaberin Ihren Weggang mit 6 Monaten Vorlauf angekündigt hat, wären hier aber nur 10 Monate vergangen. Das geht eigentlich nur, wenn das Verfahren ad-personam war oder aber es keine Nachfolge sondern eine "frische" Professur ist - siehe auch die Überlegungen im vorherigen Absatz.

    MfG

  • #2

    Interessent (Montag, 19 Dezember 2022 09:36)

    An "Aus einer Berliner Uni": haben Sie einen Hinweis auf die Ausschreibung der Professur? Von außen findet man auf den ersten Griff zwar die Ausschreibung für die Vorgängerin, aber nicht diese. Wissen Sie mehr?

  • #3

    Ebenfalls aus einer Berliner Uni (Dienstag, 20 Dezember 2022 20:26)

    Es ist sehr schade, dass bei diesem Beitrag offenbar kein Statement der Person eingeholt wurde, um die es geht. Bei allen berechtigten Fragen zu dieser Konstellation, aber wenn eine Person öffentlich derart schwerwiegend beschuldigt wird, wäre es wohl absolut angebracht, eine Gegendarstellung einzuholen oder sie mindestens zu Wort kommen zu lassen. Bislang war der Blog hier immer sehr differenziert. Warum hier nicht?

  • #4

    Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 21 Dezember 2022 08:25)

    @Ebenfalls aus einer Berliner Uni:
    Vielen Dank für Ihren Kommentar. Herr Pampel kommt in dem Gastbeitrag von Herrn Brembs zu Wort, was mir auch sehr wichtig war. Die im Beitrag zitierte Stellungnahme stammt aus einer direkten Kommunikation zwischen Herrn Brembs und Herrn Pampel auf Mastodon: https://openbiblio.social/@pampel/109444812363003123

  • #5

    Auch aus einer Uni (Mittwoch, 21 Dezember 2022 09:02)

    @Wiarda
    Ich würde da @Ebenfalls aus einer Berliner Uni voll zustimmen. Wusste Herr Pampel denn bei seiner Antwort auf Mastodon, dass dieser Blogbeitrag geplant war und seine Antwort als "zu Wort kommen" gewertet wird? Das klingt für mich nicht so. Eigentlich wäre bei solchen Anschuldigungen aus guter journalistischer Praxis doch eine differenzierte Stellungnahme von beiden Parteien angebracht. Es ist gut und wichtig Kritik zu üben an dieser Konstellation und wahrscheinlich auch an Stiftungsprofessuren im Allgemeinen, jedoch liest sich dieser Beitrag für mich wie eine persönliche Anklage, voller unbelegter Unterstellungen und ohne Chance zur Verteidigung. Wie genau kommt man da zu einer ausgewogenen und kritischen Diskussion? Ich bin tatsächlich sehr verwundert, dass so ein Beitrag auf diesem Blog veröffentlicht wurde. Enttäuschend, denn auch ich habe den Blog bislang ganz anders wahr genommen.

  • #6

    Elke Greifeneder (Mittwoch, 21 Dezember 2022 14:24)

    Das Institut hat ein Statement zu der ECDF-Professur veröffentlicht, welches hier zu finden ist: http://bit.ly/3YEYR3v