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"Wenn schon verglichen wird, dann bitte fair"

Warum der "Kerndatensatz Forschung" nichts nur für statistische Feinschmecker ist, sondern allen in der Forschung den Arbeitsalltag erleichtert: ein Interview mit Simone Fulda über unnötige Zeitverschwendung, die Qualität von Daten und den Kampf gegen die Kommerzialisierung.

Die Medizinerin Simone Fulda ist Präsidentin der Universität Kiel und leitet die 2021 eingerichtete Kommission für Forschungsinformationen in Deutschland (KFid). Foto: Jürgen Haacks, Uni Kiel.


Frau Fulda, was ist der Kerndatensatz Forschung (KDSF), und wer hat etwas davon, dass es ihn gibt? 

 

Der KDSF ist ein Standard, damit alle dasselbe meinen, wenn sie über Forschungsaktivitäten und -kontexte berichten. Es geht also um Informationen über die Forschung, so genannte Forschungsinformationen. Nicht zu verwechseln mit Forschungsdaten, die Forschung für ihren eigenen Erkenntnisgewinn sammelt.  

 

Geben Sie bitte ein paar Beispiele für Forschungsinformationen. 


Die Höhe der eingeworbenen Drittmittel. Die Zahl der Beschäftigten nach Kategorien. Die Art wissenschaftlicher Publikationen, Patente – und vieles mehr.

 

Und wer berichtet sie dann an wen?

 

Oh, die Berichtspflichten sind vielfältig. Hochschulen, Wissenschaftseinrichtungen, Forschungsinstitute, sie alle legen regelmäßig Rechenschaft ab über das, was sie mit öffentlichen Geldern tun. Die von ihnen gelieferten Berichte gehen zum Beispiel an den Bund und an die Länder. Auch das Statistische Bundesamt fordert regelmäßig Daten an. Und der Wissenschaftsrat braucht Forschungsinformationen, wenn er Hochschulen oder Forschungseinrichtungen evaluiert. Bewerbungen in der Exzellenzstrategie bestehen ebenfalls zu einem guten Teil aus Daten über die Forschungsleistung der Universitäten, und die müssen vergleichbar erhoben werden. Dafür braucht es einen Standard. Den KDSF.

 

"Es kann doch nicht sein, dass jede Antragstellerin sich die Statistiken für jeden Bericht einzeln zusammensuchen und dann hoffen muss, dass die Zahlen schon irgendwie passen."

 

Mit Verlaub: Das klingt vor allem nach jeder Menge Bürokratie. Dabei klagen viele Forschende schon jetzt darüber, dass sie zu viel Zeit mit ihren Berichten und Anträgen verbringen.

 

Richtig, und genau darum sollten wir unnötige Zeitverschwendung verhindern! Es kann doch nicht sein, dass jede Antragstellerin sich die Statistiken für jeden Bericht einzeln zusammensuchen und dann hoffen muss, dass die Zahlen am Ende schon irgendwie passen. Viel besser ist es, wenn sich vorab alle auf einen bestimmten Satz von Forschungsinformationen einigen, die jede wissenschaftliche Einrichtung zu jeder Zeit vorhält – erhoben nach derselben Definition. Die Digitalisierung macht das eigentlich einfach, da fallen jede Menge Daten fast automatisch an, man muss sie dann aber auch systematisch sammeln und nutzbar machen. Das Gleiche gilt im Großen, wenn die Forschungsorganisationen ihre Monitoring-Berichte zum Pakt für Forschung und Innovation schreiben, das wäre ohne die Einigung auf einen gemeinsamen Standard nicht vergleichbar.

 

Sie sprechen von einer Arbeitserleichterung. Andere werden fürchten, dass sich der Wettbewerbsdruck im Wissenschaftssystem weiter erhöht, wenn immer mehr Daten zur Verfügung stehen, die den Vergleich zwischen Forschenden und Institutionen jederzeit auf Knopfdruck möglich machen.

 

Moment! Dieser Wettbewerb ist doch ohnehin da, und durch den KDSF entsteht kein einziger zusätzlicher Berichtsanlass. Aber wenn schon verglichen wird, dann bitte fair. Nur dann entsteht wirkliche Transparenz. Und was das "auf Knopfdruck" angeht: Ganz so einfach ist es nicht. Natürlich müssen die Daten weiter interpretiert werden.



So, wie Sie es darstellen, müsste sich der KDSF seit seinen Anfängen 2015 größter Beliebtheit erfreuen. Tatsächlich haben sich die meisten Einrichtungen nicht oder nur zögerlich auf seine Anwendung eingelassen. 

 

Der KDSF geht zurück auf eine Empfehlung des Wissenschaftsrats von 2013. Seine Entwicklung hat danach natürlich Zeit in Anspruch genommen. Denn die nötigen Harmonisierungen sind nicht trivial. Was verstehen wir zum Beispiel unter einer Promovendin und unter einem wissenschaftlichen Mitarbeiter? Was sind Honorarprofessuren? Damit nicht mehr Äpfel mit Birnen verglichen werden, mussten erstmal die gemeinsamen Definitionen gefunden werden, die alle mittragen. Und ganz wichtig: Die Nutzung des KDSF war und ist freiwillig, und das ist gut so. Mit seiner Freiwilligkeit geht allerdings einher, dass der KDSF vielen bislang gar nicht begegnet ist. Die mangelnde Bekanntheit hat zu einer schleppenden Implementierung geführt, so dass die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern, wiederum auf Anregung des Wissenschaftsrats, 2021 die Einrichtung einer Kommission für Forschungsinformationen in Deutschland (KFiD) beschlossen hat.

 

Deren Vorsitzende Sie sind und in der viele namhafte Wissenschaftlerinnen und Hochschulpräsidentinnen sitzen. Wurden denn vor dem KDSF tatsächlich Äpfel mit Birnen verglichen? War die Lage so schlimm?

 

Die Datenqualität war in Teilen miserabel, ja. Und der Aufwand für Forschende und Einrichtungen hoch.

 

"Nur durch einen gemeinsamen Standard lässt sich die Fragmentierung und Kommerzialisierung von Forschungsdaten verhindern."

 

Wie wollen Sie denn jetzt als KFiD die Forschungscommunity von den Stärken des KDSF überzeugen? 

 

Durch mehr Öffentlichkeit und durch mehr Beratung. Bis zur Einrichtung der KFiD-Geschäftsstelle gab es einen Helpdesk, der Forschenden und Forschungseinrichtungen auf Anfrage bei der Anwendung des KDSF geholfen hat. Aus Kapazitätsgründen aber rein reaktiv. Dem Helpdesk fehlte auch eine Organisation dahinter, die alle zentralen Akteure im Wissenschaftssystem einband und eine starke Stimme für den KDSF und seine Vorteile war. Genau das sind wir als Kommission jetzt, während die Geschäftsstelle umfangreiche Informations- und Beratungsangebote für alle macht. Und zwar proaktiv. Unter anderem müssen wir viel deutlicher machen, dass sich nur durch einen gemeinsamen Standard die Fragmentierung und Kommerzialisierung von Forschungsdaten verhindern lässt.

 

Wie meinen Sie das?

 

Es ist doch so: Das Bedürfnis nach vergleichbaren Daten ist da. Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Die großen Wissenschaftsverlage haben das längst erkannt, sie sind seit Jahren am Sammeln, und sie haben kein Problem mit den Standards, denn sie können sie selbst setzen. Weshalb beim Vergleich von Publikationsdaten dann oft Erhebungen von Elsevier und anderen zurückgegriffen wird. Wenn das so weitergeht, verlieren wir als Wissenschaftssystem die Hoheit über die Forschungsinformationen, und das müssen wir verhindern, indem wir die Standards selbst setzen – und sie gleichzeitig immer weiterentwickeln.

 

Im Dezember hat Ihre Kommission die KDSF-Version 1.3. veröffentlicht. Ändern Sie die Definition von Promovierenden oder wissenschaftlichen Mitarbeitern jetzt alle paar Jahre?

 

Nein, die bleiben, wie sie sind. Aber es kommen Aspekte hinzu. Zum einen gibt es einen Berichtsstandard auf europäischer Ebene, und wir müssen schauen, dass die im KDSF enthaltenen Definitionen der Forschungsinformationen dazu passen. Zum anderen müssen wir interdisziplinäre Forschungsleistungen besser abbilden. Bislang mussten die immer einer Disziplin zugeordnet werden, künftig nicht mehr. 

 

Was etwa dazu führte, dass alle von der großen Bedeutung interdisziplinärer Forschungsvorhaben redeten – bei der Forschungsförderung aber die rein disziplinären Anträge oft die besseren Chancen hatten.

 

Genau das. Jetzt werden bislang zu wenig beachtete Forschungsleistungen sichtbarer: etwa zum Thema Nachhaltigkeit, über dessen große gesellschaftliche Relevanz ich nun wirklich nichts sagen muss. Unsere Botschaft an die Wissenschaft ist einfach: Der KDSF ist eine große Chance, die umso größer ist, wenn möglichst viele mitmachen. Also nutzt sie!

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Kommentare: 4
  • #1

    Dietrich Nelle (Mittwoch, 11 Januar 2023 09:39)

    Danke, wichtiger Beitrag!

  • #2

    Boris Pawlowski (Mittwoch, 11 Januar 2023 10:05)

    Prima. Sehr auf den Punkt formuliert, Frau Fulda!

  • #3

    Martin Hofmann-Apitius (Mittwoch, 11 Januar 2023 11:57)

    Ich hoffe mal, der Chatbot für die Beantwortung von Fragen zur Effizienz von Fördermaßnahmen wird schon trainiert …

  • #4

    Dr. Luzia Vorspel (Donnerstag, 12 Januar 2023 09:02)

    Genau diese Rankings, die ein Verhältnis zwischen Publikationen und Anzahl der WissenschaftlerInnen setzen, führen dazu, dass viele Universitäten - zumindest in NRW - wissenschaftliche Beschäftigte als MitarbeiterInnen in Technik und Verwaltung einstellen.