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"Ein Klima der Psychological Safety"

Nur 23 Prozent Professorinnen, ein Studentinnenanteil von 37 Prozent: Kann die Technische Universität München Gleichstellung? Ein Interview zum Internationalen Frauentag mit Claudia Peus und Thomas Hofmann.

Claudia Peus ist Professorin für Forschungs- und Wissenschaftsmanagement an der TU München und seit 2017 Geschäftsführende Vizepräsidentin für Talentmanagement und Diversity. Thomas Hofmann ist Professor für Lebensmittelchemie und Molekulare Sensorik und seit 2019 Präsident der TUM. Fotos und Montage: Andreas Heddergott /Astrid Eckert / TUM.

Frau Peus, Herr Hofmann, ist die Technische Universität München (TUM) eine Männerbastion?

 

Thomas Hofmann: Wir haben viel an unserem Mindset gearbeitet und es in den letzten zehn Jahren verändert. So haben wir mit der Einführung des "TUM Faculty Tenure Track" im Jahr 2012 neue Maßnahmen bei Berufungen eingeführt. Wir haben festgelegt, dass in allen Berufungskommissionen mindestens zwei Professorinnen sitzen müssen und bei internationalen Gutachten zumindest eines von einer Frau stammen muss. Das sind nur wenige Beispiele für ein ganzes Bündel an Maßnahmen, das wir über die Jahre stufenweise etabliert haben.

 

Weil die TUM so ein großes Problem mit der Gleichstellung hatte?

 

Hofmann: Vor dem Hintergrund, dass wir das intellektuelle Potential in all seiner Vielfalt nutzen wollen, waren die Zahlen nicht ausreichend gut, das stimmt. Und immer noch liegt der Anteil der Professorinnen an der TUM insgesamt gerade mal bei knapp 23 Prozent. Das verdeckt allerdings die erfreuliche Entwicklung, die dahinter längst stattgefunden hat. So beträgt der Frauenanteil bei den Neubesetzungen über Tenure Track (W2) stets zwischen 37 und 40 Prozent. Dieser Frauenanteil wächst jetzt organisch in die Gruppe unserer "Associate Professors" und "Full Professors" (W3) hinein, deren Frauenanteile sich dadurch von heute 27 bzw. 18 Prozent deutlich steigern werden. Doch wir setzen nicht nur auf diese Entwicklung entlang des Tenure Track. Parallel dazu suchen wir aktiv nach exzellenten Kandidatinnen für W3-Niveau. Da diese Professorinnen allerdings weltweit hart umkämpft sind, haben wir Sonderprogramme wie zum Beispiel die "TUM Liesel Beckmann Spitzenprofessur" entwickelt.

 

Claudia Peus: Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass uns auf der akademischen Karriereleiter unterwegs nicht zu viele Frauen verloren gehen. In einigen Fächern gelingt uns das, in der Informatik zum Beispiel. Da gibt es nur 20 Prozent Studentinnen, aber auch einen Professorinnenanteil von 20 Prozent. In anderen TUM-Fächern und Schools ist die Leaky Pipeline leider ausgeprägter.

 

"Das ist noch nicht Genderparität, aber für
eine technische Universität ein hoher Wert"

 

Das neue bayerische Hochschulgesetz schreibt Ihnen vor, die Gleichstellung nach dem so genannten Kaskadenmodell vorzunehmen, das heißt: Der Frauenanteil soll auf jeder Karrierestufe mindestens den Stand der Stufe darunter erreichen. Da wird ein Studentinnenanteil von 20 Prozent schnell zu einer bequemen Ausrede, oder?

 

Peus: Wir sind TUM-weit inzwischen bei 37 Prozent Studentinnen. 

 

Hofmann: Und der Anteil der Studentinnen geht jedes Jahr um einen Prozentpunkt nach oben. Das ist noch nicht Genderparität, aber für eine technische Universität ein hoher Wert.

 

Klassischerweise reden männliche Professoren sich mit dem Argument raus, bei ihnen gebe es keine Ungleichbehandlung, schließlich könne jeder und je ihr Fach studieren. "Was können wir also dafür, wenn Frauen einfach keine Lust dazu haben?" 

 

Peus: Das hört man schon noch. Übrigens gerade auch in der Industrie nach dem Motto: Da können wir nichts machen, die wollen halt nicht. Das Schöne ist aber: Wir sind eine wissenschaftliche Einrichtung, da findet zu fast allem Forschung statt, auch zu dieser Frage, und die zeigt eindeutig: Es hängt von den Bedingungen ab, ob Frauen ein bestimmtes Fach studieren wollen. Nicht nur von dem Fach an sich. Es kommt zum Beispiel auch auf die Ansprache an, auf das Wording, auf die Bebilderung. Das fängt an im Kindergarten und geht weiter mit Schulbüchern, in denen zum Beispiel bis vor wenigen Jahren fast nur männliche Naturwissenschaftler und Ingenieure abgebildet waren. An den Universitäten beobachten wir Unterschiede in der Art, wie in technischen Fächern Lehrende mit jungen Männern und mit jungen Frauen interagieren. Wir müssen uns immerzu fragen: Aktivieren wir durch unsere Formulierungen und Handlungen, bewusst oder unbewusst, bestimmte Stereotype? Das wirkt sich auf die Studierneigung von Frauen aus, das ist bei der Bewerbung um Stipendien nicht anders und auch bei der Ausschreibung von Wissenschaftlerstellen. 

 

Sie sagen: Bewusst oder unbewusst. Ich kann mir vorstellen, dass es immer noch Professoren gibt, die sich bewusst dagegen wehren, den hohen Männeranteil als Problem zu sehen. 

 

Peus: Die Stereotype sind gesellschaftlich internalisiert auf vielen Ebenen. Da sind Universitäten keine Ausnahme.

 

Hofmann: Ich glaube aber schon, dass die Denkkultur sich verändert. Gerade dank der vielen jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die wir in den vergangenen Jahren in großer Zahl berufen haben. Viele von ihnen kommen aus dem Ausland, wo sie oft eine ganz andere Kultur von Gender und Diversity kennengelernt haben und diese auch bei uns einfordern, und das ist gut so! Die Internationalisierung hilft uns also auch in dieser Hinsicht, und das lässt mich langsam optimistischer werden. 

 

"Weil diese Fächer so männlich konnotiert sind, gibt es viele Mädchen, die sich eigentlich interessieren, sich aber ein Studium dann doch nicht zutrauen."

 

Sie haben die Informatik erwähnt mit 20 Prozent Studentinnen. Welche Fächer sind denn sonst noch besonders harte Nüsse in Sachen Gleichstellung?

 

Peus: Das ist bei uns wie überall in Deutschland der Maschinenbau. Und das Elektroingenieurwesen. Aber auch da hält der Wandel Einzug. Indem die Fakultäten einwöchige Schnupperstudien anbietet. Denn wir wissen: Weil diese Fächer so männlich konnotiert sind, gibt es viele Mädchen, die sich eigentlich interessieren, sich aber ein Studium dann doch nicht zutrauen. Wir haben die Einführung des Schnupperstudiums wissenschaftlich begleiten lassen und sehen: Das macht den jungen Frauen nicht nur einen Riesenspaß, es ist für die Gewinnung von Frauen und von ausländischen Studierenden ein großer Erfolg. Und wiederum nur ein Beispiel von vielen, wie man gezielt und früh ansetzen kann.

 

Hofmann: Spannend finde ich auch das TUM-Kolleg, das Schülerinnen und Schüler an einem Tag in der Woche frühzeitig an die Universität heranführt. Wobei gerade Mädchen merken: Die TUM ist keine technische Universität der Blaumänner. Zum Glück.

 

Sie tun so, Frau Peus und Herr Hofmann, als seien Sie es als TUM-Leitung gewesen, die das Frauenthema so richtig vorangebracht hätten. Dabei tun die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten seit Jahrzehnten ihre Arbeit – oft, sind wir ehrlich, mit wenig Unterstützung der Rektorate und Präsidien. 

 

Peus: Wir haben großes Glück, weil wir mit Eva Sandmann, unserer Gleichbestellungsbeauftragten, komplett dieselben Ziele teilen und sie seit vielen Jahren kollaborativ verfolgen. Als wir als Präsidium vor einem Jahr unseren neuen Gender Equality Plan erstellt haben, inklusive neuer Maßnahmen zur Schulung, zur Work-Life-Balance und zum Datenmonitoring, da habe ich mich natürlich vorher vielfach und sehr eng mit Frau Sandmann abgestimmt. Also zumindest bei uns an der TUM läuft das sehr konstruktiv. 

 

Hofmann: Weil es kein Gegeneinander der Zuständigkeiten gibt. Wir haben auf der Ebene des Präsidiums mit Frau Peus eine Geschäftsführende Vizepräsidentin "Talent Management & Diversity", wir haben in den Fakultäten jetzt jeweils einen Vice Dean "Talent Management & Diversity", die neue strategische Maßnahmen entwickeln und umsetzen.  Und zugleich haben wir unsere Gleichstellungsbeauftragte, die auf alle Prozesse schaut, auf die Verfahren und Gremienentscheidungen, und sichergestellt, dass sie so laufen, wie sie vorgesehen sind. Beide Rollen sind wichtig, und es ist wichtig, dass sie in Unabhängigkeit, also nicht in Personalunion, ausgeführt werden. 

 

Ihr Titel, Frau Peus: Vizepräsidentin für "Diversity". Führt dieses von Hochschulstrategen seit ein paar Jahren bevorzugte Buzzword dazu, dass die Gleichstellung von Frauen an Bedeutung verliert – als ein Diversity-Thema unter vielen?

 

Peus: Solche Sorgen kenne ich ehrlich gesagt vor allem aus den USA. Am Ende ist es doch so: Jedes Bemühen um mehr Vielfalt führt dazu, dass am Ende klarere Standards und Prozesse entstehen, damit jeder und jede ihr Potenzial entfalten kann, damit man seine Anliegen äußern darf und mit ihnen ernstgenommen wird. So verändert sich die Kultur, so entsteht hoffentlich allmählich ein Klima der Psychological Safety, und das macht auch bei der Frauenförderung den entscheidenden Unterschied.

 

"Sie glauben gar nicht, welche
hervorragenden Kandidatinnen die Berufungskommissionen plötzlich auftun."

 

Wenn das Thema Gleichstellung, wie Sie, Herr Hofmann, sagen, schon seit zehn Jahren eine so große Rolle spielt, warum brauchte es denn da noch neue Regeln für Berufungen und Förderanträge, die das TU Präsidium erst vergangenes Jahr als Teil des bereits erwähnten "Gender Equality Plan" beschlossen hat?

 

Peus: Das Neue ist die strategische Verankerung in der Organisation. Dass wir jetzt besagte Vice Deans "Talent Mangement & Diversity" in jeder TUM School haben. Es ist fair zu sagen, dass nicht jede School von sich aus ein solches Amt etabliert hätte.

 

Hofmann: Zu dieser noch stärkeren strategischen Verankerung gehört auch, dass jetzt auf jeder Berufungsliste mindestens eine Frau stehen muss. Wenn das nicht der Fall ist, dann kann das Hochschulpräsidium die Liste an die zuständige Berufungskommission zurückgeben mit der Bitte um Suche nach geeigneten Kandidatinnen. In der Vergangenheit haben wir manchmal das Argument gehört: In diesem Fachgebiet gibt es keine Frauen, die berufungsfähig sind. Jetzt glauben Sie gar nicht, welche hervorragenden Kandidatinnen die Berufungskommissionen plötzlich auftun. Man muss sie eben nur suchen und zur Bewerbung ermuntern. Entsprechendes gilt jetzt auch für Sammelausschreibungen – also wenn wir mehrere Professuren in einem Themengebiet gleichzeitig besetzen, wie aktuell in der TUM School of Social Science and Technology. Dort haben wir bis zu zehn Professuren gemeinsam ausgeschrieben, und deshalb erwarten wir, dass auf der finalen Berufungsliste mindestens 50 Prozent Frauen stehen. 

 

Die Gleichstellung der Geschlechter ist allerdings mit der Ausschreibung oder der Berufung nicht zu Ende. Neulich haben statistische Analysen von Berliner Professorengehältern wieder ein Gender Pay Gap von mehreren hundert Euro ergeben – bei ähnlicher Erfahrung, bei vergleichbaren Aufgaben und Qualifikationen. Wie sehen die diesbezüglichen Zahlen an der TUM aus?

 

Hofmann: Diese Untersuchungen haben wir natürlich auch gemacht, und da kann ich relativ selbstbewusst antworten: Ein echtes Pay Gap gibt im Durchschnitt aller Professuren auch unter Berücksichtigung der Leistungsbezüge nicht. In Abhängigkeit der Karrierestufe sehen wir geringfügige Unterschiede. Im Bereich der Tenure-Track-Professoren verdienen Männer im Schnitt geringfügig mehr, etwa bis zu 150 Euro im Monat. Dabei sehen wir, dass in dieser Karrierestufe Männer in der Regel etwas höhere Gehaltserwartungen haben, als Frauen. Bei den Professuren der höchsten Besoldungsstufen ist das Gehaltsgefüge dafür genau umgekehrt. Da liegen die Frauen mit rund 300 Euro Gehaltsvorsprung vor den Männern. Warum das so ist, analysieren wir gerade. Eine mögliche Erklärung ist, dass herausragende Professorinnen auf dem Weltmarkt besonders hart umkämpft sind und in Berufungsverhandlungen zwei oder drei Alternativangebote parallel haben. 

 

Peus: Ich war froh, als ich mir diese Zahlen angeschaut habe. Für mich ein Beleg, dass die Dinge bei uns in die richtige Richtung laufen.

 

"Heute mag das "in" sein, vor ein paar Jahren aber war das etwas, wo manche die Augenbrauen gehoben haben." 

 

Zumindest aber sind Sie sehr gut darin, das, was Sie tun, zu verkaufen. Was entgegen Sie Kritikern, die sagen: Die TUM hat immer noch ein massives Genderproblem und versucht jetzt lediglich, sich als besonders modern darzustellen – weil sie weiß, dass Gesellschaft und Politik das so von ihr erwarten?  

 

Peus: Solchen Kritikern würde ich antworten, dass wir viel früher als andere angefangen haben. Mein Amt der Hauptamtlichen Vizepräsidentin "Talent Management & Diversity" gibt es seit 2011, und wir waren die erste Universität in Deutschland, die die Charta der Vielfalt unterzeichnet hat. Heute mag das "in" sein, vor ein paar Jahren aber war das etwas, wo manche die Augenbrauen gehoben haben. 

 

Hofmann: Eigentlich könnte es uns wurscht sein, was andere denken. Wir wollen ja nicht der Zahlen willen die Frauenanteile auf allen Ebenen erhöhen, sondern weil wir fest davon überzeugt sind, dass mit jedem Fortschritt bei der Gleichstellung auch die Leistungsfähigkeit unserer Universität zunimmt. Je vielfältiger wir Talente, über Geschlechter, Herkünfte, Religionen, Erfahrungen und Lebenswege hinweg, zusammenbringen und ihnen Raum für kreative Unruhe geben, desto erfolgreicher werden Forschung, Innovation und Lehre sich entwickeln. Exzellenz entspringt nicht aus einer Monokultur, sondern fußt auf der Diversität des Denkens.

 

Wenn das so ist, wann hat die TU München denn dann endlich ihre erste Frau an der Spitze, Frau Peus?

 

Peus: Das kommt bestimmt irgendwann, aber aktuell würde ich sagen: Es kommt darauf an, dass da jemand sitzt, der die Kultur wirklich in eine Richtung von Vielfalt und Potenzialentfaltung entwickeln will. So jemanden haben wir, und da sind wir alle happy drüber. 



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Kommentare: 3
  • #1

    hansenpansen (Donnerstag, 09 März 2023 14:03)

    Die Bestellung von zwei Frauen von insgesamt 9 Mitgliedern (wenn ich mich nicht irre) in der Berufungskommission hat auch seine Nachteile, die hier verschwiegen werden. Weil ja gerade wenige Professorinnen angestellt sind, die auch Input bei der Suche nach einem spezifischen Fachgebiet beisteuern können, werden z.b. bei den Berufungskommissionen in der Elektrotechnik oder Maschinenwesen immer dieselben Professorinnen in die Kommission gesetzt. Damit werden diese allerdings über Gebühr mit dieser Art von akademischen Selbstverwaltung belastet. Das Gegenteil von dem was man eigentlich will. Außerdem sind Professorinnen auch nicht der beste Garant dafür, dass eine weitere Frau berufen wird.

  • #2

    tja (Donnerstag, 09 März 2023 21:05)

    Man kann eigentlich nur hoffen, dass die Berufungsmechanismen irgendwann wieder zum Leistungsprinzip zurückkehren. Bis dahin hat man hoffentlich nicht allzu viele Professuren in D mit Mittelmass besetzt, nur um übereifrig irgendwelche Quoten zu erfüllen.

  • #3

    Regierungsrat (Montag, 13 März 2023 10:50)

    Bei der Problematisierung gendergerechter Besetzung von Lehrstühlen wird sich meines Erachtens zu sehr auf MINT-Fächer konzentriert. Dabei ist dort, wie im Interview deutlich wird, bereits einiges erreicht worden.

    Die quantitativ größte Ungerechtigkeit gibt es im Bereich der Grundschullehramtsausbildung. Es tatsächlich noch Hochschulen mit 100 zu 0 Verteilungen, gegen die offenbar niemand etwas unternehmen möchte.
    Und das obwohl in der Grundschule die Grundlagen für alle weiteren Stereotypisierungen gelegt werden und die gesellschaftliche Bedeutung dementsprechend weitaus größer ist. Dagegen sind nur 20%- Frauenanteile in den Ingenieurswissenschaften "Peanuts".