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Es reicht

Die Bundesforschungsministern forderte die Ablösung von Fraunhofer-Präsident Neugebauer, Abgeordnete verschiedener Fraktionen ebenfalls. Zwei Wochen später ist der immer noch im Amt, trotzt Parlament und Regierung. Und der Senat der Forschungsgesellschaft befindet sich auf Tauchstation.

13 TAGE, nachdem der Fraunhofer-Bericht des Bundesrechnungshofs offiziell den Bundestags-Haushaltsausschuss erreichte, hat die Prüfbehörde am Dienstag die 59 Seiten Text und Tabellen auf seiner Website veröffentlicht. Seitdem kann die gesamte Forschungs-Community in erschütternd-schmerzhafter Detailiertheit nachlesen, warum der Rechnungshof dem Vorstand der Forschungsgesellschaft einen "unangemessenen Umgang mit Steuermitteln durch überhöhte Reise-, Dienstfahrzeug- und Repräsentationskosten" vorwirft.

 

Ein als "X" pseudonymisiertes Vorstandsmitglied soll demnach durch besonders viele Regel- und Gesetzesverstöße aufgefallen sein. Insgesamt, das wird durch das Prüfungsergebnis ebenfalls deutlich, wurde das vorgeworfene systematische Fehlverhalten nur durch ein grundlegendes Versagen der internen Kontrollmechanismen möglich. Weshalb der Rechnungshof auch das BMBF harsch kritisierte und ihm zusätzlich vorwarf, seine Ermittlungen behindert zu haben. 

 

Es ist an diesem Donnerstag 15 Tage her, dass der Haushaltsausschuss als Reaktion auf den Prüfbericht mit den Stimmen der Ampel einen gepfefferten Maßgabebeschluss gegen Fraunhofer und das BMBF gefasst und Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sich nach langem Schweigen für Klartext entscheiden hat. Sie verlangte "den schnellstmöglichen" Austausch der gesamten Fraunhofer-Führungsetage. Bundestagsabgeordnete aus Koalition und Opposition konzentrierten ihre Rücktrittsforderung auf Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer persönlich, der seit Jahren besonders in der Kritik steht. 


Diesen Mittwoch beschäftigte sich nun auch der Forschungsausschuss des Bundestages mit dem Spesenskandal und dem Bericht des Rechnungshofs, und die Erschütterung über die Vorgänge bei Fraunhofer unter den Abgeordneten ist mittlerweile so groß, dass der Ausschussvorsitzende Kai Gehring (Grüne) im Anschluss an die Sitzung ebenfalls den gesamten Vorstand zum Rücktritt aufforderte." Fraunhofer braucht eine Führungsriege, die geltende Regeln einhält, moderne Governance lebt und Compliance erfüllt", sagte Gehring dem Hauptstadtbriefing von The Pioneer. Stark-Watzinger wiederum wiederholte am Mittwoch  noch einmal ihre Ansage und postulierte neben einem umgehenden personellen Neuanfang im Vorstand eine Governance-Reform und "tragfähige Compliance-Standards", damit sich die Verstöße nicht wiederholten.

 

Doch Neugebauer und der übrige Vorstand waren, Stand Donnerstagnachmittag, weiter im Amt. Und trotz zwischenzeitlicher Gerüchte, der Fraunhofer-Senat als zuständiges Aufsichtsgremium wolle den Präsident bis zu einer regulären Neubesetzung mit sofortiger Wirkung durch einen Interims-Nachfolger ersetzen, hält sich die Senatsvorsitzende Hildegard Müller, im Hauptberuf Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), weiter offiziell bedeckt.  

 

Eine Missachtung von Parlament
und Bundesregierung

 

Vor zwei Wochen hatte sie auf Anfrage lediglich gesagt, der Senat nehme Stark-Watzingers Aussagen "in Bezug auf die Führungsspitze der Fraunhofer-Gesellschaft zur Kenntnis". Sie verweise aber darauf, dass mögliche Entscheidungen in diesen Fragen Aufgabe des zuständigen Gremiums der Fraunhofer-Gesellschaft ist." Der Senat werde sich "natürlich" mit dem BRH-Bericht "intensiv befassen und die daraus resultierenden Handlungsbedarfe analysieren, festlegen und umsetzen".

 

Vor einem halben Monat hätte man noch sagen können: Geschenkt. Solange der Senat schnell handelt. Jetzt aber sieht die Tatsache, dass Neugebauer immer noch im Amt ist, jeden Tag mehr wie eine Missachtung von Parlament und Bundesregierung, immerhin größter Mittelgeber von Fraunhofer, aus.

 

Zumal die Ermittlungsergebnisse des Bundesrechnungshofs offenbar nur die Spitze des Eisberges bilden. So berichtete die Wirtschaftswoche schon 2021 unter der Überschrift "Professor Autokrat", Neugebauer und seine Vertrauten gebärdeten sich laut Insidern wie "Hobby-Despoten" und hielten Fraunhofer mit einem "Klima der Angst" im Griff. Fraunhofer und Neugebauer bestritten diese Vorwürfe genau wie die vieler anderer Whistleblower. Trotzdem ermittelte nach Stark-Watzingers Amtsantritt auch das BMBF und kam zu ähnlichen Ergebnissen wie der Rechnungshof. Die immer noch unveröffentlicht sind, weil sich Fraunhofer gegen die Herausgabe an Journalisten wehrt. 

 

Im Herbst 2022 war dann bekannt geworden, dass Neugebauer in dem Imagefilm eines Unternehmens aufgetreten war, dessen Anteilseigner er zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war. Was in dem Film jedoch keine Erwähnung fand – sehr wohl aber wurde Neugebauer darin als Fraunhofer-Präsident identifiziert. Kurz darauf erklärte Neugebauer, dass er ein Jahr früher als geplant gehen wolle – schon Ende September 2023. 

 

Das Schweigen der anderen Forschungsorganisationen
ist immer schwerer zu rechtfertigen

 

Doch nach den Enthüllungen des Rechnungshofs halten weder Ministerin noch führende Bundestags-Forschungspolitiker einen Verbleib Neugebauers auch nur für sechs weitere Monate noch für vertretbar – zu Recht. Und nein, es geht an der Stelle keineswegs um eine Frage von Forschungsfreiheit oder deren Wahrung und auch nicht um die Autonomie einer Wissenschaftsorganisation, die keiner in der Politik in Frage stellt. Es geht um den Respekt vor dem Steuerzahler – und um das Signal, dass die Selbstreinigungsfähigkeit in der Wissenschaft noch intakt ist. Außerdem sollten die Fraunhofer-Senatsmitglieder schleunigst den Beweis antreten, dass sie ihrerseits in der Lage sind, sich durch ihre teilweise langjährigen Beziehungen zu Neugebauer nicht in ihrer Urteilskraft einschränken zu lassen. 

 

Unterdessen sollten sich auch die Schwesterinstitutionen von Fraunhofer in der Allianz der Wissenschaftsorganisationen bewusst sein: Ihr Schweigen in der Causa Neugebauer und Fraunhofer ist, je länger die Hängepartie dauert, immer schwerer zu rechtfertigen. Denn bislang haben allein die mutmaßlichen Vergehen von Neugebauer und des übrigen Vorstands, gekoppelt mit dem institutionellen Versagen der Fraunhofer-Gesellschaft, dem Ansehen der Forschung Schaden zugefügt. Sollte der Senat um Hildegard Müller nicht in den nächsten Tagen handeln und die anderen Forschungsorganisationen das stillschweigend hinnehmen, beginnen sie, ihr eigenes Stück an der Verantwortung mitzutragen.  

 


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Kommentare: 9
  • #1

    A. Freund (Donnerstag, 16 März 2023 21:42)

    Als normaler, gesetzestreuer ausländischer (Mit-)Bürger, der seit über dreißig Jahren in diesem Land lebt und im öffentlichen Dienst tätig ist, frage ich mich, wie so etwas möglich ist. Der Skandal liegt nicht nur bei der Person selbst und der Fraunhofer-Gesellschaft, sondern auch beim BMBF und all jenen (inkl. anderer wissenschaftlicher Gesellschaften), die ein solches Verhalten tolerieren. Wenn ich es wagen würde, auch nur einen Schritt zu machen, der als moralisch verwerflich oder sogar korrupt interpretiert werden könnte, wäre ich sicherlich meinen Job los.

  • #2

    Roman Held (Donnerstag, 16 März 2023 22:09)

    Es ist wirklich schwer zu ertragen, welche Machtposition der Vorstand von Fraunhofer immer noch hat. Mächtiger als die Bundesregierung! Wohin soll das noch führen? Der Bericht des Bundesrechnungshof ist schockierend. Schockierend mit welcher Ignoranz alle Vorstände bei Fraunhofer vorgegangen sind. Ich schäme mich mittlerweile einer von den 30.000 zu sein. So wie die meisten der 30.000! Herr Neugebauer, Herr Kurz, Frau Ewen treten Sie bitte schnell ab und machen so schnell den Weg für einen sauberen Neuanfang frei. Fraunhofer braucht wieder Ruhe und neues Vertrauen der Mitarbeitenden in die Spitze und unserer Partner. Das haben Sie durch zu langes Festkleben an Ihren Positionen massiv zerstört. Und bitte entschuldigen Sie sich öffentlich für Ihr Fehlverhalten. Das hätte Anstand. DANKE!!!

  • #3

    Chris A. (Freitag, 17 März 2023 08:41)

    Die Causa Neugebauer zeigt eindrucksvoll das gegenwärtigen Problem mit der wissenschaftlichen/institutionellen Selbstverwaltung. Staatsferne und Unabhängigkeit bei Forschungsorganisationen - in dem Sinn dass Bund und Länder keine übermäßige Kontrolle haben - halte ich für absolut erstrebenswert. (Und das BMBF bietet sich ja nun auch nicht gerade als kompetentes und vertrauenswürdiges Aufsichtsorgan an.) Das Kernproblem ist aber, dass die mit Vertretern aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft zusammengesetzten, sognenannten Aufsichtsgremien letztlich nichts weiteres als Sockenpuppen sind. Wie soll ein Gremium, in dem der jeweilige Präsident zumindest faktisch einen erheblichen Teil der Mitglieder auswählt, und das zwei oder dreimal im Jahr zu zwei- bis dreistündigen Sitzungen zusammen kommt, eine ernsthafte Aufsicht über einen hauptamtlichen Vorstand mit hunderten von Verwaltungsmitarbeitern ausführen?
    Es bräuchte dringend eine Stärkung und Professionalisierung dieser Gremien gegenüber den jeweiligen Vorständen/Leitungen/Präsidien. (Und das gilt nicht nur für die FhG, sondern auch für manch andere außeruniversitäre Organisation. Und Hochschulräte in vielen Ländern arbeiten ja nach dem selben Prinzip...)

  • #4

    Michael S. (Freitag, 17 März 2023 12:34)

    Wir haben an den Hochschulen ja das gleiche Problem. Die Kombination aus starken Präsidien und geschwächten Gremien ist dysfunktional. Warum diese Prinzip nach den sehr negativen Erfahrungen in Deutschland mit dem Führerprinzip an Universitäten wieder etabliert wurde, ist mir schleierhaft. Und die Aufsichtsgremien der "starken Präsidenten" agieren dabei eher wie eine Touristengruppe.
    Würden die Kreuzfahrt-Touristen den Bürgermeister von Venedig wählen/kontrollieren, würde dies wohl niemand akzeptieren ;-)

  • #5

    Brigitte Abert (Freitag, 17 März 2023 19:43)

    Und heute prangert die Wirtschaftswoche on-top an, dass der Fraunhofer Präsident 200 Mio.€ in der Fraunhofer Stiftung versenkt hat. Der Skandal bei Fraunhofer wird immer bizarrer. Unsere Firma prüft schon, ob man mit Fraunhofer noch zusammenarbeiten soll. Vertrauen ist am Boden.

  • #6

    Theo (Samstag, 18 März 2023 12:23)

    Frau Müller muss sich und wird sich weiter bedeckt halten. Herr Neugebauer ist schließlich VIP Gast und hält die Eröffnungsrede beim Kongress des VDA am 28.03.23. Sie ist Chefin.

  • #7

    Arno Nym (Samstag, 18 März 2023 14:02)

    Bin seit fast 10 Jahren bei Fraunhofer. Intern brennt es. Die absolute Mehrheit hofft täglich auf die Nachricht der Ablösung des Präsidenten, am besten gleich des gesamten Vorstands. Das BMBF hat sich endlich klar positioniert. Frau Müller, machen Sie endlich Nägel mit Köpfen!

  • #8

    Laubeiter (Montag, 20 März 2023 12:57)

    Ist jemand beim Lesen im pdf des Rechnungshofs das Wort Schuhputzkurs aufgefallen? Ich dachte erst, dass dieses Wort vom Rechnungshof erfunden worden ist, um eine fiktive Absurdität zu illustrieren. Wenn ich es richtig verstehe, stammt das Wort nicht vom Rechnungshof und ist nicht erfunden, sondern aus einem Dokument der Fraunhofer Gesellschaft. Ein Schuhputzkurs ist weit weg vom Auftrag der Fraunhofer Gesellschaft und weit weg von Spitzenforschung. Wenn Fraunhofer Mittel in Schuhputzkurse fliessen und dies in Fraunhofer Dokumenten festgehalten wird, so scheint mir, dass Fraunhofer so eine Art Selbstmord geplant hat, vielleicht in der Art: wir probieren mal, ob wir mit einer Finanzierung von Schuhputzkursen unentdeckt bleiben, und wenn wir entdeckt werden, begehen wir Harakiri. Ich stimme dem Kommentar oben zu: Wenn der Bund große Beträge zur Grundfinanzierung an eingetragene Vereine gibt wie an die MPG oder FhG, dann kann die Verwendung dieser Mittel vom Bund kaum überwacht werden.

  • #9

    Mitarbeiter (Montag, 20 März 2023 16:43)

    Aus der internen Wahrnehmung kann ich nur hinzufügen: das Millionengrab SAP-Einführung sollte auch unter die Lupe genommen werden. Die Einführung und die unglückliche Umsetzung hat schließlich auch der Vorstand und weitere Top-Führungskräfte der FhG zu verantworten. Und wer muss es ausbaden? Die Mitarbeitenden und die Kunden und Partner von Fraunhofer.