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Fragen an die Senatsvorsitzende

Spesenskandal, Rücktrittsforderungen und Rechnungshof-Ermittlungen: Hildegard Müller muss als Chefin des Fraunhofer-Aufsichtsgremiums die Führungskrise um Reimund Neugebauer lösen. Als VDA-Präsidentin hat sie sich derweil festgelegt. Die Eröffnungsrede des wichtigsten VDA-Kongresses übernimmt: Reimund Neugebauer.

HILDEGARD MÜLLER wies die Bundesforschungsministerin in ihre Schranken. Gerade hatte Bettina Stark-Watzinger (FDP) den Rücktritt des gesamten Fraunhofer-Vorstands verlangt, da gab Müller auf Anfrage zu Protokoll: Der Senat, dessen Vorsitzende sie ist, nehme als oberstes Aufsichtsgremium der Forschungsgesellschaft die Aussagen der Ministerin "in Bezug auf die Führungsspitze" zur Kenntnis. "Ich verweise allerdings darauf, dass mögliche Entscheidungen in diesen Fragen Aufgabe des zuständigen Gremiums der Fraunhofer-Gesellschaft ist."

 

Das war vor dreieinhalb Wochen, als die Empörung über die laut Bundesrechnungshof  (BRH) über Jahre wiederholten schwerwiegenden mutmaßlichen Verstöße des Vorstandes bei der Verwendung von Spesen und Reisekosten hochkochten. Der BRH-Prüfbericht war nur das letzte Glied in einer jahrelangen Kette von Vorwürfen vor allem gegen die Amtsführung von Präsident Reimund Neugebauer.

 

Neben Stark-Watzinger hatten mehrere Bundestagsabgeordnete und auch der Vorsitzende des Bundestagsforschungsausschusses, Kai Gehring, (Grüne) den sofortigen personellen Neuanfang gefordert. "Fraunhofer braucht eine Führungsriege, die geltende Regeln einhält, moderne Governance lebt und Compliance erfüllt", sagte Gehring.

 

Inzwischen zeichnet sich immer deutlicher ab, welche Schlussfolgerungen die Senatsvorsitzende zu ziehen bereit ist: offenbar gar keine. Zumindest hat die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, als Eröffnungsredner des am Dienstag startenden Technischen Kongresses der VDA eingeladen: Fraunhofer-Präsident Neugebauer. Der Technische Kongress gehört zu den Aushängeschildern des Lobbyverbands, der VDA selbst nennt ihn das "europaweit wichtigste Branchentreffen der Automobilindustrie für Entscheider, technische Leiter, Fach- und Führungskräfte sowie Verantwortliche aus Politik, Forschung und Wissenschaft".

 

Ein Interessenkonflikt?

 

Auf Anfrage bestätigt der VDA, dass die Einladung an Neugebauer stehe und man mit dessen Auftritt rechne – trotz der dramatischen Vorwürfe und Rücktrittsforderungen. Weshalb schon ohne Müllers ehrenamtliches Engagement bei Fraunhofer Zweifel angebracht wären, ob der VDA mit diesem Festhalten zu seinem eigenen Reputationsgewinn beiträgt. Was aber angesichts der parallelen Verantwortung Müllers als Senatsvorsitzende ernsthaft die Frage eines Interessenkonflikts aufwirft.

 

Müller will nicht beantworten, warum sie die Einladung trotz aller Vorwürfe und Rücktrittsforderungen weiter für vertretbar hält. Ihr Sprecher zieht sich auf Allgemeinaussagen zurück: "Ob Digitalisierung und Daten, Energie, künstliche Intelligenz oder die Erforschung neuer technologischer Möglichkeiten: Die Fraunhofer-Gesellschaft ist mit ihrer Expertise ein wichtiger Partner für Hersteller und Zulieferer bei der Entwicklung  und Umsetzung neuer Mobilitätskonzepte und -technologien." 

 

Auch will Müller nicht sagen, wie beides miteinander zu vereinbaren ist: dass sie als VDA-Präsidentin Neugebauer eine Bühne gibt, während die Politik, aber auch viele Fraunhofer-Mitarbeiter mit wachsender Dringlichkeit auf den Rücktritt Neugebauers und des übrigen Vorstand drängen. Vielen gilt ein kurzfristiger und vorübergehender personeller Neuanfang als Voraussetzung, um die Aufarbeitung des Geschehenen überhaupt starten zu können, in die Reform der Governance einsteigen und den Vorstand dann langfristig und ohne Einfluss neu aufstellen zu können. Auch der Neuanfang der Fraunhofer-Zukunftsstiftung, deren Vorstandsposten als mögliche Rückzugsoption für Neugebauer galt, hängt nach Meinung einiger Insider davon ab. Was Hildegard Müller zu alldem denkt – unbekannt. Doch ihr Handeln spricht beunruhigende Bände. 

 

Stark-Watzingers Staatssekretär spricht vor Neugebauer

 

Pikant ist derweil, dass auch das Ministerium von Stark-Watzinger sich in eine unangenehme Lage manövriert hat. Direkt vor dem Eröffnungsredner Neugebauer steht der parlamentarische BMBF-Staatssekretär Mario Brandenburg auf dem Kongress-Programm: Er soll einen "Auftaktimpuls" geben – und  dann das Podium freimachen für den Mann, dessen Rücktritt Brandenburgs Chefin schon in der vierten Woche fordert.

 

In der Liste geplanter BMBF-Termine tauchte Brandenburgs Ortstermin am Montag weiter auf. Das Ministerium wollte das bevorstehende Aufeinandertreffen auf Anfrage nicht kommentieren. Man könne auf das Einladungsverhalten des VDA keinen Einfluss nehmen, hieß es lediglich.

 

Aber welches Zeichen man selbst setzt, das kann man schon beeinflussen. Vielleicht lässt zumindest das BMBF sich ja für Dienstagmorgen etwas einfallen als Signal. Von Hildegard Müller hingegen scheint in der Lösung der Fraunhofer-Krise immer weniger zu erwarten sein.

 

Nachtrag am 28. März 2023, 20 Uhr:
Wie Table.Media berichtet, hat die Staatsanwaltschaft München I jetzt formell ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt eingeleitet. Man gehe im Fraunhofer-Skandal nun davon aus, dass ein hinreichender Verdacht besteht, dass möglicherweise strafbare Handlungen begangen worden sein könnten. Vor einigen Wochen hatte die Staatsanwaltschaft bereits mitgeteilt, sie prüfe Ermittlungen. "Der Verdacht richtet sich derzeit jedoch nicht gegen konkrete Beschuldigte", zitiert Table Media aus der Stellungnahme. "Das Verfahren wird gegen unbekannt geführt." 

 

Trotzdem wird die Entscheidung Müllers, Neugebauer als Eröffnungsredner beim Technischen Kongress eine Bühne zu geben, mit der Bestätigung der Staatsanwaltschaft noch brisanter. Der VDA twitterte am Dienstagvormittag ein Foto vom Auftritt des Fraunhofer-Präsidenten. 



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