Mehr als ein Schaulaufen?
Das BMBF hatte zum öffentlichen Gespräch über die WissZeitVG-Reform eingeladen. Was hat die Runde gebracht? Und wie geht es jetzt weiter? Eine erste Einschätzung.

Screenshot aus dem BMBF-Livestream. In der Mitte: der gastgebende Staatssekretär Jens Brandenburg (FDP).
AM ANFANG hakte der Livestream gewaltig, mit der Zeit wurde es dann besser. Kein Wunder: Der Termin war heiß erwartet worden, seit das BMBF nur zwei Tage nach Veröffentlichung seiner WissZeitVG-Eckpunkte zurückgerudert war. Am vorgegangenen Sonntagabend war das, der parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg (FDP) verkündete per Twitter: "Schon die Stakeholder-Beteiligung hat uns gezeigt, dass die Erwartungen hier weit auseinandergehen. Umso wichtiger ist es, diese Frage vor Fertigstellung des Referentenentwurfs noch einmal zu debattieren. Wir werden kurzfristig dazu einladen."
Auf Twitter war auch ein Großteil der öffentlichen Debatte zu WissZeitVG und "#IchbinHanna" gelaufen, hier hatte sich der Shitstorm gegen die Ampel-Pläne ereignet, der für die Koalition offenbar dadurch besonders bedrohlich wurde, dass sich auch hunderte und am Ende tausende Professoren unter dem Hashtag "#ProfsfuerHanna" daran beteiligten.
Am Donnerstagmorgen nun saßen sich viele, die sich zuletzt hauptsächlich in den sozialen Medien ausgetauscht (und teilweise heftig gestritten) hatten über die Zukunft des Sonderbefristungsrechts in der Wissenschaft, an einem langen Tisch im Berliner Dienstsitz des Ministeriums gegenüber, weitere waren zugeschaltet. Ausgerechnet Postdoc-Netzwerke waren dabei nicht eingeladen, was diese schon im Vorfeld erboste (die Frage nach den Gründen wurde dann auch prompt die auf "Slido" am meisten gelikte Publikumsfrage). Jede/r eingeladene Initiative, Organisation oder Verband durfte genau eine/n Vertreterin schicken. Statt 168 Zeichen für einen Tweet standen ihnen jeweils 120 Sekunden für ein Eingangsstatement zur Verfügung.
Brandenburg selbst nahm sich als Gastgeber zur Einführung deutlich mehr Zeit als die zwei Minuten, betonte, wie weit die Positionen der Szene vor allem in Sachen Postdoc-Höchstbefristung auseinanderlägen, und verwies unter anderem auf die Milliarden, die der Bund über den "Zukunftsvertrag"Studium und Lehre stärken" zur Verfügung stelle – auch damit die Länder deutlich mehr Dauerstellen schaffen könnten. Tenor: Der Bund tue längst viel mehr, als nur eine Gesetzesnovelle vorzubereiten, aber die Länder stünden eben auch in der Verantwortung. Eine Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, sagte Brandenburg, könne "nur ein Baustein sein. Über diesen Baustein sprechen wir."
Gescheitertes Erwartungsmanagement
Das Ampel-Erwartungsmanagement in Sachen WissZeitVG-Novelle war allerdings schon in der Vergangenheit daran gescheitert, dass der entsprechende Absatz im Koalitionsvertrag in einem Sinnzusammenhang mit der Reform sehr wohl nach einem grundsätzlichen Paradigmenwechsel klang, getreu dem darin zitierten GEW-Slogan "mehr Dauerstellen für Daueraufgaben". Nicht hilfreich war da sicherlich auch, dass die Kommunikation des BMBF beim Zurückrudern selbst zweideutig war: Während Brandenburg noch einmal über die Postdoc-Höchstbefristungsdauer sprechen wollte, hatte seine Kollegin, die beamtete Staatssekretärin Döring eine ganz "neue geteilte Vision" als Ziel ausgegeben.
Doch war es eben nicht Döring, die das Gespräch moderierte, sondern Brandenburg. Und der hatte zu Beginn sichtlich Mühe im konkreten Management der 2-Minuten-Rederegel. Gleich der erste Redner, der aus den USA zugeschaltete Wirtschaftswissenschaftler Rudi Bachmann, überzog so stark, dass der Staatssekretär dessen mit Powerpoint-Slides ausgestatteten Vortrag nach dreieinhalb Minuten abbrechen musste.
Das machte aber nichts, denn bei dem Reigen der (zum Teil eben doch nicht so kurzen) in alphabetischer Reihenfolge der Nachnamen aufgerufenen Kurz-Statements ging es nicht so sehr um die Inhalte und Forderungen, die weitgehend bekannt waren, sondern um die Zwischentöne und das Atmosphärische drumherum. Und um die ständig deutlich werdende Diskrepanz zwischen Geste und Wirklichkeit einer zweistündigen vom BMBF angesetzten Beteiligungskonferenz, deren Ziel – außer Zeit in der Debatte zu gewinnen – am Anfang unklar war und es bis zum Ende blieb.
Spannend war denn auch gleich die Kombination der Rednerinnen 2 und 3. Amrei Bahr, als eine der Initiatorinnen von "#IchbinHanna" zugegen, sagte, sie wolle die hinreichend bekannten Positionen nicht wiederholen, sondern einen konkreten Vorschlag machen: das die Höchstbefristungsdauer ergänzende Instrument eines Anschlusszusage-Modells (das zuletzt auch hier im Blog vorgeschlagen und erörtert wurde). Das sie im Übrigen in der Wissenschaftsszene sehr wohl für konsensfähig halte. "Hier liegen die Vorstellungen gar nicht weit auseinander, Herr Brandenburg", betonte sie.
Nach Bahr lobte die Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Katja Becker, zunächst ausdrücklich verschiedene der BMBF-Eckpunkte, kritisierte dann jedoch unter anderem die geplante Einschränkung der Tarifsperre. Vor allem aber forderte sie statt der dreijährigen Postdoc-Höchstbefristungsdauer mindestens vier Jahre, nach denen "eine Richtungsentscheidung über den weiteren Werdegang" erfolgen solle. Damit trug Becker die sogenannte "4-Plus"-Position vor, die auch Mehrheitsposition in der Allianz der Wissenschaftsorganisationen ist – und die sehr stark an das entsprechende, bereits vor einem Dreivierteljahr von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) präsentierte Modell erinnert.
Die Zwischentöne machten die Runde wirklich sehens- und hörenswert
Interessant war, dass später wiederum die HRK-Vertreterin, die Düsseldorfer Unipräsidentin Anja Steinbeck, nach Vortragen des offiziellen HRK-Modells in einem persönlichen Statement von eben diesem wieder ein Stückweit abzurücken schien. Keine der zitierten Jahreszahlen bei der Postdoc-Höchstbefristungdauer zwischen 0 und 6 werde "uns alle glücklich machen", sagte Steinbeck: Wenn die Universitäten attraktive Arbeitgeber bleiben wollten, bräuchten sie einen Kulturwandel. So habe die Dichotomie "Professor oder Raus aus dem System" ausgedient, auch müsse man hinterfragen, ob die Ausstattung von Professuren mit wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen noch zeitgemäß sein – ein unverhohlenes Plädoyer für eine Departmentstruktur.
Genau solche Zwischentöne machten die Runde wirklich sehens- und hörenswert – anders als viele andere der Statements, die schon in jüngster Vergangenheit oft gehört erwartbar aus der jeweiligen Rolle des Redners herauskamen. Stellvertretend sei hier Max-Planck-Präsident Martin Stratmann genannt, der warnte, die Reform dürfe nicht dazu führen, "dass wir international nicht wettbewerbsfähig sind".
Der Wissenschaftsratsvorsitzende Wolfgang Wick betonte derweil, das vom WR kürzlich in einem Positionspapier kritisierte Missverhältnis zwischen Grund- und Projektfinanzierung sei ein wesentlicher Grund für die "Misere" und nicht mehr hinnehmbar, weshalb Bund, Länder und Wissenschaftsorganisationen auf das Gesamtsystem schauen müssten.
Was wiederum gut zum Plädoyer des Berliner Soziologen Steffen Mau passte, der als Vertreter von "#ProfsfuerHanna" ein "Gesamtpaket" forderte, das über eine Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes hinausgehen müsse. Inklusive, wie er später ausführte, definierter Entfristungsquoten pro Universität auf Länderebene und der Diskussion über neue Stellenprofile. Zu diesem Zweck müsse der Wissenschaftsrat ins Boot geholt werden, dann seien über die Verwaltungskommission nämlich auch die Länder eingebunden. Der WR sei "sehr leistungsfähig und das zentrale Organ zur Beratung von Bund und Ländern in wissenschaftspolitischen Fragen".
Ein nett anzuhörendes, um Chatfragen angeregtes Pro und Contra
Nach der Auftaktrunde betonte der souverän moderierende Brandenburg, nach seiner Meinung gingen die Auffassung doch weit auseinander. Aber stimmte das wirklich? Oder wäre doch am Ende die "geteilte neue Vision" möglich, die seine Kollegin Döring beschworen hatte? Unklar, weil die Debatte doch seltsam unbestimmt blieb: ein nett anzuhörendes, um Chatfragen angeregtes Pro und Contra einer wie auch immer ausgestalteten Sonderbefristungsrechts in der Wissenschaft. Inklusive der schon häufig gehörten Fragen, wie viel persönliche Sicherheit wissenschaftliche Inspiration brauche, wieviel Unsicherheit umgekehrt zu wissenschaftlichen Qualifikation nötig sei, was Generationengerechtigkeit bedeute, ob der Begriff "Verstopfung" angemessen sei – und ob weniger Postdoc-Befristungen die Attraktivität der deutschen Wissenschaft erhöhten oder einschränkten.
Sehr deutlich wurde dagegen eines: Eine wie auch immer geartete grundlegende Reform des wissenschaftlichen Karrieresystems ist so überfällig wie durch eine WissZeitVG-Reform allein nicht erreichbar. Was letztere jedoch nicht überflüssig macht, sondern im Gegenteil: Ihre Ausgestaltung muss sitzen, damit das Große und Ganze dadurch nicht erschwert, sondern erleichtert wird. Das BMBF ist also selbst in seiner Regelungskompetenz gefragt.
Die Ausarbeitung dieses Großen und Ganzen wiederum ist das, was laut Steffen Mau und anderen unter Einbeziehung des Wissenschaftsrates passieren könnte. Dessen Vorsitzender Wick bedankte sich denn auch für das Vertrauen und signalisierte Bereitschaft dazu. Dies würde allerdings Zeit kosten. Und mehrere Äußerungen von Jens Brandenburg ließen am Donnerstagmorgen Zweifel aufkommen, ob das BMBF bereit und in der Lage ist, die Novelle zumindest so lange in Teilen vorläufig zuhalten, wie ein solcher Prozess dauern würde. Womöglich ist der Druck in Politik und Wissenschaft dafür längst zu groß.
So lautete zum Beispiel Brandenburgs Antwort auf die Online-Publikumsfrage, warum nicht auch die Postdoc-Initiativen eingeladen worden seien: Wenn alle dabei Initiativen mit am Tisch säßen, "würden wir vermutlich wieder über Wochen diskutieren". Später wiederholte er mit Verweis auf den Zukunftsvertrag, über diesen könnten schon jetzt "über 20.000 Dauerstellen, auch im Mittelbau" finanziert werden. Es sei "unsere Erwartung", dass die Länder dies in schwieriger Haushaltslage täten.
Umso hilfreicher wäre es gewesen, wenn Brandenburg am Ende der zwei Stunden sehr deutlich gesagt hätte, wie es jetzt konkret weitergehen soll und wie genau die Ergebnisse des Gesprächs transparent und systematisch in die Weiterentwicklung der BMBF-Eckpunkte und das parlamentarische Verfahren einfließen werden. Doch dafür hätte das Gespräch wohl von Anfang an strukturierter geplant sein müssen. So blieb der Eindruck einer im Ton freundlichen, aber doch zumindest auf den ersten Blick wenig zielgerichteten Diskussion. Es sei denn, das Ziel des BMBF wäre gewesen, danach sagen zu können: "Wir haben nochmal eine Extrarunde gedreht. Jetzt ist es aber auch gut." Genau das wäre aber nicht gut.
FDP-Wissenschaftsexperte Seiter: Drei Jahre Höchstbefristungsgrenze nicht mehr zu halten
Unmittelbar nach Ende des Gesprächs meldete sich der wissenschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Seiter, zu Wort. Nach dem heutigen Austausch zur Höchstbefristungsgrenze im Postdoc-Bereich im BMBF sei der Kompromiss für drei Jahre Höchstbefristung "nicht mehr zu halten".Dem wissenschaftlichen Nachwuchs müsse auch in Zukunft ausreichend Zeit für die notwendigen Qualifikationen für eine Laufbahn hin zur Professur eingeräumt werden", sagte Seiter weiter. "Der Austausch hat auch gezeigt, dass die Diskussion über die Novellierung des WissZeitVG hinausgehen und auf einen Dialog mit Ländern und Hochschulen über die Ausgestaltung der Post-Doc-Phase erweitert werden muss."
Die Debatte in den sozialen Medien ging nach Ende der Veranstaltung ebenfalls munter weiter. So schrieb Christian Leßmann, Professor für Volkswirtschaft an der TU Dresden, auf Twitter, bei allen Gegensätzen im Gespräch habe es offenbar "auch sehr klare Übereinstimmungen" gegeben: dass die Drittmittelfinanzierung zugunsten der Grundfinanzierung zurückgefahren werden müsse; dass es ein Gesamtpaket mit einer viel umfassenderen Reform brauche als nur die arbeitsrechtliche Seite; und dass der Wissenschaftsrat eine "aktive Rolle" einnehmen sollte, er solle die nötigen Reformschritte im Verhältnis Bund/Länder/Forschungseinrichtungen" vorbereiten. Dies seien "sehr wichtige, konsensuale Ergebnisse des Gesprächs und damit auch ein Auftrag der Stakeholder an die Politik, mehr Veränderung in Angriff zu nehmen."
Der Twitteraccount der Forschungsgruppe von Christian Ducho, Professor an der Universität des Saarland, befand hingegen, das von Amrei Bahr immer wieder ins Gespräch gebrachte Anschlusszusage-Modell sei "in der bisherigen Form und entgegen Bahrs Behauptung" leider nicht in der Wissenschaftsszene konsensfähig. "Hierfür müsste man auf wiederholt vorgebrachte sachliche Einwände gegen die bisher diskutieren Entwürfe eingehen, was aber nicht gemacht wird." Zu den Einwänden zähle, dass es offenbar einseitig um die Gemengelage bestimmter Fächergruppe gehe und die Lage in den MINT-Fächern nicht wirklich reflektiert werde. Dort würden Postdocs zu einem erheblichen Teil für eine spätere Tätigkeit außerhalb der akademischen Welt vorbereitet, weshalb ein verpflichtendes Anschlusszusage-Modell hier nicht viel Sinn mache. "Über diese Schwachstellen der Vorschläge hätte man sprechen müssen, wenn man wirklich einen großen Konsens innerhalb der Wissenschaftsszene herstellen möchte". Das sei nicht passiert, anstelle seien wiederholt strategisch wenig erfolgreiche Maximalforderungen worden. "Damit ist das Thema wahrscheinlich durch, die Politik wird sich jetzt irgendwas zusammenzimmern und wir müssen das an den Hochschulen irgendwie umsetzen."
Allianz veröffentlicht aktualisierte Stellungnahme, "IchbinHanna" reagiert verhalten positiv
Am Freitag veröffentlichte die Allianz der Wissenschaftsorganisation eine Allianz ihrer einer Woche zuvor abgegebenen Stellungnahme zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Darin wird das von DFG-Präsidentin Becker im BMBF-Gespräch erwähnte "4-Plus-Modell" weiter ausgeführt. Nach einer bis zu vierjährigen R2-Postdoc-Phase soll es nach Vorstellung der Wissenschaftsorganisationen neben dem Weg in den außenakademischen Arbeitsmarkt zwei akademische Optionen geben: eine "dauerhafte Tätigkeit in der Wissenschaft ohne Berufung" oder "der Ausbau des wissenschaftlichen Profils mit dem Ziel der Berufungsfähigkeit auf
eine Professur (R3 mit dem Ziel des Übergangs zu R4)".
Bei letzterem soll laut dem Vorschlag angesichts der Vielzahl der in den vergangenen Jahren entstandenen Qualifizierungsformate eine weitere Befristung von maximal sechs Jahren möglich sein, unabhängig von der Geldquelle, aber unter zwingenden Voraussetzungen: Es müssten überdurchschnittlich hohe Chancen auf eine erfolgreiche Berufung belegt werden; der Eintritt in ein wettbewerblichen Karrieretrack mit transparentem Begutachtungsverfahren, wobei die Positionen öffentlich und international ausgeschrieben werden müssten; die klare Ausrichtung der R3-Postdoc-Phase "auf die Herstellung von Berufungsfähigkeit – mit angemessen Ressourcen für die Betroffenen sowohl in zeitlicher als auch in materieller Sicht und schließlich wissenschaftliche Unabhängigkeit inklusive eigener Forschungsagenda und ihnen zugeordnete, eigenen Ressourcen.
Die Initiative "#IchbinHanna" reagierte verhalten positiv. Die Anschlusszusage zeichne sich als "konsensfähige Lösung" ab, twitterte Amrei Bahr. "Auch Allianz votiert dafür." Klar sei allerdings, dass die vorgeschlagenen vier Jahre für R2 "deutlich zu lang" seien, weil das Risiko bestehe, dass die Arbeitgeber es dann bei den vier Jahren beließen, ohne die darauf folgende Plus-Phase noch anzubieten.
Dieser Artikel wurde zuletzt am 01. April um 10 Uhr aktualisiert.
Kommentare
#1 - Generell muß man leider sagen:Für viele Kommt diese…
Für viele Kommt diese Debatte schlicht Jahre zu spät.
#2 - Leider verbohrte sich die Diskussion in eine sehr enge…
1) Doktoranden, die gerne noch aus Interesse an Wissenschaft und Passion für ihre Arbeit nach der Promotion ein paar Jahre in der Wissenschaft tätig sein möchten, um Projekte abzuschließen oder noch ein anderes Fachgebiet kennen zu lernen bevor sie sich entscheiden in welche Richtung die eigene Karriere laufen soll.
2) Als Qualifikation für nicht-akademische Karrieren in der Industrie ist besonders bei Leitungstätigkeiten (Laborleitung, F&E) eine Postdoc-Phase üblich. Aber auch in Jobs wie Editoren von Fachjournalen oder Leitungsstellen in Behörden, wird eine ähnliche Qualifikation wie für TT-Stellen erwartet.
3) Zur Vorbereitung auf eine akademische nicht-professorale Stelle in Deutschland.
4)Als Qualifikation für akademische Karrieren im Ausland.
Einzig für 3) und natürlich für eine Professur im Inland ist das Argument für eine Anschlusszusage oder Option auf eine unbefristete Stelle relevant. Für alle anderen Karrierewege trifft dies nicht zu und hier die befristete Postdoc-Phase als Orientierungsphase zu bezeichnen, wird der Diversität der Karrierewege und Absichten eindeutig nicht gerecht. Diese Phase auf ein oder zwei Jahre begrenzen zu wollen erst recht nicht. Es besteht also durchaus Bedarf an befristeten Postdoc Stellen in R2 zur Qualifikation für weitere Karrierewege auch jenseits einer kurzen "Orientierung". Natürlich stünde es jedem frei, sich auch von einer unbefristeten Stelle wegzubewerben, aber bei all der Euphorie wurde herzlich wenig darüber diskutiert, woher diese unbefristeten Stellen kommen sollen. Ob mit oder ohne Überarbeitung des WissZeitVG, das Gesetz alleine wird die prekäre Lage nicht ändern, ohne, dass massiv in mehr Mittelbau und mehr Dauerstellen jenseits der Professur investiert wird. Das ist vielleicht auch die Krux in der nie enden wollenden Diskussion, bei der es scheint, als wolle man hier das Pferd von hinten aufzäumen. Dabei hätte wohl kaum eine Professorin oder ein Professor etwas gegen eine Verteilung von mehr unbefristeten akademische Ratsstellen oder Senior Scientist Stellen einzuwenden. Ganz im Gegenteil! Aber was hier über das WissZeitVG geregelt werden soll, wird nicht zu mehr Stellen führen sondern die Flexibilität der bestehenden einschränken und auf den Schultern der Beteiligten abladen. Dann wird es eben nicht mehr möglich sein, engagierte Postdocs für ein paar Jahre zu verlängern, wenn ein Projekt sich nicht wie geplant entwickelt, von Reviewern noch Experimente für das high impact Paper gefordert werden oder mal wieder eine weltweite Krise zu temporären Schließungen oder Lieferengpässen von Material und Geräten führt - nicht gerade zum Vorteil der entsprechenden Postdocs.
#3 - Der Vorschlag von GEW und #IchbinHanna, möglichst schnell…
#4 - Die Argumente z.B. von Prof. Stratmann, dass Deutschland…
#5 - "Anschlusszusagen" klingt erst einmal gut - faktisch…
#6 - Hier wird es nie eine Lösung geben, die alle befriedigt -…
#7 - Das deutsche Wissenschaftssystem ist international…
1) Es ist quasi-feudalistisch nach dem Lehrstuhlprinzip aufgebaut. Es gibt meist nur Professuren und prekär beschäftigte Prä- und Postdocs, die je 6 Jahre ausgebeutet und dann ausgetauscht werden, aber kaum noch unbefristeten Mittelbau. 92% der unter 45-Jährigen der Wiss. Mitarbeitenden an deutschen Universitäten werden befristet beschäftigt. Das ist in keinem anderen Land der Welt so. Der unbefristete Mittelbau wurde quasi abgeschafft. Der befristete Mittelbau ist stark vom Gutdünken der vorgesetzten Professor:innen abhängig, leistet Überstunden ohne Ende mit der Hoffnung auf eine der sehr raren Professuren. - Lehre und Forschung würden aber enorm davon profitieren, wenn auch im Mittelbau einige unbefristete Stammkräfte arbeiten würden (Know-How-Sicherung, Lehre auf hohem Niveau).
2) Das deutsche (und internationale) Wissenschaftssystem ist nach dem Dogma des New Public Management aufgebaut, also der Idee, die Wissenschaft nach marktwirtschaftlichen Prinzipien zu organisieren.
2a) Für die befristet beschäftigten Wissenschaftler:innen auf dem Weg zu einer Professur bedeutet dies: Was zählt sind die Anzahl der Publikationen (Output), Zitationen (Likes), Drittmitteleinwerbungen (Money) und das Netzwerk (Follower). In diesem Ellbogenkampf gewinnen meist nicht die Brillianz oder das Engagement für gute Lehre (Social Impact), sondern das Ausmaß der Bereitschaft zur Selbstausbeutung. - Hier die zynische Kurzanleitung zur Professur in unserem System: 1) Mehr arbeiten als alle anderen: 50-70 Stunden/Woche (Outputerhöhung). 2) Jeden Artikel in zwei bis drei kleinere aufteilen und diese mit Co-Autoren schreiben (Publikationslisten-Expansion). 3) Fleißig wichtige Gate-Keeper zitieren (Follower sein, bauchpinseln) und diese ja nicht zu sehr kritisieren (Konformist sein), damit sich die Türen des Drittmittelsegens öffnen. 4) Durch möglichst viele Aktivitäten auffallen - unabhängig davon, ob inhaltlich sinnvoll - um den CV zu optimieren (Workshops organisieren, Wissenschaftskommunikation betreiben, Vorträge halten, Auslandsaufenthalte verbringen). 5) Die Erforschung wirklich neuer Wissensgebiete und Methoden unbedingt vermeiden, da zu risikobehaftet und zeitraubend (besser: Recycling).
2b) Für die Professor:innen bedeutet dies: Das eigene Netzwerk auf- und auszubauen (Influencer werden, Follower akquirieren) und Drittmittel einwerben (Sichtbarkeit und Machtbasis stärken). Wissenschaftliche Mitarbeiter sollten daher möglichst befristet beschäftigt werden, damit diese gut unter Kontrolle gehalten werden können (Follower binden), zum eigenen Forschungsgebiet beitragen (Zitationen generieren) und durch Selbstausbeutung möglichst die Leistung der Forschungsgruppe erhöhen (Outputmaximierung). Bloß niemanden entfristen, denn nicht-konforme und ausgebrannte Docs/Postdocs kann man durch Befristungen leichter wieder loswerden (Erhalt der Produktivität des Netzwerks, Kontrolle).
2c) Für die Universitäten bedeutet dies: Output erhöhen und Drittmittel einwerben (Selbstausbeutung der Mitarbeiter:innen durch Befristungen anregen), Sichtbarkeit erhöhen (Mitarbeiter:innen zur Teilnahme an möglichst vielen PR-wirksamen Exzellenzwettbewerben anregen), Professoren (Influencer) mit großen Netzwerken gewinnen und halten (Lehrstuhlmitarbeiter befristet flexibel und gefügig halten). Entwicklung der Universität flexibel halten, kranke/ausgebrannte/weniger leistungsfähige Mitarbeiter:innen schneller loswerden (Befristungen als Standardfall). Keine Dauerstellen unterhalb der Professur schaffen. Regelmäßig zu teure befristete Postdocs in hohen Entgeltgruppen durch günstigere Prädocs ersetzen (Wirtschaftlichkeit, für den Erhalt des WissZVG eintreten).
Was das System aus Professorenfeudalismus und New Public Management im Ranking-Wettkampf um den Vergleich quantitativer Messwerte kaum oder nur sehr bedingt fördert: Die Qualität von Forschung und Lehre.
Die Wissenschaft in Deutschland ist damit quasi in vielen Fächern bereits tot. Es gibt einerseits nur noch Professor:innen (Influencer/Manager) und abhängige, konforme, befristete Beschäftigte (Follower, Like-Generierer), die auf Basis quantitativer Messwerte agieren. Wissenschaft braucht aber Zeit und Freiheit zur Erweiterung und Reflexion der Grundlagen unseres Wissens, einen Widerstreit der Ideen und Disput, keinen Konformismus. Dazu braucht es auch einen starken, in Teilen unbefristeten Mittelbau und einen Ausbau der Grundlagenfinanzierung, damit sich die herrschende Elite und deren Ideen nicht immer nur selbst reproduzieren sondern die Innovationskraft der Wissenschaft gestärkt wird.
#8 - Danke, Hanna!Dem ist nur noch eins hinzuzufügen:Außerhalb…
Dem ist nur noch eins hinzuzufügen:
Außerhalb der Unis ist schon die PreDoc-Befristung falsch und einer PostDoc-Befristung bedarf es gar nicht.
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