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"Wir wollten das nicht aussitzen"

Wie geht es weiter mit der WissZeitVG-Novelle? BMBF-Staatssekretär Jens Brandenburg über neue Vorschläge und Gespräche, Missverständnisse und vermeintliche Kompromiss-Modelle – und kommunikative Versäumnisse der Ampel-Koalition.

Jens Brandenburg. Foto: Bundesregierung/Guido Bergmann.

Herr Brandenburg, vier Wochen sind vergangen, seit das BMBF seine kurz vorher veröffentlichten Eckpunkte zur Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) wieder zurückgezogen hat. Und drei Wochen, seitdem Sie zu einem Gespräch ins Ministerium luden, um, wie es hieß, "die Fragestellung einer den vielgestaltigen Anforderungen an die Postdoc- Phase angemessenen Höchstbefristungsdauer noch einmal zu erörtern". War der Termin mehr als ein Schaulaufen?

 

Wir hatten nach einem intensiven Stakeholder-Prozess zur Reform des WissZeitVG erste Eckpunkte vorgelegt. Die haben in dieser einen Frage zu einer so erheblichen öffentlichen Debatte geführt, dass wir bewusst nochmal die Diskussion gesucht haben. Die live und transparent übertragene Diskussionsrunde war ein wesentlicher Punkt dieser Diskussion. Aber nicht der einzige. Wir haben viele, teils auch schriftliche Rückmeldungen bekommen. Darunter sind auch neue Vorschläge, die wir uns genau anschauen. Und parallel weitere Gespräche dazu führen. 

 

Von außen wirkt es so, als hätten Sie mit der BMBF-Veranstaltung vor allem den Druck aus dem "#IchbinHanna-"Kessel nehmen wollen. Wie lange soll die Szene jetzt wieder warten?

 

Wir wollen zeitnah eine gute Lösung präsentieren, aber auch nichts übers Knie brechen. 

 

Das kann alles heißen. Zwei Wochen? Zwei Monate?

 

Jedes konkrete Datum, das ich Ihnen nennen würde, wäre doch unseriös. Denn die Diskussionen und Verhandlungen laufen. Wir haben es mit einer sehr komplexen Materie, sehr unterschiedlichen Wissenschaftseinrichtungen und Fächerkulturen und mit einem schwierigen Interessensausgleich zu tun. Wir alle im Ministerium und in der Koalition sind an einer baldigen Entscheidung interessiert. Sobald wir diese miteinander getroffen haben, wird sie in einen Referentenentwurf überführt. Das geht innerhalb von zwei, drei Wochen. Dieser Referentenentwurf wird anschließend in das übliche Verfahren gehen – so, wie es ursprünglich vorgesehen war, mit einer umfassenden Anhörung der Länder und Verbände. Die Ergebnisse der Anhörung werden in den Gesetzestext eingearbeitet, den das Kabinett beschließt. In der zweiten Jahreshälfte startet dann das parlamentarische Verfahren. 

 

"Fast alles, was wir in den Eckpunkten
vereinbart hatten, gilt auch weiterhin"

 

Sie hatten mal als Ziel ausgegeben, das neue Gesetz solle bis Ende 2023 in Kraft treten. Ist das jetzt hinfällig?

 

Ein Gesetzesbeschluss zum Jahresende war immer nur der frühestmögliche Zeitpunkt. Der Länder- und Verbändeanhörung wollen wir ausreichend Zeit geben. Auch die ganz regulären Fristen mit dem Bundesrat werden wir einhalten. Es ist richtig, dass wir uns die Regeln für die PostDoc-Phase jetzt noch vor dem Referentenentwurf anschauen. Ein Gesetzesbeschluss wäre so voraussichtlich im ersten Quartal 2024 erreichbar. Aber das hängt auch von Faktoren ab, die wir nicht alle selbst in der Hand haben.

 

Mit Verlaub: Formulierungen wie "zeitnah eine gute Lösung", aber "nichts übers Knie brechen", kommen mir recycelt vor. Genau dieselben Sätze haben Sie gesagt, während Sie in der Koalition zum ersten Mal monatelang über die Eckpunkte verhandelt haben – die anschließend die große Welle verursachten.

 

Wir sind doch schon viel weiter. Wir fangen nicht bei Null an. Fast alles, was wir in den Eckpunkten vereinbart hatten, gilt doch auch weiterhin. So werden wir erstmals eine Mindestvertragslaufzeit von drei Jahren für die Promotionsphase einführen. Das allein ist schon ein großer Fortschritt. Neu ist auch der Vorrang der Qualifizierungsbefristung. Das bedeutet ganz praktisch: Die Mindestvertragslaufzeiten und die familienpolitische Komponente mit automatischer Vertragsverlängerung bei Elternzeit gelten auch für Stellen auf Drittmittelbasis. Die Öffnung der Tarifsperre, die Sicherheit für Viertelstellen bei Promotionsstipendien, die studienbegleitende Beschäftigung und vieles mehr. Wir haben uns nach schwierigen Verhandlungen auf zahlreiche Verbesserungen geeinigt und das gilt auch weiterhin.


Jens Brandenburg, Jahrgang 1986, studierte Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und promovierte dort auch. Bevor er 2017 für die FDP in den Bundestag einzog, arbeitete Brandenburg für eine Unternehmensberatung. Im Dezember 2021 wurde er parlamentarischer Staatssekretär im BMBF. Unter anderem berichtet er in dieser Funktion dem Parlament zu den Bildungsvorhaben und zur Haushaltsplanung des Ministeriums. 

Foto: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0.



Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hat in ihrer Stellungnahme zu den WissZeitVG-Eckpunkten mitgeteilt, neben der Postdoc-Höchstbefristungsdauer auch die weitere Öffnung der Tarifsperre wieder "zur Diskussion stellen" zu wollen. Ihre Antwort?

 

Nochmal: Alle Eckpunkte – abgesehen von der erneuten Diskussion zur Höchstdauer der PostDoc-Qualifizierungsbefristung – sind fest vereinbart in der Koalition. Dazu gehört auch die Öffnung der Tarifsperre. Natürlich werden die Länder und Verbände, also auch die Allianzorganisationen, sich bei den Anhörungen und im parlamentarischen Prozess noch einmal einbringen. Nach dem Struckschen Gesetz wird ohnehin kein Gesetz das Parlament so verlassen, wie es reinkommt. Der Referentenentwurf ist davon aber unberührt.

 

"Das ist doch Alltag auf Twitter, dass in
Äußerungen oft sehr unterschiedliche
Dinge hineininterpretiert werden"

 

Leider hat das BMBF nicht immer so unmissverständlich kommuniziert, wie Sie das gerade tun. Am 17. März hat Bundesministerin Stark-Watzinger die Eckpunkte vorgestellt, und als Sie, Herr Brandenburg, nur zwei Tage später per Twitter zurückrudern mussten, bezogen Sie sich in der Tat nur auf die Höchstdauer der Postdoc-Qualifizierungsbefristung. Während Ihre Kollegin, die parlamentarische Staatssekretärin Sabine Döring, eine Viertelstunde später ebenfalls auf Twitter verkündete, es brauche grundsätzlich "eine neue geteilte Vision" – und sich dabei allgemein auf den "Vorschlag zum #WissZeitVG" bezog. "Es geht zurück in die Montagehalle", ergänzte sie auf Nachfrage. Verwirrend, oder? 

 

Das ist doch Alltag auf Twitter, dass in bestimmte Äußerungen oft sehr unterschiedliche Dinge hineininterpretiert werden. Wir haben das sehr deutlich kommuniziert. Es wäre auch nicht sinnvoll, jetzt noch vor dem Referentenentwurf die große Diskussion über alles und jeden Aspekt wieder aufzumachen. Die unterschiedlichen Perspektiven und Argumente sind bekannt und die große Debatte dreht sich jetzt um die PostDoc-Phase. Alles andere wird mit konkreten Gesetzesformulierungen im Referentenentwurf zur weiteren Beratung vorgelegt.

 

Wenn das so ist, warum dann überhaupt diese Extrarunde? 

 

Weil die Erwartungen bei der Postdoc-Frage so extrem weit auseinanderliegen. Das hat schon der Stakeholder-Prozess im vergangenen Jahr gezeigt und das war auch ein wesentliches Fazit der per Livestream übertragenen Diskussionsrunde bei uns im BMBF. Die Bandbreite reicht von Forderungen nach einem unbefristeten Vertrag direkt nach der Promotion bis zur Forderung, alles so zu lassen, wie es ist. Oder sogar noch längere Befristungen zu ermöglichen. Gleichzeitig unterscheiden sich die Bedingungen und Bedürfnisse sehr stark je nach Disziplinen, Fächerkulturen und Einrichtungstypen. Wir werden also keine Lösung finden, bei der ein Großteil der Akteure sagt: Das ist genau das, was wir uns wünschen. Wir brauchen eine Lösung, die in der Praxis bei aller Vielfalt funktioniert und eine frühere Verlässlichkeit in der Karriereplanung ermöglicht.

 

Sie halten also einen Kompromiss, hinter dem sich wenn nicht alle, so doch viele versammeln können, für ausgeschlossen? 

 

Ich höre immer wieder die Behauptung, es könnte einen solchen Kompromiss geben. Für abstrakte Begrifflichkeiten funktioniert das auch. Aber sobald es konkret wird, löst sich das schnell in Luft aus. In einem Gesetzestext können und wollen wir uns aber nicht hinter abstrakten Wolken verstecken.


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Die Initiatoren von "#IchbinHanna" machen sich zum Beispiel für ein "Anschlusszusagen-Modell" stark, das nach der Promotion eine optionale – kurze – Orientierungsphase mit Befristung vorsähe. Gefolgt von einer Entwicklungsphase zwar immer noch mit befristetem Arbeitsvertrag, aber auch mit einer verpflichtenden Zielvereinbarung, bei deren Erfüllung die Dauerbeschäftigung sicher ist. Die Allianz hat eine Lösung vorgeschlagen, die für diese Orientierungsphase vier Jahre ansetzt, danach soll es sehr ähnlich weitergehen wie im "Anschlusszusagen"-Modell. 

 

Das ist ein gutes Beispiel. Hinter dem Begriff "Anschlusszusage" können sich die meisten versammeln. Was konkret das sein soll und wann sie erfolgen soll, da sind die Unterschiede doch sehr groß. Die einen meinen ein Recht auf Entfristung auf Basis einer individuellen Zielvereinbarung, die möglichst früh nach der Promotion geschlossen wird. Die anderen meinen den Nachweis, dass die meisten Absolventen eines Programms anschließend irgendwo in der Wissenschaft unterkommen. Das sind doch extrem unterschiedliche Modelle. Die Details sind das Relevante.

 

"Das Gespräch war aber auch wichtig, weil wir etwas nachholen konnten, was – selbstkritisch angemerkt – vorher nicht richtig gelungen ist"

 

Verstehe ich Sie richtig, dass Sie schon vor dem erneuten BMBF-Gespräch gar nicht mehr an eine gemeinsame Lösung geglaubt haben, aber gern nochmal allen vor Augen führen wollten, wie groß die Gegensätze sind? 

 

Nein, das wäre zu wenig. Die vielen neuen Vorschläge, die jetzt auf dem Tisch liegen, zeigen schon, dass die Debatte sich weiterentwickelt hat. Es ist neue Bewegung in die Debatte gekommen. Das Gespräch war aber auch wichtig, weil wir etwas nachholen konnten, was – selbstkritisch angemerkt – vorher nicht richtig gelungen ist.

 

Was meinen Sie?

 

Vor allem die Kommunikation, was wir mit einer Reform des WissZeitVG erreichen können und wollen – und was nicht. So ist zum Beispiel das Missverständnis entstanden, die drei Jahre Postdoc-Höchstbefristung würden bedeuten, dass künftig maximal drei Jahre zur Verfügung stünden, um eine komplette Habilitation zu schreiben. Das ist natürlich Unsinn. Es wäre zum Beispiel weiterhin möglich, Restlaufzeiten aus der Promotion zu übertragen oder die Habilitation auf einer Dauerstelle oder während des Tenure Tracks abzuschließen. Doch schon dieses Beispiel zeigt, dass es nie nur um das WissZeitVG allein geht, sondern dass parallel viele weitere Maßnahmen nötig sind, um bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu erreichen. In der politischen Diskussion ist das allen Beteiligten klar. Viele Forschende hatten aber nun den Eindruck, da würde isoliert ein Gesetz geändert und sonst ändert sich nichts. Das hätten wir klarer kommunizieren müssen.   

 

Schon der Ampel-Koalitionsvertrag hat aber genau diesen Eindruck erweckt!

 

Der Koalitionsvertrag ist sicher ambitioniert. Aber die Passage, in der es um mehr Dauerstellen geht, bezieht sich nicht nur auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Wir haben als neue Bundesregierung längst weitere Entscheidungen umgesetzt und geplant.

 

Welche meinen Sie?

 

Der Bund finanziert zum Beispiel über den Zukunftsvertag "Studium und Lehre stärken" dauerhaft die Hochschulen mit. Das sind mehr als zwei Milliarden Euro im Jahr. Zwischen Bund und Ländern ist vereinbart, dass die Bundesgelder verstärkt für Dauerstellen eingesetzt werden sollen. Erst im November haben wir beschlossen, diese Mittel künftig weiter zu erhöhen.

 

"Ich begrüße die Überlegungen sehr, dass der Wissenschaftsrat diese Fragen der praktischen Umsetzung nun gezielt aufgreifen will"

 

Der Zukunftsvertrag ist doch so lasch formuliert, dass er an der Stelle praktisch wirkungslos bleiben muss.

 

Die konkreten Bedingungen wurden in der letzten Legislaturperiode vereinbart. Natürlich wäre es wünschenswert gewesen, man hätte damals stärkere Hebel für die Umsetzung verankert. Als damalige Opposition haben wir das früh thematisiert. Aber die Vereinbarung gilt. Und als wir im vergangenen November mit den Ländern in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) die jährliche Dynamisierung des Zukunftsvertrages beschlossen haben, war eindeutig: Für die zusätzlichen Mittel erwarten wir zusätzliche Anstrengungen, dass die Länder ihre eingegangenen Verpflichtungen umsetzen. Die auskömmliche Finanzierung der Hochschulen ist Ländersache und der Bund unterstützt das finanziell. Aber auch Bund und Länder werden es allein nicht schaffen, den Systemwandel hin zu anderen Personalstrukturen zu erreichen. 

 

Wovon hängt der denn Ihres Erachtens noch ab?

 

Von den bereits erwähnten Fächerkulturen und der Umsetzung in den Hochschulen. Warum werden nicht schon heute viel stärker die Drittmittel des BMBF oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für Dauerstellen genutzt, beispielsweise über gemeinsame Stellenpools? Das ist rechtlich alles möglich. Für einen echten Systemwandel müssen alle mitziehen, von den Hochschulleitungen bis hin zur einzelnen Lehrstuhlinhaberin und den wissenschaftlichen Mitarbeitern. Wir brauchen auch die Perspektiven der außeruniversitären Forschungseinrichtungen, der Hochschulforschung und der Personalentwicklung. Darum begrüße ich die Überlegungen sehr, dass der Wissenschaftsrat diese Fragen der praktischen Umsetzung nun gezielt aufgreifen will.

 

Um was genau zu tun?  

 

Um alle an einen Tisch zu holen und alle relevanten Fragen und Instrumente zu besprechen, die mit dem Ziel von mehr Dauerbeschäftigung zusammenhängen, aber nicht durch ein Bundesbefristungsgesetz geregelt werden können. Eben die nach den Drittmitteln für Dauerstellen. Oder wie wir überall gelungene Personalentwicklungskonzepte hinbekommen. Wie eine bessere und frühere Beratung von Doktoranden und Postdocs aussehen sollte, welche Best-Practice-Beispiele es wo gibt. Die jetzt laut gewordene Bereitschaft vieler Akteure, das aktiv mit dem Wissenschaftsrat (WR) aufzugreifen, ist auch eine Folge der Debatte, die wir vor der Vorstellung unserer Eckpunkte noch nicht hatten. Das tut der Sache gut. Die Signale vom WR-Vorsitzenden Wolfgang Wick im öffentlichen BMBF-Gespräch und danach stimmen mich sehr positiv.

 

Werden Sie diesen Prozess als Bundesregierung jetzt anstoßen?

 

Das ist ja eine Entscheidung des Wissenschaftsrates insgesamt, an dem wir seitens des Bundes ja neben den Ländern und der Wissenschaft beteiligt sind. Wir sind in sehr guten Gesprächen dazu.

 

Herr Brandenburg, verraten Sie uns noch: Was genau ist eigentlich passiert an dem Wochenende zwischen dem 17. und 19. März?

 

Wir wussten bei der Vorstellung der Eckpunkte am 17. März, dass es eine sehr kontroverse Debatte geben würde. Schon weil die Interessen so weit auseinander liegen. Die besonders heftige und emotionale Diskussion in der Breite der Wissenschaftscommunity nehmen wir aber natürlich auch wahr.

 

"Die drei Jahre waren
nicht gewürfelt"

 

Wirklich? Sie haben in der Koalition nicht damit gerechnet, dass es eine heftige Reaktion geben würde?

 

Mit Unterschriftenlisten, kritischen Tweets und Demonstrationen ist bei solchen Themen natürlich immer zu rechnen. Das alles kann und wird nicht ausbleiben bei einer arbeitsrechtlichen Frage, die einen Interessenausgleich so schwer macht. Der konkrete Vorschlag der dreijährigen Höchstbefristung in der PostDoc-Phase wurde in den ersten Reaktionen aber deutlich von fast allen Beteiligten abgelehnt.

 

Die einen fanden drei Jahre viel zu kurz, die anderen viel zu lang. Einig war man sich: Die Ampel-Logik, einen Kompromiss in der Mitte zwischen dem Ist von sechs Jahren und der Maximalforderung von null Jahren zu wählen, ist politisch, nicht inhaltlich gedacht.

 

Das gehört zu den Missverständnissen, von denen ich vorhin sprach. Selbst ohne WissZeitVG wären bei einem Arbeitgeberwechsel übrigens zwei Jahre Befristung möglich, und die Hochschulrektorenkonferenz hatte vier Jahre vorgeschlagen. Die drei Jahre waren nicht gewürfelt, natürlich hatten wir das sehr inhaltlich diskutiert und verhandelt. Jedenfalls ist haben wir im Ministerium und in der Koalition an besagtem Wochenende viel telefoniert und uns kurzfristig zum weiteren Vorgehen abgestimmt. Wir wollten das nicht aussitzen.

 

Gab es auch Leute, die gesagt haben: Wir ziehen das trotzdem durch?

 

Das war die Wahl: die Proteste ignorieren und die Eckpunkte durchpeitschen – oder mit einer gesunden Portion selbstkritischer Veränderungsbereitschaft den Prozess nochmal öffnen. Ich glaube, ersteres hätte weder der Sache noch der politischen Kultur gutgetan. Außerdem hatten wir uns als Fortschrittskoalition vorgenommen, manche Dinge vom Stil her anders zu machen. Gleichzeitig war uns schon klar: Wenn wir das nochmal öffnen, wird das ungemütlich und wir haben keine Garantie, dass es am Ende eine bessere oder einigungsfähigere Lösung geben kann. Wir wussten nicht einmal, ob das mit dem – auch noch live übertragenen – Gespräch im BMBF funktioniert. Die Debatte war ja doch sehr aufgeheizt. Aber die Diskussion hat gezeigt: Wissenschaft kann Gesprächskultur. Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass wir es genau so gemacht haben. Wir sind noch nicht am Ziel, aber der wieder geöffnete Prozess war die richtige Entscheidung.



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Kommentare: 8
  • #1

    A. Freund (Mittwoch, 19 April 2023 10:06)

    Wie man Fehler beschönigt. Ich vermisse Ehrlichkeit. Es mag auch einige im BMBF überraschen, aber solide Wissenschaft war schon immer auch Gesprächskultur.

  • #2

    Düsseldorfer Doktorand (Mittwoch, 19 April 2023 16:01)

    Was mir zu kurz kommt bei der ganzen Diskussion ist die zusätzliche Unischerheit die der verbockte Reformversuch nun mit sich bringt.

    Wer gerade am Übergang zur Postdoc-Phase ist weiß nun nicht, ob ein Jobangebot, das zB als 3+3 (oder 2+2, 4+2) strukturiert ist morgen noch legal sein wird. Das Eckpunktepapier, das ursprünglich als Gesetzentwurf und nicht als "erste Eckpunkte" vorgestellt wurde, blieb bei den Übergangsregelungen stumm.

    Wie soll man die "Fortschrittskoalition" so als "vom Stil her anders" wahrnehmen?

  • #3

    Promovierter Wiss. Mitarbeiter (Mittwoch, 19 April 2023 21:49)

    Das WissZVG ist inzwischen durch den einsetzenden Fachkräftemangel überholt und zu kurzsichtig gedacht. Nicht nur haben die Hochschulen seit Jahren ein Problem, die besten Köpfe zu gewinnen, nun laufen ihnen aufgrund des Fachkräftemangels die letzten verbliebenen WiMis wegen besserer Bezahlung und Dauerstellen in anderen Berufsfeldern davon. Die Diskussion sollte sich vor der Baby-Boomer-Verrentungsapokalypse, die in den nächsten 10-15 Jahren schlagend wird, darum drehen, wie Arbeitnehmer:innen gehalten werden können. Die aktuellen Streiks im Öff. Dienst deuten an, wie stark die Arbeitnehmer:innen in den nächsten zwei Dekaden werden. Vor diesem Hintergrund sind das WissZVG und die Beschäftigungspraxis an deutschen Hochschulen rückschrittig und kurzsichtig. In weiser Voraussicht sollte sich die Politik beim Fachkräftemangel (beim Lehrermangel zeigt es sich jetzt schon überdeutlich) fragen, wie Wissenschaft als Arbeitsplatz attraktiver werden kann? Z.B. mehr langfristige Grundfinanzierung, weniger kurzfristige Projektmittel für die Hochschulen. H9here Tariflöhne
    Auf 40-60 h selbstausbeuterische Wochenarbeitszeit auf ner befristeten Stelle mit Karriereaus in Sicht, ist heute kein Doktorand und Promovierter mehr scharf. - Die arbeitsrechtliche Gestaltung durch die Politik sollte den Fachkräftemangel antizipieren. Sonst stehen die Hochschulen nachher wie die Schulen beim Lehramt mit lauter unbesetzten Stellen da. Es zeigt sich doch jetzt schon wie dünn die Personaldecke bei vielen Hochschulen wird.

  • #4

    Anne König (Donnerstag, 20 April 2023 07:39)

    Danke für das gute Interview und überhaupt für Ihre engagierte und informierte journalistische Arbeit. Gerade wieder meinen Blogbeitrag überwiesen.

  • #5

    Aspergillus (Freitag, 21 April 2023 08:30)

    Wenn es der Bildungsministerin, ihren Staatsekretär:innen und der Koalition ernst ist, im Wissenschaftssystem für mehr Dauerstellen und attraktivere Karrierewege zu sorgen, sollten sie einen großen politischen Aufschlag Richtung Länder machen. Die Länder müssen nun mal Uni-Dauerstellen finanzieren. Wenn Frau Stark-Watzinger das bei den Schulen macht, warum nicht auch bei den Hochschulen?

  • #6

    Fakultätsgeschäftsführung im Norden (Freitag, 21 April 2023 23:34)

    Zitat Herr Brandenburg: „Von den bereits erwähnten Fächerkulturen und der Umsetzung in den Hochschulen. Warum werden nicht schon heute viel stärker die Drittmittel des BMBF oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für Dauerstellen genutzt, beispielsweise über gemeinsame Stellenpools? Das ist rechtlich alles möglich.“

    Das kann man in der Theorie so sehen. In der Praxis gilt meines Wissens immer noch das hier (FAQ des BMBF zum WissZeitVG):
    „Muss Personal in Drittmittelprojekten stets nach WissZeitVG (bzw. TzBfG) befristet beschäftigt werden oder kann auch auf dauerhaft beschäftigtes Personal zurückgegriffen werden?

    Das WissZeitVG eröffnet mit § 2 Abs. 2 einen besonderen Befristungsgrund für das wissenschaftliche und künstlerische Personal in Drittmittelprojekten. Damit soll dem Charakter der Projektförderung als Bearbeitung einer bestimmten Forschungsfrage für eine festgelegte Zeitdauer Rechnung getragen werden. Auch in Drittmittelprojekten wird sowohl wissenschaftliches als auch nicht-wissenschaftliches Personal benötigt, das die Hochschule nicht vollständig über ihr grundfinanziertes Personal vorhalten kann. Das bedeutet aber nicht, dass die befristete Finanzierung eines Projekts zwingend befristete Arbeitsverträge zur Folge haben muss. Die haushaltsrechtliche Frage der Finanzierung der Personalausgaben ist von der arbeitsrechtlichen Frage der Befristung von Arbeitsverträgen getrennt zu betrachten. Neben der befristeten Beschäftigung nach WissZeitVG bzw. TzBfG kann auch in Drittmittelprojekten unter bestimmten Voraussetzungen – insbesondere unter Berücksichtigung der landesrechtlichen Vorgaben – auf dauerhaft beschäftigtes Personal zurückgegriffen werden.
    Für die Abrechnung von Personalausgaben in BMBF-Projekten sind verschiedene Fallgruppen zu unterscheiden. Zum einen kann vorhandenes grundfinanziertes Personal der Hochschule in einem über Drittmittel geförderten Projekt tätig werden. Über das Projekt können dann allerdings nur die Ausgaben abgerechnet werden, die ggf. für eine Ersatzkraft anfallen, die in der Zwischenzeit die bisherigen (grundfinanzierten) Aufgaben wahrnimmt. Zum anderen kann die Hochschule sich entscheiden, unbefristete Arbeitsverträge mit Personen abzuschließen, die regelmäßig in wechselnden Drittmittelprojekten tätig sind. Soweit dieses Personal nicht auf einer etatisierten Planstelle der Hochschule geführt wird, sondern über einen davon unabhängigen Dauervertrag verfügt, können die Personalausgaben in BMBF-Projekten abgerechnet werden. Für die Abrechnung müssen drei Voraussetzungen gegeben sein. Erstens muss die Person tatsächlich in dem Projekt tätig werden. Zweitens dürfen von ihr keine Grundaufgaben der Hochschule erledigt werden. Drittens darf die Person nicht gleichzeitig über eine grundfinanzierte Stelle verfügen. Für (Übergangs-)Phasen, in denen keine Drittmittel vorhanden sind, muss die Hochschule jedoch entsprechende Vorsorge treffen, um ihrer Verantwortung als Arbeitgeber gerecht werden zu können. Diese setzt unter anderem voraus, dass auch die haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Landes eine dauerhafte Beschäftigung ohne korrespondierende Planstelle zulassen.“
    (https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/files/faq-wisszeitvg-stand-2017-6-15.pdf?__blob=publicationFile&v=2, Frage 42)

    Alles klar…?
    Soviel dazu, warum es verhältnismäßig wenig Poollösungen gibt - übrigens auch im nicht-wissenschaftlichen Bereich, wo ebenso dauerhaft beschäftigtes Personal nicht einfach befristet in BMBF-Projekten eingesetzt werden kann, ohne eine Vertretung auf der Haushaltsstelle einzustellen.

  • #7

    ehemaliger Fakultätsgeschäftsführer (Montag, 24 April 2023 08:33)

    Zu #6:

    Liebe Kollegin, lieber Kollege,

    Sie haben zwar jetzt die FAQ zitiert, aber in dem Kontext nicht erläutert, was genau für Ihre Hochschule bzw. Fakultät das Problem darstellt. Das würde mich schon interessieren.

    In meiner Zeit als Fakultätsgeschäftsführer hatte ich verschiedene Fälle, die in die Richtung einer Entfristung von Drittmittelbeschäftigten gingen. In einem Fall haben wir ein gesamtes Team entfristet, weil es stetig über Auftragsforschung sein eigenes Einkommen abgesichert hat. In einem anderen Fall (andere Fakultät) wurde bei einem Drittmittelbeschäftigten das nicht getan, obwohl er quasi der DM-Akquise-König war und sich seit Jahren bzw. Dekaden seine Stelle immer selbst versorgte. Das finde ich schon eine unwürdige Situation.
    Für mich stellt die FAQ letztendlich nur das dar, was landespolitisch so divers vorliegt. Die einen haben Stellenpläne für Hochschulen, die anderen lassen den Haushalt ohne Stellenpläne (zumindest ohne für Angestellte) laufen. Damit haben auch die Hochschulen teilweise Flexibilität. Das kann aber nicht dem BMBF angelastet werden.

    Ob die Flexibilität an Hochschulen ausgelebt wird, steht auf einem anderen Blatt. Hier besteht - so mein Gefühl - die Sorge, dass das Personal auf Drittmitteln nur für dieses Projekt geeignet ist, aber nicht für das anstehende. Vor allem in der Hierarchiestruktur von Lehrstühlen wird hier aus wissenschaftlicher Perspektive die größtmögliche Freiheit gefordert, weswegen gepooltes Personal grundsätzlich als ungeeignet betrachtet wird. Das mag teilweise sogar stimmen, wenn es in total innovative Richtungen geht; ich erachte es aber in vielen Fällen auch als vorgeschoben. Zugutehalten muss ich den Hochschulen aber, dass sie im Gegensatz zu einer Dauerstelle in der freien Wirtschaft keine Möglichkeit haben, bei Projektmangellagen das Dauerpersonal betriebsbedingt zu kündigen. Das mag man ungern hören, gehört aber meines Erachtens auch zu den Spielregeln, wenn man Attraktivität zwischen dem öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft in Bezug auf Dauerstellen vergleicht.

    In Bezug auf Dauerstellen in außeruniversitären Forschungseinrichtungen kann sich meines Erachtens das BMBF bzw. der Bund nicht so einfach rausreden. Da hier Stellenpläne und Budgetierung durch GWK bzw. Gesellschafterversammlung bestimmt werden (und dort sitzen beide Bundesministerien mit am Tisch), hat das BMBF hier unmittelbaren Einfluss auf mögliche Quoten von Dauerstellen.

    Grundsätzlich halte ich wenig vom BMBF-Bashing, was derzeit allgemein läuft (ich beziehe mich nicht mehr auf Beitrag #6). Es wird hier gerade die Quadratur des Kreises verlangt: Einerseits soll eine große Planungssicherheit, am besten Dauerbeschäftigung für alle gewährleistet werden; andererseits erwartet man von Hochschulen und Forschungseinrichtungen eine maximale Agilität, um sich unmittelbar auf neue Forschungsfelder auszurichten, da ansonsten der Rauswurf aus der Förderung oder Gemeinschaft bzw. der unmittelbare Einbruch von Drittmitteln droht. Wettbewerb mit Netz und doppelten Boden kann vermutlich nur eins werden: verdammt teuer.

  • #8

    Fakultätsgeschäftsführung im Norden (Dienstag, 25 April 2023 22:58)

    Zu#7

    Lieber (ehemaliger) Kollege,

    ich teile Ihre Einschätzung, dass nicht alle aktuellen Probleme durch das BMBF verursacht werden, dass die Hochschulen und andere Wissenschaftseinrichtungen auch ihren Teil dazu beitragen. Auch ich würde mir mehr Mut an vielen Stellen von Leitung und Verwaltung an Hochschulen zu auch mal unkonventionellen Lösungen wünschen. Dazu gehört auch der Entschluss, mal ins (kalkulierbare) Risiko z.B. bei der Stellen- oder Budgetplanung zu gehen. Die Zeit und manchmal auch Kreativität, die in das Suchen und Umsetzen von tragfähigen Befristungsgründen gesteckt wird, könnte man auch gut für viele andere Projekte (Stichwort: Digitalisierung der Verwaltung) stecken.

    Was mich aber schon ärgert, wenn Herr Brandenburg so nonchalant Poollösungen für Personal vorschlägt, das aber mit den Zuwendungsbestimmungen seines Hauses in den meisten Fällen nicht konform geht (und ich rede nur von BMBF-Förderungen!). Oder man für die Umsetzung auch wieder viel Kreativität braucht, bis es doch funktioniert. Oder, wie Sie beschreiben, das dann wieder von den individuellen Budgetierungsvorgaben der Länder an ihre Hochschulen abhängt.

    Wenn ein Staatssekretär gutgemeinte Vorschläge macht, sollten die auch in der Praxis umsetzbar sein - so zumindest mein Verständnis, vielleicht naiv.

    In dem Kontext ergänzend auch der Verweis auf eine kleine Anfrage der Grünen aus dem Jahr 2015. Meines Wissens treffen die Antworten immer noch zu.
    https://dserver.bundestag.de/btd/18/070/1807014.pdf