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Kooperation mit Risiko: Kann man mit China noch forschen?

Die China-Euphorie von einst ist auch in der Wissenschaft dem Misstrauen gewichen. Die Bundesrepublik definiert gerade ihre Außenwissenschaftspolitik neu.

ES WAR IM JAHR 2009, im "Deutsch-Chinesischen Jahr der Wissenschaft und Bildung", als die damalige Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) vier Tage durch China reiste, auf Einladung ihres Pekinger Amtskollegen, eine Berufsbildungskonferenz eröffnete und eine Wissenschaftsausstellung auf der Deutsch-Chinesischen Promenade. "Deutschland und China sind wichtige Partner in der Forschung", sagte Schavan. "Wir wollen unsere Zusammenarbeit weiter ausbauen und insbesondere den Austausch zwischen unseren Hochschulen, Bildungseinrichtungen und Forschungsstätten intensivieren."

 

14 Jahre später klingt die amtierende Bundesforschungsministerin so: "Wir dürfen China nicht naiv gegenüber sein und müssen extrem aufpassen", sagte Bettina Stark-Watzinger (FDP) T-Online. Hochschulen müssten Forschungskooperationen "sorgsam abwägen", gerade bei Technologien aufpassen, "die militärisch genutzt werden oder auch entgegen unserer Werte eingesetzt werden können."

 

Sie würde kein Konfuzius-Institut an ihrer Hochschule haben wollen, sagt BMBF-Chefin Stark-Watzinger

 

Die China-Euphorie von einst ist dem Misstrauen gewichen. Beispiel Konfuzius-Institute: Vor 15 Jahren galten sie als chinesisches Pendant der Goethe-Institute, oftmals betrieben in Partnerschaft mit deutschen Hochschulen, die sie als Aushängeschilder ihrer China-Kompetenz nutzten. Dass sie und die an ihnen hängenden Professuren größtenteils aus Peking finanziert und immer eine chinesische Leitung hatten, verursachte damals nur ein Achselzucken. Heute führt es dazu, dass immer mehr Universitäten ihre Konfuzius-Verbindungen kappen, wie Hamburg, Düsseldorf oder zuletzt Trier – oder wie an der Freien Universität Berlin seit Jahren erbittert darüber gestritten wird.

 

"Ich würde sie an meiner Hochschule nicht haben wollen", meint Forschungsministerin Stark-Watzinger – während etwa Ex-Kanzlerin Merkel noch 2020 ihre "herzlichsten Grüße und Glückwünsche" zum Jubiläum des Konfuzius-Instituts Stralsund geschickt hatte.

 

Vor wenigen Jahren, sagt Marijke Wahlers von der Hochschulrektorenkonferenz, hätten sich Hochschulen noch rechtfertigen müssen, wenn sie die Kooperation mit China nicht zur Top-Priorität gemacht hätten. "Heute ist es oft genau umgekehrt."

 

Früher nahm man an Deutschlands Hochschulen oft auch mehr oder minder achselzuckend hin, dass sich in einer Besuchergruppe chinesischer Wissenschaftler oft genug mindestens ein Gast befand, der mehr oder minder offen als staatlicher Aufpasser fungierte. Oder dass chinesische Doktoranden regelmäßig in der chinesischen Botschaft vorsprachen.

 

Risikoanalyse
vor Kooperation

 

Dabei geht es jetzt um mehr als nur das Aushandeln einer neuen Beziehung zu China. Spätestens der russische Angriff auf die Ukraine hat ganz grundsätzlich klar gemacht: Die alte Regel deutscher Außenwissenschaftspolitik – je mehr Kooperation, desto besser – gilt in dieser Form nicht mehr. Bestes und zugleich teuerstes Beispiel: Die Milliarden teure Beschleunigeranlage FAIR in Darmstadt wird jetzt ohne den Hauptpartner Russland weitergebaut

 

Einer, der die neuen wissenschaftspolitischen Realitäten früh gesehen hat, war ausgerechnet der Präsident derjenigen Organisation, die bis heute das Motto "Wandel durch Austausch" hat. Joybrato Mukherjee, seit 2020 an der Spitze des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, sagte kurz vor seinem Amtsantritt: "Im Schlafwagen werden wir die Wissenschaftsfreiheit nicht verteidigen". Und: Eine rote Linie in der Zusammenarbeit sei gegeben, "wenn Sie durch den wissenschaftlichen Austausch ein totalitäres Regime eher stabilisieren, als dass sie den Wissenschaftlern und Studierenden vor Ort helfen".

 

Was aber auch zeigt, wie hoch die Hürde für einen Beziehungsabbruch ist – und laut Mukherjee sein muss. "Wir müssen, wollen und werden weiter mit China zusammenarbeiten", sagt er. "Der Unterschied zu früher ist, dass wir heute viel ungeschminkter unsere eigenen strategischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interessen kommunizieren und verfolgen."

 

Doch was genau sind die strategischen Interessen der deutschen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen? Woher wissen sie, ob und wann sie Chinas Wissenschaftlern trauen können? Und wie genau definieren sie die Grenzen der Zusammenarbeit? Viele Hochschulen und Wissenschaftler wünschten sich eine Checkliste mit Do’s und Don’ts zum Abhaken, sagt Marijke Wahlers von der HRK. "Aber die kann es nicht geben. Es bleibt immer bei Einzelfallentscheidungen."

 

Die meisten No-Go-Zonen wissenschaftlicher Zusammenarbeit sind nicht so leicht identifizierbar

 

Unterdessen hat jetzt eine Gruppe von US-Forschern im Fachblatt Science gefordert, die Hochschulen müssten in ihrem Streben nach einem weiter offenen Austausch proaktiv die Grenzen der Zusammenarbeit mit China benennen. So sollten US-Einrichtungen keine Studierenden und Wissenschaftler aufnehmen, die bekanntermaßen für Chinas Militär oder Sicherheitsbehörden arbeiteten. Auch sollten sie nicht mit Chinas Militärforschungseinrichtungen oder den sogenannten National Defence Universities kooperieren – und auch nicht mit chinesischen Firmen, die im Verteidigungssektor aktiv seien. Von der Teilnahme an chinesischen Talent-Recruiting-Programmen, die dem Abfluss von US-Technologie nach China dienten, raten sie ab.

 

Das Problem bleibt indes, dass die meisten No-Go-Zonen wissenschaftlicher Zusammenarbeit eben nicht so leicht identifizierbar sind. Weshalb der DAAD 2019 "KiWi" gegründet hat, das Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperation, mit Unterstützung der Bundesregierung und auf Empfehlung des Wissenschaftsrates. Tatsächlich sei der Bedarf an Beratung gewaltig, sagt KiWi-Leiterin Friederike Schröder. 1200 Anfragen aus deutschen Hochschulen hat das Kompetenzzentrum 2022 bearbeitet, doppelt so viele wie im Jahr zuvor.

 

Etwa 400 davon erhielt der DAAD zu bestehenden oder möglichen Projekten mit China. "Die Unsicherheit hat stark zugenommen", sagt Schröder und nennt Stichworte: der Umgang mit Dual Use, die Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, ungewollter Wissensabfluss, der Schutz sensibler Forschungsdaten. "Gleichzeitig will man aber den Austausch auf Augenhöhe erhalten", sagt Schröder. "Das geht nur, wenn sich die Hochschulen einer ehrlichen Risikoanalyse stellen." Dabei unterstützt KiWi sie – und hat im April vom BMBF sein Budget um eine zusätzliche Million pro Jahr aufgestockt bekommen – fast eine Verdopplung.

 

Zwei von elf
Projekten gestoppt

 

Eine der Hochschulen, die sich der Risikoanalyse stellt, ist die RWTH Aachen. Kein Wunder, gehört sie doch zu den Universitäten in Deutschland, die seit vielen Jahren enge Bande pflegen. So sind zum Beispiel 3400 der rund 47.000 RWTH-Studierenden Chinesen. Ihre Zahl hat sich vervierfacht seit 2011 und auch während Corona kaum eingebrochen. Die für Internationales zuständige Prorektorin Ute Habel berichtet, dass sie in der Hochschulleitung gerade an einer neuen China-Leitlinie arbeiten, "als Orientierungshilfe für mögliche Kooperationen und um auf den Prozess hinzuweisen, der dann einzuhalten ist."

 

So gingen alle geplanten Forschungsprojekte mit Drittstaaten durch die Exportkontrolle, und besonders streng sei die bei sogenannten Waffenembargostaaten, zu denen auch China gezählt werde. Zwölf von 452 Projekten habe die RWTH-Verwaltung seit 2020 als durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) genehmigungspflichtig eingestuft, bei elf habe es sich um Partner aus China gehandelt. Zwei davon seien bislang von der BAFA abgelehnt worden und acht genehmigt. "Abgesehen von der rechtlichen Bewertung werden alle Vorhaben, bei denen Zweifel an der rein wissenschaftlichen Motivation der Partner bestehen, im Rektorat besprochen, wir haben eine Ethikkommission, und wenn nötig, stellt unser Verbindungsbüro in Peking weitere Recherchen an." 

 

Eines, sagt Habel, dürfe man bei aller berechtigten Vorsicht nicht vergessen. "Es gibt immer mehr Forschungsfelder vom Klimaschutz bis zur künftigen Energiegewinnung, wo die Chinesen auch wissenschaftlich führend sind, wir also von ihrem Wissen profitieren können."

 

Dieser Artikel erschien zuerst im Tagesspiegel.


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Kommentare: 2
  • #1

    kldi (Mittwoch, 31 Mai 2023 11:11)

    die Forschung mit China ist ein Punkt. Ein anderer Punkt ist die Ausbildung von China in deutschen Unis. In all meinen Kursen, die in irgend einer Weise mit KI zu tun haben, ist der Hörsaal zu 60% mit chinesischen Studierenden besetzt. Wird diese Situation der kostenfreien Ausbildung auch angesprochen?

  • #2

    Nikolaus Bourdos (Mittwoch, 31 Mai 2023 13:29)

    #1: Für mich schon seit Jahren unverständlich, dass kostenloses Studieren für Ausländer immer noch möglich ist. Das zumal Deutschland immer (noch) nicht in der Lage ist, Angehörige visapflichtiger Staaten vergleichsweise unbürokratisch hier zu halten. Dann nämlich würde Deutschland davon profitieren, junge Menschen kostenlos auszubilden. Wenn Sie unmittelbar nach dem Studium das Land wieder verlassen, haben wir davon unmittelbar nichts.