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Profs gegen "#IchbinHanna"?

"Erleichtert" ist der Deutsche Hochschulverband über den korrigierten Gesetzesentwurf für Befristungen in der Wissenschaft. Und vertritt damit vermutlich die große Mehrheit seiner Mitglieder. Was das für "#IchbinHanna" bedeutet.

Bild: Screenshot BMBF/Youtube.

ER SEI ERLEICHTERT, sagte Lambert Koch. Das BMBF habe bei seinem Entwurf zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes "doch noch an einer entscheidenden Stelle eine überfällige Korrektur" vorgenommen – "nach der einhelligen Kritik aus der Scientific Community".

 

Tatsächlich hatte die zunächst geplante Kürzung der maximalen Befristungsdauer von Postdocs auf drei Jahre im März zu einem Proteststurm geführt. Jetzt will das Forschungsministerium vier Jahre erlauben – plus zwei Jahre, wenn im Anschluss unter transparenten Bedingungen eine Dauerstelle zugesagt wird. Das gehe "in die richtige Richtung", befand Koch, neuer Präsident des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) – in einem engen Schulterschluss mit ähnlich klingenden Äußerungen der Hochschulrektorenkonferenz (HRK).

 

Zur Empörung von Amrei Bahr, Mitinitiatorin von "#IchbinHanna", das unter anderem für möglichst frühe Postdoc-Dauerverträge kämpft. Bahr verkündete auf Twitter ihren Austritt aus dem Verband: Sie frage sich, wie sich Kochs Stellungnahme mit dem selbsterklärten DHV-Selbstverständnis vereinbaren lasse, die "Berufsvertretung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland" zu sein, deren besondere Sorge laut Website "dem wissenschaftlichen Nachwuchs" gelte. 

 

Die von Koch gelobte Regelung würde Wissenschaftlern in frühen und mittleren Karrierephasen genauso schaden wie den Professoren, "die eine Zunahme des Drucks auf Postdocs und die beschleunigte Personalrotation zukünftig würden auffangen müssen", warnte Bahr in ihrem offenen Brief an das gesamte DHV-Präsidium. Danach schwappte unter dem Hashtag "#Ciao_DHV" prompt eine Welle demonstrativer Austrittsankündigungen durch die sozialen Medien.

 

Im Schlussteil ihres Austrittsschreibens wandte sich Bahr direkt an Koch, der bis vergangenem Herbst Rektor der Universität Wuppertal war. Vielleicht möge dieser "noch einmal überdenken, für wen Sie sprechen und wessen Interessen Sie tatsächlich vertreten – denn eine Vertretung der Rektor_innen und Präsident_innen gibt es mit der HRK bereits."

 

Im Kern ist und bleibt der DHV der Club der meist 
unbefristet beschäftigten Uniprofessoren 

 

Ob am Ende von "#Ciao_DHV" so viele Austritte stehen, dass sie den Hochschulverband wirklich schmerzen werden, ist allerdings zweifelhaft. Denn auch wenn sich der 33.000 Mitglieder starke DHV nach außen gelegentlich anders gibt: Im Kern ist und bleibt es ein Club der – meist unbefristet beschäftigten – Uniprofessoren. Von denen die Mehrheit das von "#IchbinHanna", Mittelbauinitiativen oder GEW kritisierte Hochschul-Karrieresystem mit langen Postdoc-Befristungszeiten erfolgreich durchlaufen hat – und es daher, Stichwort Surviorship Bias, tendenziell als geeignet ansehen dürfte.  

 

Dass rund 3.000 Professorinnen und Professoren im März den offiziellen "#ProfsfürHanna"-Unterstützungsbrief unterzeichnet haben, der im BMBF wohl ursächlich war für die Rücknahme der damaligen Eckpunkte binnen 51 Stunden, ist kein Widerspruch zu dieser These. Denn der Brief enthielt zwar deutliche Kritik an der prekären Lage vieler befristeter Postdocs und ebenso an den daraufhin verworfenen drei Jahren Höchstbefristung – machte aber keine konkrete Aussage, was denn die Alternative sein sollte.

 

Anders verhält es sich beim vor zwölf Tagen veröffentlichten "#ProfsfürHanna"-Nachfolgebrief, der argumentativ auf die von Bahr und ihren Mitstreitern promotete Linie einschwenkte (maximal zwei Jahre Postdoc-Befristung, dann nur noch mit Anschlusszusage). Um den Preis allerdings, dass trotz allen Trommelns bis Sonntag nur etwa 1.070 Profs unterschrieben haben. Bei rund 29.000 deutschen Uniprofessoren insgesamt. 

 

Auch wenn viele bei "#IchbinHanna" es sich anders wünschen: Es sind eben nicht nur oder vorrangig die Rektoren, die Befristungen bis weit in die Postdoc-Phase hinein nicht nur für vertretbar, sondern je nach Fach für notwendig halten – auch wenn sie allgemein gern ihr Mitgefühl für die prekäre Lage vieler Betroffener ausdrücken und grundsätzlich den Reformbedarf wissenschaftlicher Karrierewege einräumen.

 

Am Ende hilft nur das weitere
diskursive Dicke-Bretter-Bohren

 

In Kochs Stellungnahme klang das so: "Der Pluralität von Fächerkulturen und Karrierepfaden zur Professur muss angemessen Rechnung getragen werden." Im weiteren parlamentarischen Verfahren zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz werde es noch genügend Gelegenheit geben, "in diesem Sinne gegebenenfalls nachzubessern." Gleichzeitig begrüßte der neue DHV-Präsident die verpflichtende Anschlusszusage nach vier Jahren hin zu mehr Verbindlichkeit als "richtige Weichenstellung".  

 

Womit der neue DHV-Präsident womöglich doch ziemlich gut die aktuelle Mehrheitsmeinung in seinem Verband repräsentiert. Was das für "#IchBinHanna" bedeutet? Ganz sicher nicht ihr Scheitern. Aber die Erkenntnis, dass man mit gut gemachten Online-Kampagnen ziemlich schnell und ziemlich effektiv Menschen mobilisieren kann, die die eigene Meinung schon teilen. Dass man von den Übrigen einige für sich und andere gegen sich einnimmt. Während der große Rest in seinen Grundeinstellungen ziemlich unbeeindruckt bleibt. 

 

Was irgendwann dazu führt, dass die zuvor so hoch scheinende Diskursdynamik nachlässt – erst recht, wenn sich der erhoffte politische Erfolg nicht in dem erhofften Umfang einstellt. Darauf kann man, was verständlich ist, mit Frust reagieren. Hoffentlich nicht mit immer persönlicher werdenden Angriffen auf jene, die eine andere Position einnehmen. Am Ende hilft aber nur der weitere mühevolle Austausch von Argumenten, der Glaube an deren Überzeugungskraft bei gleichzeitiger Kompromissbereitschaft, kurzum: das diskursive Dicke-Bretter-Bohren.

 

Die Initiatoren von "#IchBinHanna" haben, angefangen mit den "95 Thesen gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz" im Herbst 2020, diesen langen Atem, verkoppelt mit einer Mischung aus Vehemenz und Augenzwinkern, bereits bewiesen. Sie und all jene, die sich eine grundlegende Veränderung der wissenschaftlichen Karrieresysteme in Deutschland wünschen, werden ihn jetzt erst recht brauchen.  

 

Dieser Kommentar erschien in einer kürzeren Fassung zuerst in meiner Kolumne "WiardaWill'sWissen" im Tagesspiegel.


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Kommentare: 16
  • #1

    Profs und Hanna (Montag, 26 Juni 2023 10:18)


    Ich (ein Prof) finde diese Frontstellung "Profs gegen befristeten Mittelbau" sehr künstlich. Kein Prof (den ich kenne) findet es toll, Mitarbeiter*innen mit Kurzzeitverträgen zu verlängern oder gute Mitabeiter*innen gehen lassen zu müssen.

    Aber Profs sehen, dass (a) die Mittel sicher nicht steigen, sondern eher sinken werden, und (b) das nach der aktuellen Generation von WiMis auch zukünftige Generationen ihre Chancen bekommen sollen - sowohl auf Promotionsstellen als auch auf unbefristete Stellen.

    Auf diese Grundproblematik gehen die Hanna- Befürwörter*innen einfach nie ernsthaft ein - auch nicht in diesem Blog. Ich sehe in der Diskussion immer nur das Aneinander vorbeireden - Prof sagt "wie soll ich in Zukunft noch Promovierende finanzieren?", Hanna sagt "ich will jetzt eine Dauerstelle wegen a, b, c". Damit kann man niemanden, in keine Richtung, überzeugen.

  • #2

    Hanna (Montag, 26 Juni 2023 10:36)

    Lieber Herr Wiarda,

    vielen Dank für die, wie immer, treffliche Recherche und Darstellung.

    In einem Punkt gerät Hanna der Beitrag jedoch etwas zu kurz. Sie schreiben: "Am Ende hilft aber nur der weitere mühevolle Austausch von Argumenten, der Glaube an deren Überzeugungskraft bei gleichzeitiger Kompromissbereitschaft, kurzum: das diskursive Dicke-Bretter-Bohren."

    Das sieht Hanna nicht ganz so. Die Argumente sind ausgetauscht, das Ergebnis ist aufgrund unterschiedlicher Interessenslagen ein Zielkonflikt, der durch die Argumente der Nicht-Mächtigen allein nicht gelöst werden kann. Da der DHV und die Mehrzahl der Professor:innen offenbar ihre Mitarbeiter:innen lieber weiterhin befristet beschäftigen will, ist das "Dicke-Bretter-Bohren" für Hanna keine Option. Drei weitere Wege möchte Hanna ergänzen:

    Weg 1: Eine Verfassungsbeschwerde einlegen. Nach Pschorr (2023, DOI: 10.17176/20230503-204512-0) ist das WissZVG inzwischen als europarechtswidrig einzustufen, da es die hohen Befristungsquoten nicht gesenkt hat. Eine Verfassungsbeschwerde wäre also ein gangbarer Weg, sich gegen das WissZVG zu wehren. Wer hilft mit?

    Weg 2: Das öffentliche Anprangern der Verbände und Institutionen, die durch die Unterstützung des WissZVG den Wissenschaftsstandort Deutschland für Talente aus dem In- und Ausland unattraktiv machen. Befristung und Karriereaus nach 10 (6+4) Jahren sind nicht sexy! Wenn nur wegen Kurzfrist- und Machtinteressen der Professor:innen in ihren Machtbereichen, dem System weiterhin die besten Talente entzogen werden, ist die Leistungsfähigkeit der hochulischen Ausbildung in Deutschland akut bedroht. Denn 80% der Lehre wird von Wiss. Mitarbeiter:innen erbracht. Natürlich sind "persönlicher werdenderen[ ] Angriffe" abzulehnen. Bundes- und Landesministerien, Verbände und Hochschulleitungen sowie gewählte Politiker:innen in ihren Funktionen öffentlich auch heftig kritisieren zu dürfen, muss aber möglich sein. Cancel WissZVG.

    Weg 3: Ein wichtiger weiterer, paralleler Weg sind gewerkschaftlich unterstützte Arbeitskampfmaßnahmen. Mit dem Auslaufen des TVL-Tarifs bietet sich ab September für die 92% befristet beschäftigten Wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen die Möglichkeit, sich bundesweit an Warnstreiks für bessere Bezahlung in der Wissenschaft legal zu engagieren. Wenn wir schon weiterhin befristet beschäftigt werden sollen, muss die Arbeitgeberseite diese Befristung teuer zu stehen kommen. Je mehr Wiss. Mitarbeiter in die Gewerkschaft eintreten, desto besser. Legen wir Hannas den Universitätsbetrieb mit Warnstreiks lahm! (Übrigens: Auch Nicht-Mitglieder dürfen sich rechtlich an Streiks beteiligen, zu denen die Gewerkschaft aufgerufen hat. Sie erhalten jedoch kein Streikgeld).

    Diese drei Wege, den Ärger und die Wut über die Ignoranz der Mächtigen im Wissenschaftssystem zu artikulieren und für bessere Beschäftigungsbedingungen einzutreten, sollen hiermit ergänzt werden.

    Wer nicht weiter befristet beschäftigt werden will, muss sich jetzt engagieren. - Denn die Alternative ist das Karriereaus nach 10 (6+4) Jahren Wissenschaft.
    @Liebe Hannas, wir lassen uns das jetzt nicht mehr aus der Hand nehmen. Be the change that you want to see in the world!

  • #3

    Hanna und Profs (Montag, 26 Juni 2023 11:16)

    @Profs und Hanna: "Aber Profs sehen, dass (a) die Mittel sicher nicht steigen, sondern eher sinken werden, und (b) das nach der aktuellen Generation von WiMis auch zukünftige Generationen ihre Chancen bekommen sollen - sowohl auf Promotionsstellen als auch auf unbefristete Stellen.

    Auf diese Grundproblematik gehen die Hanna- Befürwörter*innen einfach nie ernsthaft ein"

    Nur kurz zur Richtigstellung: Beide angeführten Punkte sind aus der Sicht von Hanna Scheinargumente. (s. https://mittelbau.net/argumentationshilfen/)

    Zu a) Woher stammt der Glaubenssatz, dass Mittel nicht steigen werden? Inwiefern ist das ein Argument gegen unbefristete Normalarbeitsverträge auf Haushaltstellen?

    Zu b): Diese Mär, dass man künftige Generationen bei der Stellenplanung berücksichtigen muss, gibt es nur in der Wissenschaft. Sie können ja statt tausender Doktorandenstellen auch Stellen so umverteilen, dass Karrierewege auf allen Karrierestufen (R1-R4) ermöglicht werden. Es gibt dann halt deutlich weniger Haushaltsstellen für Doktoranden. Wer weiterhin Doktorand:innen für eigene Projekte einspannen will, soll Drittmittel einwerben und hoffen, dass er/sie in Zeiten des Fachkräftemangels (mit wahnsinnig guten Arbeitsbedingungen außerhalb der Wissenschaft) noch gute Mitarbeiter:innen findet, die bereit sind, für ein befristetes Stellenangebot eine andere Karriere aufzugeben. (Wer darüber hinaus Promotionen ermöglichen will, muss strukturierte Promotionsprogramme auflegen, Stipendiengeber stärken und diejenigen Arbeitgeber stärker in die Pflicht nehmen, die promovierte Spezialist:innen einstellen wollen). Es kann nicht Ziel sein, das Wissenschaftssystem hauptsächlich Doktoranden und jungen Postdocs (6+4 Jahre) zu betreiben? Forschung, Studium und Lehre brauchen auch erfahrene Wissenschaftler:innen in mittleren Karrierestufen.

    Sie müssen sich zudem eines Fakts bewusst werden: Die "Wissenschaft" als Arbeitgeber hat durch die unsicheren Beschäftigungsbedingungen, durch die tw. toxische Arbeitskultur sowie die Aufklärung darüber durch @Ichbinhanna inzwischen massiv an Prestige eingebüßt. (Gleichzeitig umgarnen alle anderen privaten und öffentlichen Arbeitgeber die begehrten Fachkräfte mit immer lukrativeren Angeboten). Kurz gesagt: Der Lack ist ab! Die Universitäten sind im Wettbewerb um die wenigen guten Arbeitskräfte wie alle anderen auch und müssen sich mehr anstrengen.

    Anders gefragt: Wie viele exzellente Bewerbungen erhalten Sie noch auf Ihre Stellenausschreibungen? Wie häufig kündigen Ihnen befristete Mitarbeiter:innen in laufenden Projekten? Bieten Sie attraktive Beschäftigungsbedingungen an?

  • #4

    Tobias Rosefeldt (Montag, 26 Juni 2023 11:27)

    Da fühle ich mich ja direkt angesprochen... Die Darstellung in #1 geht wirklich an der Wirklichkeit vorbei. Die gesamte Hanna-Diskussion zur Postdoc-Phase handelt ausschließlich von Stellen für promovierte Wissenschaftler:innen. Die Forderung ist, von DIESEN Stellen einen höheren Anteil mit Anschlusszusage oder als Dauerstellen zu besetzen. Für die Promotionsstellen ändern sich dadurch gar nichts. Auch Befristungshöchstquoten würden für das Segment "WiMi-Stellen für promovierte Wissenschaftler:innen" festgelegt. -- Was das Argument im Beitrag selbst betrifft, würde ich hier gerne einen Punkt wiederholen, den ich bereits auf Twitter gemacht habe:
    Es stimmt, dass die Zahl der Unterschriften für #ProfsFürHanna geringer ist als beim ersten Mal. Aber das liegt eben auch daran, dass #ProfsFürHanna 2 nicht nur eine Stellungnahme gegen den vorliegenden Entwurf ist, sondern viele positive Forderungen aufgenommen hat, auch solche, die weit über das #WissZeitVG hinaus gehen. Das man das nicht unterschreibt, bedeutet nicht, dass man den Referentenentwurf gut findet. Und ja: So ganz genau wissen wir nicht, wie die Mehrheit der Profs zum Referentenentwurf steht. Die Frage ist aber, was man man in einer solchen Situation als Berufsverband tut. (a) Behaupten, dass jetzt alles gut ist, oder (b) sagen, dass es eine erhebliche Anzahl von Hochschulmitgliedern gibt, die immer noch starke Bauchschmerzen haben, und konstruktiv darüber diskutieren, wie man den Bedenken noch Rechnung tragen kann. Ich kenne z.B. viele Profs, die sich bei der Frage 4+2 oder 2+4 nicht eindeutig festlegen wollen, die aber sofort dafür wären, über Befristungshöchstquoten für die Postdoc-Phase Druck auf die Hochschulen auszuüben, eine nachhaltigere Personalpolitik zu machen. Es wäre Aufgabe des DHV, Debatten über genau solche Aspekte der Diskussion anzustoßen oder zumindest zu erwähnen.

  • #5

    Dennis (Montag, 26 Juni 2023 11:42)

    Der / die Kommentator:In vor mir fragt, ob Postdocs denn nicht an die Kinder denken.

    Hier die Antworten darauf, die meines Wissens auch von #IchBinHanna so kommuniziert wird:

    1. Natürlich kann man weiter Doktorand:Innen ausbilden. Wieso sollte das Geld für die Stellen plötzlich fehlen? Das Geld ist ja augenscheinlich da, Promovierende durchschnittlich 4,5 Jahre zu beschäftigen. Dass man das jetzt mit einem Vertrag statt mit 8 verschiedenen Verträgen machen soll, spart wahrscheinlich neben viel Zeit und Nerven bei Promovierenden und Professoren sogar Administrationskosten. Zudem sind für das temporäre Einstellen von Zusatzkräften für die Vertiefung von Projekten auch eher die Drittmittel vorgesehen.

    2. Postdocs: Welche "Chancen" werden den jüngeren weggenommen? Die "Chancen" auf eine prekäre Lebenssituation während der wichtigsten Zeit ihres Lebens, in der sie Familien gründen sollten? Oder die Chancen sich weiter in akademischer Forschung, Lehre und Administration zu spezialisieren, was auf dem freien Arbeitsmarkt eine Fehlqualifizierung ist? Solange der Postdoc so unattraktiv gestaltet ist, sind die Chancen, die man verpasst im Sinne der Karriereplanung wertlos. Der Postdoc bietet weder ein kompetitives Gehalt, noch Planungssicherheit, noch eine gute Zukunftsperspektive. Diese Art der prekären Beschäftigung abzubauen, das ist der Dienst, den wir den Folgegenerationen hier leisten können.

    3. Die nachfolgenden Generationen sollen Chancen auf unbefristete Stellen bekommen, schreiben Sie. Ja klar, aber im Moment hat ja praktisch niemand eine unbefristete Stelle. Diese Chance existiert also auch so nicht. Außerdem, falls sie sich die Demografie-Entwicklung anschauen, werden in den nächsten 15 Jahren mehr unbefristete Stellen frei, als es Nachwuchs gibt. Die Frage ist: werden diese Stellen wieder besetzt? Oder werden die abgebaut?

    Aber hier verlassen wir sowieso das Diskussionsfeld WissZeitVG. Denn all diese Details, welche Stellen wie gemacht und vergeben werden, haben die Hochschulen umzusetzen. Das WissZeitVG setzt nur den Rahmen. Die sozial gerechte Umsetzung haben die Hochschulen schon nach der ersten Einführung des WissZeitVG verschissen. Denn sie haben überhaupt nicht im Geiste des Gesetzes gehandelt und mehr Wissenschaftler entfristet. Jetzt muss das Gesetz verschärft werden. Da kann ich nur sagen: Selbst Schuld, liebe Uni-Admins, Rektoren und Profs.

    Ich drücke den Hannas alle Daumen, dass der FDP hier noch auf die Finger gekloppt und endlich ein effektives Gesetz beschlossen wird, das die Hochschulen auch entsprechend umsetzen müssen.

  • #6

    Hanna (Montag, 26 Juni 2023 12:26)

    Lieber Herr Wiarda,

    vielen Dank für die, wie immer, treffliche Recherche und Darstellung.

    In einem Punkt gerät Hanna der Beitrag jedoch etwas zu kurz. Sie schreiben: "Am Ende hilft aber nur der weitere mühevolle Austausch von Argumenten, der Glaube an deren Überzeugungskraft bei gleichzeitiger Kompromissbereitschaft, kurzum: das diskursive Dicke-Bretter-Bohren."

    Das sieht Hanna nicht ganz so. Die Argumente sind ausgetauscht, das Ergebnis ist aufgrund unterschiedlicher Interessenslagen ein Zielkonflikt, der durch die Argumente der Nicht-Mächtigen allein nicht gelöst werden kann. Da der DHV und die Mehrzahl der Professor:innen offenbar ihre Mitarbeiter:innen lieber weiterhin befristet beschäftigen will, ist das "Dicke-Bretter-Bohren" für Hanna nicht die einzige Option. Drei weitere Wege möchte Hanna ergänzen:

    Weg 1: Eine Verfassungsbeschwerde einlegen. Nach Pschorr (2023, DOI: 10.17176/20230503-204512-0) ist das WissZVG inzwischen als europarechtswidrig einzustufen, da es die hohen Befristungsquoten nicht gesenkt hat.

    Weg 2: Das öffentliche Kritisieren der Institutionen/Ämter in ihren Funktionsrollen ist demokratisch legitim. Wenn diese durch ihr institutionelles Unterstützunhshandeln zum WissZVG den Wissenschaftsstandort Deutschland für Talente aus dem In- und Ausland unattraktiv machen, ist laute öffentliche Kritik demokratisch wichtig.

    Weg 3: Gwerkschaftlich unterstützte Arbeitskampfmaßnahmen. Mit dem Auslaufen des TVL-Tarifs bietet sich ab September für die 92% befristet beschäftigten Wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen die Möglichkeit, sich bundesweit an Warnstreiks für bessere Bezahlung in der Wissenschaft legal zu engagieren. Wenn Hannas weiterhin befristet beschäftigt werden sollen, soll die Arbeitgeberseite diese Befristung finanziell ausgleichen. Hannas werden den Universitätsbetrieb bestreiken! (Übrigens: Auch Nicht-Mitglieder dürfen sich rechtlich an Streiks beteiligen, zu denen die Gewerkschaft aufgerufen hat. Sie erhalten jedoch kein Streikgeld).

    Diese drei Wege stehen u.a. entgegen Ihrer Einschätzung offen, um für bessere Beschäftigungsbedingungen einzutreten.

  • #7

    Eine Hanna (Montag, 26 Juni 2023 12:31)

    Dann sollten privilegierte Profs sich endlich ehrlich machen. Macht Eure Arbeit doch selbst bitte und heizt kein Schneeballsystem an. Wer gut Leute will, soll zahlen und dauerhafte Perspektiven schaffen. Wollt ihr nicht? Dann verdient ihr auch keine Mitarbeiter. Ihr könnt andere Dumme ausnutzen.

  • #8

    Eine Hanna (Montag, 26 Juni 2023 14:27)

    Danke, Denis.
    Wer heutzutage Postdocs nach Kinder fragt, hat den Knall nicht gehört. Die meisten weiblichen Postdocs schaffen es gar nicht, Kinder zu bekommen, weil die Situation viel zu prekär ist. Kinder sind schon ein Nachtteil fuer die Karriere in der Wissenschaft.
    Die Wissenschaft ist ein alter, weisser Männer-Club. Man kann ihnen nur wünschen, dass dieser ausstirbt.

  • #9

    lN2 (Montag, 26 Juni 2023 21:08)

    Ad #2: es ist wie immer in der Diskussion, Hanna will ihre Ziele durchboxen, no matter what. Kompromissbereitschaft nicht vorhanden. Ich bewundere ja diese Courage, aber wer so in den Ring steigt kann gewinnen oder k.o. gehen.
    Ad alle anderen Hannas: Es zeugt von maximaler Ignoranz, nicht zu verstehen, dass Doktorandenstellen und Postdoc stellen zusammen hängen, solange nicht mehr Stellen ins System gepumpt werden. Die bösartigen Argumente ala böser alter weißer Mann zeigt für mich, dass die Käpfer*Innen selbst sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben, und eher ihr Trauma bekämpfen, anstatt eine Lösung anzustreben, die im Zweifelsfall nicht einem Berufsverbot für Postdocs gleichkommt.
    Auch wenn munter Argumente angeführt werden, es gibt keine belastbaren Evidenzen, dass eine Höchstbefristung von 2 Jahren irgendwie mehr Dauerstellen schafft. Natürlich wäre Streik ein probates Mittel, nur sind die wenigsten gewerkschaftlich engagiert und es ginge zulasten der Studierenden. Stattdessen wäre ein Kompromiss am Diskussionstischerwachsen. Obwohl das Hannas immer für sich reklamieren, der Anschein (wissenschaftlich) erwachsen zu sein ist für die meisten Hannas nicht haltbar. Schade. Die Diskussion wird immer emotionaler und verlliert damit an sachlicher Grundlage und sachlichem Ziel.

  • #10

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 27 Juni 2023 08:34)

    Liebe Leserinnen und Leser,

    wieder der Hinweis und die Warnung: Ich schätze eine lebhafte und auch kontroverse Debatte hier im Blog, gleichzeitig aber auch einen wertschätzenden und respektvollen Ton. Deshalb werde ich von nun an wohl wieder nicht darum herumkommen, einzelne Beiträge nicht freizuschalten, wenn Sie sich nicht an dieser Etiquette halten. Bitte tun Sie es und diskutieren Sie engagiert zur Sache.

    Besten Dank und beste Grüße
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #11

    René Krempkow (Mittwoch, 28 Juni 2023 11:02)

    Von ein paar der letzten Kommentare abgesehen, fand ich die engagierte Diskussion hier im Blog recht gut. ;-)
    Daher hier noch ein Kommentar und ein Hinweis zur Sache:
    Etwas kurz kam mir in der bisherigen Diskussion zur Reform des WissZeitVG (neben der absolut wichtigen Debatte um Dauerstellen) der Aspekt, das im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, „die Vertragslaufzeiten von Promotionsstellen an die gesamte erwartbare Projektlaufzeit (zu) knüpfen“ - und dass es hierzu empirische Fakten gibt, die bei den im BMBF-Referentenentwurf festglegten drei Jahren Mindestvertragslaufzeit weitgehend ignoriert werden.

    So gibt es neben den Zahlen zur durchschnittlichen Promotionsdauer im BuWiN (2021) von 5,7 Jahren auch offizielle Zahlen des Statistischen Bundesamtes (2022) zur Statistik der Promovierenden. Daraus geht hervor, dass es in drei Jahren gerade einmal etwa die Hälfte der Promovierenden schafft. Vielmehr sind fünf Jahre nötig, damit zumindest drei Viertel der Promovierenden es schaffen, ihre Promotion erfolgreich abzuschließen (und das wohlgemerkt gerechnet ab offizieller Bestätigung der Anmeldung der Promovierenden, die bei vielen erst relativ spät nach bereits informellem Beginn der Promotion erfolgt). Die drei Jahre Mindestvertragslaufzeit bei Erstverträgen für Doktoranden können daher zwar als Schritt in die richtige Richtung gelten, sie reichen aber bei weitem nicht aus.

    Es mutet daher angesichts des auch in der Präambel des Referentenentwurfs formulierten Ziels von „mehr Verlässlichkeit und Planbarkeit“ zynisch an, dass das BMBF in der Begründung darauf verweist: „Es liegt in der Verantwortung der Einrichtungen, soweit erforderlich
    nach Ablauf des Erstvertrags einen Anschlussvertrag mit angemessener Laufzeit für die – dann in der
    Regel zeitlich noch einmal besser prognostizierbare - Fertigstellung der Promotion anzubieten.“
    Genau dies führte in den letzten Jahren dazu, dass es eben nicht planbar war und der Verbleib in der Wissenschaft zunehmend unattraktiver und zugleich sozial selektiver wurde (vgl. z.B. https://www.researchgate.net/publication/365714898).

    Daher fordert Thesis e.V., das Netzwerk
    für Promovierende und Promovierte in Deutschland, nicht unter vier Jahren Mindestvertragslaufzeit bei Erstverträgen für Doktoranden festzulegen (siehe Stellungnahme zum Referentenentwurf, wo sich noch weitere Forderungen samt Begründungen finden, in: https://www.thesis.de/node/2324).

    Dass auch in diese argumentative Schwachstelle hineingespießt und auch hier für Verbesserungen gekämpft wird, bleibt für die weitere öffentliche und parlamentarische Debatte zu hoffen. Dafür kann u.a. dieser Blog ein geeignetes Meinungsbildungsforum und ggf. auch (Warn-)Streiks ein geeignetes, absolut legitimes und für Angestellte im öffentlichen Dienst in Deutschland (glücklicherweise vor etlichen Jahrzehnten erkämpftes) legales politisches Mittel sein.
    Ansonsten bleibt zu ergänzen, dass Thesis e.V. ebenfalls die Ansicht vertritt, das es lohnenswert sein könnte, parallel eine Verfassungsbeschwerde anzustrengen, wenn das WissZeitVG in der geplanten Form verabschiedet wird; und ggf. bereit wäre, an einem solchen Vorhaben mitzuwirken.

  • #12

    Karla K. (Mittwoch, 28 Juni 2023 18:07)

    Lieber Herr Krempkow,

    vielen Dank für Ihren wichtigen Impuls.

    Auch die Angaben der DFG zu den Promotionszeiten in ihren Verbünden/Programmen zeigen deutlich auf, wohin die Reise eigentlich gehen müsste:

    https://www.dfg.de/dfg_profil/zahlen_fakten/evaluation_studien_monitoring/studien/bericht_promotionen/index.html

    So ein bisschen stellt sich das Gefühl ein, eine eskalierende Postdoc-Phasen-Debatte könnte wohl kalkuliert initiiert worden sein mit der Absicht bzw. in der Hoffnung, dass sich alles darauf konzentriert und nicht auffällt und diskutiert wird, dass manch andere Neuregelung letztlich wenig zur Lösung des eigentlichen Problems beiträgt bzw. erst gar keine Neuregelung erfolgt.

    So lange beispielsweise weiterhin nahezu jede Tätigkeit in Hochschulräumlichkeiten als "Qualifizierung" im Sinne des WissZeitVG deklariert werden kann, wird durch die entsprechende Öffnungsklausel auch weiterhin jede beliebige Vertragslaufzeit als angemessen definiert werden können. Woher kommt die Hoffnung, dass sich dies "einfach so", also ohne entsprechende Neuregelung ändern könnte?

    Da es sich ja um ein Sonderbefristungsrecht zur Qualifizierung in der Wissenschaft handelt: Vielleicht können wir uns ja für die erste Phase darauf verständigen, dass "drei Jahre (Mindest-) Vertragslaufzeit" dann als angemessen gelten könnten, wenn es für diese Zeit eine volle Stelle gibt und diese Zeit ausschließlich zur persönlichen wissenschaftlichen Qualifizierung zur Verfügung steht. Ist der Anteil dafür geringer oder der Vertragsumfang kleiner, muss die Vertragslaufzeit entsprechend länger sein. Mit sechs Jahren Laufzeit sähe ein voller Vertrag also wenigstens die Hälfte der Arbeitszeit zur Qualifizierung vor. Kurz: Drei Jahre netto für die Qualifizierung. (Wenigstens.)

  • #13

    MINTee (Donnerstag, 29 Juni 2023 10:53)

    An die beiden letzten Kommentatoren: Wie soll das mit einer Projektlaufzeit von drei Jahren (DFG, BMBF), die meist die Regel ist, vereinbar sein?
    Zur 100%: Wie bezahlen wir dann in Zukunft Postdocs?

  • #14

    Genau hinschauen (Freitag, 30 Juni 2023 09:52)

    @MINTee: die DFG ist schon seit längerem bei Verbundprojekten auf 4 Jahre für die Promotion gegangen. Die Postdocs werden auf einer höheren Erfahrungsstufe bezahlt - bei E13 ist der Unterschied zwischen Stufe 3 und 4, der für Postdocs in der Regel relevant ist, doch erheblich.

  • #15

    Karla K. (Montag, 03 Juli 2023 09:36)

    zu #13

    Selbstverständlich erfordert die Novellierung des WissZeitVG flankierende Maßnahmen - von Bund, Ländern und Hochschulen, dies wird u. a. im Begründungstext des Referentenentwurfs betont (dies war 2015 so noch nicht der Fall).

    DFG und Bundesministerien (und diverse weitere Förderprogramme) sind steuerfinanziert, da liegt es nahe, Förderungen an entsprechende Regelungen zu knüpfen.

    Jenseits dessen: Mit welchem Recht sollten Projekte, die nicht überwiegend der individuellen wissenschaftlichen Qualifizierung dienen, übers WissZeitVG befristet werden können, also einem Sonderbefristungsrecht für den wissenschaftlichen Bereich?

  • #16

    Ralf Meyer (Mittwoch, 05 Juli 2023 19:31)

    Zu #14: Die Möglichkeit, in DFG-Verbundprojekten Doktorand*innen über 4 Jahre zu fördern, ist derzeit nur in Einzelfällen sinnvoll, jedenfalls in den DFG-Graduiertenkollegs. Diese haben eine Laufzeit von 2-mal 4,5 Jahren. Bei 3 Jahren Promotionsdauer kann man also 3 Kohorten finanzieren. Bei 4 Jahren dagegen nur zwei, und 1 Jahr bleibt dann übrig, das man höchstens noch zur Abschlussfinanzierung verwenden kann. Ein Graduiertenkolleg wird nach weniger als 4 Jahren begutachtet. Promotionsprojekte über 4 Jahre sind dann noch gar nicht abgeschlosen. Bisher war ich an 3 Graduiertenkollegs beteiligt. Dort wurde immer angestrebt, dass die Promotionsvorhaben innerhalb von 3 Jahren abgeschlossen werden. Viele Doktorand*innen erreichen das auch tatsächlich. Die übrigen werden im Anschluss nicht mehr aus dem Graduiertenkolleg finanziert, um dessen Gelder optimal auszunutzen.