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"Anleitung zur Umgehung des Tarifvertrags"?

Bayerns Wissenschaftsminister Blume versprach den wissenschaftlichen Hilfskräften eine massive Verbesserung ihrer finanziellen Lage. Jetzt kritisiert die SPD, sein Ministerium ermutige die Hochschulen zum genauen Gegenteil. Blumes Haus widerspricht.

Markus Blume ist bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst und hat in diesem Jahr den Vorsitz in der GWK übernommen.

Foto: Steffen Boettcher.

Carolin Wagner ist stellvertretende Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. 

Foto: Selin Jasmin.


ES WAR EINE der großen Überraschungen des neuen Bayerischen Hochschulinnovationsgesetzes, und Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) verkündete sie fast nebenbei. Ja, bestätigte er im Interview hier im Blog, die Staatsregierung habe mit dem BayHIG die wissenschaftlichen Hilfskräfte abgeschafft. Mit voller Absicht und dem Ziel, ihre Einnahmesituation zu verbessern. "Sie sind ab jetzt wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und damit gilt für sie der Tarifvertrag der Länder."

 

Und zwar unabhängig von ihrer Stundenzahl: Wie anderswo war bis dahin auch in Bayern üblich, dass Wissenschaftler unterhalb einer Halbtagsstelle als wissenschaftliche Hilfskräfte eingestuft und damit vom sogenannten TV-L ausgeschlossen waren. Erst ab 50 Prozent Stellenumfang galten sie als wissenschaftliche Mitarbeiter. 

 

Ein echter Fortschritt, betonte Blume, dem zuvor die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft vorgeworfen hatte, die wissenschaftlichen wie auch die studentischen Hilfskräfte im Gesetzestext schlicht vergessen und somit "versehentlich abgeschafft" zu haben. Was der Minister als "Aprilscherz der GEW zu Jahresbeginn" konterte. Natürlich gebe es auch für die studentischen Hilfskräfte künftig eine Rechtsgrundlage, "das Wissenschaftszeitvertragsgesetz".

 

SPD: Keine Verbesserung, möglicherweise
sogar eine Verschlechterung

 

Doch auch die SPD in Bayern will Blume seine rein wohltätigen Absichten nicht abnehmen. Sie verweist jetzt auf ein Rundschreiben aus Blumes Ministerium, das dieses zwei Tage vor seinem Interview an alle staatlichen Hochschulen verschickt habe. 

 

Darin heißt es unter anderem, dass auch Doktoranden als studentische Hilfskräfte beschäftigt werden könnten, sofern sie immatrikuliert seien. Das sei dann aber nicht die versprochene Verbesserung, kritisierte der SPD-Landtagsabgeordnete Christian Flisek in einer Anfrage an die Landesregierung, sondern laufe möglicherweise sogar auf eine Verschlechterung hinaus. Schließlich könnten die Hochschulen bisherige wissenschaftliche Hilfskräfte als studentische umdeklarieren, sie damit aus dem Tarifvertrag der Länder herausnehmen – und ihnen weniger bezahlen.

 

Auf Anfrage widerspricht das Wissenschaftsministerium. Das neue Hochschulinnovationsgesetz habe die gezielte Nachwuchsförderung massiv ausgeweitet. "Dazu gehört auch, dass Promovierende, die Stellen an Hochschulen haben, von diesen Stellen auch leben können. Promovierende sollen deshalb in aller Regel Mitarbeiterstellen erhalten. Dies wurde und wird den Hochschulen auch klar so vermittelt. Das Inkrafttreten des BayHIG hat daran nichts geändert."

 

Was laut BMBF vom Wissenschaftszeitvertragsgesetz
gedeckt ist – und was nicht

 

Derweil sieht die SPD einen direkten Verstoß gegen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz des Bundes und argumentiert mit einer eigens aus dem Bundesministerium für Forschung und Bildung (BMBF) eingeholten Stellungnahme. Im Falle eines Promotionsstudiums, teilt darin der BMBF-Staatssekretär Jens Brandenburg (FDP) mit, sei "grundsätzlich nicht davon auszugehen", dass die im Paragraph 6 WissZeitVG genannten Voraussetzungen für eine Befristung vorlägen. 

 

Genannt wird im Paragraph 6 als Voraussetzung für befristete Arbeitsverträge für studentische Hilfskräfte, dass diese für ein Studium immatrikuliert seien, "das zu einem ersten oder einem weiteren berufsqualifizierenden Abschluss führt". Von einem Promotionsstudium ist nicht die Rede. 

 

Werde eine Promotion angestrebt, führt BMBF-Mann Brandenburg weiter aus, ziele diese auf eine eigene wissenschaftliche Qualifizierung ab, wie sie in Paragraph 2 des Wissenschaftszeitvertragsgesetz geregelt sei. Dass im Einzelfall abhängig von den konkreten Umständen eine Befristung auch nach Paragraph 6 denkbar sei, könne zwar "nicht völlig ausgeschlossen" werden, generell "liefe eine Befristung von in einem Promotionsstudiengang Immatrikulierten nach Paragraph 6 WissZeitVG aber der Systematik und dem Zweck des WissZeitVG zuwider".

 

Motiviert das Staatsministerium die Hochschulen also zu einem bewussten Missverstehen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes? Das Rundschreiben lese sich jedenfalls wie eine Anleitung zur Umgehung des Tarifvertrags der Länder, kritisiert die bayerische SPD-Bundestagsabgeordnete Carolin Wagner, die beim BMBF nachgefragt hat.

 

Blumes Ministerium: Rechtslage ist
von den Hochschulen "strikt" einzuhalten

 

Demgegenüber betont das bayerische Wissenschaftsministerium, selbstverständlich müssten die Vorgaben aus Paragraph 6 des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes  von den Hochschulen "strikt eingehalten werden". Insbesondere könnten immatrikulierte Personen mit erstem Hochschulabschluss allenfalls dann studentische Hilfskräfte sein, wenn der von ihnen angestrebte, weitere Abschluss als berufsqualifizierend anzusehen sei. "Welche Abschlüsse in diese Kategorie fallen, ist mangels entsprechender Definition im WissZeitVG von Fall zu Fall auf Grundlage der jeweiligen fachspezifischen Gegebenheiten zu beurteilen", erklärt Blumes Pressesprecherin. Auf Nachfrage seien die Hochschulen auf diese Rechtslage ausdrücklich hingewiesen worden.

 

Doch bestreitet die SPD, dass die Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen in der Frage überhaupt einen Ermessensspielraum haben – und ebenso, dass das Wissenschaftsministerium hier irgendeinen Einfluss nehmen könne. "Die Gesetzeslage ist hier nicht unklar, sondern eindeutig", sagt Carolin Wagner. Die einschlägige juristische Literatur betone, dass die studentische Hilfstätigkeit nach Paragraph 6 des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes gar nicht darauf ausgerichtet sein dürfe, die Qualifizierung von Studierenden zu fördern – weil dann sofort Absatz 2 gelten müsse.

 

Bleibt die Frage nach der praktischen Relevanz der von der SPD angezettelten Debatte. So glauben die Sozialdemokraten selbst nicht, dass die Zahl der Betroffenen in absehbarer Zeit groß sein werde. Die Konstruktion mit Promovierenden als "studentische Hilfskräfte mit Masterabschluss" sei "derart windig, dass davon auszugehen ist, dass die Einrichtungen und Hochschulen diese zunächst meiden", sagt Wagner. Trotzdem, betont die Bundestagsabgeordnete, handle es sich bei der Konstruktion um keine Bagatelle, es drohe ein schleichender Verfall der Anstellungskultur: "Überhaupt muss sich Herr Minister Blume an seinen weitgehenden Versprechungen messen lassen. Diese werden durch solche Rundschreiben geradezu konterkariert."

 

Zwischen Schönfärberei-Vorwürfen
und Wahlkampftönen

 

Töne, die auch auf die bevorstehende heiße Phase des Wahlkampfs schließen lassen: Am 8. Oktober wird in Bayern der Landtag neugewählt. Der frühere CSU-Generalsekretär Blume, erst Anfang 2022 auf den Posten des Wissenschaftsministers gewechselt, gilt dabei als einer der Aktivposten im Kabinett von Markus Söder.

 

Bundespolitisch hat er sich mit viel öffentlicher Aufmerksamkeit gegen FDP-Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) positioniert und durch eine geschickte Verhandlungsführung in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) den Respekt von Wissenschaftsministerkolleginnen und -kollegen aus anderen Bundesländern errungen, und zwar parteiübergreifend. Währenddessen bestätigte die bayerische Universitätskonferenz "Uni Bayern" der Staatsregierung erst kürzlich, die "Hightech Agenda Bayern" und das von Blume an den Start gebrachte neue Hochschulinnovationsgesetz hätten den Wissenschaftsstandort Bayern "enorm gestärkt und zukunftsfähig gemacht". 

 

Während die SPD ihm nun Schönfärberei in Beschäftigungsfragen vorwirft, fordern die bayerischen Universitäten trotz des Lobs in einem aktuellen Positionspapier zur Landtagswahl, es müssten "umgehend wichtige Rahmenbedingungen geschaffen werden", damit die Hightech Agenda "vollends zündet und ihre Kraft für die Menschen in Bayern entfalten kann". Zu den zehn Forderungen der Universitäten gehören unter anderem eine Erhöhung der universitären Grundhaushalte um 15 Prozent, ein Sonderprogramm für nachhaltigen Hochschulbau, eine Digitalisierungsoffensive – und eine Stärkung als attraktive Arbeitgeber durch mehr Freiräume.

 

Der Erwartungsdruck auf Blume vor der Wahl steigt also. Eine konkrete Möglichkeit, gute Arbeitgeber zu sein, haben Bayerns Universitäten laut SPD derweil bei der Eingruppierung ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiter. 


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