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Und es kommt doch aufs Geld an

Die Kindergrundsicherung kommt in finanzieller Minimalausstattung. Natürlich hat das Folgen für die Chancengerechtigkeit.

Foto: PxHere.

FÜR EINIGE KOMMENTATOREN war es am Montag die wichtigste Frage, wer sich denn nun am Ende durchgesetzt habe beim Ampel-Kompromiss um die Kindergrundsicherung: Lisa Paus oder Christian Lindner. Wobei das Urteil ziemlich einhellig ausfiel: der FDP-Finanzminister, nicht die grüne Familienministerin, denn anders als von Paus gefordert, sollen die Transferleistungen für arme Familien nicht generell erhöht werden. Darauf wies Lindner denn auch wiederholt und redegewandt hin, während etwa die Tagesschau in aller Ausführlichkeit einen Pressekonferenz-Ausschnitt mit der um Worte ringenden Lisa Paus präsentierte. 

 

Der Bildungsjournalist Christian Füller dagegen schrieb in Bildung.Table, beide hätten Erfolge feiern können: "Die Grünen schafften den Einstieg in einen grundlegenden Systemwechsel. Das heißt, viele verschiedene Zuschüsse für Kinder werden gebündelt und künftig nach einem Berechtigungscheck quasi automatisch überwiesen. Die FDP kann für sich beanspruchen, Leistungsanreize gesetzt zu haben und gleichzeitig ein futuristisches Kinderchancenportal auf den Weg gebracht zu haben. Dass es auch einen Verlierer gab, wollte niemand so genau wissen."

 

Natürlich gibt es
Verlierer der Reform 

 

Doch natürlich gab es Verlierer. Im Plural. Zuvorderst die Migrantenfamilien, denen in der zuvor von Lindner losgetretenen Debatte pauschal das Vorurteil begegnet war, sie würden die staatlichen Transfers nicht bestmöglich für ihre Kinder einsetzen. So eine Unterstellung bleibt hängen. Der Finanzminister selbst formulierte sie zwar nicht in der Form, aber er betonte, es bringe armen Kindern wenig, wenn der Staat ihren Eltern zusätzliches Geld zahlen würde. Und zuletzt am Montag unterstrich Lindner, auf keinen Fall dürfe es Anreize durch die Kindergrundsicherung geben, nicht arbeiten zu gehen. 

 

Zudem fällt eine wichtige Reform des Bildungs- und Teilhabepakets auf absehbare Zeit aus, die ebenfalls, wie Christian Füller zu Recht betont, für rund 880.000 Einwandererkinder von besonderer Wichtigkeit gewesen wäre: die Zusammenfassung der Anträge für Nachhilfe, für Klassenfahrten und für den schulischen Bedarf von Kindern. Denn die hätte automatisch dazu geführt, dass gerade mehr Einwanderfamilien von ihrem Anspruch Gebrauch gemacht hätten. Doch das dafür nötige Kinderchancenportal soll es erst in ein paar Jahren geben.

 

Verlierer sind auch all die anderen Kinder, denen das tatsächliche soziokulturelle Existenzminimum nun weiter verwehrt bleiben wird – zumindest wenn man dem 2020 vom Deutschen Gewerkschaftsbund vorgestellten Konzept einer Kindergrundsicherung folgt, an das die Soziologin Bettina Kohlrausch am Montag erinnerte. Denn dies würde jährlich mindestens 11,4 Milliarden extra kosten. Tatsächlich soll es aber nur acht Euro mehr pro Monat geben, und nur für Kinder bis fünf Jahre. Darüber hinaus soll noch der bislang befristete Sofortzuschlag für arme Kinder von 20 Euro pro Monat auf Dauer bleiben. 

 

Ob man den DGB-Zahlenspiele von damals nun Glauben schenkt oder nicht: Die Annahme, eine Reform, die zunächst nur 2,4 Milliarden Euro pro Jahr mehr kosten darf, könne die Kinderarmut genauso zurückdrängen wie der Einsatz von sieben, neun oder zwölf Milliarden, ist in jedem Fall nicht weniger naiv, als umgekehrt die Aussage trivial ist, dass mehr Geld, zumindest wenn es zielgerichtet ausgegeben wird, natürlich für die Bildungs- und Lebenschancen benachteiligter Kinder und Jugendlicher einen Unterschied machen kann.

 

Wo die Milliarden sehr
viel lockerer sitzen

 

Darauf hatte zum Beispiel die CDU-Bildungspolitikerin Karin Prien hier im Blog hingewiesen: Nicht in allen Fällen, sagte sie, seien die Sozialleistungen schon so hoch, "dass wir da nichts mehr machen müssen". Konkreten Bedarf sah sie etwa bei Kindern von alleinerziehenden Eltern. Und tatsächlich will die Ampel genau an der Stelle handeln: So werden Unterhalt und Unterhaltsvorschuss nicht mehr zu 100 Prozent als Einkommen des Kindes angerechnet, sondern in den meisten Fällen nur noch zu 45 Prozent. 

 

So sinnlos es ist, Wirtschaftsförderung und Lebenschancen gegeneinander auszuspielen: Was das politische Klein-Klein um die Kindergrundsicherung tatsächlich so schwer erträglich macht, ist der finanzpolitische Rahmen, der für andere gesellschaftliche Projekte zur Verfügung steht – oder zumindest diskutiert wird. Das 49-Euro-Ticket zum Beispiel kostet Bund und Ländern zurzeit drei Milliarden Euro pro Jahr. Bleibt es über 2025 hinaus, könnte das den jährlichen Zuschussbedarf für den öffentlichen Personennahverkehr bis 2031 sogar um bis zu 19,5 Milliarden Euro erhöhen – zitierte der Spiegel kürzlich aus einer unveröffentlichten Untersuchung im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums. Das wäre siebenmal der Betrag, den Finanzminister Lindner für den Start der Kindergrundsicherung einplant. Und die umstrittene (und Wirtschaftsexperten zufolge sozial wenig treffsichere) Rente mit 63 kostete den Steuerzahler zuletzt bereits 41 Milliarden Euro pro Jahr. Also fast vier Kindergrundsicherungen a la DGB.

 

Doch scheint in diesem Land fast jeder Lobbyismus kraftvoller zu ein als der politische Rückhalt für Kinder und Jugendliche.


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Kommentare: 1
  • #1

    Ist das so? (Samstag, 02 September 2023 19:41)

    Immer wieder wird hier die Meinung vertreten, der Staat täte zu wenig für Kinder. Ist das wirklich so? Und kommt mehr Geld auch tatsächlich bei den Kindern so an, dass sie etwas davon haben, im Sinne von mehr Chancen durch mehr Bildung? Dazu müsste schon deutlich fokussierter gefördert werden mit Sachleistungen und nicht direkt in den Geldbeutel von Eltern hinein, die mit der Förderung ihrer Kinder überfordert scheinen. Sachleistungen sind aber verpönt oder gar "böse". Tja, solange man sich hier die Welt nach Pippi Langstrumpf-Manier zurechtphantasiert, wird das zu nichts führen als einer Art umständlicher Geldverbrennung und die schulischen Leistungstests werden auch in 10 Jahren noch so aussehen wie heute.