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Wenn Studieren nicht mehr lohnt

Der Reiz eines Scheinstudiums vergeht, seit das 49-Euro-Ticket das Semesterticket abgelöst hat. Damit sinkt auch die Zahl der Studierenden – mit Folgen für die Hochschulfinanzierung?

Straßenbahn in Berlin. Foto: PhotoaugeCC BY-NC-SA 2.0.

IM WINTERSEMESTER wird es an der Technischen Universität Dortmund kein Semesterticket mehr geben, hat das dortige Studierendenparlament beschlossen. Die entsprechenden Verträge mit dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr würden nicht verlängert, berichtet der WDR vergangene Woche. Kein Wunder: Seit es das Deutschland-Ticket gibt, hat sich der monetäre Vorteil der einst so begehrten Studierendenfahrscheine in vielen Hochschulregionen fast vollständig erledigt. Studierendenvertretungen bundesweit ziehen die Reißleine.

 

Das tun offenbar auch viele Menschen, die man in der Vergangenheit als Scheinstudierende bezeichnete. Sie immatrikulierten sich an einer Hochschule, belegten aber wenige bis keine Lehrveranstaltungen. Doch im Gegenzug für ihre Semestergebühren erhielten sie unter anderem eine verbilligte Krankenversicherung – und mit dem Semesterticket einen unschlagbar preiswerten Fahrschein für Bus und Bahn. Allerdings geht diese Rechnung mit der Einführung der 49-Euro-Alternative oft nicht mehr auf. Ob sich das wieder ändert, falls die Verkehrsminister von Bund und Ländern irgendwann doch noch die diskutierte Lösung für ein studentisches Deutschlandticket präsentieren, bleibt abzuwarten. 

 

Für den Moment jedoch gilt: Vor allem Großstadt-Universitäten rechnen wegen des Deutschlandtickets mit teilweise deutlichen Rückgängen ihrer Studierendenzahlen – oder beobachten sie bereits. Erste Einschreibestatistiken fürs Wintersemester dürften in wenigen Wochen vorliegen. Eine Entwicklung, die nicht nur die Einnahmen der Studierendenwerke aus Sozialbeiträgen schmälert, sondern insgesamt zu einem hochschulpolitisch äußerst ungünstigen Zeitpunkt kommt. Der Spardruck in den Länderhaushalten steigt, die Finanzminister schauen nach links und rechts – und freuen sich über jede Gelegenheit zum scheinbar schmerzfreien Umsteuern.  

 

Zwar wird der Hochschulbetrieb durch das Wegbleiben tausender Scheinstudierender um keinen Cent kostengünstiger, aber auf dem Papier ergeben sich bessere Betreuungsrelationen. Hinzu kommt, dass die bundesweiten Studienanfängerzahlen bereits seit 2018 deutlich zurückgegangen sind, im Wintersemester 2022/23 gab es zwar wieder einen Mini-Anstieg, aber hier schlagen tatsächlich die kleiner werdenden Geburtsjahrgänge durch.  

 

Umso schwieriger wird es für die Hochschulen, trotz voraussichtlich rekordverdächtiger Tarifforderungen im Oktober für das nötige deutliche Wachstum ihrer Grundfinanzierung plädieren, während anderswo gespart wird und ihre Studierendenzahlen im Schmelzen begriffen sind.

 

Und umso erleichterter dürften diejenigen Wissenschaftsminister sein, die gerade erst die Finanzierung ihrer Hochschulen für die nächsten Jahre neu gesichert haben, allen voran Berlins SPD-Senatorin Ina Czyborra mit wirklich bemerkenswerten fünf Prozent mehr jedes Jahr bis 2028. Die anderen brauchen jetzt starke Nerven. Und gute Argumente. 

 

Dieser Kommentar erschien heute zuerst im meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.



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Kommentare: 4
  • #1

    hmm (Montag, 04 September 2023 08:03)

    Na ja, wieviele Scheinstudierende es tatsächlich gibt, weiß doch keiner. Eher vernachlässigbar, die Zahl, vermute ich, im Verhältnis zum Rückgang der Studierendenzahl aus anderen, etwa demographischen, Gründen.

    Am Rande: im Artikel heißt es: "Studierendenvertretungen bundesweit ziehen die Reißleine". Mit "die Reißleine ziehen" meint man gemeinhin etwas von der Art, "eine gefährliche Entwicklung stoppen". Inwiefern und welche gefährliche Entwicklung stoppen denn die Studierendenvertretung bundesweit?

  • #2

    Olaf Bartz (Montag, 04 September 2023 10:30)

    Aus den Akkreditierungsberichten in der (Programm-)Akkreditierung von Studiengängen ergeben sich einige Hinweise auf diese Gruppe von "Eingeschriebenen". Den Begriff "Studierende" vermeide ich hier bewusst, da sich in modernen Campusmanagementsystemen sehen lässt, dass bloße "Eingeschriebene" niemals eine Veranstaltung belegen/eine Prüfungsleistung absolvieren.
    Am größten ist diese Gruppe - bisher - in zulassungsfreien Studiengängen an urbanen Universitäten mit attraktivem Semesterticket. Dort können über 50% der eingeschriebenen Personen in diese Kategorie fallen.
    Die Konferenz der Fachbereiche Physik hat sich, da Physik als üblicherweise zulassungsfreies Fach von diesem Phänomen betroffen ist, hierzu verschiedentlich geäußert, vgl. https://www.kfp-physik.de/statistik/physikstudium_2016.pdf
    Wichtig ist dort u.a. der Hinweis, dass alle Statistiken zu Studienerfolg/Studienabbruch wertlos sind, sofern die bloß "Eingeschriebenen" nicht herausgerechnet werden.
    Und um Missverständnisse zu vermeiden: Sich bloß einzuschreiben und nicht zu studieren, aus welchen Gründen auch immer, ist legal, was man auch davon halten mag.

  • #3

    Scheinstudent (Montag, 04 September 2023 10:58)

    > Doch im Gegenzug für ihre Semestergebühren erhielten sie unter anderem eine verbilligte Krankenversicherung

    Also das betrifft aber nur eine extrem geringe Anzahl selbst unter der Scheinstudierenden. Voraussetzung wäre, kein normales Arbeitsverhältnis zu haben, keine hautberufliche Selbstständigkeit, und nicht (mehr) in der Familienversicherung zu sein (wo die meistens unter 25 Jahren, auf die die ersten beiden Voraussetzungen zutreffen, aber drin sein dürften).

  • #4

    Edith Riedel (Dienstag, 05 September 2023 09:54)

    Scheinstudierende gibt es halt in Fächern, die nicht zulassungsbeschränkt sind. Manche dieser Fächer "leben" von diesen Zahlen, man denke z.B. an die Theologie. Ohne die Scheinstudierenden wären da einige Studiengänge mangels Auslastung schon geschlossen worden. Wenn man diejenigen abzieht, die sich in einem nicht-zulassungsbeschränkten Studiengang parken, um Wartesemester für ein zulassungsbeschränktes Fach anzusammeln, sollte sich die Anzahl derer, die wirklich komplett ohne Studienwillen eingeschrieben sind, auf ein Minimum und auf wenige Fächer beschränken.