Die Bund-Länder-Einigung auf Eckpunkte für das Startchancen-Programm gibt Hoffnung auf etwas mehr Bildungsgerechtigkeit und zeigt, dass der Bildungsföderalismus noch handlungsfähig ist. Die Ambitionen von einst sind allerdings nur noch in Teilen übrig.
Startbahn des ehemaligen Berliner Flughafens Tempelhof. Foto: Sören Kusch, CC BY-SA 3.0.
AUCH WENN ES bis unmittelbar vor der offiziellen Verkündung der Eckpunkte-Einigung im Hintergrund noch ordentlich Hakeleien gab und das Wording der Einladung zur Presskonferenz zunächst nur von einer Einigung der Verhandlungsgruppe aus vier Länder und BMBF sprach: Mit etwas Abstand betrachtet könnten sich zumindest in der Bildungspolitik heute alle ein wenig als Gewinner fühlen. Zugleich wissen alle, Bund wie Länder, dass die glänzend-hochtrabenden Startchancen-Ambitionen früher Ampeltage nur noch in Teilen übrig sind.
Das BMBF ist den Ländern weit entgegengekommen. Sei es beim Verzicht auf ein Artikelgesetz (was ihm bei den Abgeordneten der Ampel-Koalition noch Ärger machen könnte) oder bei der extrem großzügigen Anrechenbarkeit bereits bestehender Maßnahmen der Länder auf die Kofinanzierung. Und schon länger bei der Verteilung der Bundesgelder auf die Länder: Ursprünglich wollten die Ampel und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP)möglichst ganz weg von der Gießkanne, jetzt werden 60 Prozent der Programmmittel per Umsatzsteuerpunkte vergeben, was zwar nicht ganz dem sonst meist angewandten Königsteiner Schlüssel entspricht, aber weitgehend. Wobei die sehr unterschiedlichen Anteilen sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher in den Bundesländern keine Rolle spielen.
Verbunden damit, dass der Bund selbst nur eine Milliarde pro Jahr gibt, bedeutet das erstens: Die 4.000 Startchancen-Schulen erhalten deutlich weniger Bundesgeld als zum Ampel-Start Ende 2021 erhofft (damals war von mindestens zwei Bundesmilliarden pro Jahr die Rede). Zweitens: In Ländern wie Bremen oder Berlin mit vielen armen Schülern bleibt pro Kopf weniger übrig als in Bayern oder Baden-Württemberg. Drittens: Wieviel echtes zusätzliches Geld die Länder in die Hand nehmen, lässt sich kaum abschätzen. In jedem Fall sollen sie die Startchancen-Schulen aber priorisieren.
Für die Einigung machte
der Bund viele Kompromisse
Umgekehrt kann man argumentieren, dass nur durch die Kompromissbereitschaft im BMBF überhaupt eine Einigung mit den Kultusministerien möglich war, die – besonders auf CDU-Seite – dem Startchancen-Programm doch zum Teil ernüchternd kritisch gegenüberstanden. Was spätestens durch den Streit um die noch ausstehende Digitalpakt-Verlängerung deutlich wurde. Reicht das Geld von Bettina Stark-Watzinger für beides: Startchancen und Digitalpakt 2.0? Die kaum verhohlene Botschaft vieler Landesbildungsminister: Im Zweifel ist ihnen der Digitalpakt wichtiger als das Startchancen-Programm oder gar ein Paradigmenwechsel hin zu einer Schulfinanzierung anhand sozioökonomischer Kriterien.
Zwar hatte die Bundesbildungsministerin zuletzt wiederholt versichert, sie wolle den Digitalpakt 2.0 und setze sich nachdrücklich dafür ein, dass er komme. Doch während das der SPD-Seite vorerst zu reichen schien, betonte die an sich sehr Startchancen-freundliche CDU-Bildungsministerin von Schleswig-Holstein, Karin Prien, heute erneut: Damit die Länder am Ende einer Bund-Länder-Vereinbarung zustimmen könnten, "muss der Bund eine verbindliche Zusage für den Digitalpakt 2.0 machen". Was auch immer das genau bedeuten würde. Und sogar Hamburgs SPD-Schulsenator Ties Rabe sagte, die Startchancen-Einigung dürfe auf keinen Fall dazu führen, "dass der Bund im Gegenzug andere Programme im Schulbereich wie zum Beispiel den Digitalpakt kürzt".
Zumindest eine teilweise Abkehr
vom Königsteiner Schlüssel
Umgekehrt mussten auch die verhandelnden Länder an mehreren Startchancen-Stellen nachgeben. Vor allem insofern, dass es überhaupt eine, wenn auch nur teilweise Abkehr vom Königsteiner Schlüssel gibt. Auch wird anders als von den Kultusministern gefordert kein Sondervermögen für die Investitionsmittel der Säule I eingerichtet, was bedeutet, dass die nicht ausgegebenen Bundesgelder theoretisch am Ende jeden Jahres zurück ans Bundesfinanzministerium fließen müssten. Erstaunlich realitätsfremd, weil Bauen und Sanieren selten in gleichmäßigen Schritten vor sich gehen. Praktisch wird es wohl nicht so kommen, hat doch das BMBF versprochen, eine praktikable Lösung zu finden – was allerdings noch eine größere bürokratische und verhandlungstechnische Herausforderung werden dürfte.
Nicht einverstanden waren die Landesstaatssekretäre in der Verhandlungsgruppe zudem mit dem Plan des Bundes, die Umsatzsteuergelder in den Säulen II und III zunächst auf einige Jahre zu befristen und die weitere Zahlung von ihrer ordnungsgemäßen Verwendung abhängig zu machen. Zwar hat sich der Bund auch an der Stelle durchgesetzt. Umgekehrt scheint die jetzt gewählte Frist von fünf Jahren zumutbar, hatte doch ein Argument aus den Ländern stets gelautet, bei einem zu kurzen Zeitraum werde man bei der Anwerbung von Fachkräften scheitern.
In der Gesamtschau der Eckpunkte steht ein Programm, das eine positive Wirkung auf die Bildungslandschaft entfalten und mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen könnte, vor allem falls es wie erhofft gelingt, die Kultur von Schul- und Unterrichtsentwicklung insgesamt zu beeinflussen und die Beteiligung der Wissenschaft bei der Programmumsetzung zu stärken. Das sich Bund und Länder trotz aller Irrungen und Irrungen in den Verhandlungen haben einigen können, zeigt zudem: Der Bildungsföderalismus ist noch handlungsfähig.
Von einem großen bildungspolitischen Wumms aber ist das in den Eckpunkten beschriebene Startchancen-Programm in Bezug auf sein Finanzvolumen ebenso weit entfernt wie in Hinblick auf das ursprüngliche, jetzt nur in Ansätzen umgesetzte Ziel eines förderpolitischen Paradigmenwechsels. Die föderale Gießkanne wird auch in der Bildungspolitik weiter plätschern.
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