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"Bundesweite Vorreiterrolle"

Alle staatlichen Hochschulen Hamburgs verpflichten sich in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung zur Schaffung "hervorragender Beschäftigungsbedingungen". Landeshochschulkonferenz-Sprecher Hauke Heekeren über ein Versprechen, das ohne Quoten zu mehr Dauerbeschäftigung und neuen Karrierewegen führen soll.

Hauke Heekeren, 52, ist Neurowissenschaftler, seit März 2022 Präsident der Universität Hamburg und Sprecher der Hamburger Landeshochschulkonferenz. Foto: UHH/Esfandiari

Herr Heekeren, die staatlichen Hamburger Hochschulen veröffentlichen heute die "Hamburger Erklärung zu Hochschul-Karrierewegen in der Wissenschaft". Darin heißt es: "Um im nationalen wie internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe weiterhin zu bestehen, haben sich die staatlichen Hamburger Hochschulen das gemeinsame Ziel gesetzt, die Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft nachhaltig hervorragend auszugestalten." Was verstehen Sie darunter? 

 

Wir haben über die Hochschulformen hinweg einen Konsens erzielt, dass wir die Bedingungen für Promovierende und Postdocs nachprüfbar verbessern wollen. Vor allem wollen wir mit neuen Modellen Wissenschaftskarrieren in Hamburg attraktiver machen. Wir wollen die Rekrutierung, Betreuung und Begleitung junger Wissenschaftler:innen und die Evaluation ihrer Leistungen transparenter und nachhaltiger gestalten. Und wir wollen den Anteil unbefristeter Beschäftigungsmöglichkeiten in der Wissenschaft erhöhen. Das ist ein ambitionierter Plan, den wir vorlegen. Als Sprecher der Landeshochschulkonferenz bin ich stolz, dass wir Hamburger Hochschulen in all unserer Heterogenität in der Lage sind, Reformen eigenständig anzustoßen, umzusetzen und eine Vorreiterrolle für bundesweite Fragestellungen einzunehmen.

 

"Ein Signal gegen den Karrieretypen-Konservatismus
in der deutschen Wissenschaftslandschaft."

 

Schaut man in die Erklärung hinein, findet man darin allerdings viel Absicht und wenig Selbstverpflichtung. Reicht das?

 

Zunächst möchte ich festhalten, dass sich nirgendwo sonst die Hochschulen eines Bundeslandes in ihrer Gesamtheit mit einer vergleichbaren Systematik auf den Weg gemacht haben. Das kommt nicht von ungefähr: Die Hochschulen in Hamburg befassen sich seit über zehn Jahren inhaltlich mit der Frage, wie wir faire Beschäftigungsverhältnisse schaffen können. Wir setzen mit unserer Erklärung ein Signal gegen den immer noch verbreiteten "Karrieretypen-Konservatismus" in der deutschen Wissenschaftslandschaft, weil wir glauben, dass wir nur als Gesamtsystem weiterkommen können.

 

Ich sehe vor allem, dass Sie die verschiedenen Ideen für mehr Dauerbeschäftigung, die es schon gibt, zusammengeschrieben haben, von Tenure-Track-Modellen auf dem Weg zur Professur über alternative Postdoc-Beschäftigungskategorien bis hin zu Kombinationen der verschiedenen Modelle. Was ist das Neue?

 

Wir haben die existierenden Modelle zusammengefasst, das gilt auch für die Vorgaben zu Betreuung, Begleitung und Vertragslaufzeiten für Promovierende. Aber wir haben weitaus mehr getan: Wir haben uns viele Gedanken gemacht, was die einzelnen Modelle im Kern ausmacht und wie sie sich sinnvoll an unseren Hochschulen etablieren lassen – gerade auch für Dauerstellen unterhalb einer Professur. Daraus leiten wir eine klare Selbstverpflichtung ab, die wir auch umsetzen wollen. 

 

Was heißt das konkret?

 

Natürlich wird die Umsetzung an jeder Hochschule unterschiedlich ablaufen müssen, auch mit verschiedenen Zielgrößen – so, wie die Hochschulen unterschiedlich sind. Aber wir verpflichten uns zum Handeln. Und als Präsident der Universität Hamburg sage ich für unsere Hochschule: Wir werden uns an diesem Versprechen messen lassen. Wir haben die Erklärung bereits in unserem Akademischen Senat diskutiert, sie hat dort sehr viel Zuspruch gefunden. Unser Ziel ist es, in den nächsten zwölf Monaten viele Dinge umzusetzen.

 

Woran genau wollen Sie sich messen lassen? Und welche Selbstverpflichtung meinen Sie? In der Hamburger Erklärung steht, die aufgeführten Beschäftigungsmodelle ergänzten die nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz vorgesehenen Beschäftigungsmöglichkeiten "optional". Und: "Im Rahmen der Finanzierungsmöglichkeiten können die Hochschulen Dauerbeschäftigungen gemäß ihren Bedarfen in der PostDoc-Phase nach folgenden Modellen implementieren." Können.

 

Nochmal: Die Hamburger Hochschulen sind sehr unterschiedlich, da können wir nicht einheitliche Zielgrößen benennen. An der Universität Hamburg stellen wir die Veränderungen aber nicht unter einen Finanzierungsvorbehalt. Wir erkennen, dass sich das wissenschaftliche Karrieresystem in einer Schieflage befindet, auch wenn es viele Menschen gibt, die mit ihren Karrieren an unseren Hochschulen sehr glücklich sind. Aber viele sind es auch nicht. Und als Lösung malen wir nicht irgendein Luftschloss, wir verlangen auch nicht, dass uns erst jemand mehr Geld gibt. Unsere Botschaft lautet: Wir haben verstanden. Und unter den gegebenen Umständen werden wir alles tun, was wir können, um die Lage zu verbessern.

 

"Wenn wir uns dann kleinteilig über Quoten streiten, wird das die Bereitschaft zur Veränderung nicht erhöhen."  

 

Und Sie werden zumindest für Ihre Universität konkrete Zielgrößen definieren, die Sie beim Anteil unbefristeter Stellen erreichen wollen?

 

Ich verstehe die Ungeduld, aber ich bin trotzdem kein Fan fester Quoten. Die werden der Sache nicht gerecht, weil jede Veränderung wissenschaftsgeleitet sein und damit zu den Umständen in den einzelnen Disziplinen passen muss. Wir fragen unsere Fakultäten in Gesprächen immer: Wie sieht euer Personalstrukturentwicklungskonzept aus? Wie und nach welchen Kriterien wollt ihr den Anteil an Dauerstellen erhöhen? Wenn wir uns dann kleinteilig über Quoten streiten, wird das die Bereitschaft zur Veränderung nicht erhöhen. 

 

Man könnte zu der Vermutung kommen, der wahre Sinn der Hamburger Erklärung läge darin, der Landespolitik zu signalisieren: Wir machen schon was, also lasst uns mit konkreten Vorgaben in Ruhe. Die Angst vor einem Berliner Postdoc-Paragrafen als Triebfeder? 

 

So würde ich das nicht formulieren. Aber natürlich sehen wir, dass die Politik Erwartungen hat genau wie etwa auch die "#IchBinHanna"-Szene. Wir nehmen die Stimmen der "#IchBinHanna"-Bewegung und anderer Stakeholder ernst und sehen sie als wichtigen Ansporn für einen konstruktiven Dialog und für gemeinsame Bemühungen zur Weiterentwicklung des akademischen Systems. Unsere Selbstverpflichtung ist ein Schritt in diese Richtung, und wir sind offen für weitere Diskussionen und Vorschläge, wie wir gemeinsam die Situation verbessern können. Deswegen ist unser Vorschlag aus eigener Initiative entstanden. 

 

Ganz so eigen ist die Initiative dann aber doch nicht, oder? In der parallel zur Erklärung veröffentlichten Pressemitteilung steht, diese sei "in enger Abstimmung" mit der Wissenschaftsbehörde entstanden. 

 

Dies ist ein klares Beispiel für die Eigeninitiative und Proaktivität der Hamburger Hochschulen. Auch wenn wir in enger Abstimmung mit der Wissenschaftsbehörde gearbeitet haben, sind die Vorschläge und Maßnahmen, die wir vorschlagen, vollständig selbst erarbeitet und spiegeln unser Engagement für die Verbesserung der akademischen Arbeitsbedingungen wider.Wir sehen den Handlungsdruck und sprechen mit unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Da gibt es eine partielle Unzufriedenheit, da sie keine verlässliche Karriereplanung betreiben können. Und wir spüren die Konkurrenz außerhalb der Wissenschaft, die dazu führt, dass einige der klügsten Köpfe den Hochschulen den Rücken kehren, weil sie sagen: Alle Flexibilität und Spielräume in der Forschung können nicht die Stabilität und die Bezahlung in der Wirtschaft aufwiegen. 

 

Und Sie erwarten jetzt nicht die Kritik, Sie wollten nur Nebelkerzen werfen?

 

Ich erwarte, dass alle, die interessiert sind, das System weiterzuentwickeln, sich ernsthaft einlassen auf das Angebot, das wir Hamburger Hochschulen ihnen machen. Das umfasst die Politik, das umfasst "#IchbinHanna", die Gewerkschaften und viele mehr. Ich bin sicher, unsere Erklärung enthält viele Punkte, in denen sie sich wiederfinden können. Und die Punkte, bei denen das nicht der Fall ist, sollten sie als Einladung sehen für den nächsten Schritt der Diskussion. An vielen Stellen haben wir als Hochschulen noch keine definitiven Antworten. Meine große Sorge ist, dass die Debatte über mehr Dauerstellen in der Wissenschaft mittlerweile so verhärtet ist, dass ein kontruktives gemeinsames Arbeiten an Lösungen immer schwerer fällt. Wir wollen mit dieser Erklärung einen Beitrag leisten, dies zu verbessern.



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Kommentare: 7
  • #1

    hst @Flaming_Star59 (Mittwoch, 01 November 2023 13:22)

    Ich sehe zwei Dinge. 1. Sie haben gekämpft wie ein Löwe um aus diesen vorgestanzten Nichtigkeiten die Kerninfo herauszuarbeiten. 2. Wenn Antworten dieser Beliebigkeit unser Engagement für die Verbesserung der akademischen Arbeitsbedingungen widerspiegeln, dann gute Nacht.
    Danke.

  • #2

    Schau genau hin, Hamburg. (Mittwoch, 01 November 2023 16:13)

    Interessant. Ich dachte, Berlin hat hier die Vorreiterrolle.
    Geschenkt, solange es endlich besser für #ichbinhanna wird.
    Mich interessiert, wie nun AUFs in Hamburg reagieren werden. Dort werden befristet angestellte Wissenschaftler gezielt mit Hilfe des #WissZeitVGs ausgenutzt. Sie machen Service und Daueraufgaben, werden aber nur befristet angestellt ohne Karriereentwicklungsstrategien.

  • #3

    Fred Würselen (Mittwoch, 01 November 2023 16:17)

    Es wäre interessant zu wissen, welche finanziellen Mittel für das Hamburger Projekt zur Verfügung stehen sollen. Man kann z.B. bei Doktoranden und Postdoktoranden höhere Beträge ansetzen, wenn man die Zahl der Personen reduziert. Es gibt ja viele Indizien dafür, daß es einfach zu viele Doktoranden in Deutschland gibt.

  • #4

    Maria (Donnerstag, 02 November 2023 09:11)

    Immer wieder die alte Leier: Selbstverpflichtungserklärungen ohne Verpflichtungen, Dauerstellen für wissenschaftlich Beschäftigte "unterhalb einer Professur", nie "neben einer Professur", Fakultäten/Fachbereiche werden aufgefordert, Personalkonzepte zu erstellen, aber die Hochschule selbst als Ganzes fühlt sich nicht verantwortlich, obgleich die Hochschule Arbeitgeber ist?
    Sahnehäubchen: "Signal gegen den immer noch verbreiteten 'Karrieretypen-Konservatismus' ", aber offensichtlich grundsätzliche Strukturen in den Hochschulen nicht in Frage stellend. Wie wäre es endlich mit Taten statt ausschließlich Worten?

  • #5

    werner_m61 (Donnerstag, 02 November 2023 15:10)

    @Fred Würselen: Die Frage der Anzahl der Doktoranden trifft hier nicht ganz den Punkt. Denn es gibt auch viele "Doktorarbeiten", die außerhalb des universitären Mittelbaus, um den es hier geht, geschrieben werden. Zunächst alle medizinischen Dissertationen, die sich nach den europäischen Vorgaben gar nicht "Doktorarbeit" nennen dürfen. Dann gibt es viele z. B. viele Rechtswissenschaftler (oder BWLer), die alle promovieren ohne am Lehrstuhl zu arbeiten (wie man so schön sagt). Oder die zum Beispiel ein Stipendium haben und deshalb gar nicht nebenher arbeiten müssen bzw. von den Eltern oder anderen unterstützt werden. Viele klassische universitäre Ausbildungen (wie die drei o.g.) belohnen auf dem Arbeitsmarkt einen Doktortitel.
    Oder geht es Ihnen tatsächlich um das Verhältnis wissenschaftlicher Mitarbeiter zu Lehrstuhlinhaber? Kennen Sie das Verhältnis für die erfolgreiche Berufung?

  • #6

    Stephan Turmeck (Donnerstag, 02 November 2023 15:58)

    Mal ehrlich: Heiße Luft ! Keine Aussage zur Finanzierung.

  • #7

    Hannah (Montag, 06 November 2023 23:26)

    Danke für die harten Nachfragen. Die Aussagen des Interviewten sprechen für sich. - In Brandenburg sind die Ergebnisse eines dreijährigen Dialogprozesses "Gute Arbeit in der Wissenschaft" mager; der WissZVG-Referentenentwurf des BMBF ist hinsichtlich der Arbeitsbedingungen enttäuschend. Daher werden wir Hannahs in den aktuellen Tarifverhandlungen weiter Druck machen und am 20.11.2023 zum #Hochschulaktionstag deutschlandweit für bessere Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft demonstrieren.