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"Bis ins kleinste Detail ausbuchstabiert"

Die Konstanzer Universitätsleitung ist stolz auf ihr neues Karrieremodell. Aber hält es auch, was es verspricht? Ein Interview mit Prorektor Malte Drescher über Abhängigkeitsverhältnisse, Drittmittelvorgriff, Stellenpools – und eine neue Währung im internationalen Wettbewerb um Talente.

Malte Drescher ist als Prorektor an der Universität Konstanz unter anderem für Forschung, Karriereentwicklung und Transfer zuständig. Im Dezember 2023 wurde er zum Präsidenten der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) gewählt und tritt sein Amt im Oktober an. Foto: Inka Reiter / Universität Konstanz.

Herr Drescher, die Universität Konstanz hat ein Personalkonzept mit der wenig bescheidenen Überschrift "Attraktive und verlässliche Karrierewege für exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler". Was ist denn so mutig und anders an Ihrem Modell?

 

Wir kokettieren in Konstanz gern damit, als kleinste und damit agilste deutsche Exzellenzuniversität immer auch ein Reallabor zu sein. Wir probieren Dinge aus, und genau das wollten wir auch bei diesem wahrscheinlich zurzeit wichtigsten hochschulpolitischen Thema. Zwei Jahre lang haben wir uns damit auseinandergesetzt, immer wieder, über alle Ebenen, Gremien, Statusgruppen und Fachbereiche der Universität hinweg. Im Vordergrund stand für uns immer, dass wir die besten Köpfe für Konstanz rekrutieren wollen, und die Währung, mit der wir sie im internationalen Wettbewerb heutzutage bekommen, ist die richtige Kombination von attraktiven Aufgaben und die nötige Perspektive bei der Karriereplanung. Entscheidend ist, dass unser Modell mehr ist als eine Absichtserklärung. Daher haben wir unser Konzept bis in einzelne Maßnahmen, bis ins kleinste – um nicht zu sagen: manchmal nervigste – Detail ausbuchstabiert. 

 

Verabschiedet haben Sie Ihr Konzept im vergangenen Sommer. Schon da steckte die Ampel-Koalition mit ihrer versprochenen Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) fest. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

 

Wir wollten nicht warten, vor allem wollten wir zeigen, was alles unter den gegebenen gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen möglich ist. Und das ist viel. Uns war es besonders wichtig, den notwendigen Kulturwandel an der Universität durch Maßnahmen zu unterstützen, die sowohl den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den frühen Karrierephasen nutzen als auch den etablierten PIs.

 

Dann bitte mal konkret.

 

In der Promotionsphase setzen wir in Konstanz bei Haushaltstellen auf Mindestvertragslaufzeiten von anfangs drei Jahren. Das ist nichts Besonderes mehr, das halten viele Universitäten inzwischen genauso. Wir haben aber, und das nicht so selbstverständlich, die drei Jahre jetzt zusätzlich für die vielen Promovierenden eingeführt, die über Drittmittel finanziert werden. Dahinter verbirgt sich ein Pfandsystem, das ich für innovativ halte. Eigentlich passt die Bezeichnung Drittmittelvorgriff-Modell besser, denn darum geht es: Unabhängig davon, wie lang ein Drittmittelprojekt noch läuft, gehen wir als Universitätsleitung in Vorleistung und gewähren für Promotionen einen Dreijahresvertrag. Weil wir darauf vertrauen, dass unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Lage sind, neue Mittel einzuwerben, zum Beispiel die Verlängerung eines Sonderforschungsbereichs.

 

Und wenn die Drittmittel doch ausbleiben?

 

Dann holen wir uns das Geld zurück über Mittel der PIs wie Berufungszusagen oder über die Nichtnachbesetzung der ihnen gewährten Haushaltsstellen, wenn die irgendwann freiwerden. Es soll ja nur ein Pfand sein, ein Kredit. Die Wissenschaftler müssen den Anreiz zur erfolgreichen Drittmittelakquise behalten. 

 

"Als Hochschulleitung sind
wir eine freundliche Bank
."

 

Und das machen die mit?

 

Wie gesagt: Wir haben unser Konzept universitätsweit im Konsens beschlossen. Dazu gehört, dass die meisten Beteiligten verinnerlicht haben, dass sich etwas Grundsätzliches ändern muss. Im Gegenzug haben die PIs deutlich attraktivere Arbeitsbedingungen für die Doktoranden zu bieten, die gerade vor der Tür stehen.  

 

Eine Bank würde für so eine Risikoabsicherung Zinsen berechnen.

 

Als Hochschulleitung sind wir eine freundliche Bank und wollen natürlich keine Zinsen. Außerdem kostet uns die Regelung im Idealfall gar nichts, weil das Geld ja zurückkommt – solange die Ausgaben für die Stellen nicht die Berufungszusagen übersteigen. Um die Vertragslaufzeiten drittmittelfinanzierter Doktoranden drückt sich übrigens auch der WissZeitVG-Referentenentwurf der Ampel herum. Und obgleich wir unabhängig davon handeln: Es ist schon ärgerlich, wie lange das Gesetz auf sich warten lässt.

 

Und bei der Postdoc-Entfristung konnten die Fraktionen sich gar nicht erst mit dem BMBF auf eine Lösung einigen. Was ist da der Konstanzer Weg? 

 

Wir sind davon überzeugt, dass die Postdoc-Phase kurz zu sein hat, weil sie als Orientierung und Weichenstellung dienen sollte – hin zu einer anschließenden Qualifizierung auf dem Weg zu einer Professur. Oder auf eine andere wissenschaftliche Stelle mit verlässlicher Perspektive. Oder eben für eine Entscheidung für eine Karriere außerhalb der Wissenschaft.

 

Gut und schön. Aber was heißt kurz?

 

Das ist die Frage, die alle umtreibt. Unser Rektorat ist in die Diskussion eingestiegen mit dem Ziel, auf eine Höchstbefristungsdauer von zwei Jahren zu kommen. Wir haben uns dann aber überzeugen lassen, dass das zu kurz ist und vier Jahre deutlich besser passen. Dies entspricht dem Fenster beispielsweise für den Zugang zum Emmy-Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), außerdem müssten Sie sich bei zwei Jahren praktisch am ersten Postdoc-Tag auf eine Tenure-Track-Professur bewerben, weil die Berufungsverfahren so lange dauern. Das würde die Idee einer Orientierungsphase obsolet machen. 

 

Da hat Sie der Mut ganz schön verlassen, oder? 

 

Unser höchster Anspruch ist nicht, mutig zu handeln, sondern klug. Jeder Postdoc hat im Gegenzug das Recht auf eine Karriereberatung unabhängig vom Professor, und zwar durch unser Academic Staff Development. Im Übrigen bezweifle ich, dass dieser bundesweite Streit um zwei, drei oder vier Jahre tatsächlich zielführend ist. Dreh- und Angelpunkt für attraktive Karrierebedingungen ist, dass alle Universitäten begreifen, wie wichtig dieses Thema für sie selbst, ihre Zukunft und Exzellenz ist. Das ist der entscheidende Kulturwandel.

  

Was heißt für Sie Exzellenz in dem Zusammenhang?

 

Exzellenz bedeutet Bestenauslese abhängig vom Potenzial junger Forschender in Forschung, Lehre und Transfer. Und der Kulturwandel besteht in der Art, wie wir die Besten für unsere Dauerstellen auswählen. In einem ersten Schritt identifizieren wir als Institution strategisch, wo genau welcher Personalbedarf besteht. Dann besetzen wir die Stellen über vorher festgelegte, transparente Verfahren und Kommissionen. Nur so kommen wir weg von bilateralen Abhängigkeitsverhältnissen, dass zum Beispiel Stellen freihändig geschaffen werden, um bestimmte Leute draufzusetzen, die sich dann von Kettenvertrag zu Kettenvertrag hangeln. Übrigens sind wir überzeugt, dass nur solch ein Modell mit klaren Prozessen in der Lage sein wird, die Diversität zu erhöhen – und parallel die Exzellenz der Stelleninhaber.

 

"Ich habe eingesehen, dass es viele Fachdisziplinen gibt,
in denen an der Habilitation kein Weg vorbeiführt."

 

Was Sie da beschreiben, erfordert ein völlig neues Verständnis von Stellenplanung. Und eine Entmachtung der einzelnen Professoren. 

 

Das ist ein dickes Brett, ja. Die Fachbereiche haben anderthalb Jahre Zeit für die Entwicklung von Personalkonzepten, die wie gesagt unabhängig sein müssen von bestimmten Personen und potenziellen Stelleninhabern. Welche Aufgaben sind Daueraufgaben? Welche Professuren sollten nachbesetzt, welche umgewidmet werden? Am Ende werden die Konzepte mit dem Rektorat abgestimmt und ergeben eine Grundlage, die über die sonst in Baden-Württemberg übliche, alle fünf Jahre neu beschlossene Struktur- und Entwicklungsplanung für Universitäten weit hinausreicht. Mit einer Entmachtung der Professor*innen hat das im Übrigen nichts zu tun. Es handelt sich um eine Optimierung der Stellenstruktur, an der die Professor*innen selbstverständlich ganz zentral beteiligt sind.

 

Was wird in Ihrem System eigentlich aus der Habilitation? 

 

Das ist noch ein Punkt, wo ich persönlich etwas gelernt habe. Zu Beginn unserer Diskussion habe ich den Standpunkt vertreten, dass wir in Konstanz dieses Modell aufgeben sollten. Ich habe aber eingesehen, dass es viele Fachdisziplinen gibt, in denen an der Habilitation kein Weg vorbeiführt. Sie werden sie nicht aufgeben. Darum muss unser Ziel sein, die Habilitation ebenfalls mit einer stärkeren Verlässlichkeit auszustatten. Bei uns in Konstanz erhält jeder Habilitand und jede Habilitandin daher jetzt eine verlässliche Vertragslaufzeit von sechs Jahren, und zwar in Form einer Verbeamtung auf Zeit.

 

Lassen Sie mich nachrechnen. Das heißt: Wer in Konstanz habilitiert, kann künftig bis zu 16 Jahre befristet werden: sechs Jahre bis zur Promotion, vier Jahre in der Postdoc-Orientierungsphase, und dann sechs Jahre als habilitierender Beamter auf Zeit.

 

Es kann in Promotion und Postdoc-Orientierungsphase auch schneller gehen, aber im Kern ist das richtig. Und es ist unsere Antwort darauf, dass wir die Habilitation als je nach Disziplin wichtigen Qualifizierungspfad nicht zumachen wollten. 

 

Und wo ist da die Verlässlichkeit, wenn die sechs Jahre Habil-Befristung ohne Anschlusszusage daherkommt?

 

Die Verlässlichkeit liegt in der gesicherten Zeit für die Habilitation selbst, sie ist ein Fortschritt gegenüber der Vergangenheit, die bei der Vertragsgestaltung von Abhängigkeitsverhältnissen gekennzeichnet war.  

 

"Manchmal finden wir auch kreative Lösungen,
wenn gesetzliche Vorgaben Hürden aufbauen.

 

Haben Sie nicht das Gefühl, auch hier in ihrem persönlichen Reformeifer eingebremst worden zu sein? Unkonventionell gestartet, konventionell gelandet?

 

Das mag mancher so sehen. Aber was nützt es uns, wenn wir uns am Reißbrett ein bestechendes Konzept überlegt haben, das dann vielleicht in der Physik gut funktioniert, in der Literaturwissenschaft aber überhaupt nicht – oder umgekehrt? Ich glaube, das ist etwas, worauf auch die Wissenschaftspolitik achten sollte: die große Fächerbreite und die unterschiedlichen Bedarfe nicht zu vergessen. 

 

Sie haben am Anfang gesagt, Sie wollten mit Ihrem Konzept zeigen, was alles innerhalb der geltenden gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen möglich ist. Was hätten Sie trotzdem gern anders gemacht, wenn die Gesetzeslage es zuließe?

 

Wichtig ist vor allem, dass die gesetzlichen Möglichkeiten sich nicht so ändern, dass sie unsere Wettbewerbslage verschlechtern. Das wäre etwa der Fall, wenn wir nach der WissZeitVG-Novelle im Postdoc-Bereich nur noch zwei Jahre befristen dürften, während Hochschulen im Ausland attraktive Stellen mit einer Laufzeit von vier oder sechs Jahren anbieten, auf die junge Wissenschaftler*innen dann wechseln. Und meine zweite Antwort: Manchmal finden wir auch kreative Lösungen, wenn gesetzliche Vorgaben Hürden aufbauen.

 

Bitte ein Beispiel.

 

Wir sind gesetzlich gezwungen, für jede Tenure-Track-Stelle nach sechs Jahren eine dauerhafte Professorenstelle vorzuhalten. Das beschränkt die Zahl der Tenure-Track-Ausschreibungen von vornherein, obwohl am Ende gar nicht alle die Evaluation bestehen. Wir haben das Problem gelöst, indem wir einen W3-Stellenpool geschaffen haben, so dass unabhängig vom Freiwerden einzelner Professuren ein Anschluss immer möglich ist – und wir mutiger Tenure-Track-Stellen ausschreiben können. 

 

Noch ein Wort zu den finanziellen Rahmenbedingungen?

 

Wir können nicht auf die Politik warten. Aber wenn wir über neue Personalstrukturen und mehr Dauerstellen reden, braucht es dafür am Ende natürlich doch auch mehr Geld. Nicht in unendlichen Mengen, aber so viel, dass Entfristungen nicht auf Kosten der Qualifizierungsstellen gehen. Hier würden wir uns neben der verbalen über jede tatkräftige Unterstützung freuen. Das klingt fast banal, ist aber – wie immer – essenziell. 



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Kommentare: 4
  • #1

    sweet 16 (Freitag, 26 Januar 2024 21:54)

    16 Jahre?! - Echt jetzt ...

  • #2

    PB (Samstag, 27 Januar 2024 14:17)

    Chapeau - ich bin wirklich beeindruckt, was meine Alma Mater auf den Weg gebracht hat.

  • #3

    Na toll! (Montag, 29 Januar 2024 11:52)

    16 Jahre Befristung. Das und viel mehr gab es alles längst schon vor der unseligen Einführung des WissZeitVG. Damals gab es C1-Stellen mit 6 Jahren für Habilitierende und danach oft C2-Stellen für weitere 6 Jahre. Also locker 20 Jahre nach der Promotion! Hinreichend Zeit, um eine Professur zu erlangen oder sich einzugestehen, es wird nichts. Wir haben ohne wirkliche Not - genau wie bei der Einführung von Bachelor und Master - ein wohldurchdachtes, funktionierendes System in Grund und Boden geritten. Jetzt herrscht nur noch Geschrei allerorten und Heerscharen von Leuten beschäftigen sich mit Heerscharen von Lösungsvorschlägen. Prima.

  • #4

    Na toll! (Montag, 29 Januar 2024 13:27)

    Korrektur zu obigem, das war etwas zu großzügig gerechnet. Locker 18 Jahre inkl. Promotionszeit: Mitarbeiterstelle zur Promotion 6 Jahre, dann Habil auf C1 6 Jahre, danach 6 Jahre C2 Hochschuldozentur.