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Was die Kultusminister beschlossen haben

Der Ministerclub hat neue Gesichter an seiner Spitze – das sorgte in und nach seiner Sitzung für einen neuen Sound. Aber merkte man das auch seinen Beschlüssen an? Von der KMK-Reform über die Lehrkräftebildung bis zu neuen Leitlinien für die Grundschule: ein Überblick.

ES WAR in der Zusammensetzung eine Premiere. Als am Freitagmorgen die Kultusministerkonferenz (KMK) zur Pressekonferenz lud, um wie immer über die Ergebnisse ihrer zu Ende gegangenen Sitzung zu berichten, saß auf dem Podium nicht nur die seit Januar amtierende neue KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot aus dem Saarland, sondern sie war eingerahmt von den ebenfalls neuen Koordinatorinnen. Für die Länder mit SPD-Regierungsbeteiligung (=A-Seite) Stefanie Hubig aus Rheinland-Pfalz, für die Union (=B-Seite) Karin Prien aus Schleswig-Holstein. 

 

Doch nicht nur das Bild war neu, sondern in Teilen auch der Stil. Wie die drei Ministerinnen sich rhetorisch die Bälle zuspielten, wirkte flüssig, weitgehend ohne Selbstdarstellung und Konkurrenzgehabe, allerdings gelegentlich etwas länglich. Man konnte den Eindruck bekommen: Die Kombination passt, und das könnte sich gerade in diesem Jahr noch als wichtig herausstellen. Denn bis Ende des Jahres müssen zentrale Beschlüsse unter Dach sein, die die Zukunft der föderalen Bildungspolitik, aber auch der KMK selbst, über viele Jahre bestimmen könnten.

 

Die langfristig womöglich wichtigste Weichenstellung tauchte dabei fast schon unter ferner liefen auf. Es war in Minute 32 der Pressekonferenz, als Hubig mitteilte, in Sachen KMK-Strukturreform hätten die Minister jetzt ein Thema vorgezogen. Die Frage der künftigen Abstimmungsmechanismen in der Kultusministerkonferenz. "Bleiben wir bei dem Einstimmigkeitsprinzip bei den Fragen der Mobilität und in Fragen der notwendigen Einheitlichkeit und haushaltsrelevanten Fragen und solchen, die die KMK betreffen? Oder können wir uns auch einen anderen Abstimmungsmodus vorstellen?" Eine Antwort darauf, "einen Vorschlag", so hätten die Minister beschlossen, soll jetzt die bestehende KMK-Strukturkommission erarbeiten, "auch unter Hinzuziehung juristischer Expertise, externer Expertise, weil das keine einfachen Fragen sind." 

 

Jetzt ist er da,
der Mut

 

Schon die Aussicht, dass sich die Kultusminister dem Thema stellen, ist bemerkenswert, denn über Jahrzehnte haben sie es nicht getan. Dabei gilt das Einstimmigkeitsprinzip seit langem als eine der Haupthürden hin zu einem schlagkräftigeren Bildungsföderalismus. Sie kommt laut KMK-Geschäftsordnung, deren erste Fassung von 1955 stammt, bei so ziemlich allen KMK-Beschlüssen zum Tragen, die Bedeutung haben. Was dazu führt, dass ein Land oder wenige Länder ihnen unangenehme Vorhaben stets blockieren können – mit der Folge, dass ambitionierte Vorhaben meist gar nicht erst in Angriff genommen werden. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum sich bislang keiner an die ebenfalls einstimmig zu behandelnde Reform der Einstimmigkeit gewagt hat. 

 

Aber jetzt ist er da, der Mut. Es gebe gute Gründe für die Einstimmigkeit, sagte Hubig. "Aber es gibt auch gute Gründe zu überlegen, ob wir nicht in bestimmten Bereichen dann doch mal schneller werden können." Und das war's dann auch schon in der Pressekonferenz zu dem Thema, Vorhang wieder runter. Was zeigt, dass gestalterischer Mut manchmal ganz leise daherkommen kann. Und es könnte schnell gehen: Bis Ende des Jahres soll die KMK-Strukturreform insgesamt in allen wesentlichen Punkten aufs Gleis gesetzt sein, dazu dürften dann, wenn denn die Kultusminister unterwegs ihre Courage nicht verlieren, endlich auch Abstimmungsregeln gehören.

 

So zurückhaltend die Ministerinnen bei der Darstellung dieses so wichtigen Beschlusses waren, so (berechtigt) selbstbewusst zeigten sie sich an anderer Stelle dann doch. "Länder setzen auf innovative Wege zur Bewältigung des Lehrkräftemangels", lautete die Überschrift über eine parallel zur Pressekonferenz verbreiteten Mitteilung – doch bei genauem Hinschauen müssen diese neuen Wege noch warten, und ob sie alle wirklich so innovativ sind, hinterfragen einige Experten.

 

Doch der Reihe nach. Die KMK habe zusätzliche Maßnahmen in der Lehrkräftebildung beschlossen, reagiere damit auf den anhaltenden Bedarf an Lehrkräften und setze auf eine flexiblere Gestaltung der Lehrkräftebildung, hieß es in der Pressemitteilung. "Dadurch werden zukünftig mehr Lehrende mit unterschiedlichen Biografien unsere Schulen bereichern", sagte KMK-Präsidentin Streichert-Clivot. "Zudem gestalten wir das Studium praxis- und berufsorientierter, indem wir die Studien- und Vorbereitungsdienstphase stärker verschränken. So stellen wir sicher, dass künftige Lehrkräfte frühestmöglich ihr theoretisches Wissen mit praktischen Erfahrungen verbinden können. Der Weg ins Lehramt wird dadurch flexibler und lebensnaher!"

 

Die Minister wollen unbedingt
das duale Lehramtsstudium

 

Konkret einigten sich die Minister auf ein Papier, das einen gemeinsamen Rahmen für drei Ausbildungsmodelle setzen soll, die zum bestehenden System zusätzlich etabliert werden sollen: duale Lehramtsstudiengänge, Masterprogramm zum Quereinstieg und für die Qualifizierung sogenannter Ein-Fach-Lehrkräfte. Die KMK orientierte sich dabei an Empfehlungen des Wissenschaftsrats und der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK), wobei letztere das duale Lehramtsstudium vor allem im Bachelor explizit abgelehnt hatte.

 

Erst am Mittwoch hatte die SWK-Kovorsitzende Felicitas Thiel erneut vor der Einführung gewarnt. Ökonomen wiesen zurecht darauf hin, dass eine Senkung der Zugangsanforderungen unweigerlich auch Personen anziehe, die weniger leistungsbereit und weniger motiviert seien, sagte Thiel hier im Blog. Damit sinke das Berufsprestige und im schlimmsten Fall werde der Mangel sogar perpetuiert. "Deshalb müssten wir eigentlich genau das Gegenteil tun: Die Zugangsschwellen erhöhen, Eingangstests vorschalten und attraktive Aufstiegschancen für die besonders Leistungsbereiten eröffnen." 

 

Trotzdem sieht das beschlossene KMK-Konzept nun unter anderem ein duales Studium schon vom Bachelor an vor. Man sei in der Frage "tendenziell eher beim Wissenschaftsrat als bei der SWK", sagte Karin Prien und bestätigte die "Differenzen" in den Gutachten. "Aber auch das ist unsere Aufgabe, die Empfehlungen, die uns geliefert werden, zu bewerten und dann zu einer Entscheidung zu kommen." 

 

Im Gegensatz zum dualen Studium weitgehend unumstritten ist die Einführung von Ein-Fach-Masterprogrammen. Sie ermöglichen nicht nur Absolventen mit einem Studienfach, wissenschaftsbasiert in einem zweijährigen Master aufs Referendariat vorbereitet zu werden, sondern öffnen zugleich einen regulären Weg für ausländische Lehrkräfte, schneller an Schulen in Deutschland zu starten. Denn in den meisten Ländern weltweit sind Ein-Fach-Lehramtsmodelle üblich. Die Weiterbildung mit einem zweiten Fach würde dann berufsbegleitend stattfinden. SWK-Expertin Thiel sagte, der Ein-Fach-Master habe das "Potenzial, ein vollwertiger zweiter Weg ins Lehramt zu werden. Er schafft ein atmendes System, das in Phasen des Lehrkräftemangels wie des Überschusses anpassungsfähig ist." Die Kultusminister geben sich in der Frage bislang zurückhaltender – und betonten auch am Freitag wieder, dass die neuen Zugänge nur "zusätzlich" seien und am bestehenden System nichts ändern sollen. 

 

Kaum mehr als
eine Absichtserklärung?

 

Was die KMK allerdings auf ihre nächste Sitzung verschob: die Klärung der Mobilitätsfragen und damit der gegenseitigen Anerkennung der neuen Angebote. Was bedeutet, dass das beschlossene Papier im Sinne eines länderübergreifenden Vorgehens bislang kaum mehr als eine Stoffsammlung und Absichtserklärung ist. Hubig widersprach einem solchen Eindruck indes auf Nachfrage. "Wir weichen damit von den Regelungen ab, die wir uns als KMK gegen haben, bisher ging das nicht", und der gefundene ländergemeinsame Rahmen sei unabhängig von der Frage der Mobilität.

 

Tatsächlich unabhängig? Prien versicherte, die Länder seien sich über die Frage der Mobilität "grundsätzlich einig, die Frage ist wie sie ausgestaltet sein wird", und das werde Gegenstand des insgesamt noch zu treffenden rechtlichen Beschlusses zur Lehrkräftebildung sein, der den sogenannten Quedlinburger Beschluss von 2005 ergänzen werde, das werde, habe man jetzt beschlossen, im Juni geschehen.

 

Dass die KMK-Pressekonferenz 75 Minuten dauerte, hatte auch mit dem dichten Programm zu tun, dass die Ressortchefs absolviert hatten. Neben den aufreibenden Krisentreffen mit Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zum Digitalpakt standen Gespräche mit den Botschaftern der Ukraine und Israels auf dem Programm, die Lehrerverbände waren ebenfalls eingeladen – und die Vizepräsidentin der Special Olympics Deutschland: Britta Ernst, bis April 2023 selbst Bildungsministerin in Brandenburg und KMK-Präsidentin im Jahr 2021. Zum zweiten Jahrestag des Ukrainekrieges verabschiedeten die Kultusminister eine Solidaritätserklärung mit der Ukraine, und sie knüpften mit zwei Beschlüssen an ein früheres Reformvorhaben an, die 2020 abgeschlossene "Ländervereinbarung über die gemeinsame Grundstruktur des Schulwesens und die gesamtstaatliche Verantwortung der Länder in zentralen bildungspolitischen Fragen".

 

Zu den darin festgelegten Hausaufgaben zählte die Überarbeitung der bereits bestehenden gemeinsamen Leitlinien für die Grundschule, die jetzt einen für alle Länder verbindlichen Charakter erhielten und damit laut KMK "einen bundesweit einheitlichen Rahmen für die Arbeit in der Grundschule" darstellen, etwa durch die Festschreibung einer Stundentafel von mindestens 94 Wochenstunden für die Jahrgangsstufen 1 bis 4, wovon die Kernfächer Deutsch, Mathematik und Sachunterricht mindestens 53 Stunden und zudem mindest die Hälfte der Gesamtstunden umfassen müssen – unter anderem eine Reaktion auf das schwache Abschneiden deutscher Schüler in internationalen Schulleistungsvergleichen. Ebenfalls Konsequenz des Länderabkommens von 2020 ist ein Qualitätsrahmen zur laut KMK "kontinuierlichen Verbesserung der Wirksamkeit und der Nachhaltigkeit des Lernens" in Berufsschulen.

 

Die meisten Prognosen sehen
einen anhaltenden Lehrermangel

 

Während aus SWK und Wissenschaftsrat nach der KMK-Entscheidung zur Lehrkräftebildung zunächst keine offiziellen Äußerungen zu hören waren, sprach der Stifterverband von einem "Meilenstein im Kampf gegen den Lehrkräftemangel". Indem die KMK den Weg freimache für Ein-Fach-Lehrkräfte und duale Studienmodelle, greife sie zentrale Forderungen des vergangenes Jahr vom Stifterverband veröffentlichten  "Masterplans Lehrkräftebildung neu gestalten" auf, sagte Bettina Jorzika, die für Lehrkräftebildung zuständige Programmleiterin. 

 

Prognosen zeigten, dass sich der Lehrkräftemangel in den kommenden Jahren weiter verstärken werde und schon im Jahr 2030 bis zu 68.000 Lehrkräfte in den Schulen fehlen würden. "Doch der Wohlstand der Gesellschaft, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und der Zustand unserer Demokratie hängen davon ab, dass mehr Menschen mit den Kompetenzen ausgestattet werden, die gebraucht werden, um in einer Welt im Wandel orientierungs- und handlungsfähig zu sein", sagte Jorzik.

 

Sie bezog sich offenbar auf Berechnungen des IW Köln. Die KMK selbst erwartet laut aktuellen Modellierungen rechnerisch ebenfalls 68.000 fehlende Lehrkräfte, allerdings bis 2035. Das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (Fiby) sagt bis Mitte der 2030er Jahre sogar eine Lücke von voraussichtlich mindestens 115.000 voraus, "es können aber auch über 175.000 werden".

 

Gleichzeitig gab es zuletzt auch Stimmen, die ein Abebben des Lehrkräftemangels zumindest im Grundschulbereich erwarten. Für den Zeitraum von 2023 bis 2035 würden bundesweit voraussichtlich 45.800 Grundschullehrkräfte mehr zur Verfügung stehen, als erforderlich wären, um den Unterricht abzudecken, hatte die Bertelsmann-Stiftung im Januar ermittelt. Allerdings mahnten auch die Bertelsmann-Experten, die Ausbildungswege "so flexibel gestaltet sein, dass sie besser auf demografische Schwankungen reagieren können, etwa durch Quereinstiegs-Masterstudiengänge". So könne der schon oft beobachteten Zyklus aus Mangel- und Überschussphasen in der Ausbildung von Lehrer:innen durchbrochen werden. 

 

Hinweis: Dieser Artikel wurde am 17. März 2024 ergänzt.



In eigener Sache: Es geht so nicht mehr

Dieser Blog hat sich zu einer einschlägigen Adresse der Berichterstattung über die bundesweite Bildungs- und Wissenschaftspolitik entwickelt. Doch wirtschaftlich steht die Idee seiner freien Zugänglichkeit vor dem Scheitern. 


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Kommentare: 3
  • #1

    Ohje (Sonntag, 17 März 2024 15:17)

    Die Praxis an den Schulen ist in der Breite seit Jahrzehnten nachweislich schlecht. Der öffentliche Diskurs setzt aber immer wieder diese schlechte Praxis als Orientierungspunkt, auf den hingearbeitet werden soll. Dass gesicherte, teils jahrzehntealte wissenschaftliche Erkenntnisse diesen Praxisformen entgegenstehen und zugleich praxistaugliche, wissenschaftlich erprobte Konzepte nicht implementiert werden ("das geht ja eh nicht", "dafür habe ich keine Zeit", "das ist nicht meine Aufgabe"), ist Teil dieses unsäglichen Diskurses. Hier tut sich im Übrigen auch ein äußerst unguter Zusammenhang mit der BMBF-Politik auf, die auch noch kürzere Projekte und entsprechenden Druck in der Wissenschaft setzt, so dass noch weniger Erkenntnisse als ohnehin schon den Weg in Richtung Implementierung beschreiten werden.

    Entgegen jeder Vernunft setzt die KMK genau diese Denke fort und schafft mit dem dualen Studium einen weiteren Tiefpunkt der Bildungspolitik. Die SWK hat alle Nachteile dieses Systems umfangreich beschrieben. Die Studierenden haben zu dem Zeitpunkt weder vom Fach noch von Erziehungswissenschaft noch von Didaktik auch nur die geringste Ahnung und werden sich zwangsweise an der schlechten Praxis orientieren - und genau diese dann wieder als unhintergehbare Norm setzen. Von diesem Phänomen können auch heute schon alle Lehrenden an Universitäten berichten. Zusätzlich noch gepaart mit dem Personalmangel in den Schulen, werden diese Praxen auch in den Schulen nicht reflektiert.
    Gewinner sind tendenziell wieder mal die ohnehin gut gestellten Schüler*innen unserer Gesellschaft, weil ihre Eltern unter Einsatz ihres Kapitals ihren Status sichern werden. Verlieren tun alle anderen. Die schlechtmöglichste Lösung ist mal wieder gefunden.

  • #2

    Lehrerkind (Montag, 18 März 2024 10:09)

    @Ohje: wenn ich Ihren Beitrag richtig verstehe, legen Sie einen großen Teil der Verantwortung für eine fehlende Implementierung neuer Konzepte bei den Lehrkräften ab ("das geht ja eh nicht", "dafür habe ich keine Zeit", "das ist nicht meine Aufgabe"). Die Lehrkräfte sind absolut nicht verantwortlich für eine fehlende Implementierung! Verantwortlich ist eine Politik, die die Implementierung neuer Konzepte kostenneutral haben möchte. Das schönste Konzept bringt nichts, wenn für seine Implementierung keine Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Zudem weisen Konzepte, die im universitären Elfenbeinturm entwickelt werden, eine oft atemberaubende Distanz zu der schulischen Realität und der Lage vor Ort auf. Das Problem sind nicht die Lehrkräfte. Das Problem ist der Diskonnex zwischen einem schönen Konzept und einer Umsetzung, die nicht mitgedacht wurde und zudem noch kostenneutral erfolgen soll.

  • #3

    Ohje (Donnerstag, 11 April 2024 14:42)

    Die Unterrichtsqualität in Deutschland ist in der Breite nachweislich schlecht. Das zeigen nicht nur die Schulvergleichsstudien. Fraglos sind auch die strukturellen Voraussetzungen an (vielen) Schulen , also politische Entscheidungen zu kritisieren, zu kritisieren. Nichtsdestoweniger dient dies im Diskurs auch immer wieder als Argumentationsfigur, um bloß nicht die Unterrichtspraxis zu hinterfragen. Wie auch hier, findet sich eigentlich immer jemand, der auf der Basis von wissenschaftsfeindlichen Begriffen wie "Elfenbeinturm" den Status quo des Unterrichtens verteidigt.