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Mangelnde Fairness, volkswirtschaftliche Dummheit

200 zusätzliche Bundesmilliarden für die Rente, aber nur eine Milliarde pro Jahr extra für die Bildung und keine mehr für den Kita-Ausbau? Es sieht so aus, als hätte Alt im Verteilungskampf gegen Jung den nächsten Punktsieg errungen. Ein Kommentar.

NEULICH KRITISIERTE Nikolaus Blome in seiner SPIEGEL-Kolumne, die Jungen ließen sich "ausnehmen wie Weihnachtsgänse" und bezog sich auf das von ihm als "Rentenskandal" bezeichnete Rentenpaket II der Ampel-Koalition. Ich empfand das in Vorwurf und Formulierung übertrieben. Obgleich es in der Tat sehr einseitig anmutete, den schon bis zu 112 Milliarden Euro hohen jährlichen Steuerzuschuss zur Rente (den vor allem die Jungen tragen müssen) weiter massiv zu erhöhen, um den Anstieg der Rentenbeiträge zu drücken. Doch genau deshalb gefiel mir der ebenfalls im Paket enthaltene Plan, bis 2035 kreditfinanziert einen Kapitalstock von 200 Milliarden Euro aufzubauen und in Aktien und Anlagen zu investieren. Jedenfalls kam er deutlich schlauer daher als das schlichte Beharren auf einem Umlagesystem, das in seiner reinen Form längst von der Demografie überholt wurde. 

 

Jetzt muss ich mein Urteil revidieren. Denn die teuren Renten-Pläne, auch die vergleichsweise sinnvollen, muss man im Kontext sehen zu der jetzt ebenfalls bekannt gewordenen Entscheidung der Bundesregierung, kein weiteres Investitionsprogramm für den Ausbau von Kitaplätzen aufzulegen. Obwohl der Koalitionsvertrag genau das angekündigt hatte. Dies ergab die am vergangenen Mittwoch veröffentliche Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Unionsfraktion im Bundestag, die zur Begründung auf die aktuelle Haushaltslage und die grundsätzliche Zuständigkeit der Länder verwies. Die Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege sprach von "einer Absage an die Zukunft unserer Gesellschaft".

 

Irrationale Furcht vor
der Gegenwehr der Älteren

 

Man könnte auch sagen: Alt erzielt den nächsten Punktsieg gegen Jung in einem ungleichen gesellschaftlichen Verteilungskampf, der die Interessen des Heute stets über die Interessen des Morgen stellt. Was deshalb möglich ist, weil die Politik, gleich welcher Couleur, sich nicht traut, Prioritäten gegen die wachsende Überzahl der Älteren durchzusetzen.

 

Eine Seitenbemerkung: Mir erscheint die politische Furcht vor der Gegenwehr der Älteren oft irrational, denn viele der Älteren sind sehr wohl Großeltern, Großonkel, Großtanten, Nachbarn und Freunde von jungen Familien mit (kleinen) Kindern und haben das entsprechende Problembewusstsein. Fest steht aber: Die Jungen haben keine Zeit für Gegenwehr, dafür sind sie viel zu sehr mit der Bewältigung ihres Alltags zwischen Arbeit, Kinderbetreuung und der Eigenvorsorge für ihre Zukunft beschäftigt.

 

Aber war da nicht etwas? Sagte nicht neulich erst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zum wiederholten Male, der größte Fehler sei gewesen, "dass wir bei den Kindern zum Teil zu streng gewesen sind und mit den Lockerungsmaßnahmen wahrscheinlich etwas zu spät angefangen haben"? Woraufhin Tagesspiegel-Koluministin Sabine Rennefanz zu Recht anmerkte: "Wir? Er spielte in erster Reihe im Panikorchester, warnte vor Kindern als Virenschleudern, als Kinderärzte, Psychologen und Sozialarbeiter von weiteren Einschränkungen für die Jüngeren abrieten."

 

Tatsächlich wurde an vielen Stellen, auch hier im Blog, fast die gesamte Corona-Zeit über die Einseitigkeit der Lastenverteilung zulasten der Jungen kritisiert und vor den Folgen gewarnt. Das kollektive "Wir" eignet sich also nicht dazu, von der Politik getroffene Entscheidungen im Nachhinein als zwar falsch, aber nach Abwägen des damaligen Kenntnisstands als unvermeidbar zu rechtfertigen.

 

Statt Wiedergutmachung weitere
Weichenstellungen zu Ungunsten der Jungen

 

Und überhaupt: Was haben die Kinder und jungen Menschen davon, wenn es im Nachhinein heißt, sie seien in der Pandemie über Gebühr in Freiheit und Entwicklung eingeschränkt worden – wenn bei den großen politischen Weichenstellungen, die sich seit Corona zur Wiedergutmachung geboten hätten, wieder zu Ungunsten der Jungen entschieden, ja die Schieflage zwischen den Generationen noch verschärft wird? 

 

In Zahlen ausgedrückt: In den West-Bundesländern fehlen nach Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung rund 385.900 Kita-Plätze, im Osten weitere 44.700. Wir reden von fast 431.000 Startplätzen für hoffentlich erfolgreiche Bildungskarrieren in einem Land, das schon vor Corona die Bildungschancen extrem ungleich verteilte und durch die politischen Entscheidungen in der Pandemie einen weiteren kräftigen Schubs in Richtung sozialer Schieflage erhalten hat. Die ebenfalls im Koalitionsvertrag versprochene Fortführung des Sprachkita-Programms hatte das Familienministerium von Lisa Paus (Grüne) bereits lange vor der jetzigen Absage kassiert.

 

Und nach der Kita geht es so weiter: Voraussichtlich etwa eine Milliarde Euro pro Jahr würde die Fortsetzung des Digitalpakts Schule kosten, ein Hundertstel des aktuellen Rentenzuschusses, doch Bund und Länder belauern sich in den laufenden Verhandlungen. Erst vergangene Woche schien die Komplett-Absage bevorzustehen. Und für die eine Milliarde frisches Geld, die der Bund künftig pro Jahr für das "Startchancen"-Programm für Brennpunktschulen ausgeben will, feiert sich vor allem die FDP von Bundesfinanzminister Christian Lindner, als wären in den Koalitionsverhandlungen 2021 nicht ganz andere Investitionen für die Bildung diskutiert worden, die Lindner (ohne nachhaltigen Widerstand der Koalitionspartner) erst zur jetzigen Größe geschrumpft hat

 

Die Zukunft soll selbst
für die Zukunft zahlen

 

Vielsagend auch, dass etwa SPD und Grüne zusätzliche Investitionen in Bildung durchaus diskutieren, aber statt der Umpriorisierung von Staatsausgaben meist die kaum mehrheitsfähige Option von Steuererhöhungen zur Voraussetzung erklären – oder gar eine Reform der Schuldenbremse. Wobei letztere auf das Motto hinausliefe: Die Zukunft soll selbst für die Zukunft bezahlen – und für die Gegenwart gleich mit.

 

Denn auch im Zusammenhang mit dem geplanten Rentenpaket II redete kaum einer in der Ampel davon, dass allein die (sozial alles Andere als treffsichere) Rente mit 63 jeden Monat mit Milliarden zu Buche schlägt. Laut Presseberichten etwa im Juli 2023 mit 3,4 Milliarden Euro. Was drei Digitalpakten pro Monat entspricht und hochgerechnet aufs Jahr ziemlich genau der für 2024 geplanten Netto-Neuverschuldung des Bundes (39 Milliarden Euro). Dabei sind die über 400 Milliarden Euro neuen Krisen-Schulden, die der Gesamtstaat zwischen 2019 und 2022 gemacht hat, noch gar nicht berücksichtigt. 

 

Das Mindeste, nachdem man der Jugend in solchen Ausmaßen an der Finanzierung der Gegenwart beteiligt hat, wäre, sie durch vernünftig ausgestattete Kitas, Schulen und Hochschulen in die Lage zu versetzen, mit diesem Erbe umzugehen. Sonst reden wir nicht mehr nur von mangelnder Fairness, sondern von volkswirtschaftlicher Dummheit. Etwas, über das das "Wir" der Ampel dringend nochmal nachdenken sollte. 



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Kommentare: 4
  • #1

    Leif Johannsen (Mittwoch, 20 März 2024 09:40)

    Volle Zustimmung. Es ist schon erstaunlich, wie man in Zeiten, zu denen sich immer deutlicher herauskristalisiert, dass ein bedeutsamer Anteil der Bevoelkerung ("fake news"; Jung und Alt) Schwierigkeiten hat, zwischen Information und Desinformation zu unterscheiden, nicht eine massive Bildungszeitenwende (von den Krippen zu den Hochschulen) ausruft. Bildung hilft die groesseren Zusammenhaenge zu sehen bzw. zu verstehen, Bildung verhindert die Anfaelligkeit fuer Demagogen und verhindert Kriege, Bildung eroeffnet die Zukunft und ermoeglicht Innovationen und gesellschaftlichen Fortschritt, Bildung gewinnt Kriege. Das scheint bei vielen Entscheidungstraegern, die jetzt die Weichen stellen koennten, nicht beherzigt zu werden. Stattdessen "Spaltpilze", die mit breiter Brust vor den Kameras die "schwaebische Hausfrau" abgeben. Ich denke die Ursache ist nachwievor die universalste aller deutschen Grundueberzeugungen: die "Besitzstandswahrung".

  • #2

    M. Hoelscher (Mittwoch, 20 März 2024 10:29)

    Absolute Zustimmung. Altersarmut muss bekämpft werden, aber eben nicht mit der Gießkanne. Mit einer gezielteren Verteilung könnte das Geld gespart werden, dass für die Jüngeren so nötig gebraucht würde (wer kommt z.B. auf die Idee, ein Sprachprogramm für KiTas zu kürzen, wo doch die Sprache eine der wichtigsten Voraussetzungen für die gesellschaftliche Teilhabe für alle ist?!).

  • #3

    Josef König (Donnerstag, 21 März 2024 18:37)

    Moin,

    glaubst wirklich, dass es richtig ist, Rente gegen Kitas auszuspielen?
    Ich bin für den Ausbau der Kindererziehung gerade im jüngsten Alter (Kitas und Grundschulen), denn da werden Grundlagen gelegt, die viele Eltern nicht mehr schaffen, weil beide arbeiten müssen.
    Dennoch: Das Rentenniveau liegt bei 48 %. Das weiter zu senken, träfe viele, die sich schon jetzt und erst recht später den Lebensunterhalt nicht leisten können.
    Deutschland steht schlicht vor der Herausforderung, dass der demographische Wandel gerade eine Boomergeneration in die Rente entlässt, aber zu wenig Beitragszahler vorhanden sind, um die Renten zu finanzieren.
    Du schreibst: „ Man könnte auch sagen: Alt erzielt den nächsten Punktsieg gegen Jung in einem ungleichen gesellschaftlichen Verteilungskampf, der die Interessen des Heute stets über die Interessen des Morgen stellt. Was deshalb möglich ist, weil die Politik, gleich welcher Couleur, sich nicht traut, Prioritäten gegen die wachsende Überzahl der Älteren durchzusetzen.“
    Wieso erzielen die Alten einen Punktsieg gegen die Jungen. Die Alten haben 35, 40 und mehr Jahre gearbeitet und einen Anspruch auf Rente erworben und in dieser Zeit die Renten für die vorige Generation bezahlt. Du kannst den Boomern nachträglich vorwerfen, zu wenig Nachwuchs erzeugt zu haben, aber doch nicht ihren Anspruch auf eine auskömmliche Rente nach 40 Jahre Arbeitsleben.
    Mir ist natürlich sehr wohl bewusst, dass der demographische Wandel eine andere Form der Finanzierung der Rente erfordert. Diese kann aber nicht auf Kosten jener gehen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und sich einen Anspruch erworben haben.

  • #4

    G. Büsing (Dienstag, 26 März 2024 21:41)

    Ich halte es aus subjekiver Erfahrung heraus ebenfalls für sehr kurz gegriffen, wenn aktuelle Bildungsausgaben und Rentenausgaben gegeneinander ausgespielt werden. Da kämpfen eben nicht Alt gegen Jung einen Verteilungskampf. Beide Gruppen sind passive Zuschauer bzw. Leidtragende eines Spiels, das Personen und Gruppen spielen, die das Bildungssystem nicht mehr nutzen müssen und auch das Rentensystem nicht benötigen, da sie für sich auf ein anderes Alterssicherungssystem zurückgreifen können. Die große Ungerechtigkeit ist innerhalb der Gruppen "Jung" und "Alt" festgeschrieben. Innerhalb jeder Gruppe gibt es die Systemverlierer. Eine gerechte Bildungspolitik würde mehr in die Systemverlierer investieren und weniger in die "sowieso Gewinner". Und eine gerechte Rentenpolitik würde Rentenpunkte weniger nach Lebenseinkommen berechnen, sondern mehr nach Investition in die Zukunft der Gesellschaft durch praktische Kindererziehung zu mündigen und selbständigen Bürgern. Für wen habe ich als alleinerziehender Vater von fünf Kindern über Jahre Rentenbeiträge von meinem Gehalt gezahlt? Und wer ist Nutznießer der heutigen Rentenbeiträge meiner fünf Kinder (klar, die DINK's)? Und nun wird bei der Generation meiner Enkel "gespart" und deren Eltern auch mit dieser Zukunftssorge belastet. Das kann nicht auf Dauer gut gehen.