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"Unsere Zukunft hängt an der Zelle"

Hat Deutschlands Industrie den Aufbruch in der Batterieforschung verpennt? Hat die Bundesrepublik wenigstens aufgeholt in den vergangenen Jahren? Und welche Rolle spielt die staatliche Förderung? Ein Gespräch mit Michael Krausa und Burkhard Straube vom Kompetenznetzwerk-Lithium-Ionen Batterien.

Burkhard Straube (links) ist CEO bei Vianode, einem norwegischen Hersteller von Batteriematerialien.

Michael Krausa (rechts) ist Geschäftsführer des Kompetenznetzwerk-Lithium-Ionen Batterien (KliB) e.V., Berlin. Foto Straube: Marthe Haarstad. Foto Krausa: Ernst Fesseler.

Herr Krausa, Herr Straube, im Januar hat das "Kompetenznetzwerk Lithium-Ionen-Batterien" (KLiB), das Sie repräsentieren, einen Offenen Brief an die Bundesregierung geschrieben und gewarnt: Die für den Haushalt 2024 geplanten Kürzungen führten "zum Ende der deutschen Batterieforschung, mit dramatischen Konsequenzen für den High-Tech Standort Deutschland". Es ging um maximal 155 Millionen weniger staatliche Förderung, gestreckt über mehrere Jahre wohlgemerkt. Warum der Alarmismus?

 

Michael Krausa: Weil die damals geplanten Einsparungen ein klares Signal gesendet haben: Die laufenden Forschungs- und Entwicklungsprojekte werden noch zu Ende geführt, aber danach ist Schluss. Statt neuer Vorhaben hätten mit dem restlichen Geld gerade noch die Heizung und das Sicherheitspersonal für die leeren Labore bezahlt werden können. Und das nach allem, was wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben. Darauf mussten wir als Verbund reagieren. 

 

Im Anfang Februar beschlossenen Bundeshaushalt hat die Ampel die Kürzungen dann teilweise zurückgenommen: um 20 Millionen für 2024 und um jeweils 12,5 Millionen Euro für die Jahre 2025 bis 2028. Und diese zusammengerechnet 70 Millionen Euro mehr retten jetzt wiederum alles?

 

Krausa: Natürlich nicht. Aber die Folgen sind nicht mehr so gravierend wie befürchtet. Deshalb müssen wir den Dialog mit der Politik fortsetzen, sonst laufen uns die guten Forscher davon und gehen ins Ausland.  

 

Wenn zwei- bis dreistellige Millionenbeträge staatlicher Förderung über das Wohl und Wehe der deutschen Batterieforschung entscheiden, spricht das vor allem für die enormen Versäumnisse der Industrie selbst. Wie kann es sein, dass die Unternehmen über Jahre so wenig investiert haben in diese Zukunftstechnologie – frage ich Sie, Herr Straube – einen führenden Branchenvertreter?

 

Burkhard Straube: Die Industrie hat zusammen mit der Wissenschaft und der Politik in den vergangenen 15 Jahren unglaublich viel erreicht. Wir sind heute international wieder auf Augenhöhe. Aber Forschung ist ein Marathon, die Industrie braucht Planungssicherheit und ein Zeichen der Politik, dass Batterietechnologie mittelfristig eine wichtige Rolle spielen soll für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa. Dieses Zeichen drückt sich auch in der Höhe der Forschungsförderung aus. 

 

Die Rolle der Batterietechnologie bestimmt die Industrie doch selbst durch ihre Investitionsentscheidungen. Sie sagen, es sei unglaublich viel erreicht worden in den vergangenen 15 Jahren. Wie passt dazu, dass etwa Bosch noch 2018 verkündet hat, sich aus der Batterieforschung zurückziehen zu wollen? Aus wirtschaftlichen Gründen, hieß es damals, habe man sich gegen den Aufbau einer Zellfertigung in Deutschland entschieden: "Die Zellfertigung ist für unseren Erfolg nicht ausschlaggebend." Batteriezellen würden sich zum standardisierten Massenprodukt entwickeln, das Bosch zukaufen könne. 

 

Straube: Ich werde hier nicht die Entscheidung des Unternehmens Bosch kommentieren. Es gibt aber andere Unternehmen, die sich ausschließlich auf die Batterietechnologie konzentrieren, auch solche, die eigens für die Zellfertigung gegründet worden sind. Große Konzerne können die Zellen vielleicht aus dem Ausland zukaufen, aber der Standort verliert dabei. Denn die Forschung und Entwicklung in der Batterietechnologie ist aufs Engste mit der Entwicklung anderer Hochtechnologien verbunden und fördert diese. Wir sprechen also von der künftigen Wettbewerbsfähigkeit ganzer Industrien. 

 

"Für die Großindustrie von Bosch und Volkswagen mögen die 155 Millionen staatliche Förderung nicht so entscheidend sein, aber für das Ökosystem der kleinen und mittleren Unternehmen sind sie es sehr wohl."

 

Bosch argumentierte 2018, als Konzern allein müsse man mindestens 20 Milliarden investieren, also hundertmal so viel, um mit der asiatischen Konkurrenz mitzuhalten. Volkswagen steckt tatsächlich in solchen Größenordnungen Geld in die Batterieforschung – allerdings zu einem großen Teil außerhalb Deutschlands. Was sind dagegen 155 staatliche Millionen?

 

Straube: Man sollte die 155 Millionen nicht ins Verhältnis setzen mit Investitionen der Großindustrie von Bosch oder Volkswagen. Für die mögen solche Beträge nicht so entscheidend sein, aber für das Ökosystem der kleinen und mittleren Unternehmen, all die Mittelständler, die die Batterieforschung in Deutschland mittragen, sind sie es sehr wohl.

 

Also die Unternehmen, die KLIB als ihren Lobbyverein gegründet haben.

 

Krausa: Für die kleinen und mittleren Unternehmen kann die staatliche Forschungsförderung gerade in den ersten Jahren den Unterschied machen, ob eine tolle Idee weiterverfolgt werden kann oder nicht. Gleichzeitig sind die Mittelständler darauf angewiesen, dass an den Universitäten und Forschungseinrichtungen die nötige Forschungskompetenz vorhanden ist und gestärkt wird. Dass da Forscher sind, die beurteilen können, was fehlt, um eine Produktidee technologisch zu einem Erfolg weiterzuentwickeln. Jetzt hören wir, dass sich talentierte Hochschulabsolventen verstärkt bei Unternehmen bewerben, weil sie verunsichert sind, ob es für sie noch eine Perspektive in der Wissenschaft gibt.

 

Das ist doch gut für die Unternehmen!

 

Krausa: Kurzfristig vielleicht. Aber mittelfristig beschädigt das die Wissenschaft. Womit wir wieder bei der Signalwirkung angekommen sind: Wenn der Staat engagiert die Forschung und Entwicklung unterstützt, zeigt das sein Interesse. Das wiederum nehmen auch die Großunternehmen wahr. Bosch zum Beispiel ist vermutlich auch deshalb ausgestiegen, weil ihnen das unternehmerische Risiko zu groß war in einem gesellschaftlichen und politischen Umfeld in Deutschland, das der Batterietechnologie skeptisch gegenüberstand. 

 

Die mittelständische Wirtschaftsstruktur, die Deutschland in vielen Branchen ausmacht – ist sie nicht in der Batterieforschung ein großer Nachteil, weil nur die Großunternehmen das für die Großinvestitionen nötige Kapital haben? Verschärfend kommt hinzu, dass bei uns anders als etwa in den USA kaum eine Szene potenter Risikokapitalgeber existiert. 

 

Straube: Nein und ja. Nein: Die mittelständische Struktur ist kein Nachteil, weil sie gerade in der Frühphase einer neuen Technologie, wenn es noch verschiedene mögliche Wege gibt, ermöglicht, eine Vielzahl kreativer Konzepte parallel zu verfolgen. Das ist in den USA nicht anders, auch da sind es nicht die Großkonzerne, sondern die kleinen Startups, die den Fortschritt treiben. Und ja: Das mit der Finanzierung ist tatsächlich eine Herausforderung, es fehlt uns an Risikokapital. 

 

"Das Hin und Her um die Finanzierung
und Ausrichtung der Forschungsfertigung Batteriezelle in Münster war und ist nicht gut."

 

Unter der ehemaligen Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) entstand 2019 das sogenannte "Dachkonzept Batterieforschung". Auch dessen Ende haben Sie im Januar angesichts der drohenden Kürzungen prophezeit, Herr Krausa. Wobei die Frage erlaubt sein muss: Wäre das Ende des Dachkonzepts so schlimm? Der Bau der "Forschungsfertigung Batteriezelle" (FFB) in Münster hat sich mehrfach verzögert. Daneben enthält das Konzept ziemlich viel Geld, was als Kompensation für Münster in andere Bundesländer geflossen ist – nachdem es Vorwürfe gegeben hatte, Karliczek würde einseitig ihre Heimat NRW bedienen.

 

Krausa: Die FFB wird bis heute in Teilen sehr kontrovers diskutiert. Das Hin und Her um ihre Finanzierung und Ausrichtung war und ist nicht gut. Wegen ihrer Größe besteht zudem die Möglichkeit, dass die FFB mit dem Dachkonzept als Ganzes verwechselt wird. Die FFB ist aber nur ein Element darin, wenn auch ein großes. 

 

Was genau macht die FFB aus?

 

Krausa: Sie erlaubt Forschung an einer sehr industrienahen Anlage. Wünschenswert wäre es aber, wenn ein stärkerer Fokus der Ausrichtung der FFB auf neuartigen Batteriesystemen läge: Festkörperbatterien und Natrium-Ionen-Batterien. Welche Motivation bestand, nach der Bewilligung der FFB kurzfristig fünf Kompetenzcluster in anderen Bundesländern einzurichten, kann ich nicht beurteilen. Auch wenn es vielleicht sinnvoll gewesen wäre, sich etwas mehr Zeit bei dem Aufbau der Cluster zu geben, ergänzen sie das Dachkonzept um wesentliche Aspekte: Recycling, Batterienutzung, Analytik, Qualitätssicherung oder auch intelligente Batterieproduktion. Die in den Clustern als Teil des Dachkonzepts laufenden Forschungsvorhaben füllen eine F&E-Pipeline, die in der FFB münden könnte. 

 

Dass es womöglich mehr um Politik als um Forschungsförderung ging, stört sie nicht?

 

Krausa: Bedauerlich ist in der Tat, dass es keinen Cluster "Batteriesysteme" gibt, der Zellen direkt in einem vollständigen Batterieaufbau untersucht. Trotzdem bildet das Dachkonzept auf der Forschungsseite nahezu die gesamte Wertschöpfungskette ab und begleitet als Impulsgeber alle Industrien des Ökosystems Batterie. Sein Verlust würde viele Unternehmen, insbesondere klein- und mittelständische, hart treffen und dem sich entwickelnden Ökosystems schaden. 

 

Herr Straube, in Ihrer Rolle als KLIB-Vorstandvorsitzender haben Sie vorhin gesagt, die Batterieforschung in Deutschland befinde sich international wieder auf Augenhöhe. Als Spitzenmanager Sie sind jedoch gerade zu einem norwegischen Unternehmen gewechselt. Das eine sind die Sprüche eines Lobbyisten, das andere die persönliche Einschätzung eines Realisten?

 

Straube: Mein Wechsel war eine persönliche Entscheidung und beinhaltet keine Aussage über den Standort Deutschland. Norwegen weist sehr ähnliche Stärken und Schwächen auf wie die Bundesrepublik. Die Herausforderung ist, die Forschungsergebnisse, die wir in den vergangenen zehn, 15 Jahren erreicht haben, in Wirtschaftsleistung umzusetzen. Das ist jetzt mein Schwerpunkt. Für das wirtschaftliche Umsetzen von Innovationen bietet Nordamerika zurzeit ein deutlich attraktiveres Umfeld als Europa. Das macht mir Sorgen und Gedanken. 

 

Und zu welchen Ergebnissen kommen Sie beim Nachdenken?

 

Straube: Man kann den amerikanischen Vorteil mit einer Initiative beschreiben: Inflation Reduction Act. Dieser hat die Dynamik komplett verändert und eine Förderlandschaft für junge Industrien geschaffen, die ihresgleichen sucht: Mit einer staatlichen Anschubfinanzierung und mit dem Schutz dieser neuen und noch kleinen Branche vor hoch subventionierter und lange etablierter ausländischer Konkurrenz.

 

"Andere Wirtschaftsräume fördern, schützen und stärken ihre neuen Industrien viel wirksamer als Europa – mit dem Ergebnis, dass unsere Unternehmen in diesen Bereichen auf dem Weltmarkt kaum bestehen können." 

 

Ihre Antwort lautet also: mehr Subventionen und Protektionismus?

 

Straube: Ich würde es lieber mehr Unterstützung nennen. Wir müssen der Realität Rechnung tragen, und die zeigt, dass andere Wirtschaftsräume ihre neuen Industrien viel wirksamer fördern, schützen und dadurch stärken als Europa – mit dem Ergebnis, dass unsere Unternehmen in diesen Bereichen auf dem Weltmarkt kaum bestehen können. 

 

Ein Beispiel bitte.

 

Straube: Der Inflation Reduction Act knüpft zum Beispiel Kaufprämien für Elektroautos daran, dass diese mindestens zum Teil auf amerikanischer Wertschöpfung beruhen. Ohne lokale Wertschöpfung keine Förderung.

 

Abgesehen von der volkswirtschaftlichen Sinnhaftigkeit solcher Vorgaben: Die Bundesregierung muss sparen. Wenn schon dreistellige Millionenbeträge für die Forschungsförderung zu teuer geworden sind, wird man kaum erwarten können, dass der Staat jetzt einen neuen Elektroauto-Bonus startet oder gar in Form von Anschubfinanzierung Risikokapital zur Verfügung stellt. 

 

Straube: Tatsächlich erwarte ich hier weniger aus Deutschland und mehr von der Europäischen Union. Die EU muss sich entscheiden, wie sie das Wachstum neuer Industrien ermöglichen und damit den Wohlstand Europas sicherstellen will. Gleichzeitig räume ich ein, dass Europa als Wirtschaftsraum anders funktioniert als die USA. Die Interessen der Mitgliedsstaaten unter einen Hut zu bekommen, ist wesentlich komplexer, und die exportorientierte europäische Industrie ist stärker auf einen offenen Welthandel angewiesen als die amerikanische. 

 

Und von der Bundesregierung erwarten Sie jetzt gar nichts mehr, nachdem sie die Kürzungen bei der Forschungsförderung teilweise zurückgenommen hat?

 

Straube: Eine konkrete Erwartung habe ich sehr wohl. Wir brauchen einen zusätzlichen Forschungscluster für die Entwicklung der Natrium-Ionen-Batterien. Herr Krausa hat es erwähnt: Sie ist der nächste Schritt, die nächste Stufe in der Batterieforschung. Mit solch einem Cluster hätten wir tatsächlich die Chance, nach dem Aufholen der vergangenen zehn, 15 Jahre sogar einen Vorsprung gegenüber unseren Wettbewerbern auf dem Weltmarkt herauszuholen. Dazu gehört, dass wir wie erwähnt die Anlage in Münster auf diese neuen Technologien ausrichten.  

 

Krausa: Dazu bräuchten wir in Deutschland und Europa aber eine Gesamtstrategie, wie wir eine wettbewerbsfähige neue Industriesparte, die Großserienfertigung großformatiger Batterien, hinbekommen wollen. Eine Strategie, die Regierung und Industrie gemeinsam tragen müssten. 

 

Glauben Sie, die kommt noch? Das politische und gesellschaftliche Interesse an Elektromobilität und Batterieforschung ist in den vergangenen zwei Jahren dramatisch abgeflacht. Weil Sie als Lobbyisten versagt haben?

 

Krausa: Weil oberflächlich betrachtet kein Versorgungsproblem besteht. Es gibt genügend Batteriezellen, die aus Asien zu uns kommen. Umso wichtiger ist es, Aufklärungsarbeit zu leisten. Alle reden vom Ziel der technologischen Souveränität. Wie wollen wir die in Europa erreichen ohne starke eigene Zellfertigung, wenn plötzlich Lieferketten wegbrechen oder aus politischen Gründen nicht mehr geliefert wird? Außerdem ist den meisten Menschen gar nicht bewusst, dass es bei der Batterieforschung um viel mehr geht als die Elektromobilität. Um es ganz deutlich zu sagen: Der Umstieg auf erneuerbare Energien wird ohne Batterien, ohne stationäre Energiespeichersysteme, nicht gelingen. Das Gleiche gilt für den Umbau der Logistik, für Schiffe und LKWs bis hin zu PowerTools und Hörgeräten. Unsere Zukunft hängt an der Zelle. 



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Kommentare: 1
  • #1

    Michael Eiche (Dienstag, 16 April 2024 11:29)

    Der Beitrag ist natürlich Lobbyismus für Forschung an einer konkrete Technologie. Man könnte viele weitere Themen nennen, bei denen Wertschöpfungsketten hochrelevant sind, z.B. SiC-Halbleiter oder Elektrolyseure.
    Die Fehlkonstruktion FFB (eine Fabrik die nichts produzieren darf, aber der Erforschung von verketteter Fertigungstechnik an Zellen dienen soll) ist ein zweites Thema.
    Viel wichtige wäre eine Grundsatzdiskussion, wie die technologische Souveränität in der EU bestmöglich gesichert werden kann.