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Sinkende Studierendenzahlen rechtfertigen keinen Sparkurs

Dass weniger Menschen studieren, könnte Hochschulen finanzielle Freiheiten verschaffen. Doch anstelle von Qualitätssprüngen geht es jetzt um die Absicherung des Nötigsten.

Foto: Philippe Bout / Unsplash.

DER TRAUM WAR SCHÖN, aber kurz. Seit 2021 sind die bundesweiten Studierendenzahlen nach anderthalb Jahrzehnten Dauerwachstum um über 70.000 gesunken. Die Kultusministerkonferenz prognostiziert, dass die Zahl der Studienanfänger wohl spätestens von 2027 an für einen längeren Zeitraum stagnieren wird.

 

Also für die Hochschulen endlich die Aussicht auf das, was Bildungsexperten vor vielen Jahren schon einmal – vergeblich – für die Schulen erhofft hatten: eine "demografische Rendite", sprich, höhere Bildungsausgaben pro Kopf der Studierenden?

 

Der Wissenschaftsratsvorsitzende Wolfgang Wick jedenfalls sah Anfang dieses Jahres für die Hochschulen "die Chance, Fehlentwicklungen der Wachstumsperiode zu korrigieren, die Qualität der Lehre zu verbessern, den Anteil erfolgreicher Abschlüsse zu steigern und die Digitalisierung voranzutreiben".

 

Inzwischen trifft man aber, wenn man sich in den Hochschulen umhört, meist auf das Durchspielen ganz anderer Szenarien.

 

"Unvorhergesehene Einschnitte

oder Kostensteigerungen"

 

Beispiel Bochum: Das Rektorat der Ruhr-Universität informierte neulich per Newsletter über die "Herausforderung geänderter finanzieller Rahmenbedingungen". Die Energiekosten seien gestiegen, die Tarifsteigerungen würden vom Land nur zum Teil refinanziert und die Inflation betreffe auch den Wissenschaftsbereich. "Um auch in Zukunft unseren erfolgreichen Weg auf einer soliden finanziellen Basis fortzusetzen, müssen im Laufe der nächsten Jahre aufwachsend bis zu 20 Millionen Euro weniger ausgegeben werden." Weitere zehn Millionen will das Rektorat einsparen, "um für weitere unvorhergesehene Einschnitte oder Kostensteigerungen gewappnet zu sein" – womit wohl potenzielle Sparprogramme der Landesregierung gemeint sind.

 

Beispiel Berlin: Das Präsidium der Humboldt-Universität rechnet bis 2030 im Schnitt mit einem jährlichen strukturellen Defizit von 8,7 Millionen Euro, wie der Tagesspiegel berichtete. Zur Finanzierung könnten 20 bis 25 auslaufende Professuren samt Ausstattung nicht nachbesetzt werden, also wegfallen, sagte HU-Präsidentin Julia von Blumenthal.

 

Weiterfinanzierung vieler

Projekte steht auf der Kippe

 

Anderswo sind die Hochschulleitungen weniger direkt in der öffentlichen Darstellung ihrer finanziellen Sorgen, aber das bedeutet nicht, dass diese kleiner wären.

 

Oft geht es um die Weiterfinanzierung von Professuren und Projekten, die in den Expansionsjahren mit großzügiger Geste, aber befristet von Bund und Ländern gespendet wurden und jetzt auf der Kippe stehen.

 

Mit bösen Vorahnungen blickt man auf anstehende Verhandlungen mit den Wissenschafts- und Finanzministerien für die nächste Runde der Hochschulverträge. Und fürchtet, Kürzungen könnten in Form gleichbleibender oder steigender Grundhaushalte verpackt werden, in die alle möglichen bisherigen Sonderprogramme hineingezwängt werden.

 

Weniger Studierende?

Für Finanzminister ein Lichtblick

 

So gut wie jede Sonntagsrede über die Bedeutung von Bildung und Wissenschaft für Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft impliziert, dass diese Bereiche von den Sparhaushalten in Bund und Ländern ausgenommen werden könnten. Doch damit rechnet, so scheint mir, in den Führungsetagen der Hochschulen kaum noch jemand. Im Gegenteil: Auf der Suche nach Einsparmöglichkeiten sind sinkende Studierendenzahlen für Finanzminister ein Lichtblick – und eine Rechtfertigung.

 

Manche Hochschulchefs, mit denen ich spreche, haben dafür sogar Verständnis: Auch wir, sagen sie, müssen unseren Beitrag leisten angesichts der völlig veränderten internationalen Großwetterlage, die mehr Geld für Sicherheit und Verteidigung erfordert. Andere Rektor:innen dagegen sagen, die Schuldenbremse sei schuld. Aber wenn, da sind sich wiederum alle einig, dann soll "intelligent" gespart werden. Was genau würde das jedoch bedeuten?

 

Vor allem: nicht per Rasenmäher. Natürlich ist das am einfachsten, weil man dann die Konflikte nicht austragen muss, warum man an der einen Stelle mehr wegnimmt als an der anderen. Für das Gegenteil braucht es nicht nur Mut, sondern vor allem ein Leitbild, dessen transparente Erläuterung und konsequente Umsetzung.

 

Positive Ideen für die Zukunft –

auch wenn die nicht positiv aussieht

 

Wo will ein Bundesland wissenschaftspolitisch hin? Wo will es hochschulpolitische Schwerpunkte setzen, worauf verzichten und warum? Und ist eine Hochschulleitung in der Lage, zusammen mit der ganzen Hochschule ein Bild davon zu entwickeln, wie man sich aufstellen würde, wenn man plötzlich zehn oder 20 Prozent kleiner wäre?

 

Es braucht, anders formuliert, positive Ideen für eine Zukunft, die auf Jahre hinaus wenig positiv aussehen mag. So verstanden, ergibt die Vision vom Wissenschaftsratschef Wick dann doch wieder Sinn. Nein, eine demografische Rendite in der Hochschulfinanzierung wird es nicht geben. Aber die Gelegenheit, in der Krise neue Wege zu gehen, die schon.

 

Vermutlich aber wird kein noch so kreativer Schrumpfungsplan folgende Konsequenz der Kürzungen auffangen: Leidtragende wird wieder einmal vor allem die junge Generation sein. Wenn Stellen in großer Zahl nicht neu besetzt werden, bedeutet das schlechtere Chancen für Wissenschaftler:innen am Anfang ihrer Karriere.

 

Und wenn, wie von Initiativen wie "#IchBinHanna" gefordert, der Anteil der Dauerstellen unterhalb der Professur tatsächlich steigen sollte, dann vermutlich nur deshalb, weil vor allem befristete Stellen wegfallen, ohne dass neue entstehen. Da ist es dann ziemlich gleich, was am Ende in der Novelle eines Wissenschaftszeitvertragsgesetzes steht.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.



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