Was der deutsche 'Transfer' vom britischen 'Impact' lernen kann
An Hochschulen in Großbritannien zählt die gesellschaftliche Wirkung von Wissenschaft wie selbstverständlich zur Bewertung guter Forschung. Was bedeutet das? Ein Gastbeitrag von Albert Kümmel-Schnur.
DEUTSCHE HOCHSCHULEN TUN SICH SCHWER damit, ihre Beziehungen zum außerakademischen Umfeld zu definieren. Vor ungefähr einem Jahrzehnt hat man sich darauf geeinigt, den gut in den Natur- und Ingenieurswissenschaften etablierten Begriff des "Transfers" auszuweiten auf alle Bereiche der Kooperation und Interaktion zwischen außerakademischen und akademischen Akteuren.
Der Vorteil eines bereits eingeführten Begriffs wurde zum Nachteil eines erhöhten Erläuterungsbedarfs. Sollte damit ein allgemeines gesellschaftliches Engagement gemeint sein wie etwa im "service learning"? Suchte man eine größere Nähe zu realen Problemfeldern wie im "problem based learning"? Oder war jetzt jede Übertragung wissenschaftlichen Wissens in nicht-wissenschaftliche Kontexte – etwa ein Vortrag vor einem nichtwissenschaftlichem Publikum – bereits "Transfer"? Transfer als mitlaufende Querschnittsaufgabe oder als zusätzliche dritte Mission neben Forschung und Lehre?
Die Universität Konstanz lud im März den Botaniker und Forschungsdirektor beim DFG-Pendant Research England, Steven Hill, als Keynote Speaker auf eine Klausurtagung ein, die genau solche Fragen beantworten sollte. In Großbritannien ist das, was wir "Transfer" nennen, unter dem Begriff "Impact" seit vielen Jahrzehnten eine völlig selbstverständliche Praxis. Im britischen "Research Excellence Framework" wird "impact" beschrieben als "an effect on, change or benefit to the economy, society, culture, public policy or services, health, the environment or quality of life, beyond academia." Wie dieser Effekt genau erzielt wird, ist zweitrangig.
Wo die gesellschaftliche Wirkung von Wissenschaft anfängt
Hill benutzte zur Erläuterung das Beispiel der britischen Covid-Warn-App. Eine App sei einfach nur eine App. "It's just a thing that sits on your phone." Ihr Vorhandensein bedeute daher noch keine gesellschaftliche Wirkung von Wissenschaft. Die komme erst, wenn "people (to) continue their lives, not catch Covid, isolate themselves when they have Covid. That's the impact, the change, the effect."
Während eine solche Perspektive in Deutschland eher die Sorge um die Unabhängigkeit von Grundlagenforschung triggert, profitiert, Steven Hill zufolge, gerade exzellente Forschung von einer so definierten Impact-Orientierung. Diesen Schluss ermöglicht die spezifische Förder- und Reviewpraxis von Research England. Während die DFG festhält, dass sie keine transferbezogene Agenda verfolge, ist es bei Förderanträgen bei Research England Pflicht, den intendierten Impact im Antrag zu beschreiben. Auch der Forschungshaushalt der Hochschulen wird anhand eines Indikatorensystems, das seit 2014 im Rahmen des Research Excellence Frameworks erhoben wird, bestimmt. Impact Case Studies werden in diesem Kontext zu 25 Prozent gewichtet. Die Fallstudien werden veröffentlicht und stehen so der akademischen Community als Forschungsdaten, Informations- und Inspirationsquelle zur Verfügung.
Steven Hill betont, dass es wichtig sei, in offenen Zeit- und Raumbezügen zu denken, wolle man den Effekt wissenschaftlicher Forschung auf die gesellschaftliche Entwicklung korrekt verstehen. Nicht jede Forschung zeige unmittelbar eine Wirkung ‑ manchmal brauche es viel Zeit, bis eine Idee zu einer greifbaren gesellschaftlichen Veränderung heranreift. Und natürlich verändere sich diese Idee auf dem Weg.
Keine Sorge vor kurzatmigen Anwendungsbezügen
Damit wird das britische Impact-Konzept dann doch gut anschlussfähig auch für diejenigen unter den deutschen Wissenschaftler:innen, die sich Sorgen um allzu kurzatmige Anwendungsbezüge machen. "Impact" meint nicht angewandte Forschung. "Impact" zeigt die gesellschaftsverändernde Rolle von Forschung auf, kann der Forschung aber auch eine gesellschaftsgestaltende Richtung geben.
Auch wenn ein solcher Satz in Deutschland Ängste vor Fremdbestimmung und politischer Einflussnahme mobilisieren dürfte: Man kann ihn auch ganz angstfrei als Angebot verstehen, sich stärker gesellschaftlichen Fragen zu öffnen oder Fragen nach möglichen Bedeutungen der eigenen Arbeit jenseits rein akademischer Diskussionen mitlaufen zu lassen.
Es ist gut, wenn sich Forschung ihre Themen nicht von außerakademischen Akteuren vorgeben lässt. Gleichzeitig stellt es noch keinen Angriff auf die wissenschaftliche Freiheit dar, gesellschaftlich relevanten Themen einen größeren Raum bei Entscheidungen für Forschungs- oder Lehrprojekte zuzumessen. Ein Transfer, der sich nicht an seinem "Impact" bemessen will, bleibt letztlich symbolisch wie eine ausgestreckte Hand, der es gleichgültig ist, ob eine andere sie ergreift.
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Kommentare
#1 - Starkes Fazit!Vielleicht wäre auch der Begriff "Effect"…
Vielleicht wäre auch der Begriff "Effect" passend, um die "Wirkkraft" / Wirkung der Hochschultätigkeiten zu unterstreichen. Als "cause and effect" ist das Konzept den Forschenden ja auch bekannt.
Die Berücksichtigung der Wirkung stellt mMn die Grundlagenforschung gar nicht infrage, aber gibt den Hochschulen die Möglichkeit, Transfer format-übergreifend als Mehrwert für sich selbst und die Gesellschaft zu verstehen. Und sie kommuniziert die Legitimation der Hochschulen in einer zukünftigen Gesellschaft.
#2 - Die Haelfte meiner wissenschaftlichen Karriere habe ich in…
#3 - Thank you for this interesting article. In discussing…
The accepted UK definition is:
'Public engagement describes the myriad of ways in which the activity and benefits of higher education and research can be shared with the public. Engagement is by definition a two-way process, involving interaction and listening, with the goal of generating mutual benefit.'
(NCCPE)
A German definition for PE has been co-created by researchers and practitioners across Germany, led by the Berlin School of Public Engagement and Impact. This views PE as an umbrella term and framework which includes communication and participatory activity, but also the management of research impact and activity that drives an embedding of engagement culture throughout academic practice.
It's interesting to note that Academic Freedom comes up once again as an argument against impact (and transfer) activity. In my view this is a narrow minded and somewhat evasive point of view. Pursuing wider input to, and understanding of, the 'place' or potential of any research to make societal impact is a two way street. Good (two way) transfer makes as much impact TO the research (e.g. expansion of ideas, opportunities of collaboration, advocacy for the research to decision makers) as it can to society. This is why the definition of PE as dialogic in nature in both the UK and German definitions is so important.
#4 - In my humble opinion constitutes the 'academic freedom'…
#5 - @Johannsen"Und wenn man nachweisen kann, dass die…
"Und wenn man nachweisen kann, dass die Publikation X zu einer Aenderung der Praxis Y im NHS gefuehrt hat, dann hat man einen REF-Volltrefer gelandet."
Ob die Kinder, die in der Gender-Abteilung der Londoner Tavistock Clinic (NHS) mit --damals wissenschaftlich gehypten-- Pubertätsblockern behandelt wurden, das genau so sehen? Inzwischen ist diese Abteilung geschlossen.
Insgesamt ist die Haltung, die man im Britischen Englisch als "box-ticking mentality" bezeichnet, im wissenschaftlichen Bereich sehr fragwürdig.
#6 - Was soll man nach dem Brexit von dem englischen System…
#7 - Das britische System hat noch sehr viele Vorteile…
Entscheidend im Vergleich der Hochschulsysteme zwischen UK und D ist jedoch die Dynamik, mit der hier auf neue Herausforderungen reagiert werden kann. Ausserdem ist die Kultur der Zusammenarbeit hier um ein vielfaches interdisziplinaerer als in irgendeiner Abteilung, die ich in D kennengelernt habe (was viel damit zu tun hat, dass es hier keine Lehrstuehle gibt). Somit nochmals zum Transfer/Impact Thema: wir haben hier ein diverses Angebot an Initiativen (research integrity and open science club, impact cafe, public participation, diversity etc.), die im Kollegenkreis organisiert werden (nicht von aussenstehenden Verwaltungsmenschen oder Wissenschaftsmanager_innen). D.h. impact/Transfer werden hier bottom-up vorgelebt (z.B. "junior scientist days" fuer Grundschulschueler als Ferienaktivitaet).
#8 - Ich persönlich bin heilfroh, nicht in UK zu lehren,…
#9 - @heilfroh: ich weiss ja nicht an welcher Hochschule Sie…
Davon abgesehen, das Nichtvorhandensein eines einzelnen Verfassungstextes bedeutet nicht, dass die 'Wissenschaft' in UK unfrei waere. Jegliche Form der Zensur der Wissenschaft wird hier in UK genauso diskutiert wie in D und vielleicht ist es fuer diesen Diskurs sogar hilfreich, dass es hier nicht moeglich ist, sich beim Verbreiten von wissenschaftlichen Fehlinformationen auf einen einzelnen Verfassungsartikel zu berufen.
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