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Die unendliche Geschichte der Viertelparität

Eigentlich war die "Viertelparität", die Studis mehr Mitsprache bei der Präsidentenwahl geben sollte, für die TU Berlin schon beschlossen. Doch zehn Profs erhoben Einspruch: Jetzt stoppte die Wissenschaftsverwaltung die Umsetzung und will erneut prüfen.
Vorderansicht Hauptgebäude der TU Berlin

Hauptgebäude der TU Berlin. Foto: Gunnar Klack / flickr.

BEI DEM THEMA VIERTELPARITÄT gehen an der TU Berlin die Emotionen seit Jahren hoch. Aktuell wieder besonders. Die Verwaltung von Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) will einen TU-Gremienbeschluss zur Reform der Hochschulverfassung zunächst nicht umsetzen – wegen verfassungsrechtlicher Bedenken. Grund sei ein Beschwerdebrief von zehn namentlich nicht genannten Professor*innen, wie die Senatsverwaltung TU-Präsidentin Geraldine Rauch in einem Schreiben mitteilte, das diese an den Akademischen Senat weiterreichte. Nur zehn Profs – und eine mühsam über Jahre ausgehandelte Reform steht plötzlich wieder auf der Kippe?

Der Konflikt reicht weit zurück, einen Paukenschlag gab es 2013: Damals stimmte der Erweiterte Akademische Senat (EAS) für ein Ende der Professorenmehrheit – ein Tabubruch. Laut Bundesverfassungsgericht (1973) müssen Professoren bei allen Grundsatzentscheidungen in der Lehre mindestens die Hälfte der Stimmen haben. Bei Entscheidungen, die unmittelbar Forschung und Berufungen berühren, sogar die absolute Mehrheit.

Der EAS wollte das ändern: Künftig sollten alle vier sogenannten Statusgruppen – Professoren, Studierende, wissenschaftliche und sonstige Mitarbeiter – gleich viele Stimmen haben. Eine Mehrheit im Gremium wäre dann unabhängig von den Profs möglich – bundesweit einmalig. Und kurzlebig: Der Beschluss zur Viertelparität wurde als rechtswidrig kassiert.

Nach Jahren des Hin und Her folgte 2017 ein Kompromissvorschlag des damaligen TU-Präsidenten Christian Thomsen und des wissenschaftlichen Mitarbeiters Franz-Josef Schmitt: ein neues Gremium, der Wahlkonvent, der nur alle paar Jahre zur Wahl des Präsidiums zusammentritt – und in dem alle vier Statusgruppen die gleiche Macht haben. 40 zu 11 lautete das Votum im EAS für die Ausarbeitung. Der Plan: in vier Monaten.

Es wurden sieben Jahre. Gremiensitzungen, Klagen, Prüfungen. Bis im Jahr 2024 alle zuständigen Gremien – EAS, AS und Kuratorium – die Viertelparität im Wahlkonvent beschlossen hatten, als Teil einer größeren Reform der TU-Verfassung. Dabei berücksichtigten sie auch zahlreiche Bedenken und Auflagen der für die Rechtsaufsicht zuständigen Senatsverwaltung.

Verfassungsrechtliche Zweifel

Von der großen Revolution blieb nur eine Mini-Variante, aber dafür Deckel drauf nach mehr als einem Jahrzehnt? Das dachten zumindest viele an der TU, während sie auf die endgültige Bestätigung der neuen Grundordnung durch die Senatsverwaltung warteten.

Stattdessen teilte Czyborras Haus in dem Schreiben an TU-Präsidentin Rauch mit, dass man die Neufassung genehmige – mit Ausnahme des viertelparitätischen Wahlkonvents. Grund sei die Beschwerde von "10 Professor*innen der TU-Berlin, die teilweise Mitglieder des dortigen Akademischen Senats (AS) sind". Das Original der Beschwerde schickte die Verwaltung nicht, zitierte den Text aber vollständig in dem Schreiben an Rauch. Die zehn Profs fordern, den Grundordnungsentwurf "einer tieferen inhaltlichen und rechtlichen Prüfung zu unterziehen".

Sie und weitere Mitglieder des AS hätten "begründete Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit". Dann wird auf die Professorenmehrheit und auf aus ihrer Sicht einschlägige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts verwiesen: In dem Gremium, das über die Präsidentinnenwahl entscheidet, müssten Hochschullehrerinnen die Mehrheit haben – zumal die Präsidentin Drittmittelprojekte einwerbe und dadurch "viele Gestaltungsmöglichkeiten" habe, "die Universität strategisch auszurichten". Zudem sei durch die geplante Auszählung nach Statusgruppen die Geheimheit der Wahl gefährdet – und durch die Verkleinerung der Professorengruppe die Repräsentanz aller Fakultäten nicht sichergestellt. "Im Falle, dass Sie unsere Sorge nicht teilen", warnen die Briefeschreiber, "behalten wir uns rechtliche Schritte gegen das Inkraftsetzen der Grundordnung in der Ihnen vorliegenden Form vom 6.11.2024 vor."

Worauf Czyborras Haus mit der Teilgenehmigung reagierte und der Ankündigung, die Regelungen zum Wahlkonvent nochmal zu prüfen.

Christine Ahrend, Professorin für Integrierte Verkehrsplanung, bis 2022 TU-Vizepräsidentin und seit vielen Jahren Senatsmitglied, zeigt sich empört. Alle Auflagen seien umgesetzt worden, die Argumente im Brief fast ausnahmelos seit Jahren bekannt. "Die Verwaltung müsste sie allesamt bei ihren bisherigen Prüfungen der Reformpläne berücksichtigt haben."

Anders sieht das Sören Salomo, Professor für Technology and Innovation Management und ebenfalls Senatsmitglied. Schon die lange TU-interne Debatte zeigt, wie kritisch das Thema Viertelparitität nach wie vor gesehen werde. "Ernsthafte Bedenken zur Verfassungskonformität verdienen Sorgfalt." Er habe den Brief nicht mitverfasst, habe aber Verständnis für die darin geäußerten Bedenken. Die Wissenschaftsfreiheit sei ein hohes Gut.

Unverständnis bei Studierenden

Gabriel Tiedje vom AStA hält dagegen: "Ist die Wissenschaftsfreiheit nur eine Freiheit der Profs?" Für ihn, sagt Tiedje, stehe der Eingriff in die Hochschulautonomie im Vordergrund, wenn der Senat einen von allen zuständigen Gremien getroffenen Beschluss blockiere – dass der Beschwerdebrief der zehn Profs da nur ein Vorwand sei, "kann man zehn Meilen gegen den Wind riechen".

Tatsächlich existiert sogar ein Schreiben der Senatsverwaltung vom März 2023, in dem diese der TU bestätigt, dass "wir hinsichtlich der Einführung eines viertelparitätischen Wahlkonvents eine einvernehmliche Lösung skizzieren konnten und damit die Einführung der Viertelparität an der TU, vorbehaltlich der Zustimmung der Gremien und der Vorlage eines entsprechenden Antrags ermöglichen können." Unterzeichnet von der damaligen Staatssekretärin Armaghan Naghipour.

Fest steht: Mit der teilgenehmigten Grundordnung werden die Absichten der Reformer vorläufig ins Gegenteil verkehrt. Denn um die Viertelparität bei der Präsidiumswahl verfassungskonform mit der Professorenmehrheit zu machen, wurde zugleich die Hürde für Kandidatenvorschläge im Akademischen Senat von 30 auf 50 Prozent erhöht. Und die neue Hürde gilt im Gegensatz zur Viertelparität jetzt – mit der Folge, dass der Einfluss der Profs größer ist als vorher. Einen "Skandal" nennt das Professorin Ahrend.

Die Senatsverwaltung empfiehlt derweil in ihrem aktuellen Schreiben an das TU-Präsidium "dringend, innerhalb der Hochschule eine Lösung für die Grundordnung herbeizuführen, die von allen Gruppen und Gremienmitgliedern in der Umsetzung mitgetragen wird."

Czyborra kündigt Prüfung an

Die Gremien der Universität arbeiten nach dem demokratisch etablierten Mehrheitsprinzip, nicht nach Einstimmigkeitsprinzip, hält TU-Präsidentin Rauch dagegen. Die Entscheidung für den Wahlkonvent sei zudem nach geltenden Regeln – inklusive Professorinnenmehrheit im AS und EAS – getroffen worden. "Die Senatsverwaltung hat die Umsetzung der Beschlüsse, aufgrund eines Schreibens von einzelnen Professorinnen pausiert. Da das Schreiben keine neuen, nicht bereits adressierten Argumente enthält, erwarte ich eine zügige Umsetzung."

Christine Ahrend sagt, sie sei keine grundsätzliche Befürworterin der Viertelparität, die Professorenmehrheit bei zentralen Fragen sei angemessen. Im Wahlkonvent aber halte sie die Gleichberechtigung aller Statusgruppen für unabdingbar, weil nur dadurch alle Statusgruppen zusammen Verantwortung für die Wahl einer Hochschulleitung übernähmen. "Gerade in Zeiten wie jetzt, in denen Sparmaßnahmen umgesetzt werden müssen, braucht es diese maximale Legitimation."

Und Wissenschaftssenatorin Czyborra? "Demokratisch verfasste Hochschulen seien ihr „ein sehr wichtiges Anliegen", sagt sie auf Anfrage. Demokratische Institutionen lebten von einer breiten Beteiligung. "Wenn eine zweistellige Zahl an Professor*innen, darunter Mitglieder des Akademischen Senats, sich davon in ihren von der Verfassung verbrieften Rechten beschnitten fühlt und ankündigt, dagegen juristisch vorzugehen, sehe ich mich als zuständige Senatorin gemäß der Rechtsaufsicht gezwungen, diesen Sachverhalt weiterer, eingehender Prüfungen zu unterziehen."

Sie habe zu wählen gehabt zwischen der Option, "die Grundordnung gar nicht, auch nicht wie jetzt in Teilen, zu genehmigen, was aber die Universität in ihrem Prozess aufgehalten hätte – oder einen Wahlkonvent in einer Form zu genehmigen, der direkt beklagt werden würde." Die TU brauche vor allem Rechtssicherheit, damit sie wisse, wie sie sich in ihrer internen Verfasstheit weiterentwickeln könne.

Zu viel Sorge vor den unmittelbaren Folgen einer juristischen Auseinandersetzung müsste sich Wissenschaftssenatorin Czyborra indes nicht machen, wie der Blick nach Thüringen zeigt. Dort hatten 32 Professoren Verfassungsklage gegen eine Neufassung des Thüringer Hochschulgesetz eingereicht, die eine deutlich weitergehende Viertelparität umfasste. Das war 2019. Und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht immer noch aus.

Die "grundsätzliche Viertelparität" in den Selbstverwaltungsgremien der Thüringer Hochschulen sei inzwischen die gelebte Praxis, sagt ein Ministeriumssprecher. Die Landesregierung geht unverändert davon aus, dass die vom Gesetzgeber gefundene Lösung einer partiellen Viertelparität mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben im Einklang stehe. "Es besteht insbesondere keine Veranlassung und im Übrigen für die Landesverwaltung auch keine Befugnis, bis zu einer Entscheidung in der Sache von der gesetzlichen Vorgabe abzuweichen."

Dieser Artikel erschien in einer gekürzten Fassung zuerst im Tagesspiegel.

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Kommentare

#1 -

Aus der Provinz | Fr., 16.05.2025 - 11:49
Parität klingt zunächst nach einem fairen und demokratischen Prinzip – gleiche Stimmanteile für alle Statusgruppen. In der Praxis kann das jedoch problematisch sein. Ich kenne die konkrete Situation an der TU Berlin nicht, aber an unserer kleinen Provinzhochschule zeigt sich: Die Parität kann durch strategisches Vorgehen einzelner Gruppen leicht ausgenutzt werden. Wenn z. B. gezielt abhängige Studierende (man betreut Haus-/Abschlussarbeiten o.ä.) motiviert werden, für den Senat zu kandidieren, gleichzeitig Verwaltungsmitarbeitende ins Boot geholt werden – mitunter sogar in Abhängigkeitsverhältnissen – und man sich mit einigen professoralen Mitgliedern abstimmt, entsteht schnell ein machtvoller Block. So lässt sich mit vergleichsweise wenig Aufwand erheblicher Einfluss auf hochschulpolitische Entscheidungen gewinnen. Das wirft Fragen auf, wie gut das Prinzip Parität tatsächlich vor Machtkonzentration schützt.

#2 -

Wolfgang Kühnel | Fr., 16.05.2025 - 12:00
Neu ist das alles nicht, denn 1970 wurde in Berlin (West) die Viertelparität für kurze Zeit eingeführt und alsbald wieder abgeschafft: https://furios-campus.de/2020/07/15/eine-kleine-geschichte-der-viertelparitaet/?story Dr. Google teilt unter Berufung auf anynome KI mit: "Die Einführung der Viertelparität an der TU Berlin im Jahr 1970 ist ein historischer Schritt, der die Beteiligung aller vier Statusgruppen (Studenten, wissenschaftliche Mitarbeiter, Mitarbeiter in Technik, Service und Verwaltung sowie Professoren) an Entscheidungen stärkt." Das neue Hochschulgesetz von 1969 wandelte damals auch alle Fakultäten in Fachbereiche um und schaffte die Dekane ab, später wandelte man dann die Fachbereiche wieder in Fakultäten mit Dekanen um. Ebenso schaffte man die Oberassistenten ab und leitete die bis dahin ernannten zu C2-Professoren über. Später führte man die Oberassistenten dann wieder ein (aber befristet). Gleichzeitig führte man Assistenzprofessoren ein und schaffte sie wenige Jahre später wieder ab, inzwischen haben wir die recht ähnlichen Juniorprofessoren. Die üblichen "zyklischen" Reformen halt -- immer aufgrund der Weisheit von Parteipolitikern. Ich frage mich allerdings, wie die Wahl der Leitungspositionen z.B. bei der Firma Bertelsmann geregelt ist, wo doch die Bertelsmann-Stiftung sich immer so für Demokratisierung stark macht. Welche Parität gilt da?

#3 -

Timo | Sa., 17.05.2025 - 13:32
Es ist immer wieder erstaunlich, wie Hochschulmitglieder sich mit ihrem berechtigten Autonomieanspruchs außerhalb der Grundrechtsrechtsprechung von 1973 wähnen. Auch in Thüringen ist die Professorenmehrheit für die grundrechtsrelevanten Angelegenheiten gesichert. Dazu wäre allerdings eine gründlichere Lektüre des Hochschulgesetzes notwendig.

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