Immer weniger Grundschüler können schwimmen
Kaputte oder geschlossene Schwimmbäder, fehlende Lehrer, kaltes Wasser – dem Schwimmunterricht steht das Wasser bis zum Hals. Doch international steht Deutschland nicht einmal schlecht da.

Foto: Michal Jarmoluk / Pixabay.
EIN SPRUNG ins kalte Wasser? Für viele Berliner Kinder ist er längst bittere Realität. Spätestens seit die Berliner Bäder-Betriebe aus Spargründen beschlossen haben, die Freibäder größtenteils nicht mehr zu beheizen, stellt sich die Frage, was das für das Schwimmenlernen bedeutet – und für die Sicherheit von Kindern. Zwar soll der Schulschwimmunterricht weiter ausschließlich in beheizten Hallenbädern stattfinden, wie die Senatsverwaltung für Bildung betont. Dort beträgt die Wassertemperatur mindestens 26 Grad. Doch das ist nur ein Ausschnitt aus einem größeren Bild – und das ist besorgniserregend.
Der Anteil der Grundschulkinder, die gar nicht schwimmen können, hat sich laut DLRG-Umfragen bundesweit zwischen 2017 und 2022 verdoppelt – von zehn auf 20 Prozent. Schon vor der Pandemie war die Lage kritisch: Nur noch rund 40 Prozent der Zehnjährigen erreichte laut DLRG das Niveau "sicher schwimmen können". Das entspricht dem Deutschen Schwimmabzeichen in Bronze. 2010 waren es noch 50 Prozent.
Situation schon vor Corona kritisch
Die Motorik-Modul-Studie ("MoMo"), Teil des bundesweiten, repräsentativen Kinder- und Jugendgesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts, bestätigt diesen Trend: 22 Prozent der Grundschulkinder gaben an, nicht schwimmen zu können. Unter Kindern aus armen Familien oder mit Migrationshintergrund war die Nichtschwimmer-Quote noch deutlich höher. Allerdings stammen die Zahlen aus der Erhebung zwischen 2018 und 2022. Was die Corona-Pandemie mit jahrelang ausgefallenen oder gekürzten Anfängerkursen für Folgen hatte, das soll eine neue Erhebungswelle klären, die zurzeit läuft.
Klar ist: Der schulische Schwimmunterricht ist von entscheidender Bedeutung. Und es gibt klare Vorgaben. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat zuletzt 2017 gemeinsam mit Sportwissenschaft und Schwimmverbänden festgehalten, dass alle Schülerinnen und Schüler spätestens am Ende der Grundschule sicher schwimmen können sollen. Empfohlen wird ein Schwimmunterricht von mindestens 30 Stunden, idealerweise verteilt auf das gesamte Schuljahr.
Allerdings: Über die Umsetzung ihrer Empfehlungen in den Ländern weiß die KMK wenig – und auch nicht, wie viel Unterricht tatsächlich erteilt wird. "Dazu führt die KMK keine Statistiken", sagt Sprecher Andreas Schmitz. "Der Bau und das Betreiben von Schwimmbädern sind grundsätzlich Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung." Manche Länder unterstützen die Kommunen bei dieser Aufgabe mithilfe von Förderprogrammen.
Kaputte, geschlossene und unbeheizte Bäder
DLRG-Sprecher Martin Holzhause sagt, in den vergangenen 20 Jahren seien deutschlandweit bereits mehrere hundert Bäder dauerhaft geschlossen worden. 2006 hätten laut einer Studie 20 Prozent der deutschen Grundschulen keinen Ort für ihren Schwimmunterricht gehabt. "Heute dürfte der Anteil noch größer sein." Außerdem fehle es oft an Lehrkräften mit der nötigen Qualifikation für den Schwimmunterricht. "An den Grundschulen wird Sportunterricht oft fachfremd unterrichtet. Und selbst wer Sport auf Lehramt studiert, muss während des Studiums nicht die dafür nötige Qualifikation erlangen."
Berlin hat 38 Hallenbäder, doch sieben davon sind aktuell gesperrt – wegen Baustellen oder Schäden. In der Berliner Grundschulverordnung ist festgehalten, dass der Schwimmunterricht verpflichtend spätestens in Klassenstufe 3 stattfinden muss, Umfang: eine Stunde pro Woche. Es würden für alle Schulen in den Bezirken zur Durchführung des Schwimmunterrichts Wasserzeiten zur Verfügung gestellt, versichert die Bildungsverwaltung.
Und wie ist die Realität? Ob und warum der Schwimmunterricht trotzdem ausfalle, werde "bezirksseitig nicht erhoben", sagt Sprecher Martin Klesmann. Was die Bildungsverwaltung weiß: Im Schuljahr 2023/24 Berlin nahmen rund 33.500 Grundschulkinder am Schwimmunterricht teil – bei insgesamt 198.000 Schülern in Klasse 1 bis 6, was für eine sehr hohe Abdeckungsquote spricht, aber noch nichts über die Qualität des Schwimmunterrichts aussagt.
Kaum kostenfreie Angebote
Außerdem bieten in Berlin Schwimmvereine und der Landessportbund ergänzende Intensivkurse an, allein 6505 Kinder nahmen vergangenes Jahr daran teil. "Nach den kostenlosen Schwimm-Intensivkursen in den Osterferien 2025 gibt es in Berlin 289 Kinder mehr, die das Seepferdchen gemacht haben", sagt Klesmann. 441 Kinder hätten das Schwimmabzeichen in Bronze und 129 Kinder das in Silber erworben. Doch diese Angebote sind freiwillig und erreichen vor allem engagierte Familien. Dabei sollte die Schule der Ort sein, an dem jedes Kind – unabhängig vom Geldbeutel und Engagement der Eltern – Schwimmen lernt. Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) betont, kurzfristig wolle man pandemiebedingte Rückstände aufholen. "Unser Ziel ist klar: Alle Kinder sollen spätestens am Ende der Grundschule sicher schwimmen können."
Doch kann dieses Ziel erreicht werden, wenn ausgerechnet die Intensiv-Kurse in den Sommerferien (im Gegensatz zu denen in den Osterferien) traditionell in den Freibädern stattfinden? Die Erfahrung zeige: "Sind die Wassertemperaturen zu niedrig, fällt es Kindern schwerer schwimmen zu erlernen", sagt DLRG-Mann Holzhause. "Viele frieren schnell und sind nicht mit Freude bei der Sache, was den Lernfortschritt erheblich behindert und den Lernprozess verlängert." Schwimmkurse sollten in einer Wassertemperatur von mindestens 26 Grad stattfinden.
Mehr als Schutz vor Ertrinken
Wer nicht schwimmen könne, verliert im schlimmsten Fall sein Leben, sagt Martin Holzhause. Zum Glück sei die Zahl der tödlichen Badeunfälle von Kindern gesunken – von deutschlandweit 45 pro Jahr in den 2000er Jahren auf 18 im aktuellen Durchschnitt. Die DLRG sieht den Grund dafür allerdings in besserer Prävention und höherer Wachsamkeit der Eltern – nicht in besserer Schwimmausbildung.
Schwimmen sei außerdem mehr als nur Schutz vor Ertrinken, sagt Holzhause, es sei elementar wichtig, an Bewegung und Sport teilzuhaben: "Regelmäßige Bewegung stärkt Konzentration, Lernfähigkeit und Gesundheit." Schwimmen beanspruche mehrere Muskelgruppen gleichzeitig, Kinder erlebten im Wasser außerdem unterschiedlichste Sinneserfahrungen wie Druck, Auftrieb oder Gleichgewichtsempfinden und erweitern so ihr Körperbewusstsein. "Die in diesem Erlebnisraum gesammelten Erfahrungen sind für die psychische und soziale Entwicklung von Kindern einzigartig." Und es gehe auch um Teilhabe: "Viele verbinden Sommer und Sonne mit Strand und Meer – oder der Portion Pommes im Freibad. Dort kommen alle sozialen Schichten zusammen, völlig unabhängig von Herkunft oder Einkommen. Wer nicht schwimmen kann, kann möglicherweise nicht mit den Freunden ins nasse Vergnügen." Es drohe soziale Ausgrenzung.
Schwimmfähigkeit im europäischen Vergleich "gut"
Wie gut Deutschlands Kinder im internationalen Vergleich schwimmen können, war bislang unklar. Ein europäisches Forschungsprojekt namens "Aquatic Literacy for Children" hat jetzt die Schwimmfähigkeiten von 6- bis 12-Jährigen in Deutschland und sechs weiteren Ländern erhoben, darunter Frankreich, Portugal und Norwegen. Die Ergebnisse sollen Ende Juni verkündet werden. Was die deutsche Studienleiterin Ilka Staub von der Deutschen Sporthochschule Köln dem Tagesspiegel schon vorab verrät: Deutschland liege zwar nicht an der Spitze, schneide aber im europäischen Vergleich "gut" ab.
Ist also Entwarnung angesagt? Bautechnisch jedenfalls nicht. Eine Befragung des Deutschen Instituts für Urbanistik unter Finanzverwaltungen in den Gemeinden ergab: Der Sanierungsstau ist derart gewaltig, dass ohne umfassende Sanierungen schon in den nächsten drei Jahren bundesweit rund 800 öffentlichen Schwimmbädern die Schließung droht – jedem siebten. Die DLRG fordert deshalb neben mehr qualifizierten Lehrkräften und einem verbindlichen Rahmen für den Schwimmunterricht vor allem einen bundesweiten Bäderbedarfsplan und mehr Investitionen in die Infrastruktur. Sonst bleibt vielen Kindern bald nicht einmal der Sprung ins kalte Wasser.
Kommentare
#1 - Auch ein Ausbildungsproblem
Bleibt nur, darauf hinzuweisen, dass die Schwimmbadproblematik nicht nur ein Infrastruktur-, sondern auch ein Ausbildungsproblem ist. Es fehlen überall Fachangestellte für Bäderbetriebe, die früher sogenannten Bademeister die neben ihrer klassischen Tätigkeit am Beckenrand auch die technischen Anlagen überwachen, Wasseranalysen durchführen, mit den Chemikalien arbeiten und für die Pflege der bäder- und freizeittechnischen Anlagen verantwortlich sind. Ein Ausbildungsberuf, der nicht üppig bezahlt wird, und ein Arbeitsmarkt, bei dem die privaten Spassbäder mit den städtisch betriebenen Frei- und Hallenbädern hart miteinander konkurrieren. Hier muss man sich parallel zur Badsanierung auch etwas einfallen lassen, um die Attraktivität des Berufs zu steigern.
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