Direkt zum Inhalt

Digitale Welt, geteilte Meinungen

Das ifo-Bildungsbarometer zeigt: Erwachsene wollen strenge Regeln, Jugendliche sind gespalten. Politik und Wissenschaft suchen derweil nach einer Balance zwischen Schutz und Chancen.
Jugendliche sitzen auf einer Mauer und nutzen ihre Handys.

Foto: marymarkevich / freepik.

DIE DEUTSCHEN SIND hin- und hergerissen, wenn es um den Umgang von Kindern und Jugendlichen mit digitalen Medien geht. Das zeigt das neue ifo Bildungsbarometer 2025, das erstmals nicht nur Erwachsene, sondern auch Jugendliche selbst befragt hat. Im Kern offenbart die bevölkerungsrepräsentative Studie eine Mischung aus Regulierungswünschen und Gestaltungsoptimismus.

Eine überwältigende Mehrheit der Erwachsenen – 85 Prozent – befürwortet ein Mindestalter von 16 Jahren für Social Media. Unter Jugendlichen ist die Meinung gespalten: 47 Prozent sind dafür, 42 Prozent dagegen. Auffällig: Viele 16- oder 17-Jährige befürworten die Beschränkung, während die 14- und 15-Jährigen mehrheitlich (zu 51 Prozent) dagegen sind.

"Bemerkenswert ist aber, dass selbst bei den Jüngeren 39 Prozent ein Mindestalter von 16 wollen – obwohl es um etwas geht, was sie selbst gerne nutzen. Das ist fast schon ein Hilferuf", sagt ifo-Bildungsökonom Ludger Wößmann.

Darstellung Zustimmungsraten unter Erwachsenen und Jugendlichen zum Thema Handyverbot an Grundschulen

ifo Bildungsbarometer 2025, Grafik: Wiarda-Blog.

Einigkeit über alle Altersgruppen hinweg besteht bei der Frage nach der Handynutzung an Schulen: Zwei Drittel der Erwachsenen und knapp 60 Prozent der Jugendlichen wollen Smartphones im Unterricht verbieten. Selbst in den Pausen an Grundschulen wünscht sich mehr als die Hälfte ein Verbot. Tatsächlich unterscheiden sich die Regelungen stark von Bundesland zu Bundesland, und die Kultusminister planen bislang keine bundeseinheitliche Linie. Allerdings lässt sich ein deutlicher bildungspolitischer Trend hin zu einer stärkeren Reglementierung vor allem in den unteren Klassen beobachten, wie zuletzt wieder eine Übersicht von Table Media zeigte.

Internationale Parallelen und Unterschiede

Die Ergebnisse des ifo Bildungsbarometers decken sich mit dem Ipsos Education Monitor 2025, der fast zeitgleich veröffentlicht wurde. In der Online-Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsunternehmens sprachen sich 53 Prozent der Deutschen für ein Social-Media-Verbot für Jugendliche aus – ein Plus von 13 Punkten gegenüber dem Vorjahr. Da in der Ipsos-Befragung die Altersgrenze bei 14 angesetzt wurde, sind die konkreten Prozentzahlen nicht vergleichbar.

Laut Ipsos, das die gleiche Befragung in 30 Ländern durchgeführt hat, liegt Deutschland mit 53 Prozent zwar international am unteren Ende, zeigt aber eine deutliche Verschiebung der Stimmung hin zu der Forderung nach einem Social-Media-Mindestalter. Ähnlich beim Smartphone-Verbot an Schulen: Ipsos nennt 56 Prozent Zustimmung, ein Wert, der ziemlich genau im Korridor der ifo-Befragung liegt.

Darstellung Zustimmungsraten für Mindestalter bei Social Media Nutzung

ifo Bildungsbarometer 2025, Grafik: Wiarda-Blog.

Unterschiedlich ist der Blick auf Künstliche Intelligenz: Ipsos konstatiert Zurückhaltung, nur 22 Prozent der Befragten erwarten vor allem positive Effekte. Das ifo-Barometer hingegen zeigt, dass KI im Alltag Jugendlicher längst angekommen ist: 82 Prozent nutzen sie für schulische oder berufliche Zwecke, rund die Hälfte sogar täglich. Zwei Drittel wünschen sich Unterricht über KI. "Jugendliche sehen KI sehr pragmatisch: Sie wissen, sie ist längst Teil ihrer Realität – und sie wollen lernen, richtig damit umzugehen", sagt ifo-Wissenschaftler Wößmann.

Zuletzt warnte eine Untersuchung der Krankenkasse DAK des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), dass mehr als 25 Prozent aller 10- bis 17-Jährigen einen riskanten oder krankhaften sozialen Medienkonsum zeigten. Gegenüber der Vor-Corona-Zeit sei das mehr als eine Verdopplung, und Jungen seien deutlich stärker betroffen als Mädchen. Von einem "Tsunami an Suchtstörungen" sprachen die Studienmacher bei Veröffentlichung – auch beim Computerspielen: Hier zeigten zwölf Prozent der Kinder und Jugendlichen ein problematisches Verhalten. 3,4 Prozent spielten krankhaft oft.

Olaf Köller, Direktor des IPN Kiel und Co-Vorsitzender der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz, spricht von einem "echten Problem": "Niemand kann da mehr wegsehen. Übe eine Million gefährdete Jugendliche durch Social Media und eine weitere halbe Million durch exzessives digitales Gaming: Das sind gewaltige Zahlen."

Auch das Bildungsbarometer zeigt, wie stark digitale Medien den Alltag von Kindern und Jugendlichen durchdringen: Neun von zehn nutzen regelmäßig Social Media, fast zwei Drittel täglich. Auch bei der Gesamtzeit ist das Ausmaß beträchtlich: Im Durchschnitt verbringen Jugendliche laut ifo-Befragung mehr als zweieinhalb Stunden pro Tag in sozialen Netzwerken – zusätzlich zu Streamingdiensten und Gaming. Erwachsene sind tendenziell etwas kürzer in den Social Media unterwegs – aber auch bei ihnen ist der zeitliche Umfang immer noch beträchtlich.

Zwischen Regulierung und Aufklärung

Die Bundesregierung hat Ende August die im schwarz-roten Koalitionsvertrag angekündigte "Expertenkommission Kinder- und Jugendschutz in der digitalen Welt" eingesetzt. Vorsitzende sind die Bildungs- und Digitalpolitikerin Nadine Schön – und Olaf Köller.

"Unser Ziel ist eine digitale Umgebung, in der junge Menschen sicher aufwachsen und sich frei entfalten können", erklärte Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) zur Vorstellung in der Bundespressekonferenz. Daher reichten die vier Handlungsfelder weit über die Schule hinaus, um, so Prien, eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme in ganzer Breite zu ermöglichen. Es gehe um ein sicheres digitales Umfeld für Kinder und Jugendliche, die gesundheitliche Folgen des Medienkonsums, die Herausforderungen durch künstliche Intelligenz und die Stärkung von Medienkompetenz von Kindern, Jugendlichen, Eltern und Fachkräften. "Dabei setzen wir bewusst darauf, die Kommission wissenschaftlich interdisziplinär und unter Einbeziehung der Fachpraxis zu besetzen und von Anfang an alle staatlichen Ebenen und relevanten Akteure einzubinden", sagte Prien – die Länder etwa über einen Beirat.

Vor allem aber geht es darum, eine hochpolitisierte Debatte wieder ein Stück weit zu versachlichen: "Wir dürfen nicht nur über Verbote sprechen, sondern müssen in Schule präventiv und unterstützend handeln – damit Jugendliche lernen, kompetent mit Social Media und anderen digitalen Instrumenten umzugehen", sagt Olaf Köller – zumal etwa die Studienlage teilweise "sehr unscharf" sei: "Es gibt keine klare Evidenz, dass Handyverbote Jugendlichen wirklich helfen oder die negativen Folgen von Social Media mindern."

Ifo-Bildungsökonom Wößmann sagt dagegen, er halte es für falsch, dass einige Bundesländer immer noch die Verantwortung komplett an die Schulen abgeben. "In Grundschulen oder der Sekundarstufe I braucht es klare Regeln – sonst hängen in der Pause alle nur am Handy."

Ministerin Prien wollte sich während der Pressekonferenz bei der Frage möglicher Altersbegrenzungen nicht festlegen, dafür habe man ja die Kommission einberufen. Stattdessen plädierte die Ministerin für eine differenzierte Debatte über Verbote und Bildschirmzeiten hinaus: Es gehe auch um Fragen von Gesundheit, von Bildung und Erziehung.

Die 16-köpfige Kommission soll noch im Herbst ihre Arbeit aufnehmen und innerhalb eines Jahres ihre Empfehlungen vorlegen, die sich an Bund, Länder, Kommunen und die Zivilgesellschaft richten sollen. Prien kündigte an, Formate zur Beteiligung und Befragung gerade von Kindern und Jugendlichen, soweit sie von den Experten vorgeschlagen würden, zu finanzieren – alles, was "sinnvoll und notwendig" sei.

Auch Europa ringt um gemeinsame Linie

Parallel arbeitet auch die EU an Lösungen. Ein EU-weites Verbot sozialer Medien für Jugendliche werde man nicht in Betracht ziehen, weil ein solches laut Kommissionssprecher Thomas Regnier in die Kompetenz der Einzelstaaten falle. Doch von 2026 an soll eine App zur Altersverifizierung Altersbeschränkungen im digitalen Raum technisch besser durchsetzbar machen. Diesen Herbst will die Kommission zunächst fünf EU-Staaten einen Prototyp der App zum Ausprobieren zur Verfügung stellen: Frankreich, Spanien, Dänemark, Griechenland und Italien. Köller sieht darin ein wichtiges Instrument: Schlupflöcher werde es weiter geben, aber die Hürde steige deutlich.

Apropos Frankreich: Präsident Emmanuel Macron hatte im Juni verkündet, er werde der EU drei Monate Zeit geben, sich auf ein Social-Media-Mindestalter zu verständigen, andernfalls werde Frankreich allein handeln und soziale Medien für seine unter 15-Jährigen verbieten – so, wie es Australien bereits getan hat. Die drei Monate sind jetzt um.

Neuen Kommentar hinzufügen

Ihr E-Mail Adresse (wird nicht veröffentlicht, aber für Rückfragen erforderlich)
Ich bin kein Roboter
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.

Vorherige Beiträge in dieser Kategorie


  • Auszug Grafik aus dem Schulbarometer 2025 zum Umgang von Lehrkräften mit KI-Tools.

Künstliche Intelligenz, echte Überforderung

Während ChatGPT und Co. längst zum Alltag der Schüler:innen gehören, fehlt es vielen Lehrkräften an Know-How, Zeit und Unterstützung. Dabei ist die Digitalisierung nicht einmal die größte Herausforderung an den Schulen, zeigt die neue Schulbarometer-Umfrage.


  • Das Kernteam beim Start der Fotosessions, rechts Sabine Doff, links Gesine Born

"Bildungsgerechtigkeit ist eine Überlebensfrage"

Was heißt Bildungsgerechtigkeit im Alltag? Die Bildungsforscherin Sabine Doff suchte in Bremer Schulen nach Antworten. Entstanden ist eine einzigartige Ausstellung über Schüler, Lehrkräfte und Pädagoginnen – und ihre Erwartungen an Schule im 21. Jahrhundert.


  • Sabine Klemm, Heike Hertha und Frank Durek von der Grundschule am Sandsteinweg in Berlin-Neukoelln.

Ganztag: Eine Grundschule in Berlin zeigt, wie es funktioniert

Angebote für alle Kinder nach Unterrichtsende versprechen mehr Chancengleichheit. Doch es gibt diverse Modelle für den Ganztag. Wie sich eine Grundschule in Neukölln wandelt, was das mit der Schulleitung zu tun hat – und was Bildungsforscher sagen.


Nachfolgende Beiträge in dieser Kategorie


  • Portraitfoto Rebecca Timmermann

Weniger korrigieren, mehr für die Schüler da sein

Rebecca Timmermann leitet ein Gymnasium in Schleswig-Holstein und ist Startup-Gründerin. Im Interview erklärt sie, wie ihre künstliche Korrektur-Intelligenz "Noten Copilot" Lehrkräfte entlastet.


  • Vektorgrafik einer diversen Gruppe von Lehrerinnen und Lehrer in einem Klassenraum.

Lehrkräfte zufrieden, Deutschland abwesend

Die internationale Pädagogenbefragung TALIS offenbart Motivation, Stress und neue Herausforderungen im Lehrerberuf – doch Deutschland macht nicht mit. Das muss sich ändern.


  • Stilleben Lehrerschreibtisch mit Buechern, Apfel, Wecker und Becher mit Buntstiften.

Wie viel arbeiten Lehrkräfte wirklich?

Sachsen ist dieser Frage mit einer bislang einzigartigen Arbeitszeitstudie nachgegangen – und liefert die Grundlage für eine Debatte, die bald alle Länder führen müssen.