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Lasst uns weniger über die Probleme und mehr über die Ziele reden

Während Vergleichsstudien die Defizite offenlegen, fehlt im deutschen Schulsystem die Richtung. Wir brauchen eine Bildungspolitik, die sich auf Ergebnisse konzentriert, und Schulen, die selbst Verantwortung übernehmen. Ein Gastbeitrag von Frank Thalhofer.
Portraitfoto von Frank Thalhofer.

Nach dem Lehramtsstudium arbeitete Frank Thalhofer bei mehreren Bildungsmedienanbietern, zuletzt zehn Jahre als Geschäftsführer und Chief Didactic Officer der Cornelsen Gruppe in Berlin. Heute ist er Vorstandsmitglied der Cornelsen Stiftung Lehren und Lernen und der Franz Cornelsen Stiftung.

Foto: Cornelsen Verlag / Bernd Jaworek.

TROTZ VIEL ENGAGEMENT von Lehrkräften und Lernenden an deutschen Schulen sehen wir rückläufige Ergebnisse bei Vergleichsstudien wie PISA, ICILS oder dem aktuellen IQB Bildungstrend zur Mathematik und Naturwissenschaften. Wirksame Verbesserungen zu erreichen, scheint im deutschen Bildungssystem fast unmöglich.

Viele Unternehmen mit großen Transformationsherausforderungen haben eine Methode gewählt, die ursprünglich aus der Softwareentwicklung stammt: die agile Entwicklung, gesteuert von kundenorientierten "Outcomes", umgesetzt von selbständig handelnden, agilen Teams, die sich an der Erfüllung ihrer "Outcomes" messen lassen müssen. Bei aller gebotenen Vorsicht von Methodentransfer aus der Wirtschaft in ein Bildungssystem sehe ich darin eine große Chance für neue Dynamik.

Entscheidend bei der Methode ist dabei der Begriff "Outcome", der die bei und für Kund*innen erzielte Wirkung beschreibt, meist in Form von "Objectives and Key results" (OKR), also in messbare Ziele und Indikatoren übersetzt.

Von der Absicht zur Wirkung

Übertragen auf Schule sind zwei Dinge dabei zentrale Erfolgsfaktoren: erstens von "Outcomes" aus denken, also den fürs selbstbestimmte Leben zu erwerbenden Kompetenzen der Lernenden, und zweitens die Kraft von "agilen Teams" im Schulwesen nutzen, die sich an gemeinsamen übergreifenden, motivierenden Zielen ausrichten und an deren Erreichung arbeiten.

Vielleicht fragen einige jetzt: Kennen wir das mit der Kompetenz- und Outcomeorientierung nicht schon aus der Reformzeit im Gefolge des PISA-Schocks Anfang der 2000er Jahre? Stimmt, aber in Wahrheit wurde das Konzept damals wenig verstanden. Ich erinnere an die erbitterte Auseinandersetzung zwischen kompetenzorientiertem versus lernzielorientiertem Unterricht mit dem Argument, Kompetenzorientierung sei nur eine leere Hülle. Eine konsequente Kompetenzorientierung wurde nicht umgesetzt.

Auf allen Ebenen – von wenigen Ausnahmen abgesehen (die prominenteste in Hamburg) – erleben wir eine hierarchische Topdown-Ausrichtung von neuen Lehrplänen über die Veränderung von Stundentafeln bis hin zum Schrauben an den Klassenteilern, ohne dass die Effekte auf zu messende Kompetenzen ausreichend beschrieben, die Outcomes definiert oder die notwendigen Verbesserungen aus Messungen abgeleitet würden. Noch dramatischer: Die Betroffenen – also Lehrkräfte und Lernende – werden in Zielformulierung und deren Umsetzung so gut wie nie auf Augenhöhe einbezogen.

Weder auf den den Websites der Kultusministerkonferenz oder einzelner Bildungsministerien noch auf Bundesebene lassen sich "Outcomes" oder definierte messbare Indikatoren finden. Immerhin begleitet das milliardenschwere "Startchancen-Programm" ein konkretes Ziel: Bis zum Ende seiner Laufzeit soll der Anteil der Lernenden, die die Mindeststandards in Mathematik und Deutsch nicht erreichen, halbiert werden.

Ohne messbare Ziele kein Fortschritt

Das erste große Problem des deutschen Schulsystems liegt also sehr offensichtlich in fehlenden, messbaren Zielen. Denn Verbesserungen kann man nur dann realisieren, wenn sie definiert und gemessen werden. Gut, dass es Anfang des Jahres einen ersten Aufschlag der damaligen Bildungsministerinnen von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gab, Bildungsziele zu formulieren mit Hilfe der Wübben-Stiftung. Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU), die an dem Zielentwurf mitgeschrieben hat, lässt aufhorchen, wenn sie nach Bekanntgabe der IQB-Bildungstrend-Ergebnisse von einer gemeinsamen "Roadmap" von Bund und Ländern zur Verbesserung von Unterrichtsqualität spricht, die bis zur Bildungsministerkonferenz im Dezember erstellt werden soll.

Wir benötigen ambitionierte Outcomes mit OKRs in den Feldern mathematische und sprachliche Kompetenzen, Ausbildungs-, Studier- und Berufsfähigkeit und Demokratiebildung. Nachfolgend ein Beispiel, wie das konkret aussehen könnte:

Alle jungen Menschen verstehen grundlegende Zusammenhänge in Gesellschaft, Wirtschaft, Technologie und Politik. Gleichzeitig setzen sich junge Menschen kreativ, kritisch, kollaborativ und innovativ mit ihrer Umwelt auseinander und entwickeln neue Lösungen. Bei den 15jährigen wird die Risikogruppe innerhalb der nächsten zehn Jahre mindestens halbiert, die die Mindestanforderungen in Mathe und Lesen nicht erreichen – also von rund 25 auf 12 Prozent. Bei den 15-Jährigen wird die Spitzengruppe (Kompetenzstufen 5 und 6 bei PISA) in den nächsten zehn Jahren verdoppelt – von zehn auf 20 Prozent.

Das Wichtigste scheint mir, einen Prozess zu "Outcomes" und Indikatoren aufzusetzen, der Schulleitungen, Lehrkräfte und Lernende einbezieht und sie damit zu Beteiligten macht. Allein der Dialog, der durch Beteiligung entsteht, wird ungeahnte Kräfte freisetzen und eine neue Dynamik in Schulen schaffen mit dem Ergebnis von übergreifenden Outcomes und Indikatoren für Bund und Länder wie auch eine "Übersetzung" für jede einzelne Schule. 

Schulen brauchen Vertrauen – und Verantwortung

Der zweite wichtige Schritt: Jede Schule braucht eine vertrauensvolle Feedback-Kultur, damit sie Daten zu Kompetenz-, Unterrichts- und Schulentwicklung sinnvoll nutzen kann. Weiterentwicklung findet dann nur noch statt bei entsprechender regelmäßiger Rückmeldung und dessen Reflektion sowie regelmäßiger Messung, ob die gemeinsam definierten Ziele erreicht werden.

Der dritte Schritt: Jede Schule erhält Autonomie und handelt wie ein agiles Team: Das Schulleitungsteam trifft selbst Personalentscheidungen und stellt damit das Team zusammen, das für den Lernerfolg der Lernenden verantwortlich ist. Die Schule steuert sich über das Erreichen der Ziele und damit dem "Outcome" der Lernenden. 

Ein vierter Schritt: Neben Noten steht künftig auch der Kompetenzstand auf dem "Zeugnis": Wir setzen konsequent in den täglichen schulischen Lehr- und Lernprozessen auf den Kompetenzstand, also zum Beispiel ein "B2" im Fach Englisch. Damit fallen Ergebnisse von IQB-Bildungstrends nicht vom "Himmel", sondern sind frühzeitig erkennbar.

Über ambitionierte Ziele und "Outcomes" könnten wir die Aufbruchstimmung schaffen, die wir in der Bildung so dringend brauchen. Hier könnte im Wettbewerb der Bundesländer um Zielerreichung der Bildungsföderalismus seine Stärken ausspielen.

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