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Hanna und die Pyramide

Es braucht einen Impuls zur Transformation der Personalstruktur an Universitäten. Sonst muss jeder WissZeitVG-Kompromiss scheitern. Ein Gastbeitrag von Michael Schulz.

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Artikelbild: Hanna und die Pyramide

Michael Schulz ist Direktor des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen. Foto: Margit Wild.

DAS IST DIE AUSGANGSSITUATION: Die Personalstruktur im Bereich Wissenschaft ist an Universitäten durch eine hohe Zahl zeitlich befristeter Qualifizierungsstellen im Vergleich zu einer deutlich kleineren Zahl unbefristeter Stellen (sogenannter akademischer Mittelbau und Professuren) gekennzeichnet. Diese – grundsätzlich sinnvolle – pyramidenförmige Personalstruktur ist hierzulande jedoch deutlich stärker ausgeprägt als in Ländern mit einem vergleichbar starken und öffentlich geförderten Wissenschaftssystem.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Balance zwischen Personalstellen der Grundausstattung und projektfinanzierten Stellen an Universitäten sich während der vergangenen Dekade zu Ungunsten von dauerhaft finanzierten Stellen entwickelt hat. Hieraus resultieren Nachteile, die im gesamten akademischen Berufsfeld zunehmend als Wettbewerbsnachteile zutage treten:

o Eine berufliche Karriere in der Wissenschaft – insbesondere an Universitäten – ist in der öffentlichen Wahrnehmung zum Synonym für eine unsichere Berufsperspektive geworden und demotiviert Nachwuchswissenschaftler:innen zunehmend, sich für eine Karriere in der Wissenschaft zu entscheiden. Die Nachwuchstalente, die sich jetzt für eine Karriere außerhalb des akademischen Bereichs entscheiden, werden in einigen Jahren fehlen, um die zahlenmäßig große Gruppe der "Baby-Boomer" zu ersetzen.

o Fehlende Karriereperspektiven im internationalen Vergleich führen dazu, dass es zunehmend schwierig geworden ist, sehr gute Nachwuchswissenschaftler:innen aus dem Ausland zu gewinnen. So kehren internationale Nachwuchswissenschaftler:innen nach einer erfolgreichen Qualifizierung in Deutschland aufgrund besserer Berufsperspektiven im akademischen Sektor oftmals ins Ausland zurück. Bei der Rekrutierung von erfahreneren Nachwuchswissenschaftler:innen aus dem Ausland verhindern unklare und oftmals intransparente Karriereperspektiven einen Wechsel nach Deutschland.

Die Zielbeschreibung: Spitze verbreitern, Basis verschlanken

Die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems wird weiter stark davon abhängen, die besten Köpfe zu gewinnen. Damit dies auch zukünftig gelingen kann, gilt es – um im obigen Bild zu bleiben – den oberen Teil der Personalpyramide (Dauerstellen) an Universitäten zu verbreitern und die Basis (Qualifizierungsstellen) zu verschlanken.

Aus einem gesamtstaatlichen Blickwinkel heraus könnte solch eine Umgestaltung kostenneutral erfolgen. Auch lässt ein internationaler Vergleich kaum die Befürchtung aufkommen, dass die Leistungsfähigkeit des Gesamtsystems dadurch sinken würde. Das Gegenteil scheint eher wahrscheinlich.

Gleichwohl ergeben sich im föderalen System enorme Herausforderungen, eine solche Transformation zu gestalten, da Dauerstellen gerade an Universitäten durch die Länder finanziert werden, wohingegen die Qualifizierungsstellen in zunehmendem Maße direkt oder indirekt durch den Bund gefördert werden. Vorgeschlagen wird ein Transformationspfad, der im Kern auf gut etablierten Wettbewerbsmechanismen im Wissenschaftssystem fußt und sich im Rahmen des bestehenden föderalen Systems umsetzten ließe.

Den Transformationspfad gestalten

Die Transformation der Personalstruktur erfolgte über zwei Ebenen, die eng verwoben miteinander wechselwirken:

1. Öffentliche Förderorganisationen (DFG, Bundesministerien) ermöglichen es Universitäten, in ihren jeweiligen Förderformaten Personalmittel für dauerhaft beschäftigtes, wissenschaftliches Personal als Regelfall einzuwerben. Der beantragte Anteil einer Re-Finanzierung kann dabei flexibel gestaltet werden. Entsprechende Förderanträge durch Angehörige von Universitäten stehen inhaltlich im "normalen" Wettbewerb und werden nicht gesondert berücksichtigt. Gleichzeitig wird gewährleistet, dass entsprechend Mittel (inklusive der Programmpauschale) seitens Universitäten gebündelt werden dürfen, um daraus einen Risikopuffer beim Ausbleiben von Drittmitteln zu schaffen.

2. Die Antragsberechtigung zur Re-Finanzierung von Dauerstellen setzt voraus, dass die antragstellenden Universitäten ein Personalentwicklungskonzept entwickeln und fortschreiben, das mindestens folgende Elemente auf Ebene der Gesamtinstitution umfassen sollte:

o fächergruppenspezifische Zielkorridore für das Verhältnis zwischen Qualifizierungs- und Dauerstellen

o strukturierte Maßnahmen zur Personalentwicklung während der Qualifizierungsphase;

o transparente Entwicklungspfade für die wissenschaftliche Karriere im Anschluss an die Qualifizierung, in denen Verschiebungen im Tätigkeitsspektrum Berücksichtigung finden;

o ein strukturiertes Risikomanagement für den Fall des Ausbleibens von Mitteln zur Re-Finanzierung.

Keine unlösbare Aufgabe

Der hier gemachte Vorschlag ermöglicht es insbesondere auch, fächergruppenspezifische Aspekte abzubilden. So können Disziplinen, in denen die akademische Nachwuchsförderung in der Regel für einen nicht-akademischen Arbeitsmarkt qualifiziert, ein anderes Verhältnis zwischen Qualifizierungs- und Dauerstellen wählen als eine Disziplin, für die der akademische Arbeitsmarkt der primäre ist.

Der vielschichtige und vielstimmige aktuelle Diskurs zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat erneut offenbart, dass sich die genannten strukturellen Herausforderungen aller Voraussicht nach nicht durch die geplante Novelle des Gesetzes lösen lassen. Es bleibt zu hoffen, dass die Handelnden im Bund und in den Ländern sich schnell aus dem Ritual der gegenseitigen Verantwortungszuweisung lösen und gemeinschaftlich mit weiteren Akteuren im Wissenschaftssystem ihre Gestaltungsmöglichkeiten nutzen, um zügig eine Weichenstellung für eine zukunftsweisende Personalstruktur im Wissenschaftsbereich zu erreichen.

Dies ist keine unlösbare Aufgabe. Bund und Länder haben während der vergangenen Jahre wiederholt gezeigt, dass ihr gemeinsames Handeln unser Wissenschaftssystem erkennbar voranbringt.

Kommentare

#1 -

DW | Di., 28.03.2023 - 23:29
"Die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems wird weiter stark davon abhängen, die besten Köpfe zu gewinnen."
Aktuell gewinnt das System nur Leute, die es sich leisten können, zu bleiben. Die "besten" Koepfe sind oft die, die durch Fake-Ausschreibungen dazu gemacht werden. Stichwort: Machtmissbrauch bei Ausschreibungen etc., Fake-Ausschreibungen fuer Wunschkandidaten.

Bezeichnend ist, dass Ihr Text nicht von Minderheiten, Gleichstellung etc spricht. Blenden Sie solche wichtigen Themen bewusst aus?
Nur wenn ein Team divers ist und gut zusammenarbeitet, wird es gute Leistungen hervorbringen.

Sie wollen also die Basis ausduennen. Interessant. Stellen sich dann die Profs endlich wieder selbst ins Labor und arbeiten? Eine grosse Anzahl von PhD Studenten wird ja nicht benoetigt.

#2 -

lN2 | Do., 30.03.2023 - 12:13
Ein sehr guter, ausgewogener Beitrag, frei von hysterischen Forderungen und endlich mal am Kern der Sache. Endlich wir mal nicht das ständige Narrativ von Machtmissbrauch und fehlender Diversität herangeführt um irrsinige Forderungen zu begründen.

#3 -

Nikolaus Bourdos | Sa., 08.04.2023 - 11:12
Einer der wenigen gelungenen, konstruktiven Beiträge zum Thema, vielen Dank. Spitze verbreitern, Basis verschlanken - erinnert mich teilweise an einen Vorschlag der Jungen Akademie vor Jahren, die die Zahl von Professuren erhöhen wollte bei weitgehender Abschaffung des unbefristeten akademischen Mittelbaus. Ein kontroverser, aber nach wie vor lesens- und bedenkenswerter Vorschlag

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