GAIN-Tagung in San Francisco: Mehr als ein teurer Klassenausflug?
Morgen geht es wieder los, morgen beginnt er, der alljährliche Klassenausflug der deutschen Wissenschaftselite in die Vereinigten Staaten. Offiziell trägt er den Namen GAIN-Jahrestagung und hat als gemeinsame Unternehmung von DFG, DAAD und Alexander-von-Humboldt-Stiftung das Ziel, die in den USA vermeintlich verloren gegangenen jungen deutschen Forscher für eine Rückkehr in die Heimat zu begeistern. Ich zitiere mal kurz auszugsweise aus der Liste der eigens nach San Francisco angereisten Redner und Referenten: DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel, DFG-Generalsekretärin Dorothee Dzwonnek, Humboldt-Generalsekretär Enno Aufderheide, BMBF-Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen, Brandenburgs Wissenschaftsministerin Sabine Kunst, Leopoldina-Präsident Jörg Hacker, HRK-Präsident Horst Hippler, der neue Helmholtz-Präsident Otmar Wiestler, die Generalsekretärin der Leibniz-Gemeinschaft, Christiane Neumann, dazu fast ein halbes Duzend Bundestagsabgeordnete und die Präsidenten/Rektoren der Universitäten Hannover, Jena, Freiburg, Stuttgart, Aachen, Dortmund und Dresden. Puh, ich hoffe, ich habe jetzt niemanden vergessen, der oder die meint, auch in dieser Reihe genannt werden zu müssen.
Vergangenes Jahr hatte ich selbst das Vergnügen, bei der GAIN-Tagung dabei zu sein, und abgesehen davon, dass der damalige Veranstaltungsort Boston eine schöne Stadt und es sicherlich verdienstvoll von unseren Wissenschaftslenkern ist, all der jungen Talente wegen den langen Flug auf sich zu nehmen, habe ich mich gefragt: Warum machen die das eigentlich? Also jetzt wirklich mal. Zumal die Chefinnen und Chefs doch meistens unter sich saßen und der Austausch untereinander intensiver auszufallen schien als die Gelegenheitsgespräche mit den Nachwuchswissenschaftlern. Und dann habe ich mich gefragt: Ist das echt den ganzen Aufwand wert?
Die einfache und journalistisch sicherlich reizvollere Antwort wäre: Nein, ist es nicht. Die wollen sich ja nur selbst feiern. Aber es ist dann doch etwas komplizierter. Natürlich geht es den Präsidenten, Rektoren, Staatssekretärinnen und Ministerinnen nicht nur und vielleicht nicht einmal in erster Linie um die jungen Leute, die ihnen dort begegnen. Aber es geht ihnen um das Signal, das sie damit senden, in die deutsche US-Community hinein, vor allem aber auch hier zurück nach Deutschland: Wir müssen offen sein, wir brauchen die klügsten jungen Menschen, und wenn sie am Ende der Welt sind, fahren wir auch dorthin, um sie zu holen. Dass San Francisco nicht einmal am Ende der Welt liegt, kommt den Chefs da durchaus gelegen.
Und es geht ihnen nicht nur um das Signal. Mein Eindruck ist, dass eine wachsende Anzahl grundlegender Deals zwischen Wissenschaftsorganisationen und Hochschulen, zwischen Wissenschaft und Politik während der jährlichen GAIN-Tagung angebahnt wird, weil es das eben nur einmal im Jahr gibt: dass so viele Lenker auf einem Haufen sitzen und - das ist das Schönste daran! - nicht eben mal schnell wieder weg können. Das ist übrigens auch genau der Grund, den viele der Chefs hinter vorgehaltener Hand nennen, wenn man sie fragt, warum sie sich die ganze Mühe machen. Vielleicht passt ja sogar der Ausdruck "Klausurtagung" besser als "Klassenausflug".
Insofern glaube ich, schon diese beiden Punkte – Signal und Klausurtagung – rechtfertigen dann doch die beachtlichen Kosten. Zumal in den vergangenen Jahren ein dritter Aspekt an Bedeutung gewonnen hat: Bei der GAIN kommt wirklich etwas bei rum. Man muss nur zwischen den Zeilen lesen und genau hinhören. Zwischen den Zeilen lesen: Vergangenes Jahr in Boston sickerte erstmals durch, dass die Bundesregierung ein milliardenschweres Programm für den wissenschaftlichen Nachwuchs plant. Dass die Nachwuchswissenschaftler in Sachen Befristung und Karriereperspektive bei der Tagung richtig Ärger machten, hat dabei sicherlich nochmal geholfen. Genau hinhören: Heute Morgen hat die German U 15, die Vereinigung von 15 nach eigenen Worten "großen und forschungsstarken" Universitäten, anlässlich der GAIN ein Positionspapier veröffentlicht. Darin bekennt sie sich zur Einrichtung von "genügend Dauerpositionen jenseits der Professur" und zu einem Tenure-Track-System, das "transparenten und höchsten Qualitätskriterien" folgen und "eine faire Balance von Zugangsgerechtigkeit und leistungsorientierter Karriereplanung" ermöglichen müsse. So deutlich haben wir das noch nicht von den Hochschulen gehört. Dann der entscheidende Satz: Die Entwicklung solcher neuen Modelle und ihre Implementierung bedeuteten "in Teilen... für die Universitäten einen Kulturwandel." Und genau diesen signalisiert das Positionspapier der U15. Jetzt kann und muss man sie nur noch beim Wort nehmen.
Da sage noch einmal einer, GAIN würde sich nicht lohnen.
Kommentare
#1 - Lieber Jan-Martin, vielen Dank für den guten Beitrag! Ich…
Ich freue mich auf weitere interessante und provokante Beiträge von Dir!
#2 - Lieber Jan-Martin, Danke für Deinen Beitrag, den ich voll…
#3 - Vielen Dank für den schönen Beitrag. Ich selbst war 2011…
#4 - Lieber Herr Wiarda,gutes Thema - vor allem das Abschluss…
gutes Thema - vor allem das Abschluss mit dem Hinweis auf das Positionspapier der U15. Immerhin gibt es in Deutschland mit der TU München schon mindestens ein Beispiel wie ein entsprechendes Tenure-Track System, das diesen Namen auch verdient, aussehen kann. Es ist sicher interessant an diesem Beispiel zu studieren, welche Dynamik und welche Effekte ein derartiges System in Deutschland zu erzeugen vermag.
#5 - Ich kann an den GAIN-Veranstaltungen nichts positives…
Als in USA fest etablierter Wissenschaftler (seit fast 20 Jahren hier, full professor an einer kalifornischen Staatsuni) fühle ich mich überhaupt nicht von GAIN-Events angesprochen. Das Publikum scheinen hauptsächlich deutsche Postdocs (vorzugsweise in einem der trendigen Gebiete wie Biowissenschaften usw.) zu sein, deren Zeit in USA abläuft, und die mit einer Rückkehr nach Deutschland liebäugeln. Denen wird jetzt vorgegaukelt, es würde sich etwas tun ("wir denken über tenure track nach ..."), damit sie zurückkommen und nicht in USA eine feste Stelle antreten. Dann sind sie nämlich bald in meiner Position, und für Deutschland verloren: denn wenn ich es nicht aus eigener Erfahrung wüsste, wie sich die Herrschaften aus den Unileitungen in Deutschland anstellen, wenn es darum geht, Nägeln mit Köpfen zu machen und ein attraktives Angebot für Wissenschaftler in USA, die an einem Wechsel nach Deutschland interessiert sind, auf die Beine zu stellen, dann würde ich es auch nicht glauben.
Ironisch etwa ist, dass gerade etwa ein Unirektor einer (damaligen) "Exzellenz-Uni" im südwestdeutschen Raum das Berufungsverfahren mit mir auf eine W3-Professur grandios scheitern lies (von den Kollegen an besagter Uni wurde sein Gebaren mit "provinziell" und "rückgratlos" kommentiert ... ) um dann ein paar Wochen später (auf Staatskosten, darf man annehmen) nach Berkeley zu reisen und gross Werbung für die Rückgewinnung deutscher Wissenschaftler im Ausland zu machen. ...
Und zu dem gelobten "tenure track" an der TU München könnte ich auch einiges sagen, aber lassen wir das.
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